„Der Wahn ist das Wesentliche des menschlichen Daseins.“
Wer heutzutage das Wort „Android“ hört, denkt sofort an das Betriebssystem der meisten Mobiltelefone. Das ist hier in diesem Buch nicht gemeint, sondern von Menschen konstruierte Roboter, die ein Eigenleben entwickeln. Androide bevölkern die Landschaft der SF-Literatur. sich.
Der geniale Physiker Frithjof Andersen konstruiert diesen vollkommenen Maschinenmenschen, stattet ihn mit allen menschlichen Attributen aus und führt sein Geschöpf in die Gesellschaft ein. Die (Vor)Täuschung gelingt. Zu Beginn seiner „Karriere“ folgt der Android auch noch brav seinem Schöpfer und lernt. Doch dann emanzipiert er sich tanzt den Menschen auf der Nase herum. Die angelernten Phrasen verquicken sich zu scheinbaren Bonmots und der Automat wird hofiert. Er schwingt sich zum Großindustriellen auf, wird zum Minister ernannt. Dann triggern ihn einzelne Worte wie „Krieg“ an, zu denen er Hetzreden von sich gibt und das Volk in eine Kriegsbegeisterung stürzt, die ihresgleichen sucht.
Ähnlich wie in Goethes Zauberlehrling kann auch Andersen sein Geschöpf nicht im Zaum halten.
„Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister
werd ich nun nicht los.“
Doch während bei Goethe ein Zauberspruch dem Treiben Einhalt gebieten kann, bleibt Frithjof Andersen nur, sein Werk wieder zu zerstören.
„Das Los eines Volkes abhängig von einer einzigen verdorbenen Puppe!“
Meine Meinung:
Dieser im Jahr 1907 vom jüdischen Wissenschaftsjournalisten Leo Silberstein-Gilbert (1861-1932) verfasste Roman gilt als Vorläufer der Science-Fiction-Romane.
Die Idee, ein Ebenbild des Menschen zu erschaffen, das nach dem Willen seines Schöpfers handelt, ist nicht wirklich neu. Diverse Homunculi oder Golems geistern durch die Literatur.
Anders, als der jüdische Golem, der als aus Lehm geschaffener künstlicher Nicht-Jude Arbeiten für die Juden verrichten soll und über keinen eigenen Willen, dafür aber über Bärenkräfte verfügen soll, ist Gilberts Android weniger ein Maschinenmensch à la Terminator, sondern ein humorvolles, sehr menschliches Geschöpf. Er lernt durch Nachahmen und ähnelt der Künstlichen Intelligenz (KI), die heute eingesetzt und manchmal auch schon gefürchtet ist.
„Für diesen Wahnsinn der Menschheit müssen sie, die Schöpfer der Werke, die Zwangsjacke bekommen.“ (S.277)
Dieser Roman weist in gerade zu prophetischer Weise auf das Ende der großem Monarchie (Österreich-Ungarn, das deutsche Kaiserreich und das Zarenreich) hin.
Der Schreibstil ist dem Fin de Siècle entsprechend und enthält zahlreich Worte, Redewendungen sowie Anspielungen auf die Donaumonarchie. Ich mag das, wenn Austriazisem wie „spintisieren“ verwendet werden.
Dass sein Roman wird 1933 aus allen deutschen Bibliotheken verb(r)annt wird, muss Leo Silberstein-Gilbert nicht mehr erleben.
Es ist Nathaniel Riemer zu verdanken, dass dieses Meisterwerk der Fantasie aus dem Fin de Siècle eine Neuauflage im Verlag W erfährt. Damit wird dieser erste SF-Roman vor dem Vergessen bewahrt.
Fazit:
Diesem prophetischen Meisterwerk gebe ich sehr gerne 5 Sterne.