Cover-Bild Die Schattenmacherin
24,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Kremayr & Scheriau
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 192
  • Ersterscheinung: 06.03.2024
  • ISBN: 9783218014243
Lilly Gollackner

Die Schattenmacherin

Roman
Frauen an die Macht.  Lilly Gollackner spiegelt in ihrem Debütroman zerrbildhaft die feministischen Kämpfe der Gegenwart in eine dystopische Zukunft. Ein erschreckend realitätsnahes literarisches Gedankenexperiment.
Das Jahr 2068: Sengende Hitze, überdachte Städte, rationiertes Wasser. Und keine Männer mehr. Eine mysteriöse Seuche hat sie vor Jahrzehnten dahingerafft. Nur künstliche Fortpflanzung sichert den Fortbestand der Menschheit. Ruth, langjährige Präsidentin dieser Welt, bereitet die Amtsübergabe an die junge Ania vor. Die Junge möchte die Männer mit allen Mitteln zurückholen. Ruth stemmt sich dagegen, und sie hat gute Gründe. Der Generationenkonflikt zwischen den Frauen um Ressourcen, Macht und Identität stellt beide vor schicksalhafte Entscheidungen.

Dieses Produkt bei deinem lokalen Buchhändler bestellen

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.06.2024

Männerlose Gesellschaft

0

„Wir wollten Menschen sein. Keine Frauen.“ (S.183)

Dies wäre ein perfekter letzter Satz gewesen… sagt er doch soviel auf einmal, brüllt einem die Missstände förmlich ins Gesicht, erklärt, prangert an ...

„Wir wollten Menschen sein. Keine Frauen.“ (S.183)

Dies wäre ein perfekter letzter Satz gewesen… sagt er doch soviel auf einmal, brüllt einem die Missstände förmlich ins Gesicht, erklärt, prangert an und lässt doch wahnsinnig viel Interpretationsspielraum.

Aber beginnen wir am Anfang:
Es ist das Jahr 2068, die Menschheit ist knapp an ihrer Auslöschung vorbeigeschrammt, die Überlebenden sind ausschließlich weiblich.
Jahrzehnte zuvor hat erst die Klimakrise und später eine Seuche, die nur Männer befallen hat, für eine starke Minimierung gesorgt. Seitdem erfolgt die Fortpflanzung nur noch per Reagenzglas, die Bevölkerung zählt derzeit 283469 Personen.
Das Zusammenleben ist von starren Regeln begleitet („Wir machen die Regeln, wir halten uns an die Regeln, wir kennen die Konsequenzen. Und manchmal zerbrechen wir daran.“ (S.125)) und wird durch eine Führungselite kontrolliert. Dieser Elite steht Ruth vor, welche allerdings in einem Alter ist, in dem es Zeit wird, ihre Aufgabe abzugeben. Als Nachfolgerin wurde die junge Ania, welche männliche Personen nur aus Erzählungen kennt, gewählt und soll nun auf ihren Posten vorbereitet werden. Kein leichtes Unterfangen, da die beiden Frauen ein gänzlich unterschiedliches Wahrnehmen bezüglich der Welt, wie sie jetzt ist und wie sie vielleicht werden könnte, haben. Anias Bestreben die männlichen Personen zurück zu bringen, stößt bei Ruth auf taube Ohren und bringt sie letztendlich sogar in Lebensgefahr.
-
Eine Welt ohne Männer… Utopie oder Dystopie? Dies lässt sich nur sehr individuell beantworten.
Im Mittelpunkt von „Die Schattenmacherin“ steht aber in meinen Augen die Frage: „Wäre die Welt eine bessere, wenn es keine Männer mehr gäbe?“ und die Antwort lautet in diesem Fall ganz klar Nein. Es geht nicht darum, ob eine rein weibliche Welt existieren könnte, denn daran habe ich keinen Zweifel, sondern viel eher darum ob Machtmissbrauch, Gewalt und Unterdrückung ein rein männliches Problem ist.
Die beschriebene Gesellschaft wirkt auf den ersten Blick sehr friedlich, achtet aufeinander und die Natur, bedingt aber auch sich unterzuordnen, nicht zu hinterfragen, sondern zu gehorchen. Individualität scheint nicht gewünscht, viel eher geht es um ein Funktionieren.
Dass das patriarchale System problembehaftet ist, steht nicht zur Diskussion und Gollackner schafft es sehr klar und nachvollziehbar darzulegen, warum vor allem die älteren Frauen nicht mal in Erwägung ziehen, dass man versuchen sollte wieder männliche Nachfahren zu gebären. Immer wieder wird das „Davor“ eingestreut… Misogynie, körperliche und sexuelle Gewalt, Ausbeutung sind Themen, die in der ganzen Überlegung nicht außen vor gelassen werden können. Zugleich wird aber auch die Fragestellung in den Raum geworfen, in wieweit bestimmte (männliche) Eigenschaften angeboren oder anerzogen sind.
„Wer wir sind, ist ein soziales Konstrukt, geformt und gefestigt von den Beziehungen, die wir eingehen.“ (S.76) oder halt von der Sozialisierung derer wir ausgesetzt sind.
Aber nicht nur das. Auch eine gewisse Notwendigkit oder einfach nur die Gelegenheit, kann dazu führen, dass man sich über andere erhebt.
„Um die Menschheit vorwärtszubringen, braucht es immer Opfer, und ja, es wird immer mit hohen moralischen Ansprüchen argumentiert, doch in Wirklichkeit ist es brutaler, nackter Verteilungskampf, und niemand kommt da ohne Blut an den Händen lebend raus.“ (S.181) -> Diese, von Ruth getätigte Aussage, führt gut vor Augen, dass das Problem ein ganz anderes ist und zwar die Entscheidungsgewalt in den Händen einer einzelnen Person, die durch die Entscheidungsbefugnisse, die sie sich genommen hat, wiederum zu Machtmissbrauch, wenn auch unter dem Deckmantel zum Wohle der Gemeinschaft zu handeln, neigt.
-
Die Idee der männerlosen Gesellschaft, die Lilly Gollackner hier aufgreift, ist keinesfalls neu, sie schafft es aber auf gerade mal 192 Seiten soviel Komplexität einzubauen, dass ich mit vielschichtigen Fragen und einer gewissen Unentschlossenheit zurück bleibe. Ihr mitreißender Stil, ein konstanter Spannungsbogen und ein Plottwist sorgen ein für in tolles Leseerlebnis und eine Leseempfehlung meinerseits.