Die Zeit vergeht im Sauseschritt
So sehr Pat es auch hasst, unerbittlich schreitet die Zeit voran und bringt Veränderungen mit sich – mal im kleinen, wenn ein Sturm einen geliebten Apfelbaum knickt, mal im Großen, wenn ihr bester Freund ...
So sehr Pat es auch hasst, unerbittlich schreitet die Zeit voran und bringt Veränderungen mit sich – mal im kleinen, wenn ein Sturm einen geliebten Apfelbaum knickt, mal im Großen, wenn ihr bester Freund Jingle zum Studieren in einen anderen Bundesstaat zieht. Immer noch kann sie ihm keine andere Antwort geben: Ihr Herz gehört Silver Bush, dem kleinen, gemütlichen, wenn auch nicht gerade begüterten Zuhause, dass sie um keinen Preis verlassen möchte. Fast panisch klammert sie sich an jedes noch so kleine Stückchen Inventar, jeden Baum und jede Tradition. Sie findet ihre Erfüllung darin zusammen mit der alten Judy das Haus zu bewirtschaften. Elf Jahre lang versucht sie jeder Art von Veränderung zu widerstehen, aber unerbittlich nimmt das Leben seinen Lauf: ihre Eltern werden alt, ihre kleine Schwester erwachsen und ihr großer Bruder wird wohl irgendwann über den Verlust seiner Jugendliebe hinwegkommen. Wie soll es werden, wenn er tatsächlich eine Frau heimführt – wo wird dann Platz für die altjüngferliche große Schwester sein? Neue Nachbarn, alte Freunde und die kluge, vorausschauende, immer um Pat bekümmerte Judy geben Pat Halt, wenn das Kaleidoskop des Lebens sie mit neuen Mustern aus dem Gleichgewicht bringt.
Schon im ersten Band hat man gespürt, dass Pats Verbundenheit mit Silver Bush sich zu einem großen auswachsen wird. In diesem Buch wird es ausgemalt. Es ist sehr faszinierend wie sehr man Pats panische Furcht vor Veränderung nachempfinden kann und gleichzeitig die Unmöglichkeit und auch geradezu klaustrophobische Enge dieser Situation sieht. Zeiten verändern sich, Menschen werden älter, erwachsen, alt, Situationen wandeln sich, Gelegenheit tauchen auf, gehen vorüber, Gefühle entstehen und vergehen. Das große Thema dieser beeindruckenden Dilogie ist das Zuhause – ein Motiv, das Lucy Maud Montgomery schon in vielen Variationen ausgemalt hat und hier im Spannungsfeld zwischen physischem Ort und innerem Bild aufbaut – ein Spannungsfeld, bei dem man bis zum Schluss bangt, ob Pat davon zerstört wird oder es mit einer außergewöhnlichen Stärke überwindet. Der Schluss des Romans hätte keine Überraschung sein sollen, ist es doch die einzig mögliche Lösung gewesen, trotzdem wird der Leser davon tief getroffen.
Lucy Maud Montgomerys einzigartige Art Geschichten zu erzählen wird mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens begeistern. Ihre Art dem Leser das Gefühl einer heilen Welt zu geben, obwohl sie überhaupt nicht heile ist, ist bemerkenswert. Bisher hat jede ihrer Protagonistinnen eine Seite in mir zum Klingen bringen können. Jede habe ich, wenn vielleicht auch nicht vollständig, aber bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen können, so auch Pat, die mit ihrer Sehnsucht nach einem stabilen, unveränderbaren Zuhause ihrer Kindheit als Ruhepol im unzuverlässigen, veränderlichen Strom des Lebens. Mögen die Geschichten der Autorin auch in der Zeit des ausgehenden 19. / Anfang des 20. Jahrhunderts spielen, so sind die Botschaften doch bis heute gültig und ich lese jedes ihrer Bücher mit großem Gewinn.
Pat auf Silver Bush ist eine unvergessliche Dilogie, die ich jederzeit wieder zur Hand nehmen werde.