Sehr persönliche Analyse der eigenen Vater-Tochter-Beziehung
Ich ringe damit, ob ich diesem Buch nun drei oder vier Sterne geben soll – und weiß es noch nicht mal jetzt, wo ich beginne, diese Rezension zu schreiben. Die Journalistin Mareike Nieberding hat ein sehr ...
Ich ringe damit, ob ich diesem Buch nun drei oder vier Sterne geben soll – und weiß es noch nicht mal jetzt, wo ich beginne, diese Rezension zu schreiben. Die Journalistin Mareike Nieberding hat ein sehr persönliches Buch über die Beziehung zu ihrem Vater verfasst, von dem sie sich mehr und mehr entfremdet fühlte, nachdem sie von zu Hause ausgezogen war. Zwischen den beiden ist nichts vorgefallen, sie haben sich mit der Zeit einfach immer weniger zu sagen. Mit Ende 20 will die Autorin das ändern und geht dem Vater-Tochter-Verhältnis schreibend auf den Grund. In ihrem Buch legt sie ihre Familiengeschichte komplett offen: Eine größtenteils unbeschwerte, glückliche Kindheit auf dem Land mit vielen Freiheiten und einer intakten Familie, die für sie da war. Mit Aufnahme des Studiums in Berlin fühlte sich Nieberding dann ihrem niedersächsischen Heimatdorf mehr und mehr entwachsen und warf ihrer Familie, allen voran ihrem Vater, zu geringe Anteilnahme an ihrem neuen Leben vor. Ohne Frage hat Nieberding unter der Entfremdung gelitten, dennoch stellte sich bei mir der Eindruck ein, dass sie selbst kaum gegen diese angekämpft hat. Den Kampf hat sie letztendlich wohl erst mit ihrem Buchprojekt aufgenommen, mit dem sie ihrem Vater, der sie auch hier voll unterstützte, in meinen Augen schon etwas zugemutet hat – schlagartige Bekanntheit sehr privater Details zum Beispiel. Die Autorin schreibt dazu selbst: „Immer wieder frage ich mich […], warum ich Papa das antue. Dieses Buch. Ich glaube, ich tue es aus Liebe.“
„Ach, Papa“ ist nicht nur eine schriftliche Aufarbeitung der Vergangenheit. Um sich ihrem Vater anzunähern, schickt Nieberding ihm zum einen E-Mail-Fragebögen und unternimmt mit ihm außerdem einen Kurzurlaub in den Schwarzwald, wo er studiert hat. Diesen Urlaub schildert sie und ich habe als Leserin durchaus mitgefühlt – die Passagen handelt von zweien, die keine Übung mehr darin haben, miteinander alleine zu sein. Allerdings kam mir Mareike Nieberdings Erkenntnis dann wenig spektakulär vor: „Auch ich hätte fragen können – und ebenso gut hätte ich auch einfach mal erzählen können.“ Stimmt – statt immer nur zu warten, dass ihr tiefschürfende Fragen gestellt werden. Ohnehin blieb bei mir der Eindruck zurück, den Vater trotz aller privaten Details zu wenig kennengelernt zu haben – wie steht er denn eigentlich zu der Entfremdung? Hat die Autorin ihn das eigentlich gefragt?
Inhaltlich hat mich das Buch daher nicht wirklich zufriedengestellt. Als öffentliche Aufarbeitung ihrer eigenen Vater-Tochter-Beziehung hat Mareike Nieberding natürlich sowohl alle Freiheiten als auch die Deutungshoheit. Angekündigt wurde das Buch allerdings auch damit, dass es erzählen würde „[…] wie man sich wieder nahekommt, wenn man sich schon fast verloren hat.“ Das mag auf die Autorin und ihren Vater zutreffen, aber aus „Ach, Papa“ lässt sich nur wenig allgemein ableiten.
Und trotzdem habe ich das Buch gerne gelesen. Journalistin Mareike Nieberding kann nämlich schreiben. Das Buch folgt einer gewissen Dramaturgie, beinhält ein paar wissenschaftliche Querverweise, Einschübe und jede Menge Selbstreflektion. Und viele elegante Sätze, die ich mir angestrichen habe: „Die Entfernung entfernte uns voneinander.“ „Eine Familie ist ja keine Fertighaus-Siedlung, sondern eine sich täglich verändernde Favela.“ „Gnadenlos bricht jeden Morgen ein neuer Tag an, der weitere Überforderungen birgt, aber eben auch die Chance, alles anders zu machen.“
„Ach, Papa“ lässt sich gut lesen und die sympathische Autorin schafft es durchaus, dem Leser ihre Sichtweise zu vermitteln. Der Stil an sich gefiel mir meist, dennoch hatte ich mir mehr Allgemeingültigeres erhofft und fand die Kluft zwischen diesem Vater und dieser Tochter nicht so elementar, die Probleme nicht so unlösbar, als dass das Ganze inhaltlich wirklich getragen hätte.