Wartezeit ist geschenkte Zeit für Gebet und Meditation
Wartezeit ist geschenkte Zeit für Gebet und Meditation
Dieses Haus ist eine Einsiedelei, keine Pension oder gar ein Hotel. Einsiedler haben in allen Jahrhunderten Menschen Zuflucht gewährt. In dieser ...
Wartezeit ist geschenkte Zeit für Gebet und Meditation
Dieses Haus ist eine Einsiedelei, keine Pension oder gar ein Hotel. Einsiedler haben in allen Jahrhunderten Menschen Zuflucht gewährt. In dieser Tradition stehe ich auch. Genießen Sie die Zeit, die Ihnen hier geschenkt wird. Kommen Sie zur Ruhe. Und wenn Sie Fragen haben, werde ich versuchen, sie zu beantworten. Was meinen Sie: Können Sie sich darauf einlassen?“
Und Tessa Maibucher lässt sich darauf ein. Nachdem der Druck in ihrem Alltag immer größer, die Streitigkeiten mit ihrem Lebensgefährten Timo immer heftiger, ihre innere Unruhe und ihre inneren Fesseln immer stärker werden und Tessa schließlich keine Energiereserven mehr übrig hat, trifft sie eine spontane Entscheidung. Sie lässt sich für einige Wochen von ihrem Arbeitsplatz im Briefzentrum beurlauben und kehrt in die karg eingerichtete Gästeklause zur Einsiedlerin Marie zurück, die ihr kurz zuvor nach einem Fahrradunfall Unterschlupf gab und sie verarztet hatte. Vom stressigen, mit unzähligen Aktivitäten vollgestopften Alltag und der Last der Verantwortung befreit dauert es einige Tage, bis Tessa sich in der Stille des Eichenwaldes in Maries Obhut zurechtfindet. Doch nach und nach öffnet sie sich, lädt schwere Lasten in Gesprächen mit Marie ab, beginnt die stille Zeit zu schätzen und die Ursache ihrer Abkehr vom Glauben kommt langsam an die Oberfläche…
Maria Anna Leenen hat mich mit ihrer ruhigen, unaufdringlichen aber zutiefst beeindruckenden Erzählung auf mehreren Ebenen angesprochen. Zunächst die Beschreibung des extrem fordernden beruflichen und privaten Alltags ihrer Protagonistin Tess Maibucher, die wohl auf sehr viele berufstätige Frauen in der heutigen Zeit zutreffen mag. Als weiteren Aspekt thematisiert sie die fehlende Zeit zur Stille ein, wobei mich der Rat eines alten und weisen Ordensmannes an Marie tief beeindruckte: „Wartezeit ist geschenkte Zeit für Gebet und Meditation“. Innehalten und Wartezeit auf diese Art und Weise zu nutzen wird im modernen hektischen Leben so gut wie gar nicht praktiziert… wie wertvoll diese geschenkte Zeit jedoch gestaltet werden kann, hat Maria Anna Leenen mir wieder klar und deutlich vor Augen geführt.
Sehr interessant fand ich die Ausführungen darüber, welch immensen Schaden ein falsches Gottesbild bei einem Menschen anrichten, und welch fatale Konsequenzen dies für seinen Glauben haben kann. Ein weiterer, für mich wertvoller Punkt, waren die einzelnen Schritte zur Meditation von Schriftworten, die Marie in diesem Buch ihrem Gast Tessa als kleine Anleitung mit auf den Weg gibt. Die doppelseitigen Schwarz-Weiß-Fotografien im Buch lockerten den Inhalt ein wenig auf. Das Buchcover kann man nur als „prachtvoll“ bezeichnen. Wenn man sich die Zeit nimmt, sich in das Titelbild zu vertiefen, wird man zwangsläufig von der überwältigenden Schönheit der abgebildeten Landschaft und des malerischen Himmels in den Bann gezogen.
Fazit: ein Buch mit wenigen Seiten, aber sehr wertvollem Inhalt, das man aufgrund der darin enthaltenen Glaubenserkenntnisse, Zitate und Gedichte vermutlich öfter als nur einmal zur Hand nimmt. Nachfolgend zwei Zitate, die mich tief berührt haben:
Meine Aufgabe als Einsiedlerin besteht im Grunde genommen nur darin, diesen Impuls wahrzunehmen und ihn groß, mächtig und mein Leben bestimmend werden zu lassen. Und was ist das für ein Impuls? Ganz einfach: es ist die Sehnsucht nach Gott. Nach einem Leben mit ihn und in ihm und für ihn.“
Nicht alles, was Schaden zufügt, muss zum Nachteil werden. Manche angebliche Schwäche können wir nach einiger Zeit als Stärke nutzen, denn in allem sind deine Spuren, in allem ist deine Kraft, deine Weisheit, deine Güte wirksam, Gott.“
Das Einzige, das mich während der Lektüre störte, war die Verwendung einiger Schimpfwörter. Ich empfand es ein wenig deplatziert, als Tessa ihren Lebensgefährten beispielsweise als „faule Sau“ tituliert, mit Ausdrücken wie „Shit“ und „Idiot“ um sich wirft, oder gar ihre Gastgeberin Marie verbal mit „Sind Sie blöd?“ attackiert… ich bewerte dieses Buch jedoch trotz dieses winzigen Kritikpunktes mit uneingeschränkten fünf Bewertungssternen.