Anatomie eines Bundeslandes
Über Sachsen ist in den vergangenen Jahren schon häufig geschrieben worden, wenn es um das Erstarken der extremen Rechten, die Befindlichkeit des Ostens und Herausforderungen für die Demokratie ging. In ...
Über Sachsen ist in den vergangenen Jahren schon häufig geschrieben worden, wenn es um das Erstarken der extremen Rechten, die Befindlichkeit des Ostens und Herausforderungen für die Demokratie ging. In "Deutschland der Extreme" widmet sich Martin Debes einem anderen Bundesland, Thüringen. Hier hat die "Brandmauer" gegen die AfD das erste Mal versagt. Hier ist mit Björn Höcke als Landesvorsitzendem derjenige AfD-Chef, der die Partei immer weiter nach rechts geführt hat, hin zum Rechtsextremismus. Und hier wird in diesem Jahr gewählt. Könnte es hier erstmals einen AfD-Ministerpräsidenten geben?
Debes betreibt kein Thüringen-Bashing, er kommt selbst aus dem Bundesland, zählt die Traditionen auf, auf die man in dem kleinen Land zwischen Eichsfeld und Rhön stolz ist: Goethe und Schiller in Weimar, Bach, Bauhaus und Weimarer Republik. Und er verschweigt nicht die rechtsextremen und nationalistischen Traditionen, die es schon in der ausgehenden Weimarer Republik gab. Buchenwald, auch das ist ein Ort in Thüringen.
Ein bißchen ist "Deutschland der Extreme" die Anatomie eines Bundeslandes, die Entblätterung all der Schichten seiner Geschichte, die Zeit der DDR, die Zeit der Wende und der Wiedervereinigung, als die Enttäuschung in Thüringen ganz besonders groß war, etwa nach der Zerschlagung und Abwicklung der einstigen Kombinate, die schwierige Verortung in der größer gewordenen Bundesrepublik, die Probleme der großen Parteien mit ihrem Personal - hier ein Korruptionsskandal, dort eine IM-Vergangenheit. Das hilft nicht bei Glaubwürdigkeit.
Das politische Gefüge zwischen Bodo Ramelow und Björn Höcke, ein bißchen auch die Neonazi-Bewegung, die in Thüringen (aber seien wir ehrlich, mit Verbindungen in Nordhessen, dem südlichen Niedersachsen und Sachsen-Anhalt - es ist kein Problem des Ostens alleine) festen Fuß gefasst hat: Eine Herausforderung für die Demokratie in Deutschland. Das steht im Titel nicht als Frage, sondern als Feststellung.
Debes ist politischer Journalist, er hat die Protagonisten seines Buches seit Jahren journalistisch begleitet und tiefe Einblicke in die politische Szene zwischen Erfurt und Berlin erhalten, das merkt man dem Buch an, ohne dass es lehrmeisterlich oder besserwisserisch wird. Eine spannende Analyse, nicht nur für Wahljahre.