Cover-Bild Armut
20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: ROWOHLT Taschenbuch
  • Themenbereich: Gesellschaft und Sozialwissenschaften - Soziale und ethische Themen
  • Genre: Sachbücher / Politik, Gesellschaft & Wirtschaft
  • Seitenzahl: 304
  • Ersterscheinung: 16.04.2024
  • ISBN: 9783499014390
Matthew Desmond

Armut

Eine amerikanische Katastrophe
Jürgen Neubauer (Übersetzer)

Die USA sind das reichste Land der Welt – und doch gibt es hier mehr Armut als in jeder anderen fortgeschrittenen Demokratie: Würden die Betroffenen einen eigenen Staat gründen, hätte dieser eine größere Bevölkerung als Australien oder Venezuela. Warum klaffen gerade hier, wo doch alle Mittel vorhanden sein sollten, Reich und Arm, Anspruch und Realität so drastisch auseinander?

Der Soziologe und Pulitzer-Preisträger Matthew Desmond zeigt eine bittere Wahrheit, die weit über die USA hinausweist und ins Innerste der kapitalistischen Gesellschaften zielt: Dass Millionen von Menschen in Armut leben, ist nicht etwa eine strukturelle Zwangsläufigkeit oder das Ergebnis je individuellen Fehlverhaltens – Armut existiert und besteht fort, weil es Menschen gibt, die davon profitieren. Doch nicht nur Konzerne und Kapitalgesellschaften, sämtliche Wohlhabenden tragen, wissend oder unwissend, zur Aufrechterhaltung der Missstände bei. Was politische Mythen, Profitinteressen, aber auch tägliche Konsumentscheidungen damit zu tun haben – das wurde selten so schonungslos aufgezeigt. Eine wütende Anklage und ein entschiedenes Plädoyer: Die Armut, dieses himmelschreiende Unrecht, muss nichts weniger als endlich abgeschafft werden.

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.10.2024

Nicht nur eine amerikanische Katastrophe

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Es war einmal…Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo man angeblich vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann. Diese Zeiten sind längst vorbei. Mittlerweile ist die Zahl derjenigen, ...

Es war einmal…Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wo man angeblich vom Tellerwäscher zum Millionär aufsteigen kann. Diese Zeiten sind längst vorbei. Mittlerweile ist die Zahl derjenigen, die von Armut betroffen sind, rasant angestiegen. „Mehr als 38 Millionen Menschen können ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen…mehr als eine Million Kinder im schulpflichtigen Alter sind obdachlos und leben in Motels, Autos etc.“ (Vorwort, S. 14). Ein Grund für Matthew Desmond, sich die Ursachen genauer anzuschauen.

Matthew Desmond, Soziologe an der Princeton University und 2017 Pulitzer-Preisträger für sein Buch „Evicted: Poverty and Profit in the American City“ (dt. „Zwangsgeräumt: Armut und Profit in der Stadt“, 2018 bei Ullstein), ist selbst in prekären Verhältnissen aufgewachsen und beschäftigt sich schon lange mit diesem Thema. Die Ergebnisse seiner Recherche und die Schlussfolgerungen, die er daraus zieht, sind nicht überraschend.

Seine Kritikpunkte bezüglich des Steuersystems kann ich nachvollziehen, treffen diese doch 1:1 auch für Deutschland zu. Hier wie dort werden sowohl Wohlhabenden als auch den großen Unternehmen von den Regierungen eine Unmenge an Vorteilen gewährt, seien das nun Steuererleichterungen, Subventionen oder Rettungsschirme, die unterm Strich von der arbeitenden Bevölkerung finanziert werden müssen. Eine gerechte Besteuerung, die auch die multinationalen Konzerne einschließt, könnte hier problemlos Abhilfe schaffen und Geld in die Kassen spülen.

Natürlich leugnet Desmond nicht, dass Armut systemisch und in den Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit Ethnie und Herkunft betrachtet werden muss, aber er macht noch einen weiteren Schuldigen dafür aus, nämlich die Mittelschicht ist, die daraus Profit zieht und deshalb kein Interesse an einer Abschaffung der Armut hat. Es sind die finanziell Abgesicherten, denen er vorwirft, die Vermehrung des eigenen Wohlstands an erste Stelle setzen. Die Arbeitgeber, die deshalb niedrige Löhne zahlen, oder die Vermieter, die den knappen Wohnungsmarkt zum Vorwand nehmen, um hohe Mieten einzufordern. Eine provokante Aussage, die allerdings meiner Meinung nach etwas übers Ziel hinausschießt.

Keine Frage, „Armut. Eine amerikanische Katastrophe“ liefert jede Menge Denkanstöße für Leser und Leserinnen, die sich mit dieser Thematik auseinandersetzen, insbesondere, weil auch hierzulande laut Statistischem Bundesamt ca. 17,7 Millionen Menschen wg. Auswirkungen der Pandemie, Inflation, Verlust der Arbeitsstelle etc. von Armut bedroht sind (Zahlen von 2023). Lesen!

Veröffentlicht am 28.04.2024

Armut im reichen Amerika

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In seinem Buch "Armut" analysiert der Soziologe und Pulitzer-Preisträger Mathew Desmond die Strukturen, die verhindern, warum die Ärmsten der US-Gesellschaft vom Wohlstand des Landes ausgeschlossen bleiben ...

In seinem Buch "Armut" analysiert der Soziologe und Pulitzer-Preisträger Mathew Desmond die Strukturen, die verhindern, warum die Ärmsten der US-Gesellschaft vom Wohlstand des Landes ausgeschlossen bleiben und trotz aller Mühen nur selten den Weg aus der Armut heraus finden. Desmond ist selbst in prekären Verhältnissen aufgewachsen und trotz des wissenschaftlich-analytischen Ansatzes ist die Wut über Missstände gerade dann beim Lesen spürbar, wenn er von individuellen Schicksalen berichtet.

Armut in einer reichen Gesellschaft ist natürlich kein Sonderstellungsmerkmal der USA, auch in Deutschland ist der Reichtum höchst ungleich verteilt und die soziale Schere klafft zunehmend auseinander. Aber, und das ist der große Unterschied zwischen den USA und Europa, die Idee des Wohlfahrtsstaates hat in Amerika nie richtig Fuß gefasst. Dass eine Krankenversicherung oder eine Sozial- und Rentenversicherung in einer der reichsten Industrienationen der Welt nicht selbstverständlich sind, habe ich noch nie verstanden.

Desmond zeigt strukturelle Benachteiligungen auf, die vor allem Arme und dann besonders arme Schwarze und Latinos treffen - sei es beim Thema Wohnen, Zugang zur Bildung, aber auch buchstäblicher Ausgrenzung etwa durch Flächennutzungspläne. Die Rechenbeispiele, die er vorlegt, machen betroffen und wütend: Dass die Aufwendungen armer Amerikaner für Mieten und Lebenshaltungskosten kaum niedriger sind als die der Mittelklasse, dafür aber für ungleich miesere Verhältnisse, dem Slumlord sei Dank. Dass Vernachlässigung ganzer Stadtteile letztlich auch die Gesundheit der Bewohner gefährdet. Die Steuerabschreibungen und Zuschüsse, die bereits Wohlhabenden ein noch besseres Leben verschaffen, während zur Verringerung von Armut zu wenig getan wird.

Ja, dass es Klientel-Parteien gibt, die die Besteuerung von Unternehmensgewinnen und Reichen so weit wie möglich abwenden wollen, das kennen wir auch aus Deutschland. Vom angespannten Wohnungsmarkt und der Miete, die gerade in den Großstädten das Gehalt auffrisst, ganz zu schweigen. Und Unternehmerkinder, die als Studenten Papas Firmenwagen fahren und in der abschreibungsfähigen Eigentumswohnung leben, während Kommilitonen zwischen Praktika und Jobben irgendwie das Studium schaffen müssen. Alles nicht fair und gerecht, aber so haarsträubend wie in den USA dann doch (noch?) nicht.

Insofern ist "Armut" auch eine Warnung, amerikanischen Verhältnissen in Europa die Tür zu öffnen. Denn die Verhältnisse sind so, dass die einen von der Armut der anderen profitieren und Ausbeutung zulassen. Und da muss man dann wiederum gar nicht erst nach Amerika blicken, sondern die Bedingungen der Scheinselbständigen auch in Deutschland genauer betrachten. Beim Lesen von "Armut" wird gleichzeitig klar, wie wichtig starke Gewerkschaften und Betriebsräte sind, um die Interessen gerade der im Niedriglohnbereich Beschäftigten durchzusetzen. Dass der Organisation der Arbeitnehmer in den USA auch im 21. Jahrhundert noch erhebliche Steine in den Weg gesetzt werden - und die Gewerkschaften selbst eine traurige rassistische Vergangenheit haben - zeigt, dass die klassische Tellerwäscherkarriere im angeblichen Land der unbegrenzten Möglichkeiten letztlich nur ein Mythos ist. In der Welt, die Desmond beschreibt, sind die Möglichkeiten sehr, sehr begrenzt.