Literarisierte Wissenschaftsgeschichte lässt über den Preis medizinischen Fortschritts nachdenken
Während der Corona-Pandemie ist sein Name und das nach ihm benannte Institut (RKI) täglich in den Nachrichten präsent: Robert Koch (1843-1910), Nobelpreisträger und einer der wegweisenden deutschen Mediziner. ...
Während der Corona-Pandemie ist sein Name und das nach ihm benannte Institut (RKI) täglich in den Nachrichten präsent: Robert Koch (1843-1910), Nobelpreisträger und einer der wegweisenden deutschen Mediziner. Der Mikrobiologe und Hygieniker gilt als Pionier der Erforschung von Infektionskrankheiten.
Der Schriftsteller und Arzt Dr. Michael Lichtwarck-Aschoff stellt in seinem Tatsachenroman „Robert Kochs Affe“ die Schattenseiten des gefeierten Wissenschaftlers in den Fokus. Während einer Expedition nach Deutsch-Ostafrika (1906) führte er mit seinem Team grausame medizinische Versuche an Menschen durch, die an der Schlafkrankheit litten. Als Kind seiner Zeit spricht Koch in olonialrassistischer Manier von rückständigen, hilflosen „Eingeborenen“, die zu kontrollieren und zu zivilisieren seien. Das Kranke, das Fremde müsse aus den Körpern verschwinden, sodass nur das Reine übrig bleibe. Der Deutsche beklagt
nicht die Gefahr der Seuche, sondern die Gefährlichkeit der Infizierten. Somit lag ihm nicht die Genesung der einzelnen Patient:innen am Herzen, sondern allein die Erhaltung afrikanischer Arbeitskraft für die Kolonie sowie seine Experimente – um jeden Preis und jenseits
heutiger Vorstellungen von Moral und Verantwortung.
Geschickt verwebt der Autor Originalzitate der historischen Person mit Berichten fiktionaler Charaktere. Verschiedene Blickwinkel, Ortswechsel und Zeitsprünge zeichnen ein facettenreiches Bild Robert Kochs als gnadenlosen Protagonisten einer entgrenzten Medizin. So berichtet der Soldat Johann Kindsmüller,
der als Schreiber mitreiste, dass Schmerzmittel und Schutzkleidung nicht für die Einheimischen, sondern
nur für das deutsche Team gedacht waren. Eindrücklich erzählt er von entsetzlichen Untersuchungen und Behandlungsmethoden, die – im Deutschen Reich schon längst verboten – auf afrikanischem Boden jedoch weiterhin skrupellos praktiziert wurden.
„Robert Kochs Affe“ ist literarisierte Wissenschaftsgeschichte. Elliptischer Satzbau und schnelle Wechsel der Erzählperspektiven erschweren den Lesegenuss an einigen Stellen, nichtsdestotrotz bleibt das Werk spannend. Die Lektüre bietet jedenfalls
neue Aspekte zu Robert Kochs Erfolg und regt an, über den Preis medizinischen Fortschritts nachzudenken.
[Diese Rezension erschien zuerst im HABARI-MAGAZIN (2/2021) des Tanzania-Network.e.V.]