KEIN Einzelfall: Das System hinter der Polizeigewalt – und wie wir dagegen vorgehen können
Mohamed Amjahid beleuchtet im Buch „Alles nur Einzelfälle?" die systemischen Probleme hinter Polizeigewalt und räumt mit dem Mythos der „Einzelfälle“ auf. Der Autor, geboren 1988, ist ein politischer Journalist ...
Mohamed Amjahid beleuchtet im Buch „Alles nur Einzelfälle?" die systemischen Probleme hinter Polizeigewalt und räumt mit dem Mythos der „Einzelfälle“ auf. Der Autor, geboren 1988, ist ein politischer Journalist und Buchautor, der für seine präzisen und mutigen Analysen bekannt ist. Mit Werken wie „Unter Weißen“ und „Der weiße Fleck“ hat er bereits viel Aufmerksamkeit erhalten. Als preisgekrönter Autor zeigt er auch hier wieder, dass er schwierige Themen nicht scheut. Im neusten Buch beleuchtet er ein hochaktuelles und brisantes Thema: Polizeigewalt und deren systematische Verwurzelung in der deutschen Sicherheitsarchitektur. Anhand repräsentativer Studien, investigativer Recherchen und persönlicher Erfahrungen deckt er auf, wie tief Rassismus, Machtmissbrauch und rechtsextreme Netzwerke in der Polizei verankert sind.
Worum geht's genau?
Das Buch untersucht die Strukturen und Mechanismen, die hinter Polizeigewalt stehen. Amjahid analysiert Racial Profiling, Machtmissbrauch, rechtsextreme Netzwerke und tödliche Polizeigewalt. Dabei macht er deutlich, wie tief diese Probleme in der Sicherheitsarchitektur Deutschlands verankert sind. Durch fundierte Recherchen, persönliche Erlebnisse und internationale Vergleiche zeigt er, dass es sich keinesfalls um isolierte „Einzelfälle“ handelt. Er beleuchtet auch, wie Vertuschung funktioniert und welche Schritte notwendig wären, um das System zu reformieren.
Meine Meinung
Ich bin ein großer Fan von Mohamed Amjahid, schätze seien gut recherchierten und sprachlich nahbaren Bücher und habe bereits „Let’s talk about sex, Habibi“ sowie „Unter Weißen“ mit Begeisterung gelesen. Daher habe ich sehnsüchtig auf dieses Buch gewartet – und ich wurde nicht enttäuscht. Angesichts des Umfangs des Buches (352 Seiten) und des Rechercheaufwands, der damit verbunden sein muss, bin ich beeindruckt, dass der Autor dieses Buch nur zwei Jahre nach seinem letzten veröffentlicht hat. Das umfangreiche Literaturverzeichnis, das nur über einen QR-Code abrufbar ist und gar nicht im Buch abgedruckt wurde (dann hätte es wahrscheinlich doppelt so viele Seiten), zeigt, wie tief der Autor in das Thema eingetaucht ist.
Was den Inhalt betrifft, bin ich begeistert von der umfassenden Beleuchtung des Themas. Der Autor beginnt bei der Ausbildung von Polizeibeamt:innen und zeigt, wie schwierig es ist, qualifizierte Kandidat:innen zu rekrutieren aber auch welche Folgen es haben kann, wenn eben die Anforderungen heruntergeschraubt und so auch unqualifizierte Personen den Polizeidienst antreten können. Er erklärt nachvollziehbar, wie das System der Polizeigewalt entsteht und sich nach außen absichert. Viele Themen, wie etwa Racial Profiling, waren mir zwar bekannt, aber andere Aspekte haben mich sehr überrascht – etwa das mangelnde Bewusstsein der Polizei im Umgang mit psychisch erkrankten Menschen und die oft katastrophalen Folgen, die daraus resultieren. Die Liste der Namen von Menschen, die durch Polizeigewalt gestorben sind am Ende des Buches macht die Tragweite des Problems greifbar und erinnert daran, dass es hier um reale Menschenleben geht.
Trotz der vielen ernsten und belastenden Themen schafft es der Autor, immer wieder eine Prise Humor einzubringen, etwa wenn er beschreibt, welche „Tricks“ er im Zug anwendet, um nicht aufgrund von Racial Profiling kontrolliert zu werden. Ich denke, dass dieser Humor notwendig ist, um das Buch emotional durchzuhalten, ohne überwältigt zu werden.
Ein weiteres Highlight ist das letzte Kapitel. Hier zeigt der Autor nicht nur, was bereits getan wird, um das System zu verändern, sondern gibt auch konkrete Beispiele für erfolgreich eingesetzte Maßnahmen wie Vorurteilstrainings, Bodycams oder Deeskalationstaktiken. Besonders hilfreich fand ich den praktischen Leitfaden, wie man als Zeuge/Zeugin von Polizeigewalt handeln kann. Das gibt dann doch etwas Hoffnung angesichts der sonst scheinbar aussichtslosen Situation, bei der man auch oft das Gefühl hat, man kann eh nur "den Kopf in den Sand stecken".
Last but not least möchte ich dem Autor meinen Dank und meine Bewunderung aussprechen. Als rassifizierte Person, die selbst Gewalt erfahren könnte und schon hat (auch darauf geht er im Buch ein), hat er trotzdem Mut gefunden, ein solch wichtiges Buch zu schreiben. Dass er trotz dieser Gefahren so ein wichtiges Buch geschrieben hat, verdient größten Respekt.
Was ich abschließend sagen möchte: Wenn ihr dieses Jahr nur ein Sachbuch lesen wollt – dann lasst es dieses sein. Aber sorgt für gutes Licht, denn die Schriftart ist kleiner als üblich ;) !
Fazit
Mohamed Amjahid gelingt es mit „Alles nur Einzelfälle?“ , ein schwieriges und emotional aufwühlendes Thema sachlich, umfassend und doch zugänglich darzustellen. Die fundierte Recherche und die Vielzahl an Perspektiven machen das Buch zu einem unverzichtbaren Beitrag in der Debatte um Polizeigewalt. Trotz des kleinen Abstrichs (dichte und kleine Schrift) vergebe ich 5 von 5 Sternen, weil die inhaltliche Qualität und der Mut, dieses Buch zu schreiben, einfach herausragend sind. Eine klare Leseempfehlung!