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Veröffentlicht am 04.04.2025

Ein Traum, der sich verliert

Dream Count
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In "Dream Count" erzählt Chimamanda Ngozi Adichie die Geschichten von vier sehr unterschiedlichen Frauen, deren Leben durch Sehnsucht, Verletzlichkeit und den Wunsch nach Selbstbestimmung verbunden sind. ...

In "Dream Count" erzählt Chimamanda Ngozi Adichie die Geschichten von vier sehr unterschiedlichen Frauen, deren Leben durch Sehnsucht, Verletzlichkeit und den Wunsch nach Selbstbestimmung verbunden sind. Die nigerianische Autorin wurde 1977 geboren, studierte in den USA unter anderem Afrikanistik an der Yale University und gilt heute als eine der bedeutendsten Stimmen der Gegenwartsliteratur. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Orange Prize for Fiction. International bekannt wurde sie durch Romane wie Americanah oder Die Hälfte der Sonne, aber auch durch ihre feministischen Essays, die u.a. mit Beyoncé-Samples weltweite Aufmerksamkeit erhielten. Dream Count ist ihr erster Roman seit zehn Jahren und wurde mit großer Spannung erwartet.

Worum geht’s genau?

Vier Frauen, vier Perspektiven, ein verbindendes Thema: die Frage nach den eigenen Träumen und den Wegen, auf denen sie verloren gingen. Chiamaka, eine Reiseschriftstellerin, blickt zurück auf ihr Leben und ihre verpassten Chancen – insbesondere auf eine Beziehung, die hätte bedeutsam werden können. Zikora, eine Anwältin in Washington, wird alleinerziehende Mutter und konfrontiert in ihrer neuen Rolle plötzlich die verdrängte Nähe zu ihrer eigenen Mutter. Omelogor, in Nigeria aufgewachsen, arbeitet in der Finanzwelt, bis sie genug hat von Korruption und nach Bildung in den USA strebt. Und Kadiatou, die als Haushälterin und Hotelangestellte in prekären Verhältnissen lebt, wird Opfer eines Übergriffs – ein Gerichtsprozess folgt, in dem ihre Stimme kaum Gehör findet. Der Roman spannt ein erzählerisches Netz zwischen Nigeria, den USA und Europa und beleuchtet die inneren wie äußeren Kämpfe seiner Protagonistinnen – zwischen Verlust, Hoffnung und dem Wunsch nach Sichtbarkeit.

Meine Meinung

"Dream Count" war mein erstes Buch von Chimamanda Ngozi Adichie, und ich hatte entsprechend hohe Erwartungen – nicht zuletzt durch die vielen begeisterten Stimmen in meiner Buchbubble. Das übergeordnete Konzept des „Dream Count“, also einer Bilanz verpasster Chancen, hat mich sofort angesprochen. Die Metapher, als Umkehrung des bekannten Begriffs „Body Count“, eröffnet eine interessante Reflexion über Lebensentscheidungen, vergangene Beziehungen und ungenutzte Potenziale. Besonders Chiamakas Rückblick auf eine verpasste Liebesbeziehung mit Chuka bringt das gut zur Geltung.

Der Einstieg in den Roman gelang mir gut, auch weil Adichies Schreibstil elegant und flüssig ist – voller kluger Sätze und poetischer Bilder. Einige Zitate habe ich mir besonders markiert:

„Ich trauerte um etwas, von dem ich nicht einmal wusste, ob es existierte...“ (S. 19),
„Wohin verschwindet die Liebe, wenn wir aufhören zu lieben?“ (S. 81),
„Der tatsächliche Vorteil des Reisens ist, dass man der tröstlichen Alltäglichkeit aller anderen begegnet.“ (S. 113),
„Im unvollendeten Sterben empfindet man ein Verlangen danach zu trauern...“ (S. 173),
oder „Wie seltsam, dass wir beim Waten durch die Sümpfe des Lebens davon ausgehen, dass nur wir selbst mit Unsicherheiten zu kämpfen haben.“ (S. 474).

Was mich allerdings zunehmend frustrierte, war die Themenfülle, die leider nicht in die Tiefe ging. Adichie behandelt eine schier überwältigende Bandbreite an Themen: Rollen der Frau, Mutterschaft, Queerness, MeToo und sexualisierte Gewalt, geschlechtsspezifische Gewalt (etwa female genital mutilation), Abtreibung, Kinderwunsch, toxische Beziehungen, Schönheitsideale, feministische Perspektiven auf Literatur, Freundinnenschaft, Sexismus, patriarchale Strukturen, Rassismus, Kolonialismus, Diaspora, Identitätspolitik, soziale Ungleichheit, Reichtum und Klassenunterschiede, Migration, Korruption, Religion, mentale Gesundheit, Einsamkeit, Trauer, Selbstwert, Liebe, Manipulation in Beziehungen, Pornografie, Corona, westliche Doppelmoral, Eurozentrismus, Adoption, der Einfluss von Tourismus, die Macht von Geschichten – und noch viele mehr.

Diese thematische Dichte führte dazu, dass viele Aspekte lediglich angerissen und nie wirklich auserzählt wurden. Gerade weil mich viele dieser Themen interessieren, war ich enttäuscht darüber, wie oberflächlich sie behandelt wurden trotz des Umfangs des Buches (528 Seiten). Die Struktur des Romans – in fünf große Abschnitte gegliedert, je einer pro Figur, wobei Chiamaka Anfang und Ende bildet – ist grundsätzlich gut gewählt. Doch im Verlauf verlor ich zunehmend den Zugang zur Erzählung. Die einzige Figur, deren Kapitel mich wirklich tief bewegt hat, war Kadiatou. Ihre Geschichte – der Übergriff, das ungerechte Verfahren und die daraus resultierende Lebensveränderung – (basierend auf dem realen Vergewaltigungsvorwurf von Nafissatou Diallo gegen den damaligen IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn) war erschütternd und eindringlich erzählt. An dieser Stelle hat mich Adichies erzählerische Kraft überzeugt und berührt. Leider blieb dieses Gefühl auf diesen Abschnitt begrenzt.

Stellenweise zog sich das Buch enorm. Trotz des schönen Schreibstils wollte bei mir kein richtiger Lesefluss aufkommen. Ich musste mich zum Weiterlesen regelrecht zwingen. Auch der Klappentext hatte mir ein anderes Leseerlebnis suggeriert – ich hatte auf etwas gehofft, das mich ähnlich wie "Blue Sisters" von Coco Mellors mitnimmt, bei dem die geschichte auch aus versch. Perspektiven erzählt wird. Stattdessen war es für mich eine Berg- und Talfahrt, bei der sich Begeisterung und Ermüdung die Waage hielten. Am Ende stand ich mit dem Gefühl da, dass sich dieser Roman trotz vieler wichtiger Themen in seiner Ambition verzettelt. Es blieb eine gewisse Leere zurück – und auch Enttäuschung über das verpasste Potenzial.

Fazit

So wie die Protagonistinnen in "Dream Count" mit verlorenen Träumen ringen, hat mich auch dieser Roman enttäuscht zurückgelassen. Trotz starker Passagen und eindrucksvoller Sprache wirkt das Gesamtwerk überladen und wenig tiefgründig. Ich vergebe 2,5 von 5 Sternen – für den Schreibstil, den Versuch thematischer Vielstimmigkeit und das bewegende Kapitel über Kadiatou, aber auch für ein Leseerlebnis, das mich leider nicht durchgehend überzeugt hat.

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Veröffentlicht am 01.04.2025

Ein Buch, das Mut macht, sich eigene Räume zu schaffen – egal ob physisch oder gedanklich

Ein Raum zum Schreiben
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Was bedeutet es, als Frau einen eigenen Raum zum Schreiben zu haben? Und was geschieht, wenn dieser Raum verloren geht? Diesen Fragen widmet sich Kristin Valla in ihrem Buch "Ein Raum zum Schreiben". Die ...

Was bedeutet es, als Frau einen eigenen Raum zum Schreiben zu haben? Und was geschieht, wenn dieser Raum verloren geht? Diesen Fragen widmet sich Kristin Valla in ihrem Buch "Ein Raum zum Schreiben". Die norwegische Autorin, Journalistin und Lektorin wurde 1975 geboren und veröffentlichte bereits mehrere international beachtete Romane, darunter "Muskat" und "Das Haus über dem Fjord". In ihrem neuesten Werk verbindet sie persönliche Reflexionen mit literaturhistorischen Betrachtungen über Schriftstellerinnen, die sich ihren eigenen Platz in einer oft männlich dominierten Welt erkämpfen mussten.

Worum geht’s genau?

Kristin Valla stellt mit Anfang vierzig fest, dass sie sich selbst nicht mehr als Schriftstellerin betrachtet. Muttersein, Partnerschaft und berufliche Verpflichtungen haben dazu geführt, dass ihr kreativer Raum geschrumpft ist – ihr ehemaliges Arbeitszimmer wurde zum Kinderzimmer, und sie schreibt kaum noch. Um das zu ändern, begibt sie sich auf zwei Reisen: Eine führt sie nach Südfrankreich, wo sie nach einem eigenen Rückzugsort sucht, die andere auf die Spuren berühmter Autorinnen wie Daphne du Maurier, Selma Lagerlöf oder Toni Morrison, die sich unter oft widrigen Umständen ihren Platz zum Schreiben erkämpften. In einem essayistischen Stil erzählt Valla von den Herausforderungen weiblicher Kreativität und der Bedeutung eines eigenen Ortes – sowohl im physischen als auch im übertragenen Sinn.

Meine Meinung

Das Buch hab ich als Rezensionsexemplar angefordert. Das Cover hat mich zunächst nicht besonders angesprochen, doch der Klappentext war überzeugend – er erinnerte mich an "Frauen Literatur" von Nicole Seifert. Beim Lesen stellte sich jedoch heraus, dass "Ein Raum zum Schreiben" ein ganz anderes Werk ist: persönlicher, intimer und weniger sachbuchhaft (was nicht negativ gemeint ist).

Von der ersten Seite an hat mich Vallas Schreibstil fasziniert. Ihre Sprache ist leise, aber eindringlich, und sie schildert mit großer Klarheit, wie sich die Rolle einer Frau – insbesondere einer Schriftstellerin – durch Heirat und Mutterschaft verändert. Besonders eindrücklich beschreibt sie, wie das Leben von Frauen oft in Bezug auf ihre Beziehungen erzählt wird: „Nullpunkte werden im Leben von Frauen oft unterschätzt. Unsere Geschichten werden in der Regel mit dem Ausgangspunkt in unseren Beziehungen zu anderen erzählt, mit Kindern und Ehe als großes Vorher und Nachher des Lebens; auch diejenigen, die dies nicht erleben oder sich dagegen entscheiden, müssen sich dazu verhalten.“ (S. 164)

Vallas Buch ist eine Mischung aus Selbstfindung und Rückbesinnung auf eigene Bedürfnisse. Das Haus, das sie in Südfrankreich sucht, wird zum Sinnbild für diesen Prozess – es ist ein Raum, der gestaltet, verändert und mit Bedeutung aufgeladen wird. Besonders beeindruckt hat mich die Art, wie Valla immer wieder andere Schriftstellerinnen in ihre Erzählung einbindet. Es entsteht eine literarische Ahnenreihe von Frauen, die alle eines gemeinsam haben: den Wunsch nach einem eigenen Ort, an dem sie schreiben können.

Ein besonders bewegendes Zitat stammt aus dem Buch: „Immer wenn ich in diese Räume zurückkehrte, war es, als ob sie mir etwas über mich erzählten, was ich selbst vergessen oder gar nicht gewusst hatte. Ein Gefühl, mir selbst zu begegnen und freudig davon überrascht zu sein, wer dieser Mensch in Wirklichkeit war.“ (S. 126, E-Book). Diese Reflexion über den eigenen Raum als Spiegel der Identität fand ich besonders treffend.

Auch die Bedeutung eines Arbeitsraums wird immer wieder thematisiert. Valla schreibt: „Das Haus war nicht nur ein Ort, wo ich schrieb, sondern ein Ort, wo ich mich in Gedanken vertiefen, mich in meinen eigenen Kopf einklinken, Klarheit darin erlangen konnte, was ich wollte und was in mir wohnte.“ (S. 169). Dieses Bedürfnis nach einem Rückzugsort kennen sicher viele kreative Menschen – besonders Frauen, die ihre eigenen Wünsche oft hinter anderen Verpflichtungen zurückstellen.

Besonders beeindruckt hat mich zudem eine Passage, die verdeutlicht, unter welchen Umständen Frauen immer wieder geschrieben haben: „Wenn mir die Geschichte etwas gezeigt hatte, dann, dass Frauen überall schreiben können, unter den unmöglichsten Bedingungen. Sie hatten am Herd geschrieben, während sie Brownies buken, und auf dem Treppenabsatz, während sie Kinder hüteten. Auf dem Wickeltisch beim Windelwechsel und im Bus auf dem Weg zur Arbeit, nachts in einer dunklen Wohnstube und tagsüber im Gefängnis. Frauen hatten in einer Höhle im Gebirge geschrieben, in einer psychiatrischen Klinik, in abgrundtiefer Armut und am Rande des Selbstmordes.“ (S. 146, E-Book). Dieser Abschnitt verdeutlicht eindringlich, mit welchen Herausforderungen Frauen in der Literaturgeschichte konfrontiert waren – und wie notwendig ein eigener Raum für kreatives Schaffen ist.

Fazit

"Ein Raum zum Schreiben" ist ein tiefgründiges, kluges und inspirierendes Buch, das sich mit der Frage beschäftigt, was es bedeutet, als Frau zu schreiben – und welchen Raum es dafür braucht. Kristin Vallas Essay verbindet persönliche Erlebnisse mit literaturhistorischen Betrachtungen und schafft so ein vielschichtiges Werk, das mich sowohl emotional als auch intellektuell berührt hat. Ein MUST READ. 5 von 5 Sternen.

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Veröffentlicht am 01.04.2025

Mehr als eine Biografie - Mama, Deutschland und ich

»Mama, bitte lern Deutsch«
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In seinem Buch "Mama, bitte lern deutsch" erzählt Tahsim Durgun seine persönliche Geschichte als Sohn einer kurdischen Mutter in Deutschland. Schon in jungen Jahren muss er für seine Mutter Formulare lesen, ...

In seinem Buch "Mama, bitte lern deutsch" erzählt Tahsim Durgun seine persönliche Geschichte als Sohn einer kurdischen Mutter in Deutschland. Schon in jungen Jahren muss er für seine Mutter Formulare lesen, Arztbesuche übersetzen und mit der deutschen Bürokratie kämpfen. Das Buch schildert nicht nur seine individuellen Erlebnisse, sondern beleuchtet auch gesellschaftliche Strukturen, die Menschen mit Migrationsgeschichte vor Herausforderungen stellen. Dabei wechseln sich humorvolle Anekdoten mit ernsten Momenten ab, und Durgun gelingt es, ein sehr authentisches Bild der postmigrantischen Realität zu zeichnen.

Meine Meinung

Ich muss zugeben, dass mich der Klappentext zunächst nicht sofort angesprochen hat. Doch die zahlreichen positiven Rückmeldungen in meinem Umfeld haben mich schließlich dazu bewegt, das Buch zu lesen – und ich habe es nicht bereut.

Das Buch lässt sich als Mischung aus Biografie und Sachbuch beschreiben. Während es auf der einen Seite eine sehr persönliche Erzählung ist, vermittelt es gleichzeitig wichtige Erkenntnisse über Integration und gesellschaftliche Zugehörigkeit. Berührend war für mich, wie viele der beschriebenen Situationen ich aus den Erzählungen meines Mannes mit eigener Migrationsbiografie wiedererkannte. Besonders beeindruckt hat mich, wie Durgun trotz des ernsten Themas seinen Humor beibehält. Mehrmals musste ich beim Lesen laut lachen – besonders über die absurd-komischen Szenen, wie die Fußwaschung im Religionsunterricht oder die Schulbasar-Episode mit Mareikes Mutter und den toten Tieren. Gleichzeitig gibt es auch zutiefst bewegende Momente. Eine der letzten Geschichten hat mich sogar zu Tränen gerührt.

Stilistisch beeindruckt Durgun mit poetischer Sprache und starken Metaphern. Schon die Widmung am Anfang des Buches ist ein kleines Meisterwerk:

„Dieses Buch widme ich allen Kindern, die ihre Träume kleinhalten, damit ihre Mütter eines Tages größer träumen können. Doch selbst darin liegt ein Geschenk, denn Mamas träumen immer für euch mit.“
Auch andere Passagen haben mich besonders berührt, etwa auf Seite 49 (E-Book):

„Ich trinke den Çay nicht nur, um Çay zu trinken. Ich trinke ihn, um meinen Kummer wegzuspülen. Mit jedem leeren Çay-Glas wird mein Herz leichter. Die Last, die deine Seele zu tragen hat, wird kleiner, du wäschst sie mit dem Çay ab – wie ein fließender Bach, der deinen Körper reinigt.“
Oder das eindringliche Zitat auf Seite 53 (E-Book) :

„Manchmal, so denke ich heute, ist es egal, welche Sprache der Empfänger spricht, denn Schmerz folgt keiner Grammatik, Schmerz sprechen wir alle.“
Diese Worte zeigen Durguns sprachliche Feinfühligkeit und seine Fähigkeit, Gefühle präzise einzufangen.

Das Buch thematisiert auch alltagsrassistische Erfahrungen und den Druck, den viele Kinder mit Migrationsgeschichte verspüren, wenn sie für ihre Eltern dolmetschen müssen. Besonders stark war für mich die Stelle auf Seite 133 (E-Book) :

„Ich finde es immer lustig, wenn sich die Leute der Sprache meiner Mutter anpassen und ein weißer Arzt, der gerade noch erklärt hat, dass er an irgendeiner prestigeträchtigen Universität studiert hat, so redet, als müsse er demnächst einen Asylantrag stellen. Ich bin unsicher: Entweder ist das eine abgewandelte Anwendung leichter Sprache im Alltag oder eine neue Form der kulturellen Aneignung.“
Neben gesellschaftskritischen Aspekten greift Durgun auch alltägliche Themen auf, wie Geschwisterstreitigkeiten oder die Rolle von Müttern, die oft ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellen. In vielen dieser Passagen habe ich meine eigene Mutter wiedererkannt. Besonders schön fand ich auch das Rezept für Kisir-Salat, das ich definitiv ausprobieren werde – schon beim Lesen lief mir das Wasser im Mund zusammen.

Ein kleiner Kritikpunkt ist für mich, dass das Buch für Leser:innen, die sich bereits intensiv mit dem Thema Diskriminierung und Integration befasst haben, nicht allzu viele neue Erkenntnisse liefert. Beispielsweise war mir das Problem mit der Benachteiligung im Schulsystem – etwa die vorschnelle Empfehlung für Förderklassen bei Kindern mit nicht-deutscher Erstsprache – bereits durch andere Autor:innen wie die von Tupoka Ogette bekannt. Zudem hätte ich mir an manchen Stellen eine noch stärkere Sensibilität gewünscht, insbesondere in Bezug auf Genderfragen oder intersektionale Perspektiven (gerade bei dem Teil zum Thema Gesundheitssystem).

Fazit

"Mama, bitte lern deutsch" ist ein bewegendes, nachdenklich machendes und zugleich humorvolles Buch über Migration, Zugehörigkeit und das Aufwachsen zwischen zwei Welten. Besonders die poetische Sprache und die eindrücklichen Anekdoten machen es zu einem eindrucksvollen Leseerlebnis. Der halbe Punkt Abzug resultiert lediglich daraus, dass einige Themen für mich nicht mehr ganz neu waren. Dennoch: Eine klare Leseempfehlung! 4,5 von 5 Sternen.

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Veröffentlicht am 31.03.2025

Ein literarischer Sog, dem man sich nicht entziehen kann

Stromlinien
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Ein Roman über Familie, Geheimnisse und die Kraft des Wassers

Die Autorin, Rebekka Frank wurde 1988 in Kassel geboren und wuchs auf dem Land zwischen Wiesen und Wäldern auf. Nach ihrem Studium der Theaterwissenschaft ...

Ein Roman über Familie, Geheimnisse und die Kraft des Wassers

Die Autorin, Rebekka Frank wurde 1988 in Kassel geboren und wuchs auf dem Land zwischen Wiesen und Wäldern auf. Nach ihrem Studium der Theaterwissenschaft und Germanistik zog sie in die Großstadt, doch die Natur blieb ihre wichtigste Inspirationsquelle. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Nordhessen und verarbeitet in ihren Büchern die Verbindung zwischen Mensch und Natur sowie die Geheimnisse, die unser Leben prägen.

Worum geht’s genau?

In "Stromlinien" stehen die Zwillinge Enna und Jale im Mittelpunkt, die in den Elbmarschen aufwachsen. Ihre Kindheit ist geprägt von den Gezeiten, dem Rufen der Austernfischer – und der Abwesenheit ihrer Mutter Alea, die seit Jahrzehnten im Gefängnis sitzt. An dem Tag, an dem sie endlich entlassen wird, verschwindet nicht nur sie, sondern auch Jale. Enna macht sich auf die Suche nach den beiden und gerät dabei in ein Netz aus familiären und gesellschaftlichen Verstrickungen. Dabei wird schnell klar: Manche Entscheidungen trennen Menschen für immer, andere bringen sie auf unerwartete Weise zusammen.

Meine Meinung

Schon mit den ersten Seiten konnte mich das Buch fesseln. Der Schreibstil ist modern und zugänglich, dabei aber emotional tiefgehend. Besonders gelungen fand ich die wechselnden Zeitebenen, die der Geschichte eine besondere Dynamik verleihen. Die atmosphärischen Beschreibungen der Elbmarschen erinnerten mich an "Der Gesang der Flusskrebse" – eine ruhige, aber intensive Naturkulisse, die die Erzählung perfekt unterstreicht.

Die Charaktere sind facettenreich und glaubwürdig. Alea, die Rebellin mit einem tragischen Schicksal, war für mich eine der spannendsten Figuren. Ihre Entwicklung und die Enthüllungen rund um ihre Vergangenheit haben mich tief bewegt. Enna ist die typische Kämpferin, während Jale sich nach Selbstbestimmung sehnt. Auch die Nebenfiguren sind hervorragend gezeichnet: Luca, der feministische TikToker, und Oma Ehmi mit ihrem eigenen, konsequenten Sprachgebrauch stechen besonders hervor.

Was mich besonders beeindruckt hat, war die kluge Verbindung von individuellen Schicksalen mit gesellschaftlichen Themen. So thematisiert das Buch soziale Ungleichheit, die Folgen von Umweltzerstörung durch die Containerschifffahrt und feministische Fragestellungen. Besonders die Szene mit der Hausdurchsuchung und den Auswirkungen von Armut hat mich nachdenklich gemacht. Der Roman stellt unbequeme Fragen – etwa, wie wir mit Schuld umgehen und wer in unserer Gesellschaft als Täter:in gilt.

Die Story hält viele überraschende Wendungen bereit mit vielen Schlüsselmomenten. Die WhatsApp-Nachrichten zwischen den Figuren lockern die Handlung auf und geben dem Buch eine moderne Note. Besonders das Ende hat mich emotional mitgenommen. Die zwischenkapitelartigen Reflexionen über „den Körper im Wasser“ bekommen eine völlig neue Bedeutung, die mich zum Nachdenken angeregt hat. Auch das Nachwort der Autorin war aufschlussreich und hat den Bezug zur Realität verstärkt – nicht nur die beschriebenen Umweltprobleme gibt es tatsächlich, sondern auch viele der anderen im Roman angesprochenen Dinge basierend auf wahren Schicksalen.

Fazit

"Stromlinien" ist weit mehr als ein Roman über ein Familiengeheimnis – es ist eine tiefgründige Geschichte über Verantwortung, Zugehörigkeit, die Auswirkungen unserer Entscheidungen und Schuld die über Generationen noch auf der Familie lasten und diese belasten kann. Durch den einfühlsamen Stil, die vielschichtigen Figuren und die gesellschaftlich relevanten Themen hebt sich dieser Roman von vielen anderen ab. Ich kann ihn uneingeschränkt empfehlen. 5 von 5 Sternen! ⭐⭐⭐⭐⭐

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Veröffentlicht am 31.03.2025

Wenn Bilder tödlich sind – Ein Krimi der besonderen Art“

HEN NA E - Seltsame Bilder
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"HEN NA E - Seltsame Bilder" ist ein ungewöhnlicher Krimi, in dem mysteriöse Zeichnungen eine Reihe rätselhafter Todesfälle auslösen und zwei Journalisten auf eine gefährliche Spur führen. Der Autor, Uketsu ...

"HEN NA E - Seltsame Bilder" ist ein ungewöhnlicher Krimi, in dem mysteriöse Zeichnungen eine Reihe rätselhafter Todesfälle auslösen und zwei Journalisten auf eine gefährliche Spur führen. Der Autor, Uketsu gehört zu den innovativsten Krimi-Autor:innen Japans und ist bekannt für seinen einzigartigen Stil, der Text mit Zeichnungen kombiniert. Seine Bücher haben das Genre maßgeblich beeinflusst und ihm eine große Leserschaft beschert. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit betreibt er einen erfolgreichen YouTube-Kanal, doch seine Identität bleibt hinter einer weißen Maske verborgen.

Worum geht’s genau?
Ein rätselhafter Blogeintrag verbreitet sich im Internet. Der Verfasser hat sich offenbar kurz darauf das Leben genommen und mehrere mysteriöse Zeichnungen hinterlassen. Bald werden Verbindungen zu einer Reihe ungeklärter Todesfälle sichtbar, und zwei Journalisten beginnen, den Fall zu untersuchen. Doch je tiefer sie graben, desto mehr scheinen sie sich in einem Labyrinth aus Wahrheit, Täuschung und tragischen Schicksalen zu verlieren. Neue Zeichnungen tauchen auf, die die bisherigen Annahmen auf den Kopf stellen...

Meine Meinung
Bereits der Einstieg ins Buch war vielversprechend: Der klare, direkte Schreibstil ohne überflüssige Schnörkel erleichterte das Lesen. Besonders fasziniert hat mich die Verbindung zwischen Text und Zeichnungen, die eine ungewöhnliche, aber stimmige Erzählweise erschaffen. Die Zeichnungen tragen zur Spannung bei und lassen uns Leser:innen selbst miträtseln. Auch die kulturellen Besonderheiten Japans, wie die Vergabe von Hausschuhen an Besucher:innen von Universitäten oder die exakten Zeitangaben auf Mindesthaltbarkeitsdaten, fand ich interessant. Die Krimi-Elemente sind größtenteils spannend gestaltet. Besonders die Idee, den Todeszeitpunkt durch erzwungene Nahrungsaufnahme zu manipulieren, war für mich eine neue und raffinierte Wendung. Ebenso fand ich das Konzept von "Nanashino", das mit unserem "Max Mustermann" vergleichbar ist, sehr spannend.

Allerdings hatte ich auch einige Schwierigkeiten mit dem Buch. Die vielen japanischen Namen machten es mir schwer, die Charaktere auseinanderzuhalten – ein Personenregister inkl. Darstellung der Beziehungen zueinander wäre hilfreich gewesen. Zudem irritierte mich die häufige Hervorhebung des äußeren Erscheinungsbilds von Frauen und die diskriminierende Darstellung von Mehrgewicht und Alter. Während der erste Teil des Buches fesselnd und atmosphärisch dicht war, empfand ich den zweiten Abschnitt als zunehmend verwirrend und konstruiert. Die Handlung nahm Wendungen, die schwer nachzuvollziehen waren. Ein weiteres Problem war für mich die Polizei, die fragwürdige Ermittlungsmethoden zuließ. Einige Enthüllungen, insbesondere das Motiv für einen der zentralen Morde, waren für mich zu schwach begründet. Zudem wirkte die Adoption eines Kindes durch einen alten, kranken, alleinstehenden Mann ohne vorherige Bindung/Beziehung zum Kind unrealistisch wenn nicht sogar problematisch.

Fazit
"Seltsame Bilder" beginnt als spannender Mystery-Krimi mit innovativer Erzählweise, verliert jedoch im Verlauf an Logik und Nachvollziehbarkeit. Der erste Teil konnte mich noch fesseln, während der zweite Abschnitt zunehmend unübersichtlich wurde. Trotz origineller Ideen und eines interessanten Konzepts bleibt das Buch für mich etwas hinter seinen Möglichkeiten zurück. Ich vergebe 3,5 von 5 Sternen.

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