Perspektivwechsel Neurodivergenz
Die Anthologie Neuropunk ist die erste Veröffentlichung des Weltenruder-Verlags, die mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt wurde – vielen Dank!
Es gibt 11 Geschichten, in ...
Die Anthologie Neuropunk ist die erste Veröffentlichung des Weltenruder-Verlags, die mir freundlicherweise als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt wurde – vielen Dank!
Es gibt 11 Geschichten, in denen neurodivergente Perspektiven eingenommen werden (ADHS, Autismus u.a.). Ziel dieser Anthologie war es, diese Perspektiven zu repräsentieren und ihnen eine Plattform in der Phantastik zu geben und natürlich dieses Erfahren ein klein wenig greifbarer zu machen.
Wenn man an das Thema Neurodiversität denkt, fällt einem wahrscheinlich zuerst die Ebene der Psyche oder des Gehirns ein, was auch auf dem Cover dargestellt ist. Wie beim Thema Behinderung auch wird oftmals erst das Individuum selbst fokussiert: Welche Rolle spielt derdie Behinderte in der Gesamtgesellschaft, welche Rolle für* sie?
In dieser Anthologie sind die meisten Geschichten ebenfalls sehr nah am Selbst dran, nah an der erlebten Erfahrung neurodivergenter Figuren, aber: ich fand es gut, dass das Gesellschaftliche, die Communities und Found Families, im Sinne des sozialen bzw. kulturellen Modells von Behinderung, trotzdem viel Platz fanden. Das ergab für mich eine gute – und zugängliche – Balance.
Es gibt in dieser Anthologie Welten, in denen Figuren Hindernisse erst überwinden müssen, aber auch welche, in denen Neurodivergenz nicht die „Abweichung vom normalen“ darstellt, oder Welten, in denen sie sogar von Vorteil sein kann; Teilhabe an etwas, an Freundschaft, Partnerschaft, Community etc. war oftmals ein zentraler Faktor für die Geschichte. Alle Figuren verorten sich, oft auch in Bezug zu ihrem Körper und durch Sinneseindrücke, in ihrer materiellen Umwelt. Dabei standen Achtsamkeit auf diesen Körper und die Wahrnehmung im Vordergrund, was mich in Verbindung mit dem Thema der gesellschaftlichen Teilhabe am Ende stets positiv zurückgelassen hat.
Besonders in Erinnerung geblieben mir folgende Geschichten:
„Zurück zur Natur“ von Kián KoWananga ist eine kurze Tiefabel, die vom kleinen Kobold Puck erzählt, der in der Welt der Menschen quasi unsichtbar ist. Im Laufe der Geschichte lernt Puck wahrzunehmen, welche Umwelteinflüsse ihn negativ oder positiv beeinflussen und kann schließlich achtsamer mit sich selbst umgehen und seine Bedürfnisse äußern.
„Wurzelkind“ von Julia Winterthal sticht wegen des Schreibstils aus der Anthologie hervor. Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles verstanden habe, es war super atmosphärisch und das Motiv des „Monsters“ und der Rache gefiel mir richtig gut.
„Das Lied der einsamen Maschine“ verleitet mich dazu, mir endlich mehr von Jol Rosenberg anzuschauen. Zwischen Muderbot-Charme und Cyborg-Manifesto begleiten wir einen Androiden, der auf ein menschliches Kind stößt. Der Fokus der auditiven Geräuschwahrnehmung wurde interessant eingesetzt.
Insgesamt hat mir, wie in fast jeder Anthologie, die ich bisher gelesen habe, nicht jede Geschichte komplett zugesagt. Allerdings ist es mein ziem bei Anthos immer, einen gewissen roten Faden für mich rauszuarbeiten und mich mit diesem näher zu beschäftigen. Und das habe ich hier definitiv gefunden!
Ich vergebe daher 4 Sterne und bin gespannt, was wir aus diesem Verlag noch zu lesen bekommen.