Zugängliches biographisches Sachbuch für alle
Deutsch genug?Als Russlanddeutsche und großer Fan von Ira Peters Arbeit, insbesondere dem Podcast „Steppenkinder“ – empfehle ich übrigens dringend für weitergehende Lektüre – musste ich ihr biographisches Sachbuch „Deutsch ...
Als Russlanddeutsche und großer Fan von Ira Peters Arbeit, insbesondere dem Podcast „Steppenkinder“ – empfehle ich übrigens dringend für weitergehende Lektüre – musste ich ihr biographisches Sachbuch „Deutsch genug? Warum wir endlich über Russlanddeutsche sprechen müssen“ natürlich sofort lesen.
Ira wählt einen sanften Einstieg, der direkt einen emotionalen Bezug zu Leserinnen schafft: Kindheitserinnerungen aus Kasachstan, die Migrationserfahrung, das Auffanglager in Deutschland. Fast schon prüfend unterlegt sie die biographischen Parts mit faktenbasierten Passagen. Sie erzählt von der unsäglichen Medienberichterstattung, die rassistische Diskriminierung und die rechte Gewalt der „Baseballschlägerjahre“, die auch Migrantinnen aus postsowjetischen Staaten betraf.
Es wird deutlich, wie obskur das deutsche Integrationsparadigma ist; Spätaussiedler mussten sich zum „deutschen Volkstum“ bekennen (…), ihnen wurde deutlich nahegelegt, ihre russischen Namen einzudeutschen, deutsche Sprache, deutsche Erziehung, deutsche Kultur – „wie auch immer sich deutsche Beamtinnen und Beamte das unter sozialistischer Repressionspolitik gegenüber Deutschen vorstellten“ – dass die neuen Migrant*innen eben möglichst keinen Mucks machen. Und viele machten keinen Mucks, das kannten sie ja schon aus dem sowjetischen Regime. Es ist bemerkenswert, dass Pluralität so sehr in unserem Grundgesetz verankert ist – und wie sehr Deutschland immer noch ignoriert, ein Einwanderungsland zu sein.
Daraufhin macht Ira einen kompakten, aber dennoch sorgfältig aufgearbeiteten geschichtlichen Rundumschlag auf. Anhand beispielhaft herangezogener Ahnenforschung wird schnell klar, dass es „die“ RDs gar nicht gibt, so unterschiedliche Geschichten und Weltanschauungen sie haben. Und dass da doch eine kollektive Erfahrung ist, die durch Verbannung, Gulag, Trudarmee (Zwangsarbeit), Hunger geprägt ist.
Ira endet mit einem Blick aufs Heute: Wie machen sich die traumatischen Erfahrungen bemerkbar, wieso werden wir uns so selten bewusst, was für einen dramatischen Einschnitt eine Migration in das eigene Leben mit sich bringt und wie wird Erinnerungskultur heute gelebt? Wie wird gewählt – natürlich, das große Thema der Medien – und welche Probleme betreffen RDs heute zunehmend (Stichwort Altersarmut)?
Insbesondere die Themen rund um Scham über die eigene Identität, die man vielleicht erst einmal verlernen muss, hat mich sehr berührt; dass es z.B. nicht an der eigenen Assimilationsleistung liegt, nicht „richtig“ dazuzugehören, sondern durch fehlende Anerkennung von Gleichheit und Teilhabe, frei nach Naika Foroutan „Die postmigrantische Gesellschaft“ (2021).
Ich bin beeindruckt, wie Ira Peter es geschafft hat, so viele Themen kompakt in einem Buch anzusprechen. Die Balance zwischen journalistischer Genauigkeit, Sorgfalt und Sachlichkeit, die Distanz, um sensible Themen verständlich zu machen und biographischen Erzählungen, Erinnerungen, Emotionen, hat sie meiner Meinung nach perfekt hinbekommen.
„Deutsch genug?“ eignet sich daher sowohl hervorragend als Lektüre für Personen, die sich vielleicht noch nicht so sehr mit „den“ Russlanddeutschen beschäftigt haben, als auch Russlanddeutsche – es ist durchaus heilsam und bietet viele Anknüpfungspunkte an eigene Erfahrungen 💜 Insbesondere wünsche ich mir aber auch, dass andere Migras das Buch lesen, weil es eben einen zugänglichen und informativen Beitrag im aktuellen postmigrantischen Diskurs leistet.
Vielen Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!