Hut ab
1973 zieht Eckert, damals noch als schwuler Mann, nach Berlin und wagt bald ihre ersten Schritte als Transperson. Sie arbeitet an der Gaderobe im Chez Romy Haag, einem bekannten Travestieclub und ist begeistert ...
1973 zieht Eckert, damals noch als schwuler Mann, nach Berlin und wagt bald ihre ersten Schritte als Transperson. Sie arbeitet an der Gaderobe im Chez Romy Haag, einem bekannten Travestieclub und ist begeistert vom Nachtleben und der Gemeinschaft von Travestiekünstlerinnen.
Fast 10 Jahre später erlaubt ihr das Transsexuellengesetz den Schritt ins Tagleben. Um eine sozialversicherungspflichtige Arbeit ausüben zu können, ohne Diskriminierung und schräge Blicke zu riskieren, verschweigt Eckert ihre Transidentität und lebt fortan als Frau. Sie tauscht die Männer gegen Kunst, stürzt sich in die Berliner Hochkultur und wird eine bekannte Opern-/Theaterkritikerin und Autorin.
Nora Eckert hat ein beeindruckendes Leben hinter sich und erzählt uneitel und mit präszisem Blick. Sie bringt sich selbst bei, was sie braucht und verharrt nicht bei Problemen. Sie ist pragmatisch und dramatisiert nicht. Eindringlich berichtet sie vom aufregenden, schwierigen, aber auch befreienden Weg zum Frausein. Es ist sehr interessant zu lesen, wie subtil institutionelle Diskriminierung wirkt und wie viel Kraft es braucht, sich selbstbewusst den Institutionen zu stellen.
Die Autorin ist selbst überrascht von ihrer stabilen Psyche und dankbar für die Menschen in ihrem Umfeld, die ihr Verständnis entgegenbringen. Das Buch ist auch eine große Liebeserklärung an die Stadt Berlin, die es Nora möglich machte sich neu zu erfinden. Man muss zunächst reinfinden in ihre eher intelektuelle Schreibweise und die häufigen Gedankensprünge. Eckert schreibt sehr reflektiert und man merkt, wie viel sie gelesen hat und wie leidenschaftlich sie sich mit Literatur und Kunst beschäftigt.
Ehrlich gesagt hatte ich automatisch etwas ganz anderes erwartet, da alles, was ich bisher zu dem Thema gelesen habe, eher sehr persönliche Erfahrungsberichte waren und oft das Happy End eine geschlechtsangleichende Operation ist. Auch diese Geschichten haben ihre Berechtigung, Nora Eckert schafft es aber zudem, über ihren Tellerrand hinauszusehen und ihre persönliche Geschichte in einen größeren Kontext zu stellen. Hut ab sowohl vor der Person, als auch der interessant erzählten Lebensgeschichte.