Platzhalter für Profilbild

Aglaja

aktives Lesejury-Mitglied
offline

Aglaja ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Aglaja über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.03.2023

Deutsche Geschichte in Kasachstan

Sibir
0

Josef, der als kleiner Junge all dies erlebt hat, verbrennt eines Tages seine gesamten Aufzeichnungen, Tagebücher und Erinnerungsstücke, die er aus Sibirien mit nach Deutschland gebracht hat, er will sich ...

Josef, der als kleiner Junge all dies erlebt hat, verbrennt eines Tages seine gesamten Aufzeichnungen, Tagebücher und Erinnerungsstücke, die er aus Sibirien mit nach Deutschland gebracht hat, er will sich nicht mehr erinnern,
er will endgültig vergessen.
Jetzt ist er alt und sein Gedächtnis scheint nachzulassen.
Seine Tochter Leila versucht alles was ihr aus Erzählungen ihres Vaters geblieben ist aufzuschreiben, ehe es im Dunkel des Vergessens für immer verschwindet.
Es ist die Geschichte der Deutschen, die aus ihren blühenden Dörfern in Russland, während der Stalinzeit nach Sibirien verschleppt wurden.
Ein hunderttausendfaches Schicksal. Gemeinsam war ihnen allen der Wille zum Überleben in dieser fremden Welt.
Josef wurde mit seiner Familie nach Kasachstan deportiert, in eine schier unendliche Steppe, in der sie mittellos ausgesetzt wurden, schutzlos den Naturgewalten ausgesetzt, in dem gnadenlosen System der stalinistischen Arbeitslager, in dem sie Kälte, Hunger und Feindschaft kennen lernten.
Sie gehörten aber auch zu denen, die schon nach zehn Jahren durch politische Verhandlungen nach Deutschland ausreisen durften.
Man nannte es "die Heimkehr der Zehntausend".
Deutsche Geschichte, die nicht vergessen werden darf!

Meisterhaft verknüpft die Autorin die Vergangenheit in Kasachstan mit der Gegenwart in Deutschland, von der Zeit des Neuankommens und dem Bruch mit dem alten Leben.
Dieses Buch könnte man als Reminiszenz der Autorin an ihre Vorfahren betrachten, im Besonderen an ihren Vater.
Ohne das überraschende Ende, wäre das Buch vielleicht so nicht möglich gewesen.

Das Buchcover mit der Regenbogenforelle hat sich mir nicht erschlossen,
eine Darstellung, die die Weite der zentralasiatischen Steppe zum Ausdruck
bringt, hätte mir besser gefallen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.03.2023

Vom Werwolf gebissen

Macht
0

Heidi Furre hat ein Buch geschrieben, das nicht dem reinen Lesevergnügen dient, dazu ist das Thema zu verstörend und zu präsent.
Die Macht sich eines anderen Menschen zu bemächtigen, gewaltsam in ihn einzudringen, ...

Heidi Furre hat ein Buch geschrieben, das nicht dem reinen Lesevergnügen dient, dazu ist das Thema zu verstörend und zu präsent.
Die Macht sich eines anderen Menschen zu bemächtigen, gewaltsam in ihn einzudringen, ist eine furchtbare Macht, die keinem Menschen gegeben sein sollte. Ein nur einmaliges Ausüben dieser Macht, kann ein ganzes langes Leben zerstören.

Liv ist mittleren Alters, lebt mit ihrer Familie in ihrem Heim in Norwegen. Sie beschreibt ihr tägliches Leben zuhause, auf ihren Wegen und ihrer Arbeit in einem Pflegeheim.
Mit scharfem Blick analysiert und reflektiert sie ihre detaillierten Beobachtungen, präzise sieht sie die menschlichen Stärken und Schwächen, ihr Tun und Trachten.
Verfolgt wird sie von dem Unfreiwilligen, dem Ekligen, so nennt sie es, die Vergewaltigung. Alles was sie gerne tat, wurde durch sie verdorben, alle Leichtigkeit ist dahin. "Denn es ist allgegenwärtig, das was ich suche zu vergessen."
"Ich wurde von einem Werwolf gebissen, der Biss geht nicht weg, egal was ich tue, es ist irreversibel", sagt sie.
Ihr ist eine Vergewaltigung widerfahren, von der man von außen betrachtet nicht genau weiß, ob es eine war. Liv weiß nicht, ob sie nein dazu gesagt, oder nur gedacht hat, groß gewehrt hat sie sich auch nicht, sie hat es über sich ergehen lassen. Seit dem vergiftet dieses Geschehen ihr Leben.
Wird sie Heilung und Vergessen finden?

Das Cover des Buches hat hohen Symbolcharakter, zerbrochenes Porzellan in rosa, rosarot sind die Träume der Mädchenträume, der Unschuld, zerbrochen, nicht mehr zu heilen.
Kintsugi ist die japanische Kunst, Kostbares, das zerbrochen ist zu veredeln, etwas noch schöneres daraus zu gestalten.
Ob das nach einer Vergewaltigung möglich ist?

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 21.03.2023

Wovon leben wir

Wovon wir leben
0

Es wird nicht viel geredet in dem Dorf im Innergebirg, wo der Hausberg mit seinen langen Schatten vor der Sonne steht. Getratscht wird, doch das, was in der Tiefe der Seele vor sich geht, erzählt man sich ...

Es wird nicht viel geredet in dem Dorf im Innergebirg, wo der Hausberg mit seinen langen Schatten vor der Sonne steht. Getratscht wird, doch das, was in der Tiefe der Seele vor sich geht, erzählt man sich oft selbst nicht, Arbeit bestimmt das Leben.
Julia ist aus der Stadt zurückgekehrt in ihr Heimatdorf, die zwei schrecklichen Wörter arbeitslos und lungenkrank zieht sie hinter sich her. Sie will sich von ihrer Mutter trösten und pflegen lassen, doch die ist weg, hat den Vater sitzenlassen in dem trostlosen Dorf, wo es nicht einmal mehr eine Bäckerei gibt. Der Vater ist auch arbeitslos, die Fabriken haben zugemacht, für die Männer ist das Rauchen und Saufen im Wirtshaus geblieben.
Es herrscht ein rauer Ton, "es fehlt ihnen der Segen der Arbeit, der Dank der Ablenkung, damit es um nichts sonst gehen muss."
Da die Mutter nicht mehr da ist, soll Julia in Anspruch genommen werden.
"Wenn eine Frau ausfällt, muss die andere herhalten. So geht das Rezept zur alten und ewigen Suppe."
Der Vater und der Freund, beide haben Erwartungen an Julia, sie soll mit ihnen zum Wir werden, wo sie doch gerade erst auf dem Weg war ihr Ich zu finden. "Sie hat ein anderes spezifisches Gewicht."
Sie gerät in das Dilemma Pflicht und Verantwortung zu übernehmen, oder ihren eigenen Weg zu gehen, eine der schwersten Entscheidungen, vor die das Leben einen stellen kann.
Was ist das Richtige, oder darf man auch mal was Falsches tun?

In diesem Buch ist nicht die Rede von Feinsinn oder Schöngeist, es geht um das alltägliche harte Leben, das einem zugeteilt wird. Man hat keinen Einfluss darauf, in welches Elternhaus man hineingeboren wurde, man muss mit Krankheit und Schicksaschlägen zurechtkommen. Als Leser ist man froh, wenn man dort nicht leben muss, dass es einen selbst nicht getroffen hat.
Die Autorin hat mit ihren klugen Sätzen, ihren erfahrenen Beobachtungen, wie mit Hammerschlägen den Nagel auf den Kopf getroffen.
Die nüchterne Sprache in lapidarer Poesie trifft genau das Thema und die Umwelt des Buches.
Man sollte nicht den Hinweis der Autorin übersehen, in dem sie auf die Quelle ihrer Inspiration zu diesem Werk aufmerksam macht. Es sind wissenschaftliche Arbeiten der Sozialpsychologin Marie Jahoda über die arbeitende Klasse aus den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.03.2023

nicht allein aus ihrer Sicht

Aus ihrer Sicht
0

Alessandra ist das Mädchen, aus dessen Sicht dieses Buch geschrieben wurde.
Sie wächst in einem ärmlichen römischen Haushalt auf, zusammen mit ihren Eltern und der Hausdienerin.
Die Mutter, eine feinsinnige ...

Alessandra ist das Mädchen, aus dessen Sicht dieses Buch geschrieben wurde.
Sie wächst in einem ärmlichen römischen Haushalt auf, zusammen mit ihren Eltern und der Hausdienerin.
Die Mutter, eine feinsinnige Pianistin, die als Klavierlehrerin Geld verdienen muss ist ihre absolute Bezugsperson, der sie in jeder Hinsicht ähnlich ist.
Sie öffnet ihr die Augen und schärft ihre Sinne für die Umwelt, die Natur, das Leben der Frauen des Südens, wo man heiratet um Kinder zu bekommen, das Leben der Männer des Südens, die erst spät nach Hause kommen, erwarten, dass das Essen auf dem Tisch steht und die Hemden gebügelt sind. Die Männer, die ihr Leben getrennt von den Frauen führen, geschuldet der Tradition, der Erziehung, der Religion und der Armut, sind das ewige Thema.
Alessandras Eltern leben so.
Der Vater ist innerlich und äußerlich fern von den Frauen der Familie, ein kleiner Beamter, der keinerlei Interesse oder gar Verständnis hat für die Sensibilität und Feinsinnigkeit von Frau und Tochter, im Gegenteil, er verhöhnt, verlacht und verbietet sogar.
So sieht das Männerbild von Alessandra aus, bis sie jemanden heiratet, von dem sie will, dass er ganz anders sein soll.
Alessandra hat eine naive Vorstellung von der idealen Liebe, ähnlich der, wie man sie in den englischen Romanen des 19. Jahrhunderts findet, romantisch, mädchenhaft, märchenhaft, ewiges Verliebtsein, niemals sich ändernd. Sie soll nicht den Zwängen des alltäglichen Lebens unterworfen sein.
Alessandras Leben ist völlig verschieden von dem typischen Leben der damaligen italienischen Frau und doch ist es ihr nicht genug, sie will den Freiraum, den sie hat nicht selbst füllen. Sie will wahrgenommen werden, unbedingt reflektiert werden, in der Person ihres Geliebten. Sie ist übersensibel, sie steigert sich hinein in diese nicht zu stillende Sehnsucht nach dem absoluten Aufgehen in der Person des Geliebten. Bis zu einer tiefen Verzweiflung.
Ihr Mann lebt in seiner Männerwelt und kann ihr das was sie braucht nicht geben. Kein erfahrener Mensch ist um sie, der ihr das Leben erklären könnte.
Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf.

Alba de Céspedes hat ein Buch geschrieben vom Erwachsenwerden, vom Erwachsensein, ein Buch von Männern und Frauen, ein Buch von grundverschiedenen Arten zu leben, von früher und von heute und vor allem ein Buch von der Liebe, die, nicht richtig verstanden, zu einer großen Qual werden kann.
Ihr Buch erfüllt die Kriterien der guten Literatur: prodesse et delectare, nützen und erfreuen, belehrend und unterhaltend.

Unbedingt lesenswert ist im Nachwort die Analyse von Barbara Vinken.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 21.03.2023

spannend

Frankie
0

Frank Thaler, 14 Jahre alt, lebt mit seiner "lieben apfelgesichtigen" Mama in einer Zweizimmer- Wohnung in einer Wiener Vorstadt. Beide verstehen sich gut miteinander, manchmal schläft Frank sogar im leeren ...

Frank Thaler, 14 Jahre alt, lebt mit seiner "lieben apfelgesichtigen" Mama in einer Zweizimmer- Wohnung in einer Wiener Vorstadt. Beide verstehen sich gut miteinander, manchmal schläft Frank sogar im leeren Ehebett bei ihr.
Beide verstehen sich gut miteinander, sie machen es sich gerne gemütlich bei gutem Essen und Tierfilmen.
Frank macht gern eine Freude, wenn kein Aufwand damit verbunden ist, sagt er, und er liebt das Nichtdenken.
Durch Nichtfragen, und lieber nicht wissen wollen hält man sich Gefühle und Probleme vom Leib.
Die Idylle wird gestört, als sie den Großvater aus dem Gefängnis abholen.
Er hat achtzehn Jahre abgesessen, aber wir erfahren nicht den Grund.
Er ist ein grober Mensch, der eine Wirkung auf Frank ausübt.

Ein schmaler Band, eine abstrakte Geschichte, die die Spannung bis zum Ende aufrecht erhält.

Ein Buch, das mich ratlos zurück gelassen hat. Wenn man die Werke des Autors kennt, seinen Ton und seine Art zu schreiben, wird man wahrscheinlich besser beurteilen können, wie er seinen Text gemeint hat, in welche Gattung es gehört.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere