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Veröffentlicht am 09.12.2022

Mitten hinein in die 1960-er Jahre...

Kinder des Aufbruchs
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Ich hatte von Claire Winter bereits den Vorgängerband dieses Buches („Kinder ihrer Zeit“) sehr gern gelesen und freute mich nun darauf, zu erfahren, wie es mit den Zwillingsschwestern Emma und Alice weitergehen ...

Ich hatte von Claire Winter bereits den Vorgängerband dieses Buches („Kinder ihrer Zeit“) sehr gern gelesen und freute mich nun darauf, zu erfahren, wie es mit den Zwillingsschwestern Emma und Alice weitergehen würde. Es ist zwar eine Fortsetzung, aber ich bin mir sicher, dass man „Kinder des Aufbruchs“ auch ohne Vorkenntnisse lesen kann, da die Autorin immer wieder kleine Rückspiegelungen vornimmt...
Und Claire Winter „schubst“ uns sofort in das Jahr 1967, in das quirlige und hochpolitische Berlin: Studenten sind nicht mehr gewillt, den „Muff von 1.000 Jahren unter den Talaren“ zu akzeptieren, sie stellen „das Establishment“ in Frage...In dieser schon aufgeheizten Stimmung besucht Shah Reza Pahlavi am 2.6.1967 Berlin (Wikipedia bezeichnet es als ein einschneidendes Ereignis in der bundesdeutschen Geschichte).
Emma und Alice leben jetzt mit ihren Ehemännern Julius und Max in West-Berlin (Alice und Max mit der gemeinsamen Tochter Lisa). Alice ist als Journalistin für eine Tageszeitung mitten im Geschehen, sie hat über die Unruhen während des Schah-Besuchs geschrieben und berichtet auch über den Tod von Benno Ohnesorg. Emma arbeitet weiterhin als Dolmetscherin und übersetzt häufiger auch vertrauliche Gespräche zwischen hochrangigen Politikern. Julius ist Professor und Max hat sich als Anwalt auf die Entschädigung von jüdischen Opfern des Nationalsozialismus spezialisiert.
Also: durch die Protagonisten erleben wir diese Zeit hautnah mit, manchmal hatte ich das Gefühl, selbst dabei zu sein...
Aber so richtig „rund“ läuft es gerade nicht im Privatleben unserer Hauptfiguren: Emma leidet stark unter den Folgen einer Fehlgeburt und fühlt sich von Julius nicht verstanden, Alice und Max leben eigentlich nur wegen ihrer gemeinsamen Tochter „pro forma“ als Familie zusammen, so richtig glücklich sind aber beide über das „Arrangement“ nicht... Als Alice dann ihre Jugendfreundin Irma in West-Berlin wieder trifft, regt sich sofort ihr Misstrauen: hat Irma bei der Stasi unterschrieben, um sie, Alice, auszuspionieren oder gar schlimmer: will sie Stasi sie erneut entführen? Aber Alice ist bereits längst im Visier der Stasi... Und wegen eines „Freundschaftsdienstes“ gerät Max in das Getriebe zwischen BND und Stasi... Aber auch Alice und Julius habe ihre – nicht ungefährlichen – Geheimnisse! Teilweise konnte ich das Buch vor lauter Spannung kaum aus der Hand legen und musste schnell „nur noch ein Kapitel“ weiterlesen... Mein Schönheitsschlaf hat erheblich gelitten…
Dies ist dem großartigen und mitreißenden Schreibstil der Autorin zu verdanken, ihrer authentischen Beschreibung der einzelnen Personen, deren Gedanken und Handlungen ich meist nachvollziehen konnte (klar, mit der „Gnade der späten Geburt“ ahnte ich an manchen Stellen das Ergebnis...). Aber fasziniert hat mich auch immer wieder, wie geschickt Frau Winter die historisch belegten Ereignisse mit ihren fiktiven Personen zusammenbringt: so werden z.B. Emma und Alice durch Zufall Augenzeuginnen des Attentats auf Rudi Dutschke im April 1968... Denn eine weitere hervorragende Leistung ist die umfang- und kenntnisreiche Recherchearbeit, die von der Autorin geleistet wurde. Ein Nachwort ergänzt das Buch perfekt.
Alles in Allem: ein fesselndes, mitreißendes und facettenreiches Buch, dass ich ohne irgendeine Einschränkung einfach weiterempfehlen muss – ich selbst habe es bereits als Weihnachtsgesteck eingeplant!

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Veröffentlicht am 03.12.2022

Die Bretter, die die Welt bedeuten...

Die Wintergarten-Frauen. Der Traum beginnt
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„Die Wintergarten-Frauen – Der Traum beginnt“ von Charlotte Roth ist der Auftaktband einer Trilogie. Ich habe schon mehrere Bücher von Charlotte Roth gelesen (z.B. „Als wir unsterblich waren“, „Als der ...

„Die Wintergarten-Frauen – Der Traum beginnt“ von Charlotte Roth ist der Auftaktband einer Trilogie. Ich habe schon mehrere Bücher von Charlotte Roth gelesen (z.B. „Als wir unsterblich waren“, „Als der Himmel uns gehörte“) und sie haben mir alle sehr gut gefallen.
Die 19-jährige Nina von Veltheim lebt für das Theater – aber sie möchte nicht Schauspielerin werden, sondern Regie führen. Deshalb beschließt ihre Familie auf Anregung von Ninas Zwillingsbruder Carlo, dass Nina die provinzielle Uckermark verlassen und in das quirlige Berlin ziehen sollte, nur dort könne sich ihr Traum erfüllen.
Aber das ist 1921 ein ziemlich zweischneidiges Schwert: größter Reichtum und bitterste Armut liegen ganz dicht beieinander. Und für Nina besonders bitter: an den Schalthebeln der (Theater-) Macht agieren Männer, die kaum jemand in ihren illustren Kreis hineinlassen wollen, schon gar nicht eine Frau und noch weniger: eine junge Frau ohne Erfahrung!
Die Ersparnisse ihrer Familie sind schnell verbraucht, aber Nina steht immer wieder wie „Phoenix aus der Asche“ auf und erfindet sich selbst neu, obwohl sie wiederholt – nein, eigentlich ist es die Regel – mit hungrigem Magen schlafen gehen muss…
Unterstützt wird sie dabei von Jenny, einer ehemaligen Tänzerin des Bolschoi-Balletts, die in einer Gastwirtschaft als „Schlangenfrau“ auftritt, um sich, ihren Lebensgefährten und ihren Sohn das Überleben mehr schlecht als recht zu sichern. Sonia, eine begabte junge Zeichnerin gehört ebenfalls zum Trio, aber auch sie eine „Hungerkünstlerin“. Die drei jungen Frauen machen sich auf, den „Wintergarten“ zu erobern…aber der Weg ist lang, steinig und dornenreich. Auch Anton möchte Nina unterstützen, aber das lässt sie lange Zeit nicht zu, sie will ihren Weg aus eigener Kraft schaffen.
Ob ein Engagement im Wintergarten zustande kommt? Das wird hier nicht verraten…
Der Schreibstil ist locker, flüssig und flott, wie ich es von Charlotte Roth gewohnt bin, man ist schnell Teil der Geschichte und leidet bei den Misserfolgen mit. Die Abschnitte / Kapitel sind mit dem jeweiligen Namen überschrieben, aus deren Sicht gerade erzählt wird. Die Personen sind authentisch und nachvollziehbar beschrieben, auch de „Nebendarsteller“ lernt man gut kennen (meine absolute Lieblingsfigur ist Oma Hulda) und denkt fast, man sei mit ihnen befreundet.
Es gefiel mir sehr gut, dass die Autorin immer „nebenbei“ wahre politische Ereignisse in die Handlung einarbeitet, so kann man viel besser verstehen, welche Auswirkungen die „große“ Politik auf die „kleinen“ Menschen hat.
Trotz der rasanten Ereignisse im Großen und im Kleinen habe ich dieses Buch eher als „langsam“ empfunden. Sicherlich ist dies der Voraussetzung einer Trilogie geschuldet, da haben die Autoren die Muße, ihre Protagonisten ausführlich vorzustellen – an manchen Stellen hätte ich mir persönlich jedoch mehr Zügigkeit gewünscht. Gewiss, dies ist „Jammern auf hohem Niveau“, denn natürlich habe ich das Buch gern gelesen, es hat mir wunderbare Lesestunden bereitet und ich bin ganz neugierig, wie es mit den „Wintergarten-Frauen“ weitergeht!

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Veröffentlicht am 14.11.2022

Im Jahr 2000 wiederentdeckte Feldpostbriefe - hat es Konsequenzen?

Feldpost
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Ich habe schon mehrere Romane von Mechtild Borrmann gelesen und war jedes Mal beeindruckt und berührt, ihre Bücher regen zum Nachdenken an und „hallen“ noch lange nach. So ging es mir auch mit „Feldpost“.
Aber ...

Ich habe schon mehrere Romane von Mechtild Borrmann gelesen und war jedes Mal beeindruckt und berührt, ihre Bücher regen zum Nachdenken an und „hallen“ noch lange nach. So ging es mir auch mit „Feldpost“.
Aber wie soll man etwas über ein Buch schreiben, dass einige überraschende Wendungen enthält, die keineswegs verraten werden sollten?
Also zitiere ich die Autorin selbst mit ihren letzten Sätzen des Prologs: „Beginnen wir also im Jahr 2000, genauer, im Dezember 2000 in Kassel. Beginnen wir mit dem Anfang vom Ende.“ (S.8):
Die junge Anwältin Cara erhält in einem Café ein ungewöhnliches Geschenk: eine ihr unbekannte ältere Frau lässt nach einem kurzen Gespräch bei ihr am Tisch eine Tasche stehen. Die herbeigerufene Bedienung erklärt, dass die Dame gesagt habe, dass Cara die Tasche mitnehmen solle. Die Tasche enthält einen Aktenkoffer mit etlichen Feldpostbriefen, einigen Fotos und den Vertrag eines Hauskaufes aus dem Jahr 1937. Die Briefe sind alle an Adele Kühn adressiert und stellen sich als Liebesbriefe heraus.
Cara beginnt zu recherchieren...und bald hat sie den Absender der Briefe ausfindig gemacht...
Protagonisten sind zwei befreundete Familien: die Kuhns mit ihren Kinder Albert und Adele, Familie Martens mit Richard und Dietlind. Richard Martens ist der Absender der Briefe.
In verschiedenen Handlungssträngen lernen wir die Familien, besonders Adele, Albert und Richard kennen, mehrheitlich Adele und Richard, aber auch die Eltern Kuhn, Katharina und Gerhard. Die Kapitel sind mit dem Namen und Jahreszahl überschrieben und schildern die Sichtweise /Blickwinkel des jeweils Betroffenen. Wir beginnen im Jahr 1935 und begleiten sie bis nach Kriegsende 1945.
Das Buch hatte eine enorme Sogwirkung auf mich, einmal angefangen, konnte ich es kaum aus der Hand legen, zwei Nächte habe ich viel zu lange gelesen!
In kurzen, einfachen und knappen Sätzen versteht es die Autorin viel von Stimmungen, Eindrücken und Emotionen wiederzugeben, so dass sofort alles für mich sehr lebendig war und das „Kopfkino“ beginnen konnte. In einer sehr angstbesetzten Kontrollsituation lesen wir z.B.: „Die Minuten dehnten sich, vagabundierten durch den Zug, ließen sich Zeit.“ (S. 208) Aber das Buch hat auch viel an Spannung zu bieten, an einigen Stellen drängen sich Fragen auf, die nicht sofort beantwortet werden – tja, da hilft nur: weiterlesen! Aber ich kann beruhigen: am Ende ist kein Faden mehr lose, alles gut verschnürt.
Nein, es ist keineswegs ein „Wohlfühl-Buch“ (aber wer Frau Borrmann kennt, erwartet dies auch nicht!), es ist bedrückend, erschreckend – aber meisterhaft geschrieben. Es ist ein realistischer Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland und die damit verbundene menschenverachtende Willkür. Aber man entdeckt auch „stille Helden“, Menschen, die anderen geholfen haben.
Ich finde, mit diesem Buch ist Mechtild Borrmann mal wieder ein ganz großer literarischer „Wurf“ gelungen, dieses Buch kann ich ohne irgendeine Einschränkung allen geschichtsinteressierten LeserInnen wärmstens empfehlen

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Veröffentlicht am 26.10.2022

Ungewöhnlich für das Jahr 1591: eine Frau geht ihren Weg...

Die Farben der Welt
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Und wieder bin ich aus der Welt des Mittelalters in die heutige Zeit zurückgekehrt – und wieder habe ich viel Neues erfahren... Zu verdanken habe ich dies den Romanen von Johanna von Wild, ich kenne sie ...

Und wieder bin ich aus der Welt des Mittelalters in die heutige Zeit zurückgekehrt – und wieder habe ich viel Neues erfahren... Zu verdanken habe ich dies den Romanen von Johanna von Wild, ich kenne sie mittlerweile alle und die Fähigkeit der Autorin uns in diese unbekannte Welt eintauchen zu lassen, fasziniert mich immer aufs Neue! Ich konnte mir das mittelalterliche Treiben sehr gut vorstellen, fast als ob ich dabei gewesen wäre!
In dem Buch „Die Farben der Welt“ werden wir zuerst nach Nürnberg entführt: 1591 ist Ida Gerster zehn Jahre alt und verliert kurz hintereinander beide Elternteile. Ihr Onkel, Basilius Besler, nimmt sie bei sich auf. Bald hilft sie ihm gern in seiner Apotheke und lernt einiges über die verschiedenen Kräuter und Heilpflanzen. Ihren Wunsch, eine Schule zu besuchen, wird vom Onkel aktiv unterstützt. Dort sehen jedoch drei Klassenkameradinnen auf Ida herab, weil sie „nur“ die Tochter eines Schmieds ist und deshalb einen bedeutend niedrigeren Stand als sie selbst als Kaufmannstöchter (die Haltung und Aktionen dieser „Zicken“ würde man heutzutage als Mobbing bezeichnen), aber Ida findet auch eine Freundin, Luisa. Durch deren Mutter lernt Ida die Malerei kennen, die sie ihr Leben lang begleiten wird.
Ida reist 1598 nach Florenz, um an der Accademia delle Arti del Diego ihre Malkunst weiterzuentwickeln. Dort dürfen tatsächlich auch Frauen studieren. Und noch ein Unterschied: in Nürnberg ist Frauen nur das Malen mit Aquarellfarben gestattet, während in Italien Frauen auch Ölfarben benutzen dürfen. Dort freundet sich Ida mit Artemisia Gentileschi an, eine „italienische Malerin des Barock. Sie gilt als bedeutendste Malerin ihrer Epoche.“ (Wikipedia) Zu ihren bekanntesten Werken gehört „Judith und ihre Magd mit dem Haupt des Holofornes“ – ein sehr eindrucksvolles Bild (was ich aber bestimmt nicht in meine Wohnung hängen möchte - abgesehen davon, dass mir das nötige „Kleingeld“ dazu fehlt!), deren Vorgeschichte wir durch Artemisia erfahren. Das schätze ich an den Büchern von Johanna von Wild: ich lerne neben der eigentlichen Handlung historische Persönlichkeiten kennen…
Und noch etwas habe ich aus „Die Farben der Welt“ mitgenommen: die Entstehungsgeschichte des „Hortus Eystettensis“. Im Roman setzt ihm die Autorin ein Denkmal, denn der Verfasser dieses Werkes ist Idas Onkel, der (historisch belegte) Basilius Besler (ein Originalband dieses Werkes wurde übrigens im Juli 2016 für mehr als 2,2 Mill. Euro von Auktionshaus Christies versteigert – aus dem Nachwort der Autorin). Aber Frau von Wild hat ihrem Roman noch eine weitere charmante Idee hinzugefügt: „Die meisten Vorzeichnungen zum Hortus Eystettensis sind mit den Initialen ‚IG‘ versehen, die vermutlich auf den Nürnberger Maler Georg Gärtner hinweisen – der Vorname war auch als Jörg geläufig. Ich nutzte seine Initialen für Ida Gerster (J wurde früher als I geschrieben).“ (Dichtung, Wahrheit und Anmerkungen, S. 439) Mir hat diese kleine, feine Eingebung sehr gut gefallen, so hat sich für mich der Kreis perfekt geschlossen!
Klar, natürlich gibt es auch für dieses Buch eine Leseempfehlung für geschichtsinteressierte LeserInnen, die Historie gern „hautnah“ erleben mögen!

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Veröffentlicht am 16.10.2022

Hinter dem hellen Schein - in mehrfacher Hinsicht...

Schloss Liebenberg. Hinter dem hellen Schein
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„Schloss Liebenberg – Hinter dem hellen Schein“ ist das erste Buch von Hanna Caspian, dass ich gelesen habe (die auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stehende Familiensage „Gut Greifenau“ kenne ich bisher nicht).
„Hinter ...

„Schloss Liebenberg – Hinter dem hellen Schein“ ist das erste Buch von Hanna Caspian, dass ich gelesen habe (die auf der SPIEGEL-Bestsellerliste stehende Familiensage „Gut Greifenau“ kenne ich bisher nicht).
„Hinter dem hellen Schein“ ist der Auftaktband einer Trilogie und endet (natürlich, als geübte LeserIn ahnt man es schon) mit einem Cliffhanger! Aber der 2. Band soll wohl schon im März 2023 erscheinen...
Der Handlungsort ist Schloss Liebenberg in Brandenburg, im Jahr 1906. Der Besitzer ist Philipp Fürst zu Eulenburg und Hertefeld, ein guter Freund von Kaiser Wilhelm II. Der Untertitel „Hinter dem hellen Schein“ ist m.E. gut gewählt, denn die Autorin widmet ihr Buch den Menschen „die viel Arbeit und Leid auf sich genommen haben, um ihren Nachkommen ein besseres Leben zu ermöglichen. Aus diesem Grund wird die Geschichte auch rein aus der Perspektive der ‚kleinen Leute‘, der Dienstboten, erzählt.“ (Widmung, S. 5) – also die, die hinter dem hellen Schein arbeiten…
Die Idee fand ich faszinierend – und die Autorin hält ihren Vorsatz konsequent durch: wir LeserInnen bekommen tatsächlich nur die Informationen, über die auch die Angestellten verfügen.
Aber auch bei „Fürstens und Kaisers“ gibt es so einige dunkle Schatten „hinter dem hellen Schein“: die Eulenburg-Harden-Affäre beginnt zu brodeln (lt. Wikipedia: “Die Eulenburg-Affäre gilt als ein Beispiel für Vorurteile und Heuchelei, die als Mittel für politische Zwecke genutzt wurden.“) … Die Bediensteten erfahren nur wenig bis gar nichts über den „Skandal“, die Diener hören evtl. Satzfetzen, wenn sich die „Herrschaft“ unterhält oder sie sich von ihrem knappen Lohn Zeitungen kaufen (für 50 Pfennig – sehr viel Geld damals), die nicht im Schloss abonniert sind…
Die Hauptprotagonisten sind gut gewählt und durchdacht: vertreten sie doch unterschiedliche Motivationen und konträre Familienverhältnisse: Adelheid entstammt einer Tagelöhnerfamilie und muss mit ihrem Verdienst ihre gesamte Familie ernähren, sie trifft ihre Degradierung vom Stuben- zum Hausmädchen finanziell besonders hart („Drei Mark und sechzig Pfennige im Monat weniger – in Essen gerechnet waren das ungefähr ein Kilo Butter, zwei Kilo Brot, vier Liter Milch und sechs Eier weniger“ S. 200). Hedda hat schon in diversen Haushalten als Haus- und Stubenmädchen „gedient“, sie träumt davon, nach Amerika auszuwandern und spart dafür jeden Pfennig. Viktor kommt aus „besseren Kreisen“: sein Vater ist Gymnasiallehrer gewesen, hat aber wegen „Majestätsbeleidigung“ vier Monate im Gefängnis gesessen und findet deshalb in ganz Preußen keine Anstellung mehr, so dass auch Viktor seine Familie finanziell unterstürzen muss.
Wir erleben mit, wie sehr die Bediensteten ihren „Herrschaften auf Gedeih und Verderb“ ausgeliefert sind: niemals hatte die Fürstenfamilie Schuld an misslichen Ereignissen, sondern immer nur die Angestellten – auch wenn sie gar nicht anwesend waren – und sie konnten ohne triftigen Grund von einer Minute zur nächsten auf die Straße gesetzt werden – ohne Geld, ohne Zeugnis, so dass auch eine neue Anstellung nicht zu finden ist… Deshalb herrscht Angst, Neid und gegenseitiges Misstrauen in den Dienstzimmern, keinerlei Spur von Mitgefühl. Aber hier macht der Schluss des Buches etwas Hoffnung: es keimt ein ganz zartes Pflänzchen der Solidarität…
Meine Erwartungen an dieses Buch haben sich erfüllt, ich habe viel erfahren, was „hinter dem hellen Schein“ geschieht und bin jetzt einfach neugierig, wie es mit der Eulenburg-Harden-Affäre auf Schloss Liebenberg weitergeht (klar, die „trockenen“ Fakten kenne ich mittlerweile) und wie dieser „Skandal“ das Leben von Adelheid, Hedda und Viktor beeinflussen wird. Aus diesem Grund kann ich das Buch geschichtsinteressierten LeserInnen mit gutem Gewissen weiterempfehlen.

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