"Nichts als Srup für den Geist" (S. 78, E-book)
Die Frauen vom Savignyplatz„Ich möchte einen Laden für Sirupbücher. Für Bücher, die nicht literarisch sind, nicht gut oder kritisch. Ich möchte Bücher verkaufen, die einfach glücklich machen. Eine gute Zeit schenken, einem das Gefühl ...
„Ich möchte einen Laden für Sirupbücher. Für Bücher, die nicht literarisch sind, nicht gut oder kritisch. Ich möchte Bücher verkaufen, die einfach glücklich machen. Eine gute Zeit schenken, einem das Gefühl geben, dass die Welt nicht ganz verloren ist. Bücher, die Kraft geben und Mut schenken – Sirupbücher eben.“ (S. 121/122, E-book)
Von so einem Laden träumt Vicky 1925 in Berlin. Dabei ist ihr eigenes Leben wirklich schon schwer genug: vier kleine Kinder, sie ist erneut schwanger, ein untreuer Ehemann, der die Scheidung möchte, abhängig von ihrem despotischen Vater, der ihr und ihrer Familie eine zwei-Zimmer-Wohnung vermietet... und das alles in einer Zeit, in der Frauen die Erlaubnis vom Ehemann (alternativ: vom Vater oder einem älteren Bruder) benötigten, um ein Konto zu eröffnen – geschweige denn einen eigenen Laden?! Aber sie ist der Meinung: „Warum soll ich als Frau lesen, wie ein Herr Döblin sich die Ehe mit einem gewalttätigen Ehemann vorstellt?“ (S. 79, E-book)
Tatkräftig arbeitet Vicky daran, sich ihren Traum vom „Sirupladen“ (sie will ihn aber so nicht nennen, weil sie dann Angst hätte, „dass dann ständig Leute vor der Tür stehen, die eine Saftbar erwarten.“) (S. 131, E-book)
Dies war mein erstes Buch von Joan Weng (und es wird garantiert nicht mein letztes sein!), ich bin großartig in die Geschichte gekommen. Etwas in Anlehnung an Falladas „Kleiner Mann – was nun?“ habe ich mich im Laufe der Geschichte immer wieder gefragt: „Kleine Frau – was nun?“, aber dies Buch strahlt weit mehr Optimismus aus... Die Autorin hat ihre Geschichte in die „Goldenen Zwanziger“ in Berlin gelegt (an manchen Stellen schimmert der Glamour auch tatsächlich etwas durch), aber sie beschreibt eher das Leben der Menschen, die außerhalb der illustren Gesellschaft stehen, die mit Wohnungsnot, Vorurteilen, chauvinistischen Ansichten und Armut zu kämpfen haben – und dies ist ihr wunderbar und einfühlsam gelungen! Ich fühlte mich förmlich in Vickys Leben einbezogen, am liebsten hätte ich ihr sofort angeboten, auch mal auf ihre Kinder aufzupassen... Auch haben mir die Hinweise auf Döblin, Tucholsky (und andere männliche Autoren) im Vergleich zu Courths-Mahler sehr gut gefallen und mich teilweise zum Schmunzeln gebracht... Spritzige Dialoge und amüsante Vergleiche runden den Lesegenuss perfekt ab. Vickys Schwierigkeiten mit dem Gedankengut des aufkommenden Nationalsozialismus passten und entsprachen dem damaligen Zeitgeist.
In einem Anhang erklärt die Autorin, dass sie sich um „historische Korrektheit“ bemüht habe und führt genau aus, wo sie ihrer Phantasie freien Lauf gelassen habe.
Im Nachhinein habe ich vorhin gerade gelesen, dass die Autorin zur Zeit aktuell über das Thema Frauenbild in der Literatur der Weimarer Republik promoviert – ja, die Beschäftigung mit diesem Thema ist deutlich zu merken – aber bravourös in einem Roman umgesetzt!
Kurz gesagt: „Die Frauen vom Savignyplatz“ ist ein Buch, was mich wirklich begeistert hat, es ist bedeutend mehr als nur „Sirup für den Geist“, denn in einem Punkt möchte ich das Eingangszitat von Vicky verändern: „Sirupbücher“ können (und müssen) auch gut sein! Und dieses Kriterium wurde hier voll und ganz erfüllt! Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung…