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Veröffentlicht am 04.11.2018

Eine Zeitreise in die "Flower-Power"-Zeit...

Die andere Seite des Schmerzes
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Zurück in eine Zeit, bei der ich zumindest die Endphase selbst miterlebt habe...Erinnerungen an Mini-Röcke, die kürzer kaum sein konnten, an Hippie-Kleider, an bestimmte Songs (z.B. San Francisco oder ...

Zurück in eine Zeit, bei der ich zumindest die Endphase selbst miterlebt habe...Erinnerungen an Mini-Röcke, die kürzer kaum sein konnten, an Hippie-Kleider, an bestimmte Songs (z.B. San Francisco oder Monday, Monday), an den ersten Kuss – ja, das war alles auf einmal wieder sehr präsent...
Ruth Eder hat mich mit ihrem Roman „Die andere Seite des Schmerzes“ geradewegs in diese Ära katapultiert – aber sie hat damit noch mehr bewirkt: ich habe mich mit dem Posttraumatischen Belastungssyndrom junger Männer, die im Vietnam-Krieg waren (stellvertretend für alle Kriege, in die junge Männer – heute auch junge Frauen - „geschickt“ werden) auseinandergesetzt UND mit dem "Mitleiden" von deren Angehörigen, die die schrecklichen Erinnerungen an diese Kriegserlebnisse „aushalten“ müssen.
1967: Judith ist knapp 20 Jahre, sie kommt aus einem süddeutschen gutbürgerlichen, wohlsituierten Elternhaus, ihr Leben hat sich (fast) nur zwischen Tennisplatz und Golfclub abgespielt. Don ist 28 Jahre, US-Amerikaner, wird zum Hubschrauberpiloten ausgebildet und wird ein Jahr in Vietnam stationiert werden. Sein Elternhaus ist eher eine „Ansammlung mehr oder weniger Gestrandeter“ (S. 46). Seine Familie wird zum größten Teil von einem reichen Großvater aus Boston finanziert, Alkohol und Tabletten gehören fast zu den Grundnahrungsmitteln der Familie.
Und es kommt, wie es kommen muss: es macht sehr kräftig „Zummm“: Judith und Don verlieben sich Hals über Kopf ganz heftig ineinander, sehen die Welt nur noch rosarot und heiraten überstürzt.
Don kehrt nach einem Jahr schwerst traumatisiert aus Vietnam zurück, Judith und Don bemühen sich beide, an ihrer Liebe und ihrer Beziehung festzuhalten, dies gelingt ihnen mal mehr, mal weniger... Soweit zur Handlung...
Als Leserin habe ich intensiv an Judiths Entwicklung vom verwöhnten, naiven Bürgermädchen zur selbstbewussten, emanzipierten „erwachsenen“ Frau teilgenommen, die klar ihren Weg findet, sich aber ihre Entscheidungen nicht leicht macht, sondern (meist) wohlüberlegt handelt. Zwar konnte ich nicht jeden ihrer Schritte nachvollziehen, aber das muss ich ja auch nicht... Don zerbricht an seinen Erlebnissen in Vietnam und flüchtet sich – wie im Elternhaus gelernt – in Alkohol und Drogen. Für sein Trauma an sich hatte ich volles Verständnis (hier ein Lob an die Autorin: die Szenen aus Vietnam waren zwar sehr hart, aber in diesem Kontext absolut passend! Die Recherchen dazu werden sicherlich nicht einfach gewesen sein!), aber absolut kein Verständnis hatte ich, dass er als „echt harter Mann“ keine psychologische /psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen will / möchte, bzw. mehr noch: er sie grundsätzlich und vehement ablehnt (während des Lesens fiel mir ein Interview mit einem Psychiater der Bundeswehr ein: auch heute noch empfinden es viele deutsche Soldaten, die in Afghanistan gewesen sind, als „unmännlich“ sich wegen ihres Posttraumatischen Belastungssyndroms behandeln zu lassen!). Don denkt: „Er war doch kein Weichei! A Chicken! ...Er würde sich bestimmt nicht lächerlich machen vor seinen überlebenden Kameraden und sich bei einem Psychiater ausheulen. Kein Wunder, dass man diese Typen bei uns daheim SHRINKS nannte...“ (S. 185 /186)
Doch, das Buch von Ruth Eder hat mich wirklich sehr nachdenklich zurückgelassen, es ist kein einfaches „Wohlfühlbuch“, auch im Nachhinein hallt es noch nach... Ein Buch ohne „Schwarz-Weiß-Malerei“, es beschreibt eher unterschiedliche „Grauzonen“. Die Auseinandersetzung mit diesen „Grauzonen“ habe ich als sehr bereichernd empfunden und kann deshalb dieses Buch nur weiterempfehlen!

Veröffentlicht am 12.10.2018

Träume einer jungen Frau in der Weimarer Republik...

Domschattenträume
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Bis auf einen Tagesausflug bin ich noch nie in Köln gewesen, aber nun bin ich gemeinsam mit Karolina 1926 durch Köln flaniert, habe in Damms Teestube gesessen, bin gemeinsam mit ihr und ihrem Hund Tiffany ...

Bis auf einen Tagesausflug bin ich noch nie in Köln gewesen, aber nun bin ich gemeinsam mit Karolina 1926 durch Köln flaniert, habe in Damms Teestube gesessen, bin gemeinsam mit ihr und ihrem Hund Tiffany am Rhein entlang spaziert, habe mit ihr eine Wanderung an der Ahr unternommen, 1927 das aufregende (und / oder erschreckende) Berlin kennengelernt. Karin Joachim beschreibt die jeweiligen Situationen so anschaulich, dass ich das Gefühl hatte, Teil des Geschehens zu sein...
Karolina Offermann, eine 20-jährige junge und sympathische Frau, hadert mit ihrem Schicksal: sie ist noch nicht „großjährig“ und ihr Vater vertritt ausgesprochen konservative Anschauungen: Frauen brauchen kein Abitur, sie sollen heiraten und Kinder bekommen, sie sollen kein Führerschein machen – kurzum, eigentlich in allem genau die gegenteiligen Ansichten von Karolina! Vor allem darf der Vater auf keinen Fall wissen, dass Karolina heimlich Schauspielunterricht nimmt und davon träumt, zum Film zu gehen. Unterstützt wird sie in diesem Traum von ihrer Mutter, deren Bruder, Onkel Johann und dessen Frau, Tante Olga. Aber wird sie sich ihren Traum erfüllen können, ohne den endgültigen Bruch mit dem Vater herbeizuführen? Hinzu kommt, dass mysteriöse Geschehnisse im Hause Offermann geschehen, wem kann Karolina noch vertrauen? Ist ihr Bruder Arnold ein heimlicher Spitzel ihres Vaters? Welche Rolle spielt eigentlich ihr Cousin Felix? Fragen über Fragen... Aber die lasse ich jetzt hier an dieser Stelle unbeantwortet...
Sehr beeindruckt haben mich die politischen Hinweise auf die damalige Zeit, so liest Karolina z.B. im Mai in der Zeitung: „Mehrere Stahlhelmleute pöbelten im angetrunkenen Zustand Passanten an. Als sich ein Kommunist einmischte, eskalierte die Situation. Es fielen Schüsse. Der Kommunist wurde schwer, der Stahlhelmmann, der geschossen hatte, leicht an der Hand verletzt.“ (S. 26). Auch der aufkommende Antisemitismus wird anhand von Onkel Johann, der sich weigert, in seiner Buchhandlung deutschnationale Literatur zu verkaufen, anschaulich und einprägsam thematisiert. Fast nebenbei erfahren wir Leser, dass der Bürgermeister von Köln zu diesem Zeitpunkt Konrad Adenauer hieß. 1927 erlebt Karolina einen Zusammenstoß zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten hautnah mit: „In Karolinas unmittelbarer Nähe wurde ein Mann zu Boden geworfen und mit Füßen getreten. „Raus mit dem farbigen Pack“ rief einer von ihnen. Ein anderer schrie: „Schlagt die Judenlümmel tooooot“ und schwenkte eine Fahne mit einem Hakenkreuz.“ (S.338)
Fiktion und Realität sind gut miteinander verwoben und ergänzen sich, so dass das Buch leicht und flüssig zu lesen ist. Die Kapitel sind mit Datumsangaben versehen, so dass die Geschichte chronologisch berichtet wird. Zu Beginn gibt es ein Verzeichnis über die fiktiven und die historischen Personen, was ich allerdings kaum benötigt habe, mir haben sich die verwandtschaftlichen Beziehungen und „auftretenden Personen“ gut aus dem Text erschlossen.
Dieses Buch hat mich wirklich in seinen Bann gezogen, dass ich es nur schwer aus der Hand legen konnte, der kriminalistische Aspekt wurde zum Schluss aufgeklärt. „Domschattenträume“ hat mich sehr gut unterhalten und mir anregende Lesestunden gewährt – aus diesem Grund kann ich das Buch mit wirklich gutem Gewissen weiterempfehlen!

Veröffentlicht am 05.10.2018

Der "gläserne Mensch" - eine Utopie?

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
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Ich habe das Buch „NSA – Nationales-Sicherheits-Amt“ von Andreas Eschbach vor fünf Tagen beendet – und weiß immer noch nicht genau, wie ich es nennen soll: Ausgezeichnet? Brillant? Eindrucksvoll? Irritierend? ...

Ich habe das Buch „NSA – Nationales-Sicherheits-Amt“ von Andreas Eschbach vor fünf Tagen beendet – und weiß immer noch nicht genau, wie ich es nennen soll: Ausgezeichnet? Brillant? Eindrucksvoll? Irritierend? Erschreckend? Beängstigend? Visionär? Ich glaube, jeder MUSS es selbst lesen (und genau dieses möchte ich gern anregen!), um sich seine eigene Meinung und Urteil bilden zu können.
Andreas Eschbach schafft es hervorragend, Vergangenheit und Zukunft, Realität und Fiktion in einen sehr spannenden Roman zu verbinden, der uns Leser mitfreuen, -leiden, -ärgern, -hoffen und -trauern lässt.
Deutschland 1942: das Nationale-Sicherheits-Amt befindet sich in Weimar und hat „Zugriff auf alle Daten, die im Reich erzeugt werden“ und kann „jeden Text lesen, den irgendjemand verfasst, genau wie jeden Elektrobrief, der innerhalb des Reiches verschickt und empfangen wird.“ Es kann „jeden Kontostand abfragen, jedes Telephon orten.“ (aus dem Klappentext des Buches). Deutschland hat seit 1933 kein Bargeld mehr, alles muss mit einer persönlichen Karte bezahlt werden.
Helene Bodenkamp, eine junge talentierte Programmstrickerin, bekommt den Auftrag, ein Programm zu „stricken“, wie gekaufte Lebensmittel (über die Geldkarte erfasst), Nahrungsbedarf und Kalorienverbrauch in Relation zu den gemeldeten Haushaltsangehörigen gesetzt werden kann. Bei einer Vorführung dieses Programms vor Reichsführer SS Heinrich Himmler wird dadurch die Familie von Anne Frank in Amsterdam entdeckt. Helene selbst wird dadurch deutlich, was ihre entwickelten Programme bewirken können (ist doch „die Liebe ihres Lebens“ als Fahnenflüchtiger ebenfalls untergetaucht), sie beginnt deshalb, bei neuen Aufträgen dieser Art, die Ergebnisse zu manipulieren.
Ihr Chef, Eugen Lettke, benutzt die Möglichkeiten der gesammelten Daten für seine ureigensten Interessen: er erpresst damit – oder sogar mit Fälschungen – junge Frauen, ihm sexuell „zu Diensten“ zu sein und stillt perfide seine Rachegelüste, die durch ein Erlebnis in Kindheitstagen entstanden waren.
Die beiden Hauptpersonen und ihre Gegensätzlichkeit sind gut ausgearbeitet, ihre Handlungen nachvollziehbar im positiven (Helene) und im negativen Sinn (Eugen). Aber auch die „Nebendarsteller“ fingieren als eigenständige Persönlichkeiten.
Ich glaube, der Autor hat hier zwei verschiedene Aspekte aufzeigen wollen: einerseits: was wäre /hätte im Nationalsozialismus alles passieren können, wenn es tatsächlich diese technischen Fähigkeiten besessen hätte? Konsequent durchdacht: eine erschreckende Vision entsteht... Andererseits: wie weit sind wir im Hier und Heute schon von diesem „gläsernen Menschen“ entfernt? Geben wir nicht ALLE allzu schnell und leichtfertig unsere Daten im Internet preis? „Ich habe ja nichts zu verbergen“ denken sicherlich manche, aber „Das Netz vergisst nie“ könnte man ihnen entgegenhalten... Und was bedeutet es in anderen Regierungsformen, z.B. in autoritär geführten Ländern oder sogar Diktaturen? Einige demokratische europäische Länder denken ernsthaft daran, das Bargeld abzuschaffen – was bedeutet das für uns Bürger?
„NSA“ ist mit seinen 800 Seiten wahrlich kein Buch fürs Handtäschchen, aber Andreas Eschbach hat es geschafft, über diese hohe Seitenzahl den Spannungsbogen permanent hochzuhalten und uns Leser immer wieder an neuen Entwicklungen, Gedanken und Ereignissen teilhaben zu lassen und in seinen Bann zu ziehen.
Ich bin mir immer noch unsicher, wie ich dieses Buch beschreiben soll... pathetisch könnte man sagen: ein Buch, dass einem die Augen öffnet und Vergangenheit und Zukunft in einem anderen Licht erscheinen lässt oder besser: schlicht und ergreifend: lesen Sie / lest es einfach selbst, ich jedenfalls gebe eine absolute Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 04.10.2018

Schweigen hilft nicht...

Wer das Schweigen bricht
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Mechtild Borrmann ist ein großartiges Buch gelungen, eine gelungene Mischung zwischen Krimi und historischen Roman: es werden zwei Handlungsstränge miteinander verbunden, verwebt und verzahnt…
Ein Handlungsstrang ...

Mechtild Borrmann ist ein großartiges Buch gelungen, eine gelungene Mischung zwischen Krimi und historischen Roman: es werden zwei Handlungsstränge miteinander verbunden, verwebt und verzahnt…
Ein Handlungsstrang spielt im Jahr 1998: nach dem Tod seines Vaters löst Robert Lubisch dessen Haushalt auf. Zu Lebzeiten hatte er zu ihm ein höchst angespanntes Verhältnis, spätestens nach dem er sich entschieden hatte, nicht in dessen Firma einzusteigen, sondern Arzt zu werden. Robert findet bei der Sichtung der Unterlagen einen SS-Ausweis eines fremden Mannes und das Foto einer – ebenfalls unbekannten - attraktiven Frau, offensichtlich im Krieg aufgenommen. Roberts Neugierde ist geweckt… Wieso hat der Vater diese Dokumente solange aufgehoben? Auf der Rückseite des Fotos findet sich eine Adresse eines Fotoateliers in Kranenburg am Niederrhein, Robert beschließt, dorthin zu fahren und nachzufragen…
Der zweite Handlungsstrang beschreibt die Jugend und das Erwachsenwerden von sechs jungen Menschen eben in diesem Kranenburg in der Zeit von 1939 bis in die 50-er Jahre. Im Juli 1939 versprechen sie sich: „…dass wir uns nicht aus den Augen verlieren und einer für den anderen da ist, so wie es in den letzten Jahren auch war“ (S. 47) Unter den Bedingungen des Nationalsozialismus wird dieses Versprechen jedoch bald gebrochen: Geheimnisse, Misstrauen, Verrat, Denunziation und vielfältige Formen der Liebe (wahre, zurückgewiesene, falsch verstandene usw.) machen dies unmöglich.
Wir als Leser begleiten sowohl Robert als auch die sechs jungen Menschen in ihrer jeweiligen Zeit, wir freuen uns mit den Protagonisten, leiden mit ihnen, sehen Gefahren auf sie zukommen, erkennen Lügen und hoffen auf Aufklärung. Frau Borrmann hat den Zeitgeist der Kriegszeit sehr gut eingefangen, ebenso wie das Leben in Orten „wo jeder jeden kennt“ und die landschaftliche Atmosphäre am Niederrhein so plastisch beschrieben, dass ich manchmal den Eindruck hatte, selbst in Kranenburg zu leben.
Der Spannungsbogen in beiden Handlungssträngen wird konsequent aufrechterhalten (beide sind auch durch Daten als Überschriften sehr gut voneinander zu unterscheiden), am Ende werden alle losen Enden sorgfältig verknüpft und wir als Leser können ein Gesamtkunstwerk „betrachten“, da „alles mit allem“ im Zusammenhang steht… Und die Überraschung ist perfekt geglückt!
Dem Buch vorangestellt hat die Autorin ein Zitat von Albert Camus, dass ich hier (aber nicht nur hier!) sehr passend finde: „Zu denken ist die Geschichte leicht, einzusehen aber schwer für all jene, die sie am eigenen Leib erfahren.“ Gerade bei Büchern, die in der Zeit von 1933 – 1945 spielen, stellen wir uns doch häufig die Frage: und wie hätte ich gehandelt und reagiert?
Nach „Trümmerkind“ (von dem ich ebenfalls begeistert war!) ist dies für mich der zweite Roman von Mechtild Borrmann gewesen, aber ich bin zu 100% sicher, dass ich nach und nach alle Bücher dieser Autorin lesen werde…
Also: hier eine ganz klare und überzeugte Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 29.09.2018

Japanische und deutsche Kultur treffen sich in Hamburg-Altona...

Inspektor Takeda und die Toten von Altona
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Ich bin bei Büchern, deren Handlung in Hamburg spielt oder bei Hamburger Autoren besonders kritisch – sorry, es ist aber einfach so...
Aber bei „Inspektor Takeda und die Toten von Altona“ stimmte die Chemie ...

Ich bin bei Büchern, deren Handlung in Hamburg spielt oder bei Hamburger Autoren besonders kritisch – sorry, es ist aber einfach so...
Aber bei „Inspektor Takeda und die Toten von Altona“ stimmte die Chemie sofort. Schon allein die Idee fand ich interessant: ein Kommissar der Mordkommission Tokio, Kenjiro Takeda, wird für zwei Jahre bei der Hamburger Mordkommission hospitieren. Kriminalhauptkommissarin Claudia Harms ist wirklich not amused und steht seiner Ankunft äußerst skeptisch gegenüber. Als sie hörte, dass ausgerechnet sie sich um den neuen Kollegen kümmern sollte „war ihr sofort klar gewesen, woher der Wind wehte. Sie war die einzige Frau in der Mordkommission und in den Augen der Kollegen damit die ideale Babysitterin für ihren japanischen Gast“ (S.11). Für die Vorbereitung hatte sie ein dreitägiges „Wie-ticken-Japaner-Seminar“ besuchen dürfen... Und nach Übertragung eines Falles an Ken und sie vermutet Claudia sofort eine reine Beschäftigungstherapie und dass sich das Buchhändlerehepaar selbst erschossen hat. Aber Ken sieht mysteriöse Umstände, stellt Fragen – und es ist tatsächlich Mord! Soviel zur Handlung...
Der Schreibstil ist flüssig und angenehm zu lesen, bei vielen kleinen ironischen Anmerkungen zu beiden Kulturen musste ich schmunzeln (die deutschen kann ich nur bestätigen, deshalb gehe ich auch davon aus, dass auch die japanischen stimmen...). Der Spannungsbogen wird aufrechterhalten und zum Ende noch einmal erhöht.
Mir hat gut gefallen, dass die Geschichte in zwei Handlungssträngen erzählt wird. Claudia und Ken schildern uns Lesern jeweils ihre Sicht der Dinge: so erfahren wir viel über die unterschiedlichen Kulturen, bekommen einen Einblick in die japanische Denkweise, stoßen auf Schwierigkeiten in der deutsch-japanischen Zusammenarbeit, erleben unterschiedliche Sichtweisen und nehmen an den unterschiedlichen Entspannungsmöglichkeiten teil. Und wie ganz nebenbei erfahren wir viel über Japan... Aber wir können uns auch lebhaft vorstellen, was in einem deutschen Stadtteil (hier: Altona) passieren kann, der gentrifiziert wird / werden soll und was dies bei seinen Bewohnern auslöst.
Ich war beeindruckt, wie viel der Autor Henrik Siebold über Japan wusste, im Klappentext hatte ich über den Autor nur erfahren, dass er „u.a. für eine japanische Tageszeitung gearbeitet sowie mehrere Jahre in Tokio gelebt“ hatte. Trotzdem war ich immer wieder erstaunt , welch ein großes Wissen er über die japanische Sprache und Mentalität zu vermitteln verstand. Erst im Nachwort bekam ich darauf eine Antwort: „Als ich im April 1969 zum ersten Mal nach Japan kam, hatte ich einen unschätzbaren Vorteil auf meiner Seite: ich konnte noch nicht sprechen. Ich war gerade einmal anderthalb Jahre alt.
Jung und offen und ungeschützt ohne Sprache, war ich eben auch nicht durch sie gefangen. Es war mir möglich, tief in jenes einzigartige, zarte, zugleich auch dichte und hermetische Geflecht einzutauchen, das die japanische Gesellschaft ausmacht. Japan wurde ein Teil von mir, und es begann eine lebenslange Begegnung mit jenem weiten, nahen Land, das so viele Menschen weltweit fasziniert. zu Recht.“ (S. 411) Ja, genau dieses habe ich als Leserin gespürt...
Wer einen wirklich sehr interessanten und spannenden Krimi (nicht blutrünstig, also auch durchaus für sensiblere Seelen geeignet!) lesen möchte, dem kann ich „Inspektor Takeda und die Toten von Altona“ wärmstens empfehlen – übrigens der 1. Teil einer Reihe, die ich sicherlich weiterhin verfolgen werde!