Eine Frau geht (und findet) ihren Weg...
Lotte Lenya und das Lied des LebensEva Neiss hat mit ihrem Debütroman „Lotte Lenya und das Lied des Lebens“ (Untertitel: „Die Frau, die Kurt Weill und Bertolt Brecht ihre Stimme schenkte“) eine interessante und auch spannende Roman-Biografie ...
Eva Neiss hat mit ihrem Debütroman „Lotte Lenya und das Lied des Lebens“ (Untertitel: „Die Frau, die Kurt Weill und Bertolt Brecht ihre Stimme schenkte“) eine interessante und auch spannende Roman-Biografie geschrieben. Es ist durchgängig im Präsens geschrieben, dadurch fiel es mir sehr leicht, mich als anwesende Teilnehmerin des Geschehens zu fühlen – quasi den Protagonisten über die Schulter zu schauen.
Der Prolog und der Epilog beschreiben einen Besuch Lottes bei Brecht in Ost-Berlin m Jahr 1955. Sie möchte seine Einwilligung für eine Schallplatte mit „Weills Liedern“ (und mit Brechts Texten), denn „sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, mit all ihrer Kraft zu verhindern, dass er in den Augen der Welt an Bedeutung verlieren sollte, bloß weil er selbst sie nicht mehr sehen konnte.“ (S.8)
Zwischen dem Prolog und dem Epilog erfahren wir gegliedert in zwei Akte und diverse Szenen Lottes Leben in der Zeit von Sommer 1924 bis September 1935, zwischendurch kleine Rückblicke auf Karoline Wilhelmine Charlotte Blamauers traumatische Kindheit in Wien (und den tragischen Grund für ihren Künstlernamen Lotte Lenja - später Lenya). So erleben wir z.B. das erste Zusammentreffen von Lotte mit Kurt Weill, wie sie gemeinsam Brecht kennenlernen, die Entstehungsgeschichte „Der Dreigroschenoper“, die Proben - und bangen gemeinsam mit den Protagonisten, ob es tatsächlich zur Premiere kommen wird – oder ob alles im Chaos versinkt... und lesen viele weitere Informationen, die mir neu waren, u.a. was Lion Feuchtwanger zur „Dreigroschenoper“ beigetragen hat…
Aber die Autorin beschreibt auch präzise das Zeitgeschehen: das erst schleichende, später immer rasanter werdende Erstarken der Nationalsozialisten, z.B. bei der Premiere von „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ lässt sie Lotte denken: „Ob diese Braunhemden jemals begreifen werden, dass ihre mahagonifarbenen Uniformen ihn zu dem Namen der abscheulichen Stadt inspiriert haben?... Also hat sie das Gefühl nicht getrogen, dass mit ihnen etwas Bösartiges in den Saal gekrochen war.“ (S.175) Dies ist natürlich umso bitterer, da Kurt Weill Jude war...
Das Ehepaar Weill entfremdet sich, Lotte findet einen Liebhaber, reicht die Scheidung ein, bleibt ihrem Mann aber verbunden, so dass sie Teile seines Vermögens rettet, als er vor einer drohenden Inhaftierung schnell nach Frankreich flüchten muss. Wir erfahren dies aus Lottes Perspektive, Weill und Brecht sind „Randfiguren“... Lotte bemerkt aber bald, dass sie ohne „Kurtchen“ nicht leben kann, dass er ihre „Heimat“ ist – und so endet das Buch vor dem Epilog mit der Ankunft des Paares 1935 in New York.
Mir hat das Buch ausgesprochen gut gefallen, das ist sicherlich den vielen neuen Informationen geschuldet, aber auch dem unaufgeregten Schreibstil, der sachlich (ohne jemals ins Kitschige abzugleiten!) mit menschlicher Wärme und stets respektvoll über Lotte Lenya berichtet.
Es ist eine Roman-Biografie: klar, wir wissen nicht, ob Lotte Lenya tatsächlich so gedacht hat, aber mir reicht, dass sie so gedacht haben k ö n n t e ! Von Vorteil – dass schreibt die Autorin selbst in ihrem Nachwort – war: „...meine Protagonistin hat sich in zahlreichen Interviews freimütig zu ihrem Leben geäußert, deshalb bilde ich mir ein, dass ich ein Stück weit in ihre Haut schlüpfen konnte.“ (S.328)
Ich hoffe sehr, dass Eva Neiss noch viele Bücher schreiben wird, denn ich habe dieses Buch mit sehr großem Genuss gelesen und kann es wirklich wärmstens weiterempfehlen - und ich bin sicher, dass ich es dieses Jahr noch einige Mal verschenken werde!