Profilbild von Alsterschwan

Alsterschwan

Lesejury Star
offline

Alsterschwan ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Alsterschwan über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.05.2020

Als Frauen noch nicht Uhrmacherinnen werden durften...

Das Erbe der Altendiecks
0

Henrik Lambertus hat mit seine Familiensage „Das Erbe der Altendiecks“ seinen ersten historischen Roman geschrieben. Man merkt deutlich, dass es dem Autor Spaß gemacht hat, seine Figuren zu „entwerfen“ ...

Henrik Lambertus hat mit seine Familiensage „Das Erbe der Altendiecks“ seinen ersten historischen Roman geschrieben. Man merkt deutlich, dass es dem Autor Spaß gemacht hat, seine Figuren zu „entwerfen“ und auch die äußerst gründliche und vermutlich umfangreiche Recherchearbeit.
Wir begleiten die Bremer Uhrmacherfamilie von 1776 – 1848, die Hauptprotagonistin Gesche ist bei Beginn 10 Jahre alt. Gesche hat den großen Wunsch – genau wie ihr Großvater, ihr Vater und ihr älterer Bruder – das Uhrmacherhandwerk zu erlernen: „Räder und Werke, Kräfte und Übertragungen – für Gesche klang das alles wie Zauberformeln, über die ihr Großvater gebot.“ (S.14) Aber Gesche darf nicht Uhrmacherin werden, dies bekommt sie von ihrer Schwester gnadenlos mitgeteilt: „Höchstens eine Frau Meisterin, wenn Du einen Uhrmacher heiratest und ihm den Haushalt führst.“ (S.82) Wie gut für Gesche, dass ihr Großvater ihr – von der Familie nicht besonders beachtet – sein ganzes Wissen der Uhrmacherkunst vermittelt und Gesche saugt Wort für Wort auf...
1776 verliert Familie Altendieck durch Neid und Missgunst ihr Ansehen in der bremischen Gesellschaft, der ältere Bruder muss sogar außer Landes flüchten, die Familie verarmt. Trotzdem verliert Gesche niemals ihren Wunsch aus den Augen, die Familientradition weiterzuführen und eine ganz besondere Uhr zu erfinden. Und natürlich die Uhrmacherwerkstatt weiter zu betreiben! Dafür opfert sie sogar ihr persönliches Glück. Sie wird hart gegen sich und andere...
Außer Gesche spielt im 2. Teil des Buches ihr Sohn Nicolaus eine wichtige Rolle: er unterscheidet sich sehr von seiner Mutter (das väterliche Erbe schlägt bei ihm durch), aus seiner Sicht erleben wir u.a. die napoleonische Besatzung Bremens, sein Hadern mit der Uhrmacherkunst, seine Sorgen und Ängste, aber auch seine Hoffnungen und Träume...
Aber mehr soll hier über die weitere Geschichte nicht geschrieben werden...
Der Autor lässt uns Leser/innen tief in die Geschichte eintauchen, sei es weltpolitisch (z.B. Napoleons Kriege in Europa), sei es lokalpolitisch (z.B. der bewaffnete Widerstand gegen die französische Besatzung an der Wesermündung). Wir erfahren auch viel über das Leben, die Sitten und das Brauchtum der damaligen Zeit in der Hansestadt Bremen. Der Autor schreibt lebendig und mitreißend, so dass ich manche Ereignisse nicht nur sehen und hören, sondern förmlich direkt riechen konnte... Der Schreibstil animiert zum „Eintauchen“ in die Geschichte, manchmal fühlte ich mich in das historische Bremen „gebeamt“...
Das Buch ist in vier Teile aufgeteilt: 1766, 1775, 1833 (jeweils mit Stammbaum der Altendiecks) und ein Epilog. Zwischen den Teilen liegen Zeitsprünge, an die ich mich aber relativ schnell gewöhnen konnte. Ein ausführliches Glossar rundet die Geschichte perfekt ab.
Ich habe Familie Altendieck über 100 Jahre in allen Höhen und Tiefen (und über 626 Seiten) begleitet, der Abschied fiel mir schon etwas schwer...Aber ich habe unsere gemeinsame Zeit genossen und denke, ich kann es Liebhaber/innen von historischen Romanen sehr empfehlen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 18.05.2020

Warum ist Rocco "schuldig"?

Blutige Düne
0

Sabine Weiß ist mit ihrem 4. Band „Blutige Düne“ um die Kommissarin Liv Lammers wieder mal ein spannender Krimi gelungen. Alle Bücher dieser Reihe sind unabhängig voneinander zu lesen, die Fälle in sich ...

Sabine Weiß ist mit ihrem 4. Band „Blutige Düne“ um die Kommissarin Liv Lammers wieder mal ein spannender Krimi gelungen. Alle Bücher dieser Reihe sind unabhängig voneinander zu lesen, die Fälle in sich abgeschlossen. Nicht abgeschlossen ist Livs Privatleben – aber wann ist Privatleben schon abgeschlossen???
Ich mag eigentlich diese Mischung aus Ermittlungsarbeit und Privatleben der Kommissare immer recht gern, aber bei diesem Band – der mit einem Cliffhanger in Livs Privatleben endet – möchte ich Liv gern zurufen: „Entscheide Dich, schaff' Klarheit!“ Aber abgesehen von diesem Kritikpunkt hat mir dieser Sylt-Krimi gut gefallen: diesmal erfahren wir so einiges über die „dunkle Seite“ von Sylt, dem Rocker- und Prostitutionsmilieu.
Rocco (mit bürgerlichen Namen René Höpen) wird mit Stichverletzungen ermordet aufgefunden, auf seiner Brust steht mit schwarzer Schrift „schuldig“: „Eine solche Signatur, also die persönliche Handschrift des Täters, könnte auf ein Beziehungsdelikt hindeuten. War der Mord vielleicht der Racheakt einer betrogenen Ehefrau? Hatte der Tote eine Geliebte gehabt, und deren Ehemann hatte sich gerächt?“ (S.28) Eine Tätowierung des Toten lässt wieder eine andere Richtung erahnen: „War der Tote ein Onepercenter, ein gewaltbereites gesetzloses Mitglied einer Rockergang?“ (S.29) Es stellt sich heraus, dass Rocco der Geschäftsführer einer Tabledance-Bar war – also ein Streit unter Zuhältern?
Viele Fragen – und noch eine besondere Herausforderung für Liv, die zum ersten Mal zur Teamleiterin ernannt wird. Und dann taucht noch das LKA Kiel auf und reißt den Fall an sich... Und das zweite Opfer passt – bis auf eine winzige Kleinigkeit – überhaupt nicht ins Bild... So, aber mehr wird an dieser Stelle nicht zum Inhalt verraten!
Mein Eindruck ist, dass dieser vorliegende Band brutaler als die vorhergehenden ist (dies mag vielleicht auch dem Milieu geschuldet sein, in dem es angesiedelt ist), ich musste manchmal etwas nach Luft schnappen – als Cosy-Krimi würde ich es keinesfalls bezeichnen!
Dafür hat aber auch Frau Weiß der Insel Sylt wieder viel Leben eingehaucht, an manchen Stellen fühlte man sich direkt „vor Ort“ und meinte, man könne die salzige Nordseeluft schnuppern und die Möwen kreischen hören...
Der Stil ist flüssig zu lesen, die einzelnen Kapitel übersichtlich durch Datum und Uhrzeit eingeteilt. Der Spannungsbogen permanent hoch und die losen Fäden am Ende fein säuberlich verknüpft. Die Auflösung war für mich interessant, aber logisch und nachvollziehbar!
Ich werde mit Sicherheit den 5. Band lesen (auch, um endlich die Entscheidung in Livs Privatleben zu erfahren!), denn „Blutige Düne“ hat mir spannende Lesemomente beschert und ich habe wieder mal einiges dazu gelernt (ja, Lesen bildet!). Aus diesem Grund kann ich das Buch mit gutem Gewissen weiterempfehlen – für Sylt-Fans sowieso!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Figuren
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 16.05.2020

Madame Elsa bittet zur Soirée...

Mitternachts Soirée
0

Der lang erwartete 2. Krimi von C'rysta Winter „Mitternachts Soirée“ (Der zweite dokumentierte Fall des Achille Perrot) ist ganz in der Tradition der „Queen of Crime“ geschrieben. Schon „Eine Leiche für ...

Der lang erwartete 2. Krimi von C'rysta Winter „Mitternachts Soirée“ (Der zweite dokumentierte Fall des Achille Perrot) ist ganz in der Tradition der „Queen of Crime“ geschrieben. Schon „Eine Leiche für Perrot“ hatte mir sehr gut gefallen, so dass ich mich über die neue Aufgabe für Achille natürlich sehr gefreut habe. Aber beide Bücher sind in sich abgeschlossen, können also problemlos unabhängig voneinander gelesen werden!
Wir treffen erneut auf Achille Perrot, dem Enkel des legendären Hercule Poirot, der ein kleines „Anwesen am Rande einer beschaulichen Ortschaft inmitten der Heide“ (S. 16) erworben hat – in Lower Saxony, besser bekannt als Niedersachsen. Dort in Newkirk lebt auch sein Freund, John Harold Jeff, der Spätere – der wiederum ein Enkel von Inspector Japp ist.
Beide sind – neben anderen Gästen – bei Madame Elsa zur Mitternachts Soirée eingeladen. Achille ist begeistert – denn ehrlich gesagt: er langweilt sich! Deshalb erinnert er sich gern „ an die kurzweilige Lustbarkeit, die von Madame Elsa im Sommer dieses Jahres bei herrlichstem Wetter ausgerichtet worden war und der sie, mit ihrer übersprudelnden Kreativität und einigen kurzweiligen Darbietungen zur Unterhaltung ihrer Gäste, eine ganz außergewöhnliche Prägung verliehen hatte.“ (S. 17)
Die Mitternachts Soirée entpuppt sich aber vollkommen anders als das Fest im Sommer: während eines Auftritts von Madame Elsa bricht einer der Gäste tot zu Füßen der Gastgeberin zusammen. Jeff ist sicher, dass es ein Mord ist – dies wird natürlich später auch bestätigt!
Nun haben wir das klassische „Whodunit“-Szenario: wir Leser/innen kennen alle Anwesenden und könnten Achille bei den Ermittlungen helfen – aber oh, wir haben leider nicht Achilles kleine grauen Zellen und so müssen wir uns an die eigenwilligen Smoking-Schöße von Inspector Jeff klammern, um den Geschehnissen einigermaßen folgen zu können…Mehr wird hier aber nicht verraten!
Die Autorin beschreibt die anwesenden Personen detailliert, so dass wir bald das Gefühl haben, sie persönlich zu kennen. Einige fand ich sympathisch, andere nicht – wie im richtigen Leben!
Der Schreibstil von Frau Winter wirkt leicht altmodisch und versetzte mich mühelos in die Salons der 1930-er Jahre: „Pouline strich mit einer anmutigen Geste den Stiel ihres kegelförmigen Aperitif-Glases entlang und schwenkte die darin befindlichen Oliven.“ (S. 34)
Der Spannungsbogen ist vom Prolog bis zur letzten Seite konsequent aufrechterhalten: man fiebert mit, rätselt, wägt ab, kombiniert – und nein, ich bin nicht auf die Lösung gekommen! Und ja: Achille versammelt – genau wie sein Großvater – alle Anwesenden in einem Raum, um seine Auflösung zu präsentieren (Ihr wisst: die Arbeit seiner kleinen grauen Zellen…)
Mir hat das Buch wunderbare und spannende Lesestunden beschert, deshalb gibt es von mir eine absolute Leseempfehlung! Und den Liebhaber/innen eines gelungenen Cosy-Krimis sei verraten: Jeff lädt Achille ein, mit ihm seine Tante Trudy im Südengland zu besuchen: „Und niemand wird uns während unseres Aufenthaltes in einen Mordfall verwickeln oder uns eine Leiche vor die Füße legen.“ (S. 318) Ob wir das wohl glauben?

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.04.2020

Mit Comissari Jaume Soler auf Ermittlungen in Barcelona...

Mord in Barcelona
0

“Mord in Barcelona“ von Isabella Esteban (das Pseudonym einer deutschen Autorin und eindeutig Barcelona-Liebhaberin!) ist ein kurzweiliger Cosy-Krimi, der mir einige unterhaltsame Stunden beschert hat. ...

“Mord in Barcelona“ von Isabella Esteban (das Pseudonym einer deutschen Autorin und eindeutig Barcelona-Liebhaberin!) ist ein kurzweiliger Cosy-Krimi, der mir einige unterhaltsame Stunden beschert hat. Durch die detaillierten Beschreibungen wurde ich wiederholt angeregt, mir die verschiedenen Örtlichkeiten im Internet anzusehen – und dadurch auch meine eigenen Erinnerungen an Barcelona wiederaufzufrischen. Von den Schilderungen der Tapas ganz zu schweigen, da lief mir regelrecht das Wasser im Mund zusammen....
Eine deutsche Urlauberin wird tot auf dem Friedhof Montjuic aufgefunden. Comissari Soler übernimmt den Fall – hat aber bald das Gefühl, nach der berühmten „Nadel im Heuhaufen“ suchen zu müssen. War es ein Raubmord auf dem Friedhof? Was machte die Tote eigentlich überhaupt auf dem Friedhof? War sie vielleicht woanders ermordet worden und erst später zum Friedhof gebracht worden? Jaume ist ruhig und besonnen, aber hier findet er zuerst absolut keinen Ansatzpunkt... Jaumes Mutter und seine Schwester Montse kannten die Tote zufällig – und angeregt durch die Mutter beginn Montse eigene Nachforschungen anzustellen – natürlich ohne ihren Bruder zu informieren... Montse ist ein vollkommen anderer Typ als Jaume: dort, wo er mehr zurückhaltend agiert, prescht sie eher vor... und begibt sich in Situationen, wo uns Leserinnen fast der Atem stockt. Der Sohn der Toten reist an, Montse lernt ihn näher kennen, während Jaume ihn im Verdacht hat, nicht immer die Wahrheit zu sagen! Und was bedeuten die plötzlich aufgetauchten Fotos der Toten? Fragen über Fragen begleiten uns durch das Buch – aber so viel sei verraten: am Ende ist alles gelöst und ich konnte das Buch befriedigt zuklappen!
Der Stil ist lebendig, ich fühlte mich „mitgenommen“, sowohl bei den Ermittlungen als auch zu den Schauplätzen – und bekam gleichzeitig noch einen Einblick in die Geschichte Barcelonas und die Stimmungslage der Katalanen. Obwohl: Comissari Soler sieht „keinen Widerspruch darin, stolzer Katalane und ebenso stolzer Spanier zu sein.“ (S. 137) Aber vielleicht liegt seine Haltung ja auch darin begründet, dass seine Frau aus Madrid stammt (dies betrachten Mutter und Schwester mit großem Argwohn). Auch die Situation der jungen Generation Spaniens findet quasi nebenbei Erwähnung: Montse arbeitet trotz abgeschlossenen Ingenieurstudiums bei der Straßenreinigung, weil sie keinen adäquaten Arbeitsplatz findet und muss bei ihrer Mutter leben.
Angenehm beschrieben fand ich die Arbeit des Teams um den Kommissar geschildert, die einzelnen Persönlichkeiten waren plastisch beschrieben und ihre ergänzenden Arbeitsweisen bei den Ermittlungen. Sie waren mir sympathisch, ich konnte mir ihre Stärken und Schwächen lebhaft vorstellen. Und mein Vertrauen in sie wurde am Ende belohnt: eine überraschende Lösung, aber stimmig und logisch nachvollziehbar, alle losen Enden verknüpft!
Schon allein bei der Betrachtung des Covers kommt man in Urlaubsstimmung und man träumt sich ans Mittelmeer- ein kleiner Kurzurlaub vom Sofa aus!
Ich kann das Buch nur allen Liebhaber*innen von „unblutigen“ Krimis empfehlen – und Barcelona-Fans werden sich sowieso an der Liebeserklärung an diese Stadt erfreuen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Spannung
  • Geschichte
  • Erzähltstil
  • Figuren
Veröffentlicht am 14.04.2020

Ein Buch gegen das Vergessen...

Die Unwerten
1

Volker Dützer hat mit seinem Buch „Die Unwerten“ einen Roman über Deutschlands dunkelste Zeit mit seinen schrecklichsten Taten geschrieben: über Euthanasie im Nationalsozialismus.
Die Geschichte startet ...

Volker Dützer hat mit seinem Buch „Die Unwerten“ einen Roman über Deutschlands dunkelste Zeit mit seinen schrecklichsten Taten geschrieben: über Euthanasie im Nationalsozialismus.
Die Geschichte startet im Dezember 1939, seit 6 Jahren ist Hitler an der Macht, im September hat der 2. Weltkrieg begonnen...
Hannah, eine 14-jährige Halbjüdin, leidet unter ihrem Mathematiklehrer, Herrn Pilz, einem glühenden Nationalsozialisten (Rechenaufgabe: „Ein Irrenhaus kostet zwei Millionen Reichsmark. Wie viele deutsche Familien könnten von dem Geld eine Wohnung bekommen?“, S. 14, E-book). Aber Hannah leidet auch an epileptischen Anfällen und bekommt einen gerade im Mathe-Unterricht. Das muss Herr Pilz selbstverständlich sofort an die entsprechenden Stellen melden!
Quasi als „Gegenpart“ lernen wir Joachim Lubeck kennen, ein junger Psychiater., der sich von seinem Vater unterdrückt fühlt: „Sein Vater traute ihm nicht zu, sich allein durchzusetzen und eine Laufbahn als Psychiater aufzubauen.“ (S. 30) Lubeck war 1932 in die SA eingetreten. „Der affige Pomp begeisterte ihn wenig, er sah seine Mitgliedschaft lediglich als Mittel zum Zweck. Was ihn dagegen faszinierte, war die Macht, die mit den Privilegien der SS einherging.“ (S. 31). Durch Beziehungen seines Vaters erhält Lubeck letztendlich eine Stelle bei der Aktion T4. „Lubecks Aufgabe würde es sein, Patienten zu begutachten und Meldebogen auszufüllen: Mit anderen Worten: Er war fortan Herr über Leben und Tod.“ (S. 33)
In den kommenden Jahren kreuzen sich Hannahs und Lubecks Wege immer wieder, als Leserin stockt einem in solchen Situationen meist der Atem, wissen wir doch, dass Lubeck „am längeren Hebel“ sitzt – und außerdem hat sich Hannah Lubeck auch aus anderen Gründen zum „persönlichen Feind“ gemacht.
Es ist wahrhaftig kein „leichtes“ Buch, an einigen Stellen konnte ich kaum weiterlesen, so entsetzten mich die Grausamkeiten der Nationalsozialisten (ja, man weiß es alles, aber es ist schon etwas anderes, dies in einem Roman zu lesen!): „Vor zwei Tagen war der zehntausendste Patient kremiert worden, zur Feier des Tages hatte die Anstaltsleitung jedem Mitarbeiter eine Flasche Bier spendiert.“ (S. 155)
Der Autor lässt uns an der weiteren Entwicklung von Hannah und Lubeck teilhaben (natürlich gibt es noch viele andere Charaktere, auf die ich aber hier nicht eingehe!): Hannah wird stärker und erwachsener, sie verliert ihre Angst (dieser Moment wird sehr berührend beschrieben). Lubeck wird immer skrupelloser: zuerst lässt er nur andere töten zum Schluss tötet er selbst. Anders als Dr. Richard Hellmer im Buch „Im Lautlosen“ von Melanie Metzenthin, der falsche Gutachten erstellt, um seine Patienten vor der Euthanasie zu bewahren, geht Lubeck seinen Weg durch die Hierarchie, er hat auch an sich selbst kaum oder nie Zweifel, auch nicht an seinen Schritten, Handlungen und Entscheidungen.
Der fesselnde und lebhafte Schreibstil hat mich vom Beginn in die Handlung einbezogen, ich habe mit Hannah, gelitten, gezittert und gehofft (und ja, auch geweint!)
In einem ausführlichen Nachwort geht der Autor detailliert auf seine Recherchen ein, ich habe festgestellt, dass ihm viele reale Personen als Vorlage für seine fiktiven Protagonisten dienten. Volker Dützer stellt die Frage, ob dieses Thema in einem (Unterhaltungs-) Roman behandelt werden sollte, meine Antwort: ja, unbedingt! Solche Romane müssen geschrieben werden, denn sie werden bestimmt eher als Sachbücher zu diesem Thema gelesen!
Dies ist ein Buch gegen das Vergessen und für das Statement, dass keine Regierung, kein Staat, kein Regime, keine Behörde das Recht bekommen sollte, über den „Wert“ eines Menschen zu urteilen und zu entscheiden! Eigentlich sollte dieses Buch eine Schulbuch-Empfehlung bekommen...
Für mich ist dieses Buch bestimmt eines meiner Lesehighlights 2020, kein „einfaches“ Buch, dafür aber umso wichtiger!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere