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Veröffentlicht am 18.09.2021

Poesie des perfekten Kreises

Der perfekte Kreis
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Woche für Woche tauchen auf den Feldern Englands faszinierende Kornkreise auf, die plötzlich über Nacht entstehen und die Bevölkerung in Erstaunen versetzen. Doch dahinter stecken nicht, wie zahlreiche ...

Woche für Woche tauchen auf den Feldern Englands faszinierende Kornkreise auf, die plötzlich über Nacht entstehen und die Bevölkerung in Erstaunen versetzen. Doch dahinter stecken nicht, wie zahlreiche Verschwörungstheoretiker vermuten, außerirdische Lebensformen, sondern Redbone und Calbert. Zwei von der Vergangenheit verfolgte Männer, deren Freundschaft sich vor allem um das Schaffen dieser gigantischen Kunstwerke dreht und die den ganzen Sommer mit der Planung immer neuer, immer beeindruckenderer Muster verbringen. Und während die Einwohner, die Medien, die Experten und Wissenschaftler Englands und der Welt das Rätsel der Herkunft der Kornkreise zu lösen versuchen und diese immer größere Bekanntheit erreichen, geht es ihren Erschaffern Redbone und Calbert gar nicht um den Ruhm, sondern um die Kreise und ihre Schönheit selbst, um die Natur und das Land, auf dem sie entstehen.

Die poetische Sprache Myers lässt dabei die nächtliche Welt vor dem inneren Auge auferstehen. Beinahe glaubt man, selbst dort draußen im Mondlicht zu stehen, umgeben von bis zum Horizont reichendem Weizen und den Lauten der nächtlichen Tierwelt, und spürt die Freiheit, die mit den endlosen Weiten der Natur einhergeht. Für die beiden Männer ist das alles, was zählt - die eine Sache, die ihnen einen Ausgleich schafft zu ihrer schwierigen Vergangenheit und Gegenwart, ihre Aufgabe - nicht boß eine Freizeitbeschäftigung. Um die Kornkreise und die ewige Suche nach dem perfekten Kreis herum entspinnen sich so zahlreiche philosophische Gedanken und Gespräche, die sehr gut in diese beinahe mystische Atmosphäre hineinpassen. Für die beiden Männer steht bei ihrer Arbeit stets die Natur im Vordergrund, deren Schönheit sie mit ihren Kunstwerken hervorheben wollen.

Redbone und Calbert selbst sind dabei keine einfachen Protagonisten, sie sind gezeichnet vom Leben, eher "schräge Typen", unnahbar und ein wenig eigentümlich. Sie waren mir beide auf ihre Art sofort sympathisch, insgesamt hätte ich mir an manchen Stellen aber doch noch einen etwas tieferen Blick auf ihren Charakter gewünscht, vielleicht käme der Roman wahrer Perfektion dann noch ein wenig näher. Davon abgesehen mochte ich das Buch sehr gerne.

Veröffentlicht am 07.09.2021

Mauersegler

Der Mauersegler
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Prometheus' bester Freund Jakob ist an Krebs erkrankt. Da Prometheus selbst Arzt ist und aktuell eine Studie zu Blasenkrebs durchführt, ist für alle Freunde und Verwandten klar: Er muss Jakob darin aufnehmen. ...

Prometheus' bester Freund Jakob ist an Krebs erkrankt. Da Prometheus selbst Arzt ist und aktuell eine Studie zu Blasenkrebs durchführt, ist für alle Freunde und Verwandten klar: Er muss Jakob darin aufnehmen. Etwas später steigt Prometheus hals über kopf in sein Auto und macht sich etwas ziellos auf den Weg, bis er schließlich auf einem kleinen Pferdehof in Dänemark landet. Etwas Schlimmes muss passiert sein, das ist den beiden alten Frauen, die den Hof führen, sofort klar. Sie nehmen Prometheus auf, doch vor dem, was geschehen ist, kann Prometheus sich auch hier nicht dauerhaft verstecken.

Die Handlung des Romans setzt sich aus drei parallel erzählten Strängen zusammen: Prometheus auf der Flucht, Prometheus und Jakob kurz zuvor, als letzterer gerade von seiner Krankheit erfahren hat, und Prometheus und Jakob in ihrer Kindheit bzw. Jugend. Der Schreibstil ist wie schon aus den beiden vorherigen Büchern der Autorin gewohnt sehr bildhaft und geht gekonnt und humorvoll mit den schwierigen Themen Tod und Trauer um. Trotz des tragischen Hintergrunds der Geschichte gelingt es der Autorin immer wieder, einen beim Lesen zum Lachen zu bringen.

Prometheus als Protagonist ist eher der selbstmitleidige Typ, was vielleicht anstrengend geworden wäre, hätte der Schreibstil nicht darüber hinweggeholfen. So kann man ganz gut darüber hinwegsehen. Auch die anderen Figuren, allen voran die beiden älteren Damen Helle und Aslaug, sind schön ausgearbeitet und überzeugen durch ihren eigenwilligen Charakter.

Dass die Autorin Biologin ist, fließt spürbar in ihre Beschreibungen der Landschaft um Prometheus herum mit ein. Das hat mir sehr gut gefallen, weil es viel zur Atmosphäre des Romans beisteuert.

Auch das Gleichgewicht zwischen Trauer und Humor finde ich sehr gut; weder wird die Trauer zu sehr in den Vordergrund gestellt und drückt so die Stimmung, noch sorgt das Humoristische dafür, dass sie aus dem Fokus gerückt oder ins Lächerliche gezogen wird. Das ist ein Punkt, den die Autorin wie auch schon in "Marianengraben" und "Abschied von Hermine" ganz wunderbar beherrscht.

Mir hat "Der Mauersegler" sehr gut gefallen, wenn er für mich persönlich auch nicht ganz an "Marianengraben" herankommt. Trotzdem vergebe ich sehr gerne 5 Sterne und kann guten Gewissens eine Leseempfehlung aussprechen. Ich freue mich auf weitere Bücher von Jasmin Schreiber!

Veröffentlicht am 03.09.2021

Vier Kinder, die zu früh erwachsen werden mussten

Die letzten Romantiker
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Lange ist es her, dass Fiona mit ihren drei Geschwistern vereint war. Jetzt, im Jahr 2079, steht sie als Schriftstellerin auf der Bühne und hält einen Vortrag, der schließlich in eine ganz andere Richtung ...

Lange ist es her, dass Fiona mit ihren drei Geschwistern vereint war. Jetzt, im Jahr 2079, steht sie als Schriftstellerin auf der Bühne und hält einen Vortrag, der schließlich in eine ganz andere Richtung führt als geplant. Denn aus dem Zuschauerraum meldet sich die junge Luna zu Wort, die ihren Namen nach einer Figur aus einem der Gedichte Fionas erhalten hat. Und sie möchte wissen: Wer war Luna?

Um diese Frage beantworten zu können, muss Fiona sich zurückerinnern an ihre früheste Kindheit, und so beginnt sie zu erzählen: von ihren Geschwistern Renee, Caroline und Joe, von der Zeit, als ihr Vater starb und ihr Mutter an schweren Depressionen litt. Von Jahren, in denen die Kinder sich selbst überlassen waren und die Älteste von ihnen mit kaum 12 Jahren die Mutterrolle für die anderen einnehmen musste. Davon, wie sie zusammenwuchsen, und schließlich auch, wie sie sich entzweiten und was das für Folgen für ihrer aller Leben hatte.

In der "Großen Pause", wie die Kinder die Phase während der geistigen Abwesenheit ihrer Mutter später bezeichnen, geht es im Haus drunter und drüber. Und doch gelingt es den Geschwistern, nach außen hin weitestgehend das Bid einer normalen Familie zu wahren. Das Essen wird ihnen geliefert, Unterschriften können auch gefälscht werden, sie sind in Freizeitvereinen aktiv und immer füreinander da, wenn es Probleme gibt. Wie es wirklich um sie steht, das eröffnet erst der Blick durch Fionas Augen Jahre später. Detailliert beschreibt sie, wie sie aus ihrer kindlich-naiven Sicht heraus den Alltag der Familie wahrgenommen hat. Es sind diese stummen, präzisen Beobachtungen ihrer Geschwister und der Ereignisse, die das Buch auszeichnen; auch später noch, als ihre Mutter ihre Depressionen längst überwunden hat und sie alle ihren eigenen Weg gehen. Fiona als jüngstes der Kinder sieht ihre Schwestern und ihren Bruder lange als Vorbilder, denen es nachzueifern gilt; sie sorgen für sie und beschützen sie - und doch muss sie irgendwann erkennen, dass das nicht immer so sein kann und sie auch lernen muss, für sich selbst zu kämpfen.

Die Jahre der Vernachlässigung schweißen die Skinner-Kinder zusammen. Doch was große Freiheiten mit sich bringt, bedeutet auch eine riesige Verantwortung, und die Folgen davon machen sich später bemerkbar. "Die letzten Romantiker" erzählt die Geschichte von vier Kindern, die viel zu früh mit den Schwierigkeiten des Lebens der Erwachsenen konfrontiert wurden.


Ich habe dieses Buch wirklich sehr genossen. Gerade der erste Teil, in welchem die Kindheit der Geschwister beschrieben wird, hat mich mit seiner Atmosphäre direkt für sich eingenommen. Sie hat etwas von Betty Smiths "A Tree Grows in Brooklyn", das zu meinen absoluten Lieblingsbüchern zählt. Auch in den nachfolgenden Teilen fällt es dank der exakten Beschreibungen Fionas stets leicht, sich in die jeweiligen Situationen hineinzufühlen. Die Charaktere sind sehr schön ausgearbeitet, ihr Handeln nachvollziehbar geschildert, der Schreibstil lässt einen in die Geschichte eintauchen.

Gelegentlich wird in die Perspektive einer der anderen Figuren gewechselt, gerade später während des Erwachsenenalters, die meiste Zeit über lesen wir jedoch Fionas Sichtweise. Zu Beginn eines jeden der vier Abschnitte gibt es ein Kapitel aus dem Jahr 2079, die alle während Fionas Vortrag spielen - für mich hätte es diese Rahmenhandlung gar nicht unbedingt gebraucht, sie stört aber auch nicht weiter. Der Kern des Buches ist Fionas rückblickende Erzählung vom Aufwachsen und der Beziehung der Geschwister zueinander, wobei jedoch mit der Zeit wird spürbar wird, dass es dabei vor allem um Joe geht, der für Fiona immer am wichtigsten war.

Der Roman hat mir sehr gut gefallen, jedoch war es insbesondere der erste Abschnitt, also etwa ein Viertel des Buches, den ich unglaublich eindringlich beschrieben fand; danach lässt die Geschichte etwas nach und verliert ein klein wenig von ihrem Zauber. Ich habe den Mittelteil des Buches ebenfalls sehr gerne gelesen, war jedoch nach dem in meinen Augen wirklich großartigen Beginn etwas enttäuscht, dass es nicht genau so stark weitergeht. Gegen Ende des Buches haben sich dann leider auch ein paar Längen ergeben. Noch immer fand ich die Atmosphäre dieses trotz der vielen Ereignisse eher ruhigen Romans sehr schön, aber wie gesagt, die ersten Kapitel haben mir noch ein gutes Stück besser gefallen. Daher sind es am Ende dann doch "nur" vier Sterne. Weiterempfehlen kann ich das Buch trotzdem guten Gewissens!

Veröffentlicht am 23.08.2021

Wunderbar erzählt - man mumss sich nur darauf einlassen

Greta und Jannis
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Greta und Jannis wachsen gemeinsam auf. Sie sind wie Bruder und Schwester füreinander, bis sie sich eines Tages zum ersten Mal küssen - und sich sofort Hals über Kopf ineinander verlieben. Doch was sich ...

Greta und Jannis wachsen gemeinsam auf. Sie sind wie Bruder und Schwester füreinander, bis sie sich eines Tages zum ersten Mal küssen - und sich sofort Hals über Kopf ineinander verlieben. Doch was sich für beide so richtig anfühlt, darf niemals sein, denn es gibt ein lange gehütetes Geheimnis in der Familie, das Greta eine Beziehung zu Jannis verbietet. Also zieht sie fort in die Berge, ins allerletzte Dorf, das von außen noch erreichbar ist, und bringt die gewaltigen Berge zwischen sich und ihn. Dort lebt sie fortan bei Tante Severine und zieht mit ihr gemeinsam ausgesetzte Kinder auf. Doch so unüberwindbar das Gebirge wirkt, so sehr sind es auch Gretas und Jannis' Gefühle füreinander.

Was jedem, der diesen Roman aufschlägt, zweifelsohne als erstes auffallen wird, ist der Erzählstil, denn dieser erinnert das komplette Buch über sehr an einen Bewusstseinsstrom. Gretas Eindrücke werden unmittelbar wiedergegeben, wörtliche Rede ohne Abgrenzung durch Interpunktion in den Satz eingefügt, nur mittels Kursivierung kenntlich gemacht. Oft verbinden sich in einem Satz Indikativ und Konjunktiv, oder es verschmelzen gleich zwei ganze Sätze zu einem, weil sich Gretas Gedanken plötzlich etwas anderem zuwenden und dabei kaum Rücksicht auf die Satzkonstruktion nehmen. Das gestaltet den Text sehr anspruchsvoll, dafür liest er sich aber auch wirklich schön. Man braucht Zeit und Konzentration für diesen Roman, zumindest, wenn man nichts verpassen will. Lässt man sich jedoch voll und ganz auf den Erzählstil ein, wird man feststellen, wie bildgewaltig und einfühlsam "Greta und Jannis" geschrieben ist.

Dank der speziellen Erzählweise fühlt man sich Greta als Protagonistin sehr nahe. Ihre Wut und Verzweiflung darüber, nicht mit demjenigen zusammensein zu dürfen den sie liebt, weil in der Vergangenheit Fehler begangen und nicht rechtzeitig offenbart wurden, wird sehr greifbar beschrieben. Und doch ist es vor allem die Stille der Berge und der Natur, die den Roman auszeichnen. Die Nähe der Figuren zu den Bäumen und Tieren, die sie tagtäglich umgeben, macht einen essentiellen Teil der Geschichte aus. Sie sind Quelle der Ruhe, bieten die Geborgenheit, die den Figuren sonst verwehrt bleibt.

So wird "Greta und Jannis" zu einem sehr nachdenklichen Roman, der gekonnt zwischen Tragik und Stille balanciert und, sobald man sich darauf eingestellt hat, mit seiner poetischen Sprache überzeugt.

Veröffentlicht am 16.08.2021

Gelungenes Porträt eines entbehrungsreichen Lebens

Die Hebamme
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Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wächst Marta Kristine Andersdatter Nesje an der Westküste Norwegens auf. Ihr Leben ist geprägt von den schwierigen Lebensbedingungen und der Armut der ländlichen Bevölkerung. ...

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wächst Marta Kristine Andersdatter Nesje an der Westküste Norwegens auf. Ihr Leben ist geprägt von den schwierigen Lebensbedingungen und der Armut der ländlichen Bevölkerung. Nach Jahren der Ungewissheit sucht sie später Erfüllung im Beruf der Hebamme, stößt damit im Ort jedoch zunächst nur auf Ablehnung und muss lange Zeit darum kämpfen, das tun zu dürfen, worin sie ihre Lebensaufgabe sieht.

Das Buch ist eine Mischung aus Roman und Biographie, denn Marta Kristine war die Ururgroßmutter des Autors und auch viele der anderen Figuren haben nachweislich zu ihren Lebzeiten real gelebt. Dennoch liest sich das Buch eher wie ein Roman, wenn auch gelegentlich Daten und Fakten Einzug finden, die das Geschehen historisch belegen. Das hat mir sehr gut gefallen, weil man einen umfassenden Einblick in die tatsächlichen Lebensumstände der Landbevölkerung an der Küste Norwegens zu Beginn des 19. Jarhunderts erhält, dennoch aber aber nie das Gefühl hat, ein trockenes Sachbuch zu lesen. Das Verhältnis zwischen Realem und Hinzugedachtem erschien mir sehr ausgewogen und glaubwürdig und ich habe Marta Kristines Geschichte mit großem Interesse verfolgt.

Wir begleiten die Protagonistin auf ihrem Lebensweg von frühester Kindheit an, als sie mit ihren Eltern neu in die Gegend gezogen ist, über ihre jungen Erwachsenenjahre und ihre Zeit als Hebamme und Mutter, bis hin ins hohe Alter. Von Anfang an wird deutlich, dass sie eine starke Frau ist, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz nicht unterkriegen lässt und sich ihren eigenen Weg durchs Leben schafft. Dass sie dabei oft auch auf Dinge verzichten muss, geliebte Menschen verliert und ihr Tun immer wieder verteidigen muss, hält sie nicht auf.

Es gelingt ihr, einen Beruf auszuübern, der damals in Norwegen kaum ein hohes Ansehen genoss - denn wer braucht schon eine Hebamme, die vielleicht auch noch mehrere Dörfer entfernt lebt, wenn man doch Nachbarinnen, Mütter und Töchter seit jeher als Geburtshelferinnen um sich hatte? Und warum sollte man dafür dann auch noch Geld bezahlen, wo das doch ohnehin meist viel zu knapp ist? So wird schnell klar, dass Marta Kristine es gerade in ihrer Anfangszeit als Hebamme nicht leicht hatte. Hinzu kommen ein Ehemann, der zusehends mehr in ein Leben zwischen Melancholie und Schwermut abdriftet und dessen Einnahmequellen unzuverlässig sind, und, wie damals üblich, jede Menge Kinder, die es zu versorgen gilt. Dass es ihr trotz allem irgendwie gelingt, die Balance dabei zu halten, verdankt sie ihrem familiären Umfeld und nicht zuletzt auch ihrem starken Willen.

Der Schreibstil des Autors ist angenehm zu lesen, und obwohl sich im Mittelteil des Buches vielleicht die ein oder andere Länge ergibt, wird es doch nie zu trocken oder zu langweilig. Ich habe das Lesen sehr genossen und bin positiv überrascht von dieser Romanbiographie, die gekonnt das Leben einer bemerkenswerten Frau porträtiert. Gerne empfehle ich das Buch weiter.