Platzhalter für Profilbild

Annis22

Lesejury Profi
offline

Annis22 ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Annis22 über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.04.2023

Nicht nur fast genial

Fast genial
0

Der siebzehnjährige Francis lebt mit seiner psychisch erkrankten Mutter in einem Trailerpark. Als er eines Tages erfährt, dass sein ihm unbekannter Vater ein Genie ist, macht er sich gemeinsam mit zwei ...

Der siebzehnjährige Francis lebt mit seiner psychisch erkrankten Mutter in einem Trailerpark. Als er eines Tages erfährt, dass sein ihm unbekannter Vater ein Genie ist, macht er sich gemeinsam mit zwei Freunden auf die Suche nach ihm - quer durch die USA.

"Fast genial" ist mein zweites Buch von Benedict Wells und ich wurde auch diesmal nicht enttäuscht.
Der Schreibstil ist etwas schnörkelloser als ich es von ihm kannte, die Sprache ist klar und verständlich und daher ließ sich das Buch angenehm leicht und flüssig lesen.
Dennoch ist es nicht weniger tiefgründig, im Gegenteil: Es behandelt existenzielle Themen rund um (genetische) Herkunft, Fremd- und Eigenverantwortung für das Leben, die eigene Persönlichkeitsentwicklung.

Gut gefallen hat mir der Aufbau des Buches, der den Inhalt geschickt unterstreicht: Während die drei Freunde auf der Suche nach Francis' Vater sind, ist die Storyline geradlinig und zielgerichtet. Nachdem dieses Ziel erreicht wurde, verläuft die weitere Handlung genauso orientierungslos und wirr wie Francis sich gerade fühlt.

Wells lässt die Lesenden gekonnt die ganze Geschichte hindurch Francis' Emotionen mitspüren, sei es Liebe, Wut, Trauer, Enttäuschung oder zu guter letzt die Desillusionierung.
Spannend waren die daraus relsutierenden unerwarteten Handlungen und Francis' gesamte charakterliche Entwicklung.
Das Ende ist meiner Meinung nach genial - auch wenn ich es auf eine gewisse Weise hasse.

Für mich war es ein sehr kurzweiliger, flüssig zu lesender Roman über einen Roadtrip, der einerseits die Leichtigkeit und Naivität der Jugend widergibt, andererseits auch tiefgründige Themen aufgreift.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 03.04.2023

Stimmungsvoller historischer Krimi

Der treue Spion
0

München, 1896: Major Gryszinski wird mit dem Vermisstenfall eines französischen Diplomaten betraut. Als dann noch eine Leiche, eine brisante technische Erfindung und ein russisches Hochstaplerpaar auftauchen, ...

München, 1896: Major Gryszinski wird mit dem Vermisstenfall eines französischen Diplomaten betraut. Als dann noch eine Leiche, eine brisante technische Erfindung und ein russisches Hochstaplerpaar auftauchen, begibt sich der Ermittler auf eine Reise quer durch ganz Europa.
Zwanzig Jahre später stößt Gryszinskis Sohn Fritz mitten im ersten Weltkrieg auf neue Indizien zum Fall. Kann er endlich zu Ende führen, was sein Vater begonnen hat?

"Der treue Spion" ist bereits Uta Seeburgs dritter Kriminalroman rund um Major Gryszinski, man kann ihn jedoch gut ohne Vorkenntnisse lesen. Für mich war es das erste Werk der Autorin.

In den Schreibstil musste ich mich erst einmal hineinfinden. Alles wird sehr genau und detailliert beschrieben, insbesondere die jeweiligen Schauplätze. Sobald ich mich daran gewöhnt hatte, fühlte ich mich aber gut ins Europa Ende des 19. Jahrhunderts versetzt und konnte die Umgebung ganz genau vor mir sehen.
Die Spannung baut sich nur langsam und subtil auf, was ich als sehr angenehm empfand. Die Erzählart ist unaufgeregt, es gibt keine reißerischen Phrasen, keinen hektischen Showdown o.Ä., es ist ein eher ruhiger, dafür stimmungsvoller Krimi.
Die beiden unterschiedlichen Zeitstränge werden abwechselnd erzählt und nach und nach verknüpft Seeburg sie auf geschickte Weise miteinander, sodass sie gemeinsam ein Bild ergeben.
Die Auflösung war nicht vollkommen verblüffend, dennoch zufriedenstellend.

Insgesamt mochte ich die ruhige Grundstimmung, die Atmosphäre und die klassische Ermittlungsarbeit Gryszinskis sehr gerne, die historischen Fakten wurden erstklassig recherchiert und obwohl die Spannung an keinem Punkt Übermaß annimmt, ist "Der treue Spion" durchgehend kurzweilig. Die Mischung aus Fiktion und Historie ist hervorragend gelungen.

Für mich war es kein Highlight, aber definitiv ein unterhaltsamer Krimi. Das Lesen der beiden Vorgänger werde ich auf jeden Fall noch nachholen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 31.03.2023

Unerträglich ehrlich

Im Westen nichts Neues
0

"Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque ist wohl der bekannteste Antikriegsroman überhaupt. Er erschien 1928 und schildert die Schrecken des ersten Weltkrieges aus Sicht eines neunzehnjährigen ...

"Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque ist wohl der bekannteste Antikriegsroman überhaupt. Er erschien 1928 und schildert die Schrecken des ersten Weltkrieges aus Sicht eines neunzehnjährigen Soldaten.

Remarque erzählt schonungslos ehrlich von der verlorenen Generation, zu der er selbst gehörte; mit welcher Überschwänglichkeit die jungen Männer damals in den Krieg gezogen sind, geleitet von Propaganda und Nationalstolz und wie hart die Realität sie dann an der Front getroffen hat. Er macht dabei vor keinen Brutalitäten Halt: das sinnlose Sterben, das Leiden der Soldaten, ja das ganze Grauen wird sehr eindrücklich geschildert.
Das Werk hat mich zutiefst betroffen gemacht, es ist kaum vorstellbar, was Millionen von Menschen ertragen mussten und immer noch müssen.
Im Geschichtsunterricht haben Zahlen und Fakten das Kriegsgeschehen für mich entmenschlicht, dieses Buch hat genau das Gegenteil bewirkt: Es rief mir in Erinnerung, dass hinter jedem Soldaten ein Schicksal steckt.

Remarque erzeugt in diesem Buch mit einer unglaublichen Wortgewandtheit und sprachlichem Können Bilder, die noch lange nachhallen werden.

"Im Westen nichts Neues" ist erschütternd, aufwühlend, beinahe unerträglich - und hochaktuell. Ich empfehle jedem, der es noch nicht getan hat, sich Zeit dafür zu nehmen und es zu lesen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.03.2023

Intensive Biografie mit sehr privaten Einblicken

Ich, ein Sachse
0

Samuel Meffire wurde 1970 als Afrodeutscher in Leipzig geboren und wuchs in der DDR auf. Er schaffte es, erster Schwarzer Polizist Ostdeutschlands zu werden, fiel dann tief und landete im Gefängnis.
In ...

Samuel Meffire wurde 1970 als Afrodeutscher in Leipzig geboren und wuchs in der DDR auf. Er schaffte es, erster Schwarzer Polizist Ostdeutschlands zu werden, fiel dann tief und landete im Gefängnis.
In diesem Buch erzählt er im Rückblick seine bisherige Lebensgeschichte über Aufstieg, Fall und der Suche nach sich selbst.

Die Erzählung beginnt im Juli 2021: Meffires Tochter findet eine Kiste mit Erinnerungen. Daraufhin beginnt dieser, seinen Kindern aus seinem Leben zu erzählen.
Dabei gibt es immer wieder kurze Gegenwartssequenzen, die das Ganze auflockern und die Möglichkeit geben, einmal kurz aufzuatmen.
Denn in der Vergangenheit hatte der Autor es alles andere als leicht: Rassismus, Gewalt und Ablehnung gehörten zu seinem Alltag.

Meffire hat einen sehr ungezwungenen Schreibstil, man hat das Gefühl, man säße ihm gegenüber und er erzähle einem seine Geschichte persönlich.
Man erfährt schonungslos, offen und ehrlich von seinen intimsten Gedanken. Dabei hat man nicht das Gefühl, dass er sich in ein heroisches Licht stellen will; Meffire berichtet auch ganz klar von seinen negativen Seiten und inneren Dämonen.
Trotz all der ernsten Themen gibt es auch immer wieder Stellen, die einen schmunzeln lassen.

Ein kleiner Kritikpunkt ist für mich die massige Flut an Informationen und Details, mit denen man auf jeder Seite überhäuft wird: Es fiel mir ab und an schwer, nicht den Faden zu verlieren und ich musste sehr konzentriert lesen, um alles aufzunehmen.

Insgesamt ist es eine sehr lesenswerte, wichtige Biografie über Rassismus in Deutschland und einen Mann, der in seinem Leben so viele ungewöhnliche Erfahrungen gemacht hat, wie nur wenige andere.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.03.2023

Gedankenlabyrinth

Das Vorkommnis
0

Eine Schriftstellerin (die wie die meisten Figuren im Buch namenlos bleibt) trifft nach einer Lesung auf die Frau, die sich als ihre Halbschwester vorstellt. Dieses Vorkommnis löst Fragen in ihr aus: über ...

Eine Schriftstellerin (die wie die meisten Figuren im Buch namenlos bleibt) trifft nach einer Lesung auf die Frau, die sich als ihre Halbschwester vorstellt. Dieses Vorkommnis löst Fragen in ihr aus: über Familie, Vergangenheit, ihr eigenes Leben.

Julia Schoch beschreibt in diesem autofiktionalen Roman gekonnt die Gedankenwelt der Ich-Erzählerin. Das meisterhafte Sprachgefühl der Autorin sorgt dafür, dass sich die knapp 200 Seiten flüssig und mit Genuss lesen lassen.

Das Buch zeigt anschaulich, was eine flüchtige Begegnung alles bewirken kann und ich bin gespannt den Gedankengängen gefolgt, nicht zuletzt weil ich selbst gerne alles bis ins kleinste Detail zerdenke.
Nach und nach wird alles immer weiter infrage gestellt und die Gedanken werden immer abstruser; es kommen Zweifel an ihr selbst, der eigenen Familie, sogar der Wahrheit an sich, auf.

Dies ist auch meine größte Kritik: Irgendwann war ich an einem Punkt, an dem ich die Protagonistin gerne durchgerüttelt hätte. Sie stand sich selbst dermaßen im Weg und statt alles jahrelang zu überdenken, hätte ich mir gewünscht, dass sie endlich mit den anderen Personen spricht und tätig wird, um ihre Fragen zu beantworten.
Und auch wenn es ein kurzweiliges Vergnügen war, mit ihr durch das Gedankenlabyrinth zu irren, hätte ich etwas mehr Handlung vorgezogen.

Dies ist der erste Teil einer Trilogie und trotz meiner Kritik werde ich die anderen Bände noch lesen - schon allein um des Schreibstils willen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere