Profilbild von Archer

Archer

Lesejury Star
online

Archer ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Archer über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.09.2016

Als ein Gespenst das Fürchten lernte

Das Gespenst von Canterville
0

Zum ersten Mal habe ich die Geschichte gelesen, da war ich vielleicht zehn oder elf. Zu dem Zeitpunkt war mir noch gar nicht klar, dass das eine "alte" Geschichte ist. Ich konnte lachen, das Gespenst bedauern, ...

Zum ersten Mal habe ich die Geschichte gelesen, da war ich vielleicht zehn oder elf. Zu dem Zeitpunkt war mir noch gar nicht klar, dass das eine "alte" Geschichte ist. Ich konnte lachen, das Gespenst bedauern, mit den Zwillingen Unsinn ausdenken ... das ist für Kinder eine extrem spannende Angelegenheit. Und jetzt, erwachsen, habe ich einen Re-Read gestartet, schon ein bisschen mit der Angst verbunden, dass es mir nicht mehr gefallen könnte. Doch die Angst war grundlos. Ich liebe diese Geschichte noch immer.

Der Inhalt ist schnell erzählt: Hiram B. Otis ist ein Amerikaner, ein moderner, aufgeklärter Botschafter, der sich das Anwesen Canterville kauft. Die fairen Engländer warnen ihn. Dieses Schloss beherberge ein Gespenst, einen Geist, der schon unzähligen Bewohnern und Besuchern graue Haare (und Schlimmeres!) verschafft hat. Doch einen Amerikaner kann das nicht erschüttern - und tatsächlich ist das so. Als das Gespenst - Sir Simon de Canterville - erscheint, lässt sich niemand der neuen Bewohner die Butter vom Brot nehmen. Im Gegenteil. Es ist das Sir Simon, der das Fürchten (gerade vor Butter!) lernt. Die Zwillinge des Botschafters spielen ihm Streiche, der älteste Sohn rückt dem legendären Blutfleck mit einem genauso legendärem Fleckenmittel zu Leibe und der neue Hausherr selbst bietet dem kettenrasselnden Gespenst etwas Öl an, damit er nicht immer so einen Lärm machen muss. Erst die Tochter des Botschafters ist in der Lage, für ein Happy End zu sorgen - auf gesamter Linie ...

Es handelt sich hier um eine Art Märchen, und doch findet man (als Erwachsener) extreme Parallelen zur damaligen und auch heutigen Zeit. Dabei sprüht die Geschichte vor Humor und Slapstickeinlagen, die jedoch nie ins Alberne abrutschen. Und dass ein Happy End zu einem Märchen gehört, ist schließlich klar, und nicht nur Sir Simon de Canterville wird darüber glücklich sein ... Von daher kann ich das dünne Buch allen empfehlen: Kindern, Erwachsenen, Lesemuffeln - selbst Lesern, die sich wie ich bei Wildes Dorian Grey so sehr gelangweilt haben, dass sie in Tränen ausgebrochen sind. Die einzigen Tränen, die es hier geben wird, sind Lachtränen. Versprochen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

German Tourist

Laufen. Essen. Schlafen.
0

Christine Thürmer ist 2004 das, was man gemeinhin eine Powerfrau nennt. Sie saniert Betriebe, reduziert Kosten, streicht Personal. Und eines Tages ist sie selbst dran. So ganz genau ist nicht klar, warum ...

Christine Thürmer ist 2004 das, was man gemeinhin eine Powerfrau nennt. Sie saniert Betriebe, reduziert Kosten, streicht Personal. Und eines Tages ist sie selbst dran. So ganz genau ist nicht klar, warum sie gehen muss, aber für das Buch selbst ist das auch nicht wichtig. Randnotiz: Ihr Anwalt holte noch eine Abfindung von zwei Monatsgehältern heraus. Was soll's, sie steht jetzt da. Finanziell geht es ihr gut, einen neuen Job bekäme sie bei ihren Qualifikationen wohl auch problemlos. Doch will sie das überhaupt? Dann stirbt auch plötzlich ein Freund von ihr, und sie weiß, dass sie ihr Leben anders gestalten will.

Sie hat einige Zeit vorher einmal junge Leute getroffen, die echte Thruhiker waren: Menschen, die einen der amerikanischen Langstreckenwanderwege durchwanderten. Sie entschließt sich, das auch zu machen und wählt als erstes den PCT, den Pacific Crest Trail, der an der mexikanischen Grenze beginnt und an der kanadischen Grenze endet. Schlappe 4300 Km. Glühende Hitze in Kalifornien, schneebedecktes Hochgebirge in Oregon. Dazwischen alles andere, was es so gibt. Klapperschlangen, Vogelspinnen, Wasser aus Tiertränken. Abgerissene Kleidung, durchgelaufene Schuhe. Erschöpfung, aber auch extreme Glücksgefühle. Freundschaften, Bekanntschaften, Legenden. Das ganze Programm. Nach wenigen Wochen hat sie ihren Trailnamen weg: German Tourist. Er wird sie für immer begleiten. Obwohl sie sich selbst als unsportlich bezeichnet, packt sie von Anfang an diese mörderische Aufgabe: jeden Tag 33 km laufen, sechs Tage die Woche. Sie hat nur fünf Monate Zeit für die mehr als 4000 Km, denn es gibt für die Hochgebirge nur kleine Zeitfenster. Doch sie schafft es und hat Blut geleckt: als nächstes ist der Continentel Divide Trail (CDT) und danach der Apalachian Trail. Mehr als 12000 Km wird sie Ende 2008 gewandert sein und erhält verdient ihre Triple Crown - eine winzige Medaille. Und das reicht noch immer nicht. Seit dieser Zeit ist sie unterwegs: zu Fuß (um die 34.000 Km), mit dem Rad (etwa 30.000 Km), mit dem Kanu (etwa 6000 Km).

Alles nach der Triple Crown wird nur mal kurz erwähnt, es geht um ihre Erlebnisse und Erfahrungen auf den amerikanischen Trails. Mir persönlich hat der erste Bericht über den PCT am besten gefallen, er war der ausführlichste und am besten beschriebendste. Auf dem CDT ging sie mir manchmal recht auf die Nerven mit ihrer Beziehung zu einem weiteren Thruhiker, und der Apalachian Trail erschien mir als der am wenigsten "schönste". Die Autorin hat in ihrem "ersten" Leben genügend verdient, um sich diese Touren leisten zu können, wenn sie sparsam unterwegs lebt. (Nur, falls sich jemand fragt, wie sie das finanziert.) Deshalb ist klar, dass das nicht jedermans Sache ist oder sein kann. Trotzdem: Diesen Bericht zu lesen, hat Spaß gemacht und wird ganz bestimmt die Abenteuerlust einiger wecken, die es ihr gleich tun wollen.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Freund der Bäume

Das geheime Leben der Bäume
1

Ich gebe es ja zu. Als mir meine Schwägerin das Buch in die Hand drückte "Lies mal!", dachte ich nur "Bloß nicht schon wieder so ein Esoterikkram von einem Baumumarmer". Deshalb blieb es erst mal auf dem ...

Ich gebe es ja zu. Als mir meine Schwägerin das Buch in die Hand drückte "Lies mal!", dachte ich nur "Bloß nicht schon wieder so ein Esoterikkram von einem Baumumarmer". Deshalb blieb es erst mal auf dem Sub, bis es mir irgendwann wieder in die Hände fiel. Ich las hinein ... und war extrem gefesselt. Das war kein Esoterikspinner, der da schrieb. Das war ein Mann, der wusste, wovon er sprach. Ursprünglich Förster wie überall, also einer, der den Wald nur nach wirtschaftlichen Aspekten betrachtet, hat er sich irgendwann davon gelöst und bewirtschaftet jetzt einen eigenen Buchenwald in einer Art, die nicht nur "seinen" Bäumen Vorteile bringt. Dabei hat er von eben diesen Bäumen jede Menge gelernt, denn er hat angefangen zu beobachten und aufzupassen.

Zum Glück lässt er uns an seinen Beobachtungen teilhaben. Er spricht von Kommunikation unter Bäumen. Wie das, fragt sich der Laie (sprich Archer). Wenn ein Baum von einem Parasit befallen wird, gibt er das weiter. Mit Hilfe von Duftstoffen benachrichtigt er andere Bäume in seiner Umgebung, die daraufhin bittere oder gar giftige Stoffe ausscheiden und so verhindern, ebenfalls befallen zu werden. Bäume derselben Art können untereinander "befreundet" sein, Bäume derselben Art helfen einander solidarisch, wenn einer von ihnen krank ist. Dabei spielen das Wurzelsystem und Pilze entscheidende Rollen. Wohlleben erklärt auf anschauliche Art und vor allem leicht eingänglich, wie Kommunikation unter den Pflanzen funktioniert, welchen Einfluss sie auf das Ökosystem haben, was bei Monokultur passiert. Er beschreibt das Aufwachsen junger Bäume (wobei "jung" bei einem Durchschnittsalter von 400 Jahren eher relativ gemeint ist), wofür gefallene und vermodernde Baumriesen noch gut sind.

Ich habe mich von dem Autor tatsächlich überzeugen lassen, habe einen anderen Blick auf die Natur, besonders auf Wälder bekommen, in denen ich einen Großteil meiner Freizeit verbringe. Und wenn ich ab und zu winzige Nadel- oder Laubbäume tätschle und "Na, Babybaum" sage, bin ich keineswegs ein Esoterikspinner. Nur jemand, der angefangen hat, Bäume als das zu erkennen, was sie sind: Mitlebewesen auf dem einzigen Planeten, den wir haben.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Ein gewisser Mr Sherlock Holmes

Sherlock Holmes - Eine Studie in Scharlachrot
0

Wir schreiben das Jahr 1880, vielleicht auch 81. Ein junger Arzt ist soeben aus Afghanistan zurückgekehrt, verwundet, desillusioniert und auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung. Da trifft es sich ...

Wir schreiben das Jahr 1880, vielleicht auch 81. Ein junger Arzt ist soeben aus Afghanistan zurückgekehrt, verwundet, desillusioniert und auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung. Da trifft es sich gut, dass ein ehemaliger Kamerad von ihm einen gewissen Mr Sherlock Holmes kennt, der jemanden sucht, der sich seine große Wohnung mit ihm teilt. Und dann der Gänsehautmoment, in dem sie sich begegnen: Holmes und Watson, a match made in heaven. Wie Watson, der Arzt, schnell feststellt, ist Holmes kein gewöhnlicher Mensch. Er ist direkt bis zur Unfreundlichkeit, besitzt einen Verstand, der so scharf ist, dass er ständig gewetzt werden muss und eine Arroganz eines Gottes würdig. Andererseits nimmt er auf seine Art auch Anteil an den Menschen, beobachtet sie, analysiert sie, findet Lösungen für ihre Probleme.

So ist es kein Wunder, dass er gelegentlich als Berater für die Polizei dient, und wenig später lernt Watson, der nun mit Holmes zusammenzieht, zwei ganz besondere Exemplare der Londoner Polizei kennen. Den mittlerweile berühmten Inspektor Lestrade und den nicht ganz so bekannten Inspektor Gregson. Diese haben einen besonders schwierigen Fall zu knacken, den Mord an einem Amerikaner und dessen Sekretär. Holmes Ermittlungen leiten ihn natürlich in völlig andere Richtungen als die der Polizisten ...

Ja, ich mag die "richtigen" Kurzgeschichten noch einen Tick lieber als die Romane. Trotzdem ist die Studie in Scharlachrot Pflichtlektüre, denn hier lernen sich nicht nur Watson und Holmes kennen, man lernt auch von Anfang an etwas aus ihrem Leben, was in den Kurzgeschichten ja höchstens mal angeschnitten wird. Hier bildet sich das Verständnis für Holmes heraus, der so außergewöhnliche Fähigkeiten und Wissen hat, aber andererseits in Bereichen, die ihn nicht interessieren oder die er für irrelevant hält, absolut unter dem Allgemeinverständnis liegt. Holmes ist keine Puppe: Obwohl sich für ihn alles um Logik dreht, ist er durchaus zu Wärme und Verständnis fähig. Und Watson ist sein perfekter Gegenpart. Kein dicklicher Dummkopf, als der meistens in den Filmen dargestellt wird, sondern ein Mann aus Fleisch und Blut mit einem normalen Verständnis für das Leben und das Denken.

Habe ich es schon erwähnt? A match made in heaven.

Veröffentlicht am 15.09.2016

Der Höllenhund aus dem Moor

Sherlock Holmes und der Hund von Baskerville
0

Okay, ich denke, diese Geschichte kennt prinzipiell jeder, selbst Lese- und Holmesmuffel, denn die ist bestimmt öfter verfilmt worden als jeder andere Klassiker. Ich benutze absichtlich das Wort Klassiker, ...

Okay, ich denke, diese Geschichte kennt prinzipiell jeder, selbst Lese- und Holmesmuffel, denn die ist bestimmt öfter verfilmt worden als jeder andere Klassiker. Ich benutze absichtlich das Wort Klassiker, denn zu denen gehört dieses Buch zweifelsfrei.
Trotzdem fasse ich noch mal kurz zusammen:
Sir Henry, der junge Erbe von Baskerville Hall, hat nicht nur ein Problem. Zum einen verschwinden immer wieder Sachen von ihm, obwohl er gerade erst aus Amerika eingetroffen ist, und dann ist da noch die Legende von dem Höllenhund, der bis jetzt noch jeden seiner Vorfahren geholt hat. Kein Wunder, ist doch sein Onkel unter mysteriösen Umständen gestorben und Zeugen schwören Stein auf Bein, dass sie neben der Leiche des Lords riesige Pfotenabdrücke gefunden hätten. Holmes behauptet, keine Zeit für diesen Fall zu haben und schickt seinen treuen Freund und Mitstreiter mit dem jungen Sir Henry mit, um auf ihn aufzupassen und ihm regelmäßig Bericht zu erstatten. So ist Watson tatsächlich auf sich allein gestellt, und er kommt dabei dem Geheimnis des Haushälterehepaars von Baskerville Hall auf die Spur und erlebt im Moor seltsame Begegnungen und unangenehme Überraschungen.

Watson mal auf sich gestellt, kann das gutgehen? Auf jeden Fall. Watson ist nicht der dickliche, unbeholfene, dümmliche Sidekick von Holmes, als der er so oft in Filmen dargestellt wird. Er war im Afghanistankrieg und bei allen gefährlichen Situationen ist er ein Mann, der die Nerven behält. Natürlich zieht er andere Schlüsse aus seinen Beobachtungen als Holmes, aber das sind genau die Schlüsse, die jeder normale Mensch ziehen würde. Und natürlich lässt Holmes ihn auch nicht zu lange im Stich.
Immer wieder schön, dieses Buch zu lesen, selbst beim dutzendsten Mal: großes Kino in Buchform.