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Veröffentlicht am 03.04.2018

Kein strahlender Rubin

Die Wolfsgrube
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Szilárd Rubin (1927-2010) war ein ungarischer Schriftsteller, der erst kurz vor seinem Tod mit seinen Hauptwerken Ruhm auch außerhalb Ungarns erntete. „Die Wolfgrube“ ist keines dieser Hauptwerke, sondern ...

Szilárd Rubin (1927-2010) war ein ungarischer Schriftsteller, der erst kurz vor seinem Tod mit seinen Hauptwerken Ruhm auch außerhalb Ungarns erntete. „Die Wolfgrube“ ist keines dieser Hauptwerke, sondern ein Kabinettsstück über sechs Grundschulfreunde, die sich 15 Jahre nach dem Schulabschluss wiedertreffen und feststellen müssen, dass einiges gleich, aber vieles anders geworden ist. Haller wurde Arzt, Schwabik Apotheker, Decsi Biochemiker, Vértes Dichter, Baksay Journalist und Beke wurde Polizist und Offizier der ungarischen Spionageabwehr. Dass er diese beiden Beruf für das Treffen der Freunde würde gebrauchen können, konnte vorher keiner ahnen.

Außer dem Leser, denn schon auf den ersten Seiten erfahren wir, welcher Schulfreund durch einen westlichen Geheimagenten ausgetauscht wurde. Auch zwei andere Schulfreunde haben geheime Machenschaften am Laufen, wie sich im Laufe des Treffens herausstellt. Die Zusammenkunft wird durch drei Frauen bereichert - eine Ehefrau, eine Assistentin und eine Tänzerin, hinter der alle Männer her sind. Bei dem harmlosen Gesellschaftsspiel „Mord im Dunkeln“ kommt es zu einem echten Mord, und Beke muss nun ermitteln. Der sympathische Ermittler deckte einige Geheimnisse auf, die sich die Freunde einander nicht zugetraut hätten. Dennoch ist Ermittlung so verworren, der Tathergang so kompliziert, dass man kaum mitkommt und die Auflösung am Ende nur hinnehmen kann. Und obwohl es nur zehn handelnde Personen sind, gehen die Figuren einem ständig durcheinander.
Neben der Handlung aber ist die der Darstellung innewohnende Betrachtung der ungarischen Gesellschaft in der „Wolfsgrube“ verborgen, und hier gibt Rubin Einblicke in ein Ungarn der 1960er Jahre, das dem westlichen Leser unbekannt ist. In den sich auseinandergelebten Freunden erkennt man die zerfallende ungarische Gesellschaft wieder, die sich kaum traut, alles öffentlich zu sagen, die vieles im Verbogenen abhandelt und vor Ohrenbläsern und Denunzianten auf der Hut ist. Auch der Nachhall des Zweiten Weltkrieges und der zweifelhaften Rolle Ungarns im Krieg klingt in Rubins Roman an.

Kurzum: „Die Wolfsgrube“ gehört zurecht nicht zu Rubins wichtigsten Werken, besticht aber immerhin durch politische Raffinesse und einen gerade am Anfang humorvoll beschwingten Tonfall.

Veröffentlicht am 03.04.2018

Doppel-Mord im Doppel-Krimi

Die Morde von Pye Hall
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Die „Morde von Pye Hall“ sind ein raffiniertes Doppelwerk – zwei Krimis in einem. Die Konstruktion geht so: Die Lektorin des neuesten Atticus-Pünd-Krimis gewährt uns Einblick in das Manuskript, das ein ...

Die „Morde von Pye Hall“ sind ein raffiniertes Doppelwerk – zwei Krimis in einem. Die Konstruktion geht so: Die Lektorin des neuesten Atticus-Pünd-Krimis gewährt uns Einblick in das Manuskript, das ein herrlicher englischer Landschaftskrimi in den Farben von Agatha Christie ist. Alle Verdächtigen wohnen auf engstem Raum im Dorf neben dem Herrenhaus Pye Hall. Atticus Pünd ermittelt, als wäre er das uneheliche Kind von Hercule Poirot und Miss Marple, um nach etlichen Kapiteln zu verkünden: „ich weiß, wer es getan hat.“ Das nützt uns Lesern aber nichts, denn das Manuskript endet kurz vor Schluss, so dass allein schon die fehlende Lösung des Manuskripts Spannung erzeugt. Schnell soll die Lektorin uns das Ende des Romans beschaffen, doch das geht nicht: Dessen Autor Alan Conway ist tot. Selbstmord. Selbstmord? Genau …

Unsere Lektorin Susan Ryeland ermittelt - quasi in unserem Interesse als Leser. An den Selbstmord glaubt sie nicht, sondern hält es vielmehr für wahrscheinlich, dass Conway ermordet worden ist – und zwar wegen der „Morde von Pye Hall“. Deshalb sind die fehlenden Seiten des Manuskripts der Schlüssel zum Fall Conway. Und gleichzeitig per se der Schlüssel zur Manuskripthandlung.

Das ist wirklich gelungen: Die Spannung auf das Ende wird sozusagen verdoppelt. Außerdem versuch man nun, die Rätsel, Anspielungen und Geheimnisse des Manuskripts nachträglich zu entschlüsseln und nicht nur innertextlich zu ergründen, sondern auch auf die äußere Romanhandlung anzuwenden. Raffiniert! Viel mehr darf hier nicht verraten werden.

Warum gibt es dann einen halben Punkt Abzug? Weil der Inselverlag zwar ein tolles Buch mit gelungener Übersetzung liefert, aber die Titelzeile falsch gewählt hat. Die mag ich nicht.

Veröffentlicht am 08.03.2018

Natural Born Teddys

Die Rache der Polly McClusky
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Nate hat in seinem Leben verdammt viel Mist gebaut, dafür hat er gesessen und sich mit den gefährlichen Jungs angelegt und den Bruder des gefährlichsten Jungen – des Präsidenten der Aryan Steel – umgebracht. ...

Nate hat in seinem Leben verdammt viel Mist gebaut, dafür hat er gesessen und sich mit den gefährlichen Jungs angelegt und den Bruder des gefährlichsten Jungen – des Präsidenten der Aryan Steel – umgebracht. Darum ist er jetzt zum Tode verurteilt worden. Und seine Ex-Frau. Und seine Tochter. Die aber ist das Beste, was Nate je hingekriegt hat, und deshalb will er jetzt keinen Mist bauen, sondern etwas richtig machen: Polly retten.

Er entführt er sie von der Schule - sie und ihren empathischen Teddybären, der die ganze Weisheit eines Teddylebens verströmt und den harten und gewalttätigen Sätzen Harpers ein wenig Plüsch entgegensetzt. Der Teddy ist zwar nicht echt, aber er ist wahr.

Der Weg führt das Vater-Tochter-Gespann durch Kalifornien und durch die härteste Tortur seit Léon der Profi. Harpers Geschichte ist voller Übertreibungen: in der Handlung, den Reaktionen der Figuren, den Locations, der Gewalt und nicht zuletzt in der Sprache. Diese Stilmittel setzt er ein, um einerseits ein geniales Road Movie abzudrehen, dessen markige Wucht einen umhaut. Und um andererseits hinter den Überhöhungen zu zeigen, worauf es ankommt: innere Haltung, Fürsorglichkeit und Wahrhaftigkeit. Pollys Teddy mag ein kitschiges Detail sein, aber es verkörpert den Kontrast zwischen der brutalen Welt und der Wahrheit dahinter.

Ein Buch, das zu lesen Spaß macht und ein überraschendes Ende hat!

Veröffentlicht am 13.02.2018

Eine sehr deutsche Familiengeschichte

Ein mögliches Leben
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Franz ist steinalt. Er hat die Landung der Alliierten in der Normandie 1944 als Soldat der Wehrmacht erlebt und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. In Texas und Utah verbrachte er den Rest des ...

Franz ist steinalt. Er hat die Landung der Alliierten in der Normandie 1944 als Soldat der Wehrmacht erlebt und geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft. In Texas und Utah verbrachte er den Rest des Krieges im Kriegsgefangenenlager. Fast siebzig Jahre später kehrt er mit seinem Enkel Martin, der auch schon fast vierzig Jahre alt ist, hierher zurück, um … um was eigentlich? Die alten Wächter zu treffen? Die Camps noch einmal zu sehen?

Als ich diesen Roman zu lesen entschied, wollte ich mehr über die deutschen POW (Prisoners of War) in den USA erfahren, da mein eigener Großvater dort gewesen ist, in einem Lager in Ohio. Ich besitze noch einige alte Dokumente und war neugierig, was Hannes Köhler in seinem Roman „Ein mögliches Leben“ mir mitzuteilen hat. Es hat letztlich wenig mit dem Kriegsgeschehen zu tun und auch nicht viel mit dem Lagerleben. Was man hierüber erfährt, klingt so sehr nach Recherche und blutarm wie ein Einser-Schulaufsatz in Geschichte. Aber Köhler geht es nicht um die historische Darstellung des Lageralltags (auch wenn er hier brav die Details referiert), wie es auch Großvater Franz nicht um den Besuch eines bestimmten Ortes geht.

Im Kern geht es darum, wie die Generation der jungen Deutschen, die im Nationalsozialismus geboren, von diesem indoktriniert und in den Krieg gehetzt wurde, mit dem Kriegsende, der Niederlage und dem Verlust der eigenen Identität als vollständig vom Klang des Deutschlandliedes („Deutschland, Deutschland über alles“) geprägte Nazis umgeht. Köhler zeigt zunächst im groben Holzschnitt, später weitaus gekonnter die vielschichtigen Mentalitäten, die in den Kriegsgefangenenlagern zusammenkamen: Hundertfünfzigprozentige, Judenhasser, Mitläufer, verkappte Rote, verhinderte Widerstandskämpfer, Duckmäuser, Wendehälse und Besserwisser. Zwischen den deutschen Soldaten treten massive Spannungen auf, die sich am aberwitzigen Glauben an den Endsieg und die Wunderwaffe entzünden. Mittendrin befindet sich der blutjunge Franz, der in seiner Lagerzeit reift und seine Gesinnung schärft, indem er seinen Freund und geistigen Mentor Paul Linde kennen lernt. Dieser ist „Volksdeutscher“, aber in den USA geboren, hat den ganzen Krieg ab 1939 mitgemacht und kennt auch die Gräuel, die die Deutschen an der Ostfront verübt haben. In Pauls Freundschaft wächst Franz‘ Persönlichkeit und seine Liebe zum demokratischen Amerika. Pauls Schicksal im Widerstreit mit den Nazis unter den „alten Kameraden“ wird zum Wendepunkt in Franz‘ Leben und ist der eigentliche Grund für die Reise des Greises mit dem Enkel.

In ihr löst Köhler auch die Spannungen aus Franz‘ Familiengeschichte vom Nazivater bis zur Urenkelin auf: fünf Generationen, die alle von Deutschlands dunkelsten Jahren geprägt sind. Köhler gelingt es, in diesem Teil des Romans in seinen Figuren exemplarisch die Mentalitäten der Generationen im Angesicht der individuellen Schuld und Verantwortung herauszuarbeiten. Franz‘ schicksalhafte amerikanischen Jahre sind der Schlüssel zur Auflösung der enormen Komplexe, die sich seit dem Krieg innerhalb der Familie aufgeworfen haben, und sie finden sich im Titel wieder: „Ein mögliches Leben“ meint nicht nur die konkreten Verzweigungen, die Franz 1945 genommen hat, als er sich für dieses und kein mögliches anderes Leben entschieden hat, sondern es meint auch die Möglichkeit, dass dieses Leben des Deutschen Franz Schneider möglich und denkbar für eine ganze Generation ist.

„Ein mögliches Leben“ gewährt beim Lesen keinen leichten Einstieg und nimmt erst später Fahrt auf. Die subtile Familiengeschichte aber ist unbedingt lesenswert.

Veröffentlicht am 10.01.2018

Die Witwe einer Generation?

Olga
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Bernhard Schlink kann es mir nicht recht machen. Oder ist es Olga? Jedenfalls hinterlässt die Lektüre von „Olga“ bei mir den faden Geschmack eines zu lange offenen Weines: Auch wenn die Idee „Südhang“ ...

Bernhard Schlink kann es mir nicht recht machen. Oder ist es Olga? Jedenfalls hinterlässt die Lektüre von „Olga“ bei mir den faden Geschmack eines zu lange offenen Weines: Auch wenn die Idee „Südhang“ ist (um im Bild zu bleiben), die Reben erste Wahl und der Winzer ein Könner, ist am Ende das Produkt ein in drei ungleiche Teile zerfallendes Stückwerk.

Olga ist Ende des 19. Jahrhunderts geboren, wächst als Waise ungeliebt von der Großmutter bei ebendieser im schlesischen Nirgendwo auf, verbringt die Jugend mit Herbert Schröder, dem Sohn des neureichen Gutsherrn, wird seine Geliebte und heimliche Verlobte, kämpft sich gegen die widrige Rückständigkeit der gestrigen Männerwelt durch höhere Schule, Studium und Schuldienst, verliert Herbert als Arktisforscher im ewigen Eis, um ertaubt als Näherin die Nachkriegszeit am Rhein zu erleben. Hier inspiriert sie den jungen Ferdinand mit ihren Erzählungen vor allem ihres geliebten Herberts in ähnlicher Mentorschaft wie den Jungen Eik in ihrer Lehrerstelle bei Tilsit. Sie stirbt mit einem Knalleffekt, den Schlink uns am Ende des Romans beschert.

Wem diese Zusammenfassung zu nüchtern erscheint, der lese den ersten Teil des Romans: Der Tonfall ist ähnlich distanziert, verknappend, deskriptiv. Ich hatte das Gefühl, das Exposé zu einem Roman zu lesen, nicht aber einen Roman. Schlink lässt uns nicht nah an die Figuren heran, weder an Olga noch an Herbert Schröder noch an dessen eifersüchtige Schwester. „Die Angst, schwanger zu werden, können sich Menschen heute nicht vorstellen“, lese ich auf Seite 51 und kann es mir auch nicht vorstellen, weil Schlink uns diese Angst nur bezeichnet, aber nicht vorführt. Das ist schade, denn Olgas Leben ist außergewöhnlich, ich hätte gern mit ihr gefühlt. Übrigens ist ihr Herbert auch außergewöhnlich, denn es handelt sich um den tragischen deutschen Arktisforscher Herbert Schröder-Stranz, dessen Leben einen eigenen Roman wert wäre und dessen Schicksal im ewigen Eis vielleicht sogar am Anfang von Schlinks Idee zu „Olga“ gestanden haben mag. Aber die Geschichte eines gescheiterten Arktisforschers im Spiegel der zurückbleibenden Geliebten zu schreiben, mag zwar pfiffig sein, bleibt aber eine Arktisforschergeschichte ohne Arktis …

Der zweite Teil des Romans wird von Ferdinand bestritten, dem Olga eine Mentorin gewesen ist, indem sie ihm als Näherin in der Familie mit Literatur und den Geschichten aus ihrer Zeit und ihrem Leben eine Richtung gegeben hat. Hier wird Olga zu „Fräulein Rinke“, und jetzt erst wird klar, dass der erste Teil Olgas Leben referiert hat, sozusagen wie Ferdinand es sich aus den Erzählungen Fräulein Rinkes zusammengebastelt hat. Ferdinand erzählt nun den letzten Teil von Olgas Leben, den er miterlebt hat. Ferdinand selbst ist zwar der beste Olga-Kenner seit Herberts Tod, aber sein ganzes Leben passt auf die Seiten 168 bis 170: vom Ende des Studiums bis zur Pensionierung. Irgendwie … fad.

Im dritten Teil spürt Ferdinand Olgas Leben nach und hebt findig den Schatz ihrer Briefe an den verschollenen Herbert. Diese Briefe bilden den dritten Teil des Buches und schließen die Lücke zwischen der jungen Olga und dem alten Fräulein Rinke. Diese Briefe klingen in dem emotionalen Ton, dem liebevollen Detail und der persönlichen Nähe des Romans, wie ich sie zuvor so vermisst habe. Nun aber werfen sie die Frage auf, wie die drei Olgas eigentlich zusammengehören? Passen sie eigentlich? Will Schlink uns sagen, dass unsere Persönlichkeiten so facettenreich sein können, dass wir einander nie ganz kennen können? Wenn ja, dann habe ich das schon deutlich raffinierter gelesen, wenn nein, dann ist die ganze Figur so eine Art Unfall.

Schlink will mit dem Roman, der mehr als ein Jahrhundert überspannt und in seinen Figuren von Bismarck über Wilhelm II., die Nazis, Adenauer bis hin zu Rudi Dutschke berührt, offenbar aber auch große deutsche Fragen klären, womöglich sogar großdeutsche. Olga schreibt über ihr Leben, sie sei nicht Herberts Witwe, nicht die Witwe eines möglichen Heiratsaspiranten unter ihren Kollegen in Tilsit, sondern „Bernhard Schlink kann es mir nicht recht machen. Oder ist es Olga? Jedenfalls hinterlässt die Lektüre von „Olga“ bei mir den faden Geschmack eines zu lange offenen Weines: Auch wenn die Idee „Südhang“ ist (um im Bild zu bleiben), die Reben erste Wahl und der Winzer ein Könner, ist am Ende das Produkt ein in drei ungleiche Teile zerfallendes Stückwerk.

Olga ist Ende des 19. Jahrhunderts geboren, wächst als Waise ungeliebt von der Großmutter bei ebendieser im schlesischen Nirgendwo auf, verbringt die Jugend mit Herbert Schröder, dem Sohn des neureichen Gutsherrn, wird seine Geliebte und heimliche Verlobte, kämpft sich gegen die widrige Rückständigkeit der gestrigen Männerwelt durch höhere Schule, Studium und Schuldienst, verliert Herbert als Arktisforscher im ewigen Eis, um ertaubt als Näherin die Nachkriegszeit am Rhein zu erleben. Hier inspiriert sie den jungen Ferdinand mit ihren Erzählungen vor allem ihres geliebten Herberts in ähnlicher Mentorschaft wie den Jungen Eik in ihrer Lehrerstelle bei Tilsit. Sie stirbt mit einem Knalleffekt, den Schlink uns am Ende des Romans beschert.

Wem diese Zusammenfassung zu nüchtern erscheint, der lese den ersten Teil des Romans: Der Tonfall ist ähnlich distanziert, verknappend, deskriptiv. Ich hatte das Gefühl, das Exposé zu einem Roman zu lesen, nicht aber einen Roman. Schlink lässt uns nicht nah an die Figuren heran, weder an Olga noch an Herbert Schröder noch an dessen eifersüchtige Schwester. „Die Angst, schwanger zu werden, können sich Menschen heute nicht vorstellen“, lese ich auf Seite 51 und kann es mir auch nicht vorstellen, weil Schlink uns diese Angst nur bezeichnet, aber nicht vorführt. Das ist schade, denn Olgas Leben ist außergewöhnlich, ich hätte gern mit ihr gefühlt. Übrigens ist ihr Herbert auch außergewöhnlich, denn es handelt sich um den tragischen deutschen Arktisforscher Herbert Schröder-Stranz, dessen Leben einen eigenen Roman wert wäre und dessen Schicksal im ewigen Eis vielleicht sogar am Anfang von Schlinks Idee zu „Olga“ gestanden haben mag. Aber die Geschichte eines gescheiterten Arktisforschers im Spiegel der zurückbleibenden Geliebten zu schreiben, mag zwar pfiffig sein, bleibt aber eine Arktisforschergeschichte ohne Arktis …

Der zweite Teil des Romans wird von Ferdinand bestritten, dem Olga eine Mentorin gewesen ist, indem sie ihm als Näherin in der Familie mit Literatur und den Geschichten aus ihrer Zeit und ihrem Leben eine Richtung gegeben hat. Hier wird Olga zu „Fräulein Rinke“, und jetzt erst wird klar, dass der erste Teil Olgas Leben referiert hat, sozusagen wie Ferdinand es sich aus den Erzählungen Fräulein Rinkes zusammengebastelt hat. Ferdinand erzählt nun den letzten Teil von Olgas Leben, den er miterlebt hat. Ferdinand selbst ist zwar der beste Olga-Kenner seit Herberts Tod, aber sein ganzes Leben passt auf die Seiten 168 bis 170: vom Ende des Studiums bis zur Pensionierung. Irgendwie … fad.

Im dritten Teil spürt Ferdinand Olgas Leben nach und hebt findig den Schatz ihrer Briefe an den verschollenen Herbert. Diese Briefe bilden den dritten Teil des Buches und schließen die Lücke zwischen der jungen Olga und dem alten Fräulein Rinke. Diese Briefe klingen in dem emotionalen Ton, dem liebevollen Detail und der persönlichen Nähe des Romans, wie ich sie zuvor so vermisst habe. Nun aber werfen sie die Frage auf, wie die drei Olgas eigentlich zusammengehören? Passen sie eigentlich? Will Schlink uns sagen, dass unsere Persönlichkeiten so facettenreich sein können, dass wir einander nie ganz kennen können? Wenn ja, dann habe ich das schon deutlich raffinierter gelesen, wenn nein, dann ist die ganze Figur so eine Art Unfall.

Schlink will mit dem Roman, der mehr als ein Jahrhundert überspannt und in seinen Figuren von Bismarck über Wilhelm II., die Nazis, Adenauer bis hin zu Rudi Dutschke berührt, offenbar aber auch große deutsche Fragen klären, womöglich sogar großdeutsche. Olga schreibt über ihr Leben, sie sei nicht Herberts Witwe, nicht die Witwe eines möglichen Heiratsaspiranten unter ihren Kollegen in Tilsit, sondern „die Witwe einer Generation“. (S. 289). Das ist dann doch ein wenig zu groß - und zu Großes hat Olga an den Deutschen, den deutschen Männern immer gehasst. Zu recht.

Zu große Ideen in einem zu kleinen Roman in drei ungleichen Teilen - das gefällt mir nicht. “. (S. 289). Das ist dann doch ein wenig zu groß - und zu Großes hat Olga an den Deutschen, den deutschen Männern immer gehasst. Zu recht.

Zu große Ideen in einem zu kleinen Roman in drei ungleichen Teilen - das gefällt mir nicht.