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Veröffentlicht am 05.09.2017

Spannender Bürgerkriegskrimi fr Leute "mit dickem grauen Fell"

Der Preis, den man zahlt
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„Der Preis, den man zahlt“ ist ein fesselnder Roman in der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs, der dem skrupellosen Überlebenskünstler Lorenzo Falcó auf brutale Weise abverlangt, seinen Auftrag auszuführen ...

„Der Preis, den man zahlt“ ist ein fesselnder Roman in der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs, der dem skrupellosen Überlebenskünstler Lorenzo Falcó auf brutale Weise abverlangt, seinen Auftrag auszuführen und zu überleben. Das ist für seine Auftraggeber nicht ein und dasselbe …

Falcó ist ein Mann mit Vergangenheit: Trotz seiner jungen Jahre (er ist keine Vierzig) hat er bereits in vielen Kriegen gekämpft, Waffen an fast jede europäische Partei verkauft und zahlreiche Menschen um die Ecke gebracht. Er ist kein sympathischer Mensch, sondern Agent einer Spezialeinheit des Servicio Nacional de Información y Operaciones – des faschistischen Geheimdienstes. Seine Extratouren, seine Einzelkämpfermentalität und seine Abneigung gegen Uniformen und Politik kann sich Falcó nur leisten, weil er erstens gut ist und zweitens von seinem Chef väterlich protegiert wird. Dieser Admiral ist die hervorragend gezeichnete Figur eines „gefährlichen Mentors“. Falcós Auftrag führt ihn nach Alicante in die Rote Zone, also den Teil Spaniens, den noch die Kommunisten und ihre Verbündeten halten, wo er den Gründer der Falangisten-Bewegung José Antonio Primo de Rivera aus dem Gefängnis befreien soll.

Hier beginnt der Roman auf atemberaubende Weise in die Schlangengrube des faschistischen Spaniens hinabzusteigen, denn an Falcós Auftrag haben diverse Strömungen auf der franquistischen Seite ihr mörderisches Interesse, ganz zu schweigen von den verbrecherischen Schlapphüten der deutschen und italienischen Geheimdienste und nicht zuletzt der Kommunisten in der Roten Zone selbst, deren internationalen Verbündeten auch nicht von Pappe sind. Wer solche Verbündete hat wie der Admiral und sein getreuer Falcó, muss nicht nur seine Feinde fürchten …

Der Roman ist so brutal wie der Bürgerkrieg und erspart dem Helden nicht das schmutzige Blutvergießen. Der Protagonist hat keine weiße Weste, sondern heult mit den Wölfen in einer Zeit der Wölfe. „Früher oder später (…) ging einfach alles den Bach runter (…). Deshalb war ein dickes graues Fell von Nutzen.“ (S. 173) Mit diesem grauen Fell muss der einsame Wolf Falcó in diesem Hexenkessel beweisen, dass er noch ein bisschen Mensch ist und noch einen Funken Ehre im Leib hat. Und dabei geht es nicht allein um die Frau, die er (vielleicht) liebt, weil sie ihm (womöglich) so ähnlich ist, sondern auch und vor allem um ihn selbst: Ist er bereit, jeden Preis zu bezahlen? Oder gibt es Dinge, deren Wert unbezahlbar ist?

Was Arturo Pérez-Reverte gut kann, sind abenteuerliche Geschichten von Einzelkämpfern. So auch hier: Spannend, fesselnd und cineastisch.

Veröffentlicht am 30.08.2017

von wegen "home of the brave and land of the free"

Underground Railroad
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In „Underground Railroad“ erzählt Colson Whitehead die Geschichte der Flucht der Sklavin Cora von der Randall Farm in Georgia - und die Geschichte der niederschmetternden Umstände, die in der Mitte des ...

In „Underground Railroad“ erzählt Colson Whitehead die Geschichte der Flucht der Sklavin Cora von der Randall Farm in Georgia - und die Geschichte der niederschmetternden Umstände, die in der Mitte des 19. Jahrhunderts die schwarze Bevölkerung Amerikas in den rassistischen Fängen der Sklaverei hielten.

Gegliedert in zwölf Kapitel, abwechselnd nach einer Person und einem amerikanischen Staat betitelt, öffnet das letzte Kapitel als „Der Norden“ die Enge der bisherigen Romanstruktur. Whitehead hat seinen Roman durchkomponiert und seinem Anliegen Form und Struktur des Romans unterworfen – aber auch die historische Wirklichkeit. Coras Geschichte wird chronologisch in den geographisch betitelten Kapiteln erzählt, dagegen berichten die nach Personen benannten Kapitel eben deren Geschichten in der nötigen Kürze und mit dem notwendigen Vorlauf: Man erfährt von Coras Großmutter und ihrer der Vorgeschichte auf Randalls Farm. Man lernt die Motivationen des Sklavenjägers Ridgeway kennen oder des Mediziners Stevens. Ethels und Caesars geheime Wünsche und Antriebsgründe werden in den jeweiligen Kapiteln berichtet und ganz zum Schluss das Schicksal von Coras Mutter Mabel, dessen Pointe so wenig überrascht, wie sie dennoch als Clou funktioniert.

Flucht aus Georgia

Cora flieht vor der Gewalt und Willkür, der sie als Sklavin ihrem Besitzer unterworfen ist, weil sie Hoffnung hat: Zum einen gelang schon einer Sklavin vor ihr die Flucht, ihrer Mutter Mabel nämlich, wohingegen alle anderen Fluchten in blutiger Bestrafung geendet hatten; zum anderen hofft sie auf Hilfe durch die „Underground Railroad“, einer Menschenschmuggelinstitution, die im Untergrund wirkt, um Sklaven zu helfen, den rettenden Norden Amerikas zu erreichen, wo sie frei sein können. Es ist ausgerechnet der Sklavenjäger Ridgeway, der als Erster die Existenz dieser Untergrundbahn erwähnt (S. 53). Cora wird von Caesar zur Flucht angestiftet, mit dem sie die Tunnels der Underground Railroad nutzt, um nach South Carolina zu fliehen. Sie wird vom Stationsvorsteher in Georgia aufgefordert, bei der Fahrt aus dem Fenster zu sehen: „Wenn man sehen will, was es mit diesem Land auf sich hat, dann muss man auf die Schiene. Schaut hinaus […] und ihr werdet das wahre Gesicht Amerikas sehen.“ (S. 85)

Der goldene Käfig South Carolinas

Bisher war das wahre Gesicht Amerikas für Cora die Plantage der Randalls in Georgia. Die Erniedrigungen, die harte Arbeit, die Rechtlosigkeit, die Willkür und die Gewalt. Nun sieht sie das Gesicht South Carolinas, wo es keine Sklaverei gibt. Cora arbeitet als Hausmädchen, dann in einem Museum. In einem lebendigen Diorama stellt sie das Leben der Schwarzen dar: im afrikanischen Karl, bei der quälenden Überfahrt und als Plantagensklavin im amerikanischen Süden. In diesem Museum wird die Unwürdigkeit ihres Daseins gespiegelt und verzerrt. Cora begreift, dass sie hier in einem von Weißen erdachten Konstrukt von Wahrheit mitwirkt, das mit der Realität auf der anderen Seite nichts zu tun hat. „Die Wirklichkeit war eine wechselnde Auslage in einem Schaufenster, von menschlicher Hand verfälscht“. (S. 137) Das ist mit der Wahrheit freilich immer so, ganz unabhängig von der Rassenfrage. Cora aber wird durch ihre Museumserfahrung deutlich auf ein Grundprinzip der amerikanischen Gesellschaft gestoßen: Schwarze wie Weiße sind von anderen Kontinenten hierher gekommen, wobei die Weißen sich das Land und die Menschen aus Afrika einfach genommen haben, und das Unrecht der Neuen Welt lässt sich in dem Satz zusammenfassen: „Geraubte Menschen bearbeiten geraubtes Land“ (S. 138). Noch etwas Anderes lernt Cora: dass nämlich die Hilfsbereitschaft der Weißen in South Carolina keineswegs einem Muster der Sklavenbefreiung oder gar einem Weg in die Gleichberechtigung folgt. Im Gegenteil: Der Paternalismus der Weißen - hier veranschaulicht in der Gestalt von Dr. Stevens und einem Sterilisationsprogramm - führt zu einer Bevormundung der Schwarzen, die ebenfalls von tiefgehender Verachtung geprägt ist und nicht vom Gedanken der Menschenbrüderlichkeit. Zwar ist Cora hier freier, aber der noch lange nicht frei. Der Käfig in South Carolina ist nur subtiler und weniger gewalttätig, aber genauso existentiell (indem die Zukunft der Schwarzen durch die Unfähigkeit zur Nachkommenschaft beseitigt wird).

Rassistischer Terror in North Carolina und Tennessee

Der Sklavenjäger Ridgeway taucht wieder auf, und Cora muss durch den Untergrund erneut fliehen. Sie gelangt allerdings in die Sackgasse North Carolinas, wo die Station geschlossen ist und die Geflüchtete auf dem Dachboden des Stationsvorstehers Martin und seiner Gattin Ethel viele Wochen verbringen muss. Da ihr Versteck mitten in der Stadt ist, kann Cora beobachten, wie North Carolinas neue Rassengesetze die Schwarzen vollständig entrechtet und vernichtet haben. Eine Allee der Toten zieht sich bis zum Horizont, und jeden Samstag feiert sich der weiße Mob beim gemeinschaftlichen Lynchen der doch noch innerhalb der Grenzen aufgegriffenen Schwarzen. Die beklemmende Atmosphäre in diesem Bundesstaat ist von den faschistoiden Regulatoren und einer Kultur des Denunziantentums geprägt. Auch von hier kommt Cora hinfort, in den Ketten des Ridgeways, in das benachbarte Tennessee. Hier hat ein Buschfeuer, das ein Funke nur entzündet hat, das halb Land in Schutt und Asche gelegt. Das Feuer folgte der zwangsweisen Vertreibung der indianischen Ureinwohner aus Tennessee, die auf dem „Pfad der Tränen“ 1838/39 zu Tausenden vertrieben und in den Tod gedrängt wurden. Inmitten dieser Wüste aus Asche und Sand lenkt nicht Äußeres von dem Dialog zwischen Ridgeway und Cora ab.

Ridgway und Cora – der amerikanische Imperativ

Sklavenjäger und gejagte Sklavin führen mehrere Gespräche über die amerikanische Gesellschaft, das Selbstverständnis des weißen Mannes und die Ausweglosigkeit von Coras Hoffnung auf ein besseres Leben als Schwarze. Dieser Dialog ist das Herz des Romans, insbesondere was die rassistische Logik Amerikas betrifft. Hier offenbart Whitehead die tief zielende Kritik seines Romans an Amerika und seiner Gesellschaft, die auf einem Gründungsfundament fußt, das von Raubtieren errichtet wurde, dem Gesetz Amerikas. „Es bedeutet, dass man sich nimmt, was einem gehört, sein Eigentum, alles, was man dazu erklärt.“ (S. 254) Das sei der „amerikanische Imperativ“ (S. 255), das Gesetz einer Gesellschaft von Weißen für eine Welt in der alles möglich ist – wenn man weiß ist. Coras Kommentar: „Ich muss mal aufs Klo.“

Ridgeway als Vertreter der weißen Machthaber (des Südens) verdeutlicht die Ausweglosigkeit der Flucht für Cora. Selbst später, in Indiana, wo Ridgeway und Cora erneut aufeinandertreffen, wird deutlich, dass es für die Schwarzen in dieser Zeit und in dieser Welt kein Miteinander geben kann. „Als gäbe es auf der Welt keine Orte, wohin man sich flüchten konnte, sondern nur solche, die man fliehen musste (S. 295). Der kluge, aufgeklärte, gebildete Schwarze mit Erfolg ist eine Gefahr für den Weißen, erklärt Ridgeway, weshalb der Weiße den Aufstieg der Schwarzen nie dulden werde. „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt“, schreibt Schiller in „Wilhelm Tell“. Und so ergeht es den Schwarzen in einer durch und durch rassistischen Welt, in der ein „Weltkrieg zwischen Schwarz und Weiß“ tobt. Denn vor der eigenen Hautfarbe kann man nicht fliehen.

Das ist der gegenwärtige Ansatz von Whiteheads Kritik an der amerikanischen Gesellschaft, in der noch immer der verderbte Kern der Anfangsjahre steckt. Der Gründungsmythos als „Heimat der Tapferen und Land der Freien“ hat die schwarzen Sklaven nicht einbezogen. Selbst wenn die (1813 gedichtete) amerikanische Hymne singt:

And the star-spangled banner
in triumph shall wave
O’er the land of the free
and the home of the brave!

Das Land der Freien muss sich wacker anstrengen um das Land der Freien zu bleiben, wenn schon die Gründungslegende eine Illusion ist. „Und auch Amerika ist eine Illusion, die größte von allen.“, sagt der Bürgerrechtler Lander in Indiana (S. 326).

Deshalb ist der Rat des Stationsvorstehers in Georgia, auf der Fahrt mit der Underground Railroad aus dem Fenster zu sehen, um das wahre Gesicht Amerikas zu sehen, ein sarkastischer Scherz, „[…] von Anfang an ein Witz. Auf ihren Fahrten herrschte vor den Fenstern nur Dunkelheit, und dort würde auch immer nur Dunkelheit herrschen.“ (S. 301)

Whiteheads Methode der Verdichtung

Autor Colson Whitehead bedient sich vieler historischer Ereignisse während Coras Flucht, die nie zeitgleich stattgefunden haben. Die Handlung ist in den 1850er Jahren anzusiedeln, noch vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg 1861/65, aber nach dem Pfad der Tränen 1838/39. Zu dieser Zeit gab es noch keine Fahrstühle in Hochhäusern; die Regulatorenbewegung in North Carolina war bereits fast fünfzig Jahre Geschichte, die geänderte Gesetzgebung in South Carolina folgte 3erst fast fünfzig Jahre späte r(und deutlich schwächer). Whitehead verdichtet den historischen Hintergrund, was deshalb stimmig ist, weil die Momente alle Facetten jener generationenübergreifenden rassistischen Diskriminierung sind, die Whitehead anprangert, weshalb das Datum für die historische Wahrheit unerheblich ist.

Ähnlich verhält es sich mit der Underground Railroad selbst: es hat freilich nie eine Untergrundbahn in Amerika gegeben, auf der Sklaven aus dem Süden fliehen konnten. Die Bahn ist eine große Metapher für die geheimen Fluchtwege, die klandestinen Pfade der Freiheitsuchenden und das notwendige Dunkel, durch das die Flucht gehen musste. Die Metapher veranschaulicht auch, dass ein Unterfangen, dass sich gegen ein ganzes gesellschaftliches System stellt, vieler Hände Mithilfe bedarf und ein großangelegtes Unternehmen sein muss. Der Kunstgriff entspricht dem in der lateinamerikanischen Literatur besonders beheimateten „magischen Realismus“.

Fazit

Colson Whitehead hat ein für den deutschen Leser vollkommen unterbelichtetes Themenfeld aufgeschlossen und einen neuen Sklavenroman, einen Anti-Sklaven-Roman geschrieben. Er hat das kritische Thema in der Person Coras und dem Antagonismus zu Ridgeway angefasst und „erlebbar“ gemacht. Das ist großartig gelungen und zurecht mit dem politisch eingefärbten Pulitzer-Preis ausgezeichnet: „For a smart melding of realism and allegory that combines the violence of slavery and the drama of escape in a myth that speaks to contemporary America.” Whiteheads Stil ist dabei häufig journalistenhaft und nicht immer eingängig zu lesen, gleichwohl eines der wichtigsten Bücher des Jahres!

Veröffentlicht am 29.08.2017

Hängen an den Fäden in Händen eines Anderen

Marionetten
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Das Aktuelle dieses Romans ist sein schonungsloser Blick in die Panikreaktionen der Gesellschaft, die festgefahrenen Handlungsmuster und die einfache Schwarz-Weiß-Schematik des Freund-Feind-Denkens im ...

Das Aktuelle dieses Romans ist sein schonungsloser Blick in die Panikreaktionen der Gesellschaft, die festgefahrenen Handlungsmuster und die einfache Schwarz-Weiß-Schematik des Freund-Feind-Denkens im so genannten „Kampf gegen den Terror“. John le Carré zeigt dies in den mechanischen Reaktionen der Geheimdienste, die um den verdächtigen in Hamburg auftauchenden Flüchtling Issa Karpow ein Interpretationskunstwerk aufhäufen. Diese Mechanismen erklären sich aus den vermeintlichen Versäumnissen der Vergangenheit, als nämlich niemand die mörderischen Pläne der Hamburger Zelle aufdeckte, die zu den Anschlägen am 11. September 2001 geführt hatten.
Gleichzeitig offenbaren die Winkelzüge, die die Behörden anstrengen, um Issa als Werkzeug gegen den schon lange verdächtigen Terrorfinanzier Dr. Abdullah einsetzen zu können, die menschliche Kälte, mit der Geheimdienste die Schicksale Einzelner instrumentalisieren. Sowohl die ins Visier Genommenen als auch die Schlapphüte, die durch das Visier schauen, sind hierbei Marionetten an Handlungsfäden, die durch übergeordnete Prinzipien festgelegt werden: Sicherheit geht vor Freiheit. John le Carré führt die Kritik daran - wie in allen seinen Romanen - durch eine langsam und sorgfältig erzählte Handlung vor. Vor allem die Hauptpersonen bestechen durch eine vielschichtige Konstruktion, wobei Issa Karpow und der Privatbankier Tommy Brue hier besonders hervorstechen. Sie sind verbunden durch Schwarzgelder, die Issas sinisterer Vater in der Privatbank deponiert hatte. Beide Figuren lassen sich überdies durch ihren Vaterkonflikt parallelisieren, der letztlich auch als ein Marionettendasein beschrieben werden kann, insofern jeder Mensch an den Fäden der Verwandtschaft und Vergangenheit hängt, die ihn mit seinem Vater verbindet.
Die Handlung entwickelt sich nur langsam, so dass der Roman nicht so spannend erscheint: Issa und das Geld werden von den Hamburger Beamten Günther Bachmann und Erna Frey ins Zentrum ihrer Versuche gestellt, an Dr. Abdullah heranzukommen. Beweise seines Terrorgeschäftes sollen von Bankier Tommy Brue und der Flüchtlingsanwältin Annabel Richter beschafft werden, die sich beide gegen ihre Grundsätze hierfür einspannen lassen. Am Ende reißt dem amerikanischen Geheimdienst der Geduldsfaden, was zu einem abrupten Ende führt, das gleichwohl zum her pessimistischen Tonfall des Buchs passt. Es ist vor allem lesenswert im Hinblick darauf, wie Vorurteile Handlungsmuster auslösen können, die durch individuelle Unvoreingenommenheit vermieden werden könnten,
„Marionetten“ ist ein gutes und hintergründiges Buch, dem man Zeit geben sollte, um seine Vielschichtigkeit darlegen zu können.

Veröffentlicht am 29.08.2017

Für alle, die Eric Ambler und John le Carré mögen!

Das Schattencorps
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„Das Schattencorps“ von Bernd Ohm spielt in der kurzen heißen Zeit des Kalten Krieges, im Jahr nach dem Mauerbau und der Konfrontation der Blockmächte in der Türkei und China. Nicht ohne Grund ist das ...

„Das Schattencorps“ von Bernd Ohm spielt in der kurzen heißen Zeit des Kalten Krieges, im Jahr nach dem Mauerbau und der Konfrontation der Blockmächte in der Türkei und China. Nicht ohne Grund ist das Buch als „Spionageroman“ untertitelt, denn die Handlung spielt sich im unklaren Nebelfeld der westlichen und östlichen Geheimdienste ab, von denen gar nicht klar ist, ob sie mitmischen, wer für welchen Dienst steht und mit welchem Ziel eigentlich. In diesem Nebel bewegen sich überdies die alten Nazikader, die sich entweder dem Zugriff der Justiz entzogen oder sich einfach nach der Niederlage des Deutschen Reichs weggeduckt haben, ohne ihre inneren Überzeugungen von Blut und Boden aufzugeben. das ist die Situation, in die der Handlungsfaden führt:

Hans Barkhusen ist Anfang Dreißig, Taucher und ehemaliger Napolaschüler mit anschließender Guerillaausbildung, der von seinem Schwager Fritz Lehmann in eine abenteuerliche Kiste hineingezogen wird: Hans soll helfen, den sagenhaften „Rommelschatz“ zu heben, der aus dem im Mittelmeer versenkten „Raubgold“ der nordafrikanischen Juden bestand. Dazu soll Hans auch seine alten Kontakte spielen lassen, nämlich zu einer „Werwolf“-Truppe, die nach dem Krieg nicht von den Nazis, sondern von den Briten in Wasserkampf und Guerillataktik ausgebildet wurden. In diesem Dunstkreis befinden sich auch die Waffenhändler Ira von Mallank und Max von Krein, die in die Aktion eingebunden werden, sowie Hans‘ ehemaliger britischer Führungsoffizier Rowland.

Schnell wird klar, dass alles viel verworrener ist, als Hans und der Leser ahnen: Was planen eigentlich die alten Nazis? Wer trauert dem Reich nach und will es womöglich wieder auferstehen lassen? Welche Kriegsspiele veranstalten die „alten Kameraden“ in den Wäldern bei Hamburg? Wie spielt Schwager Fritz von er Münchner Kripo mit hinein und wen schleppt Max von Krein, der reichsdeutsche Tausendsassa, an, um die Schatzsuche zu unterstützen?

Die ganze Truppe begibt sich nach la Spezia, um dort in einem Katz-und-Maus-Spiel dem Rommelschatz hinterherzujagen und den anderen Beteiligten die Maske vom Gesicht zu reißen. Dabei begleitet der Leser den Protagonisten Hans Barkhusen, dessen abgeklärte Weltsicht - als Mensch nämlich dem Menschichsein treu bleiben zu wollen - ihn immer sympathischer werden lässt. In der italienischen Hafenstadt nimmt die Handlung gehörig Fahrt auf, während die Geheimdienste ihre sich überlagernden Interessen durchzusetzen versuchen.

Stil und Erzählweise

Bernd Ohms „Spionageroman“ nutzt die Leerstellen der Geschichte zwischen Kriegsende und Neubeginn geschickt, um die Motivationen seiner Figuren aus zum Teil nicht historischen Situationen und Lebensstationen herzuleiten. Das ist ebenso gekonnt wie auch die der Handlung zugrundeliegende Konfliktkonstruktion. Allerdings fällt es beim Lesen nach Beginn sehr schwer, die einzelnen Interessengruppen, ihre Vertreter und die Interessen auseinanderzuhalten. Auch die Entscheidung, Hans’ Hintergrund auf den ersten hundert Seiten nur langsam und durch ständige Andeutungen zu enthüllen, sorgt für eine gewisse Unschärfe, die wiederum meine Ungeduld geweckt hat. Der Roman ist im Präsens geschrieben, was eine ungewöhnliche Autorenentscheidung ist, die der Handlung allerding keineswegs zu fließen hilft.

Fazit

„Das Schattencorps“ ist ein verschachtelt konstruierter, historischer Krimi, der die beunruhigende Frage aufwirft, was die nach dem Kriegsende übriggebliebenen Nazis mit gern noch unserer Welt angestellt hätten. Wer die Romane der Großmeister Eric Ambler oder John le Carré kennt und mag, wird mit dieser deutschen Variante gut bedient sein.

Veröffentlicht am 16.08.2017

Mischung aus Seghers "Transit" und Greenes "Der dritte Mann"

Sixty to Go
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Der Roman spielt 1941 an der Riviera des Vichy-Regimes. „Sixty to Go“ sind die 60 Flüchtlinge, die der plötzlich aufgetauchte Amerikaner Bill versprochen hat, über die französisch-spanische Grenze zu bringen. ...

Der Roman spielt 1941 an der Riviera des Vichy-Regimes. „Sixty to Go“ sind die 60 Flüchtlinge, die der plötzlich aufgetauchte Amerikaner Bill versprochen hat, über die französisch-spanische Grenze zu bringen. Damit wird er Teil der Fluchthelfer-Clique um die Comtesse de Roseraye, genannt „Darling“, und den taffen Österreicher Jo Tarner, die in Nizza/Marseille der Gestapo und der kollaborierenden französischen Geheimpolizei ein Schnippchen schlagen.
Mit Bills Auftauchen - er ist auf der Flucht - verstärkt sich die Bande einerseits, andererseits gerät die Sache mit seinen Eskapaden außer Kontrolle. Der sinistere Tausendsassa ist kaum zu fassen: Was will er? Woher kommt er? Wohin geht er? Was kann er? ist er wirklich Trapezkünstler? Mit Bill ist Landshoff-Yorck eine ähnlich aufreizende Figur gelungen wie Graham Greene mit Harry Lime in „Der dritte Mann“. Die Stimmung an der Riviera fühlt sich an wie eine Mischung aus eben dem „dritten Mann“ und Anna Seghers „Transit“. Die Verhaftung Frantiseks, die Auftritte vorgeblicher Verbündeter aufseiten der Geheimpolizei, die Konfrontation mit goldbetressten Nazischergen erzeugen eine Spannung, die nur Bill mit seinen tollkühnen, unbekümmerten Aktione durchbrechen kann.
Was den Roman aber besonders lesenswert macht, ist sein Erscheinungsjahr: 1944. Hier wird eine Geschichte unmittelbar aus dem zeitgenössischen Kontext heraus erzählt, die noch nichts von den Vernichtungslagern weiß und die das Kriegsende noch nicht kennt. „Sixty to Go“ beschert ein Leseerlebnis wie Irène Némirovskys „Suite Française“, die ebenfalls das Ende noch nicht kannte.
Als den Handlungsfluss etwas störend empfand ich den Erzählstil, der etwas Episodenhaftes, Aufgereihtes hat. Dennoch: lesen!