Noch einen gebratenen Elch gefällig?
Der Mann, der mit Schlangen sprachUm es vorwegzunehmen: Andrus Kivirähks Roman „Der Mann, der mit Schlangen sprach“ hat mich nicht überzeugen können. Gar nicht. Außer einer originellen Idee, einer Reihe von skurrilen (und leider auch buchstäblich ...
Um es vorwegzunehmen: Andrus Kivirähks Roman „Der Mann, der mit Schlangen sprach“ hat mich nicht überzeugen können. Gar nicht. Außer einer originellen Idee, einer Reihe von skurrilen (und leider auch buchstäblich aufgereihten) Einfällen und bemerkenswerten Ideen sowie einer wirklich schicken Aufmachung durch die Hobbit-Presse des Klett-Cotta-Verlages kann ich dem Buch nichts abgewinnen.
Worum geht es?
Leemet stammt von den Waldleuten ab und lernt als Letzter die Schlangensprache, mittels der er die Tiere des Waldes kommandieren und mit den Schlangen kommunizieren kann. Das harte Leben der Waldleute aber ist bedroht durch das moderne Leben im Dorf, immer mehr wandern ab, um lieber Brot zu essen und Wollkleidung zu tragen, bis schließlich Leemet mit wenigen anderen allein ist im Wald. Diese Exposition einer mittelalterlichen Welt voller kleiner Facetten urtümlicher Magie nimmt die erste, handlungsarme Hälfte des Romans ein. In der zweiten Hälfte findet Leemet eine Frau, verliert sie wieder, findet eine neue, verliert auch diese, verliert seine Freunde, seine Verwandten, seinen Großvater, den Wald und gewinnt am Ende das hehre Amt des Wächters über den Nordlandwurm. Dieses mächtige Ungetüm beschützt die Waldleute, solange sie es mit kollektiver Schlangenzunge rufen konnten. Die Geschichte wird von Leemet selbst in der Ich-Perspektive in einem nicht endenden inneren Monolog referiert, der seine Denkweise und seine Sicht auf die sich wandelnde Welt darlegt. Leemet spricht mit sehr verhaltener Sentimentalität über den Niedergang seiner Kultur und über den Tod seiner Nächsten, wie er überhaupt wenig Emotionen mitbringt, erst recht nicht Mitleid mit den vielen Menschen und Tieren, die in diesem Roman zu Tode gebracht werden. Es ist dieser distanzierte, emotionslose Tonfall. die Distanz zwischen dem grausamen Geschehen und der lapidaren, ja bisweilen sarkastischen Kommentierung, die mich rätseln lässt, warum andere Leser hier Lesegenuss erleben.
Ich muss mich also fragen, ob ich den Roman missverstanden habe? Handelt es sich um eine große Allegorie, in der Krieg, Kolonisierung, Religion und Verklärung der Vergangenheit durch Verzerrung an den Pranger gestellt werden? Sind die skurrilen Einfälle eigentlich satirische Geniestreiche, die mit schwarzem Humor das Allzumenschliche aufs Korn nehmen? Und Satire soll ja bekanntlich weh tun. Geht es hier vielleicht auch um die Frage, was es bedeutet, Letzter zu sein, allein zu sein?
Möglich, dass ich alles missverstanden habe - aber nach meinem Dafürhalten könnte der Roman nur als intelligente Satire durchgehen, wenn er seine Welt konsistent und seine Charaktere glaubwürdig gestalten würde. Durch die Schlangensprache zerplatzende Rehe, sexuelle Beziehungen zwischen Mensch und Bär, billigste Klischees ignoranter Christen, einseitige Typen wie der Waldweise Ülgas oder der rabiate Tambet legen aber nahe, dass Kivirähk so viel Raffinesse nicht zuzutrauen ist.
Wie der Großvater auf das Kennenlernen seines Enkels Leemet reagiert, wirkt komplett unglaubwürdig (S. 256 ff.). Wie über das Brotessen als Wurzel allen Übels der Degeneration gesprochen wird, ist dümmlich und in keiner Weise geeignet, den Prozess der Zivilisation satirisch darzustellen (S. 131 ff.). Die Mengen an Fleisch, die etwa Leemets Mutter täglich auf den Tisch wirft, sind nur durch blutigste Massaker an den Tieren des Waldes denkbar - und lassen den Leser sich gleichzeitig wundern, wie das unnötige Abmessern von so vielen Bambis eigentlich mit dem Lob des mit der Natur im Einklang stehenden Lebens vereinbar sein soll (z.B. S. 149). Überhaupt zeigt sich hier wie auch an sehr vielen anderen Stellen, wie wenig Ahnung Kivirähk von der Größe eines Elchs, von der Wirklichkeit des Pflügens oder von dem konkreten Vorgang des In-die-Kehle-Beißens hat. Es geht nicht darum, dass Details korrekt sein sollen, sondern darum, dass eine Geschichte nur funktioniert, wenn sie im Rahmen der von ihr selbst festgelegten Gesetzmäßigkeiten glaubwürdig ist. Sätze wie der folgende lassen überdies offen zu Tage treten, wie absurd Tonfall und Meinungsäußerung oft sind, ohne dass sie gleichzeitig als satirische Überhöhung durchgehen können: „Ein Pflug ist ein irres Gerät, damit kann man Pflügen, das ist echt klasse“. (S. 228) Selbst die begeistertsten Dörfler können sich nicht derartig über das schweißtreibende Pflügen äußern; es handelt sich schließlich nicht um einen Sportwagen.
Die Gespräche der Figuren untereinander wirken oft hölzern und knapp neben der Spur (S. 363):
„Trotzdem musst du ihn nicht so stark drücken“, sagte Andreas und nahm den Helm an sich. „Ist doch wirklich schön, Männer, da kann man nicht meckern. Weltniveau! Ach, diese Ritter haben echt tolle Sachen.“
„Allerdings stimmten alle im Chor zu. „das ist was anderes als unsere alten Mützen.“
„Wie könnt ihr überhaupt einen so feinen Helm mit einer alten Mütze vergleichen!“, rief Andreas. „Der glänzt doch und ist aus Metall. (…) Ich setze ihn mir auf und alle Frauen machen sofort die Beine breit.“
Solche Dialoge haben kein Weltniveau, sondern stammen eher aus dem Improvisationstheater einer Pennälerbude. Hier fehlen Witz und ein glaubwürdiger Tonfall.
Womöglich ist auch die Übersetzung durch Cornelius Haselblatt schuld, die für das Rumpeln der Sätze verantwortlich sein mag. Punktuell liegt sie einfach daneben. Kostprobe? „Auch der Vogel, dem das Brüten misslingt, weil die Bäume ständig einstürzen, ist nicht schuld an seinem Schicksal.“ (S. 385) Bäume stürzen nicht ein, sie stürzen um.
Es kommt dem immer mehr mit dem Boden verwachsenden, ja zum Humus zerfließenden Narren Meeme in einem seiner denkwürdigen Auftritte zu, den meines Erachtens letztgültigen Satz zu äußern, nämlich "alles ist sinnlos". (S. 454)