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Veröffentlicht am 17.05.2019

Vorhang auf für Bangkok

Nana Plaza
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Vincent Calvino ist ein spannender Ermittler, der sich auf den Spuren der hard-boiled detectives durch ein grelles Bangkok ermittelt. Autor Christopher G. Moore versteht sein Handwerk gekonnt, indem ihm ...

Vincent Calvino ist ein spannender Ermittler, der sich auf den Spuren der hard-boiled detectives durch ein grelles Bangkok ermittelt. Autor Christopher G. Moore versteht sein Handwerk gekonnt, indem ihm zwei Dinge besonders gut gelingen:

Erstens erzählt er seinen Plot geschickt. Die eigentliche Story ist schnell duchschaut, doch wie sich die Details enthüllen und wie man gemeinsam mit Calvino und seiner bunten Truppe Schritt für Schritt beim Entwirren vorankommt, ist lesenswert, sehr gelungen und überdies spannend.

Zweitens ersteht aus der Kriminalgeschichte ein lautes, verwirrendes, lebendiges, fremdes Bangkok, das die zweite Hauptdarstellerin der Handlung wird. Bangkok ist mit seiner thailändischen Mentalität so plastisch, so widersprüchlich und so exotisch, dass ich hin- und hergerissen bin, ob ich es selbst sehen will oder lieber nicht. Dass sich in Bangkok gleichzeitig die Seele des kapitalistischen, sexistischen Mannes auf der Suche nach billigem, willigem Fleisch selbst verkauft und in einer teufelsförmigen Wolke in den Orkus dampft, ist die vielleicht schrecklichste Facette dieser Hauptdarstellerin.

Manchmal kritisiert Moore innertextlich die Handlungen anderer Kriminalgeschichten oder von Hollywood-Filmen als unglaubwürdig oder effekthascherisch - um dann denselben Fehler zu machen. Er kann auf einer Seite darstellen, dass ein Farang mit zwei Thai auffällt, weshalb er sich von den beiden trennen müsse, damit sie in der Menge untertauchen können - um dann diese Trennung auf den folgenden zig Seiten schlicht nicht herbeizuführen, weil sie ihm nicht in die cineastische Konzeption der Handlung passt.

Das fällt aber nicht so sehr ins Gewicht: ein guter Kriminalroman!

Veröffentlicht am 17.05.2019

Ein konservativer Spiegel mit verschleißendem Witz

Briefe in die chinesische Vergangenheit
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Rosendorfers "Briefe in die chinesische Vergangenheit" sind natürlich Rosendorfers Briefe an die (bayerische) Gegenwart. Indem er den tausend Jahre zuvor aufgebrochenen Kao-tai bemüht, einen Blick auf ...

Rosendorfers "Briefe in die chinesische Vergangenheit" sind natürlich Rosendorfers Briefe an die (bayerische) Gegenwart. Indem er den tausend Jahre zuvor aufgebrochenen Kao-tai bemüht, einen Blick auf unser Deutschland zu werfen, hält er ihm einen skurrilen Spiegel vor. Das ist oft sehr witzig, weil Rosendorfer Kao-tai genau beobachten lässt. Allerdings beschlägt der Spiegel rasch, wird zur Masche und verliert den ironischen Witz.

Das liegt auch und vor allem an dem, was Kao-tai kritisieren soll. Rosendorfer hat sich ja genau überlegt, was Kao-tai kritikabel finden soll, weil es "früher besser" war. Deshalb ist sein Text absolut gesellschaftskritisch zu lesen - und seine Haltung oft sehr konservativ, bisweilen sogar "tümelnd". Da spricht dann kein tausend Jahre alter Chinese, sondern ein 50 Jahre alter, wertekonservativer Bayer, gebürtig aus Bozen. Allein die Klassifizierung der Musik spricht da Bände.

Damir die Dosis des Lobs der vergangenen Zeit nicht zu groß wird, besser nicht am Stück lsen, sondern den oberflächlichen Witz in kleinen Portionen genießen.

Und dann den "Papalagi" lesen.

Veröffentlicht am 17.05.2019

Die Stärkung des Einzelnen gegenüber den Vielen

Pause für Wanzka
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Wenn ich heutzutage DDR-Literatur lese, dann habe ich oft das Gefühl, dass die Geschichte wie eine alte Matrizen-Kopie sind: blass, nicht farbecht, provisorisch und zu den Rändern hin altersbraun verfärbt. ...

Wenn ich heutzutage DDR-Literatur lese, dann habe ich oft das Gefühl, dass die Geschichte wie eine alte Matrizen-Kopie sind: blass, nicht farbecht, provisorisch und zu den Rändern hin altersbraun verfärbt. Das trifft in Teilen auch auf Wellms „Pause für Wanzka“ zu, aber dahinter steht eine humane, allgemeingültige Weisheit über die Notwendigkeit, das Individuum vor dem Kollektiv zu verteidigen. Und deshalb habe ich diesen Lehrerroman gerne gelesen.

Die Muffigkeit des DDR-Schulalltags entsteht auch durch die lähmende Ideologie, der sich Sprechen und Handeln des „Lehrerkollektivs“ unterwerfen, das wiederum seine Schüler unter die Kaderanforderungen der sozialistischen Einheitsgesellschaft zwingen will und soll. In diese muffige Provinzschule lässt sich der kurz vor der Pensionierung stehende Kreisschulrat Wanzka versetzen: Er will noch einmal richtig als Lehrer arbeiten, von Lehre zu Schüker, von Mensch zu Mensch. Schon dieser Wunsch erweist Wanzka als Individualisten aus, den sein Bürokratendasein in der Kreisschulbehörde zu einer Art inneren Immigration getrieben hat, aber auch dazu, wieder „konkret“ zu werden. „Konkret“ und „konsequent“ sind Modewörter der DDR-Gesellschaft jener Zeit. Wanzka eckt in der kleinen Schule in Mirenberg aber an, denn zu unkonventionell sind seine Methoden, zu nonkonform seine Ideen.

Der Roman holpert sich durch die unterschiedlichen Szenen von Wanzkas Verwandlung zunächst in den Vorbildlehrer und dann den leisen Lehrerrebellen. Als aber die Konfrontation zwischen dem System und Wanzkas Engagement für das Individuum akut wird, als er nämlich das von ihm entdeckte Mathematiktalent Norbert „Konsequent“ Kniep gegen die rechtwinklige Strenge des Stromlinienlehrers Seiler verteidigt, nimmt auch der Roman Fahrt auf. Die Wendung „gegen die Kollektiverziehung“ (S. 160) bringt Wanzka ins Abseits, wo er nur von seinem halbverrückten Kollegen Bientzek, dem Faktotum Pikors und der Junglehrerin Marlott Unterstützung erfährt.

In Marlott wächst das Verständnis für Wanzkas Anliegen, und in der finalen Konfrontation mit Seiler formuliert sie den Vorwurf: „Der Mensch müsse erst bezwungen werden, auf daß er für uns paßt, auf daß der für den Sozialismus paßt.“ (S. 313) Wellms Roman richtet sich gegen die Gleichmacherei des Kollektivs, das alles Außergewöhnlich wir Unkraut ausjätet, auch und vor allem Talente und Genies.

Ein Nachwort weist auf die Parallelen zwischen Wanzka und Wellm hin, der sich selbst al Kreisschulrat auf eine Lehrerstelle versetzen ließ, und erläutert auch den schwierigen Publikationsprozess des Romans in der DDR.

Die Reihe wiederentdeckter DDR-Romane im Verlag Faber & Faber beschert mit diesem Roman einen nicht immer konzis erzählten, aber lesenswerten Roman mit einem humanistischen Anliegen, dessen Gültigkeit noch immer besteht.

Veröffentlicht am 17.05.2019

mühsam und ertragsarm

Bryant Park
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Der Klappentext ist unfreiwilllig missraten: "Ulrich Peltzer schreibt ein Buch über New York, als plötzlich die Katastrophe vom 11. September 2001 in die Erzählung einbricht: Nachmittag in Manhattan. Im ...

Der Klappentext ist unfreiwilllig missraten: "Ulrich Peltzer schreibt ein Buch über New York, als plötzlich die Katastrophe vom 11. September 2001 in die Erzählung einbricht: Nachmittag in Manhattan. Im Bryant Park laufen die Vorbereitungen fürs Open-air-Kino. Ein Mann sitzt in der Public Library, seine Gedanken schweifen ab. In der 36. Straße stürzt ein Gerüst zusammen. In China kippt ein Sack Reis um."

Ach so - der Sack Reis ist natürlich von mir. Kam mir beim Lesen aber so vor. Warum dann zwei Punkte? Weil die paar Seiten aus dem New York des 11. September 2001 wirklich gelungen sind. Sie sind nur leider ein kurzer Moment des Atemholens.

Peltzer hat es ja so gewollt: Er konstruiert einen Text, dessen Ebenen sich verschränken, in- und übereinander schieben. Das ist kunstvoll, aber leider auch arg künstlich. Bei diesem formalen Konstruieren bleibt auf der Strecke, dass man auch etwas mitteilen sollte, wenn man sich mitteilt.

Womöglich ist mir auch entgangen, wie fein gesponnen Peltzers Erzählung sein mag. Die Rezensionen überschlagen sich ja in der Lobhudelei auf diese Erzählung. Weniger als Rezensent denn als Leser gesprochen, kann ich dem Text nicht viel abgewinnen.

Veröffentlicht am 11.05.2019

Vernünftig sein ist wie tot sein, nur früher

Dschungel
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Auf Seite 37 beginnt auf dem Grundschulhof die „Jugendstrafe“ des Erzählers - lebenslänglich: Er lernt Felix kennen, den extrovertierten, übergriffigen Sonnenschein von einem Draufgänger, in dessen bann ...

Auf Seite 37 beginnt auf dem Grundschulhof die „Jugendstrafe“ des Erzählers - lebenslänglich: Er lernt Felix kennen, den extrovertierten, übergriffigen Sonnenschein von einem Draufgänger, in dessen bann und Schatten er stehen wird – bis zur letzten Seite. Felix ist sogar dann noch da, wenn er nicht mehr da ist, sondern in Kambodscha verloren gegangen ist.

Der Erzähler begibt sich auf die Suche nach Felix, der dem Rest der Welt im Backpackermilieu im kambodschanischen Dschungel abhanden gekommen ist, angetrieben von Felix‘ Mutter, um Rückkehr gebeten von seiner Freundin Lea. Rückblenden in die gemeinsame Kindheit und Jugend des Erzählers und Felix‘ verschränken sich mit der Erzählung der Suche, bei der der Erzähler die dünne Spur seines übermächtigen Freundes aufnimmt und sich durch die Hippiekommunen, die blutige Geschichte der Khmer und den Mainstream der weitgereisten Rucksacktouristen wurschtelt.

Schnell ist klar: Der Erzähler hat ein Selbstwertproblem neben Felix: „Wer war dieser Typ? Und wer konnte man an seiner Seite noch sein?“ der Erzähler hat immer alles mitgemacht, war wie ein kleiner Bruder des großen Meinungsmachers, war in dessen Familie und deren Schicksale involviert. Obwohl der Erzähler ein überlegter, nachdenklicher Mensch ist, fasziniert ihn der andere, der Sätze wie diesen prägt: „Vernünftig sein ist wie tot sein, nur früher.“ (S. 290) Felix hat dem Erzähler nie gut getan, wie die vernünftige Lea immer wieder analysiert, aber lösen kann er sich von ihm nicht. Oder doch – jetzt im Dschungel? Auf einer Reise zu Felix, die auch eine Reise ins Ich ist?

Reisen als solches nimmt einen großen Raum ein – Karig wird nicht umsonst auch als Reiseschriftsteller bezeichnet. Dabei ist er ein Kritiker der Sehnsucht, seine Reise an unberührte Orte machen zu wollen, an denen es keine Touristen gibt. Der systemische Fehler dieser Sehnsucht ist ja: Selbst wenn man diesen Ort findet, ist es kein Platz an dem kein Tourist ist, denn den bringt man mit sich selbst ja mit. In starken Passagen des Romans nimmt Karig durch den Erzähler eine Außensicht auf den „alternativen Tourismus“ ein und beschreibt, was an ihm alles falsch läuft; angefangen damit, dass die naturliebenden Aussteiger zunächst mit kerosinschleudern in ihr Paradies geflogen sind und dort mit ihrem Geld, den westlichen Bedürfnissen und einer „Bulimie des Reisens“ (S. 261) die Verhältnisse auf den Kopf stellen: „Wir sind wieder zu Jägern und Sammlern geworden. Aber nicht um zu überleben, sondern um zu erleben.“ (S- 124) Die Reise kann die Leere der Reisenden nicht füllen bzw. das mit Wohlstandsmüll und kaputter Kindheit vollgestopfte Ich nicht retten.

„Dschungel“ hat an manchen Stellen eine solche Geschwindigkeit, dass man beim Lesen durchrauscht. Bisweilen hat mich die Lektüre von Mutproben auf Klippen und über sprudelnden Stauwehren in echte Höhenangst versetzt – das ist eine bemerkenswerte Erzählkunst, die sich im Roman gleichzeitig der Selbstrettung innerhalb unserer schrägen, globalisierten Welt und den scheinbar behüteten Sicherheitszonen widmet, an denen wir uns in Deutschland wähnen. Felix ist das Ultima Thule des Erzählers, der Weg dahin ein Trip an den Rand des Abgrunds.

Die Schlussfolgerung, die Karig am Ende zieht, wenn das Buch seine Handlung abschließt, gefällt mir allerdings nicht. Sie deutet sich früh an, doch laufen dei9 Handlung und ihre Interpretationsmöglichkeiten nicht zwangsläufig auf dieses Ende zu. Bis dahin aber: gelungen.

Gute Reise in den Dschungel!