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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 18.01.2019

Gute Laune im Hauptstadtrhythmus

Kriminalboogie
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Mara und Pia sind nicht nur zwei ungewöhnliche Ermittlerinnen - selbstbewusste Frauen mit zwei Beinen fest auf dem Boden, ein paar schrillen Schrullen und einer flexiblen Einstellung zu den Überraschungen ...

Mara und Pia sind nicht nur zwei ungewöhnliche Ermittlerinnen - selbstbewusste Frauen mit zwei Beinen fest auf dem Boden, ein paar schrillen Schrullen und einer flexiblen Einstellung zu den Überraschungen de Lebens. Sie sind auch Berlinerinnen, und dit is och jut so! Ines Eichelbaum trifft mit den beiden den Ton der Hauptstadt(region), weshalb das Berliner Idiom auch der heimliche Held des ausgesprochen rhythmischen „Kriminalboogies“ ist.

In dem als „humorvollen Berlin/Brandenburg-Krimi“ bezeichneten Roman erbt Mara von ihrer schrecklichen Tante Cäcilie nicht nur eine unbekannte Menge Geldes, sondern auch einen Haufen Ärger, wie ihn nur Wilmersdorfer Witwen - auch außerhalb der Linie 1 - verbreiten. Dass die beiden Ermittlerinnen zwischen einem Notar vom Kaliber Graf Zahls, einem Psychiater mit den Sympathiewerten Rasputins auch auf versoffene Brandenburger Bullen und eine quicklebendige und „okaye“ Rockabilly-Szene treffen, lässt die Handlung so richtig swingen. Lauter skurrile Figuren und schräge Begegnungen sorgen für eine anhaltend gute Laune bei der Leküre. Ein paar Adjektive könnte man weglassen - dann wäre noch mehr Platz für Mara und Pia, die im Übrigen selbstredend den richtigen Detektivriecher haben und den Fall und seine Nebenfälle aufmischen.

Rhythmus und Ton stimmen!

Veröffentlicht am 18.01.2019

„Ich habe gar nicht überlebt. Ich brauche nur länger, um zu sterben.“

In Gesellschaft kleiner Bomben
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Das Attentat von gestern vergessen wir schnell. Vor allem wenn es nur wenige Tote gefordert hat. Wenn nur eine kleine Bombe gezündet wurde. Wenn es einen Landstrich getroffen hat, mit dem wir nichts verbinden. ...

Das Attentat von gestern vergessen wir schnell. Vor allem wenn es nur wenige Tote gefordert hat. Wenn nur eine kleine Bombe gezündet wurde. Wenn es einen Landstrich getroffen hat, mit dem wir nichts verbinden. Wenn es um einen politischen Kampf geht, den die Mehrheit nicht versteht. Diese kleinen Bomben fordern dennoch Jahr für Jahr Opfer, in der Summe auch viele Todesopfer, und darüber hinaus auch viele Versehrte, Verkrüppelte, Verschreckte und Verdorbene.

Mahajans wichtiger Roman bringt uns ganz nah an eine dieser „kleinen Bomben“ heran, lässt uns sogar in starken Passagen zur Bombe werden, die die Augen aufreißt, und führt uns an die Opfer und Täter heran, die mit der Detonation der Bombe schicksalhaft verbunden werden: Täter, Opfer, Angehörige, Nachbarn, Aktivisten und Helfer. Als auf dem Markt Lajpat Nagar die kleine Bombe hochgeht, verlieren die Khuranas ihre beiden Söhne, deren Freund Mansoor aber überlebt. Das Ehepaar Khurana und Mansoor stehen im Mittelpunkt der Handlung - wir begleiten ihre Gefühle, Gedanken und Entwicklung eng und ungefiltert. Die Stärke des Romans ist die unsentimentale Abschaffung der Distanz zum Innenleben der Opfer, und diese Stärke tut weh. Noch mehr schmerzt Mansoors Transformation vom Bombenopfer zum Propagandaopfer, sein Weg aus dem Explosionsschatten hinaus in die Welt der Brandstifter und Verführer: „Ich habe gar nicht überlebt. Ich brauche nur länger, um zu sterben.“ (S. 215) An diese übergibt der Rom an den Staffelstab der Handlung, genauer: an den umgedrehten Pazifisten Ayub, dessen erschreckendem Wandel wir erneut zu nahe kommen, als dass wir uns abwenden könnten.

Was in Opfern und Tätern vorgeht, wie aus Menschen Mörder werden, das es unerheblich ist, wie groß oder klein die Bombe ist - das führt dieser wichtige Roman unmittelbar und ungetrübt vor Augen. Ein wichtiges Buch, das beim Begreifen dessen hilft, was uns die aktuelle Gewalt des Terrors in der Welt für Aufgaben als Menschen stellt.

Veröffentlicht am 18.01.2019

Ein Fragezeichen am Ende der Straße

Der Ozean am Ende der Straße
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Die Hempstocks sind eine geheimnisvolle Sippe, die am Ende der Straße wohnen, in der auch der Ich-Erzähler dieses Schauermärchens gelebt hat. Nach Jahren kehrt er zurück auf das Gehöft und mit dem Leser ...

Die Hempstocks sind eine geheimnisvolle Sippe, die am Ende der Straße wohnen, in der auch der Ich-Erzähler dieses Schauermärchens gelebt hat. Nach Jahren kehrt er zurück auf das Gehöft und mit dem Leser in die Erinnerung an die Ereignisse, die hier stattgefunden haben, als der Erzähler noch ein junge von sieben und seine Begleiterin Lettie Hempstock ein Mädchen von elf Jahren gewesen ist, Damals geschahen rings um den Ententeich unheimliche Dinge, den Lettie als „Ozean“ bezeichnete und der auf magische Weise mit den Grundfesten des Universums verbunden zu sein schien. Der Junge sah rätselhafte Wesen, wurde von einem Wurm besessen, der in Gestalt der besitzergreifenden Haushälterin Ursula in Haus und Familie des Jungen eindrang, und musste mehr als einmal von Lettie und ihrer machtvollen Familie gerettet werden.

Alles, was geschah, ist in der Erinnerung des Jungen entweder ein fantastisches Märchen, die Einbildung überspannter Kindernerven oder die eskapistische Strategie eines Traumaopfers, das Selbstmord, Beinahe-Ertrinken und die Affäre des Vaters zu einer Geschichte gewandelt hat, die besser zu ertragen ist, weil sie nicht von dieser Welt ist.

Gaiman verzichtet darauf, konkretere Hinweise zu geben, weshalb „der Ozean am Ende der Straße“ seinen märchenhaften Zauber nie verliert – gleichzeitig aber auch nie sein Anliegen verrät. Das halbgare Gefühl, weder Fisch noch Fleisch vor sich zu haben, begleitet die ganze Lektüre, wobei die Ich-Perspektive als Lupe für die Handlung eigentlich meistens sehr gut funktioniert.

Das Buch ist kurz, man verschwendet nicht viel Zeit, es zu lesen. Gaimans „Keine Panik“ ist freilich die bessere Wahl, wenn man den Autor kennen lernen möchte.

Veröffentlicht am 18.01.2019

gewaltiger Wortschwall

Die Weiber
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Man soll keine Witze über Namen machen, ist eine der Regeln für die Moderation der Oscars. Aber "Die Weiber" sind nicht oscarverdächtig, weshalb ich schreiben darf: Der Roman war ziemlich hilbig. Was ...

Man soll keine Witze über Namen machen, ist eine der Regeln für die Moderation der Oscars. Aber "Die Weiber" sind nicht oscarverdächtig, weshalb ich schreiben darf: Der Roman war ziemlich hilbig. Was das heißen soll? Eben.

Die bombastische Wortgewalt und der pornografische Gestus ["Lärm der Wimpern" (25), "Flor des Weiblichen" (18), "Orgasmus des Champagners" (125)] speien einen Bedeutungsschwall, der sich ergießt, aber nicht erschließt. Die Fragmentarisierung der Wahrnehmung des Ich-Erzählers C. dekonstruiert die Wirklichkeit und lässt sie viel stärker hervortreten: die Zwänge, das Sexuelle, der Einzelne gegenüber der Mehrheit (oder der Bürokratie/dem Staat), der Mann auf der Spur der Weiber, das Nicht-Weibliche des Staates. Alles tolle Fragmente einer "Krankheit der Sprache" (43), aber sie überfordern mich, zumal wenn im Ekel der Mülltonnen herumgegrapscht wird.

Veröffentlicht am 18.01.2019

keine leichte Geschichte, sehr gut erzählt

Die Geheimnisse der Welt
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Als ich „Die Geheimnisse der Welt“ von Lisa O’Donnell vom Tisch der Mängelexemplare nahm, ahnte ich noch nicht, was für ein Kleinod dieses Buch ist. Mich hatten das Cover angesprochen - ein Fußball spielender ...

Als ich „Die Geheimnisse der Welt“ von Lisa O’Donnell vom Tisch der Mängelexemplare nahm, ahnte ich noch nicht, was für ein Kleinod dieses Buch ist. Mich hatten das Cover angesprochen - ein Fußball spielender Junge durchs Schlüsselloch im Scherenschnitt - und der Klappentext - auf der kleinen schottischen Insel „kennt jeder jeden“, doch „es gibt auch Geheimnisse“, die der Junge ehrausfinden wird, zum Beispiel über seine Mutter. Ich hatte eine leichte Coming-of-Age-Geschichte erwartet. O’Donnell erzählt auch eine, aber keine leichte …

In der Familie des elfjährigen Michael gibt es einen katastrophalen Wendepunkt: Seine Mutter kommt eins Tages zerschunden, blutig und am Boden zerstört nach Hause. Dem Leser ist klar, dass sie vergewaltigt wurde, dem jungen Erzähler hingegen nicht. Alles, was kommt, wird durch die Augen des Jungen betrachtet, von ihm reflektiert und dem Leser erzählt. Michael versteht nur allmählich, was passiert ist und immer noch geschieht, wie nämlich die häusliche Gemeinschaft der Familie und das Miteinander mit den Nachbarn und der ganzen winzigen Gemeinde von Rothesay Stück für Stück zerbröckelt. In Michaels Schilderung erkennt der Leser das ganze Ausmaß der zersetzenden Kraft, die von Notlügen, Verheimlichung und falscher Scham ausgeht. Am Ende des zweiten Drittels sind die Spannungen in den sozialen Bindungen kaum noch auszuhalten, zumal der Leser fast alles überschaut, obwohl er eigentlich nicht mehr wissen kann, als Michael erzählt. Das ist sehr gut gelungen und entwickelt eine literarische Schärfe, wie man es sich wünscht, wenn Autoren Wesen und Anliegen einer Geschichte herausarbeiten, indem sie sie richtig erzählen.

Auf dem Buchrücken schwärmt die ‚Sunday Times‘ zutreffend von „Michaels Erzählstimme […] - aufmerksam, nachdenklich, witzig und vollkommen glaubwürdig.“ Es ist allerdings ausgerechnet dieser literarische Spiegel, diese Erzählstimme, die mein Lesevergnügen je länger, je mehr ein wenig störte: ich hatte das Gefühl, verstanden zu haben, warum und wie der Elfjährige und die Geschichte funktionieren - ich wollte das nicht immer und immer wieder lesen. Auch schimmerte ein moralischer Impetus bisweilen etwas banal und platt durch die Zeilen. Aber das sind Einschränkungen, die eine Leseempfehlung für dieses Schmuckstück kaum einschränken: eine Lektüre, die sich lohnt!