Warum Karl V.?
Reise nach LaredoIn Reise nach Laredo greift Arno Geiger auf Karl V. als historische Figur zurück und verknüpft die letzten Tage des Kaisers mit einer introspektiven „Reise“ in seine Vergangenheit und innere Zerrissenheit. ...
In Reise nach Laredo greift Arno Geiger auf Karl V. als historische Figur zurück und verknüpft die letzten Tage des Kaisers mit einer introspektiven „Reise“ in seine Vergangenheit und innere Zerrissenheit. Doch der neue Roman scheint nicht das erwartete Niveau zu erreichen, das viele Leserinnen nach Werken wie Unter der Drachenwand oder Der alte König in seinem Exil an Geigers Schreibstil und Erzählkunst schätzen.
Einer der Punkte, an denen sich die Leserschaft scheidet, ist Geigers Hang zur Innerlichkeit und zum eher elegischen Ton. Die Handlung – Karls letzte Reise, begleitet von einem unehelichen Sohn und einer kleinen Gruppe von Fremden – bleibt bewusst vage und fragmentiert. Dabei setzt Geiger nicht auf eine herkömmliche Geschichtsvermittlung, sondern auf eine Reise, die weitgehend nur im Delirium Karls stattfindet und weniger über seine reale Person vermittelt als über seine Zweifel und Erinnerungen. Diese introspektive Ausrichtung wird nicht von allen als ausreichend tragfähig empfunden; die Erzählung mag sprachlich überzeugen, doch inhaltlich wirkt sie bisweilen zäh und bedeutungsschwanger ohne große Erkenntnisse zu bieten. Viele philosophische Fragen bleiben unzureichend beleuchtet, und manche finden die Grundprämisse – dass Karl gerade am Lebensende auf elementare Fragen wie Liebe und Freiheit Antworten finden sollte – schwer nachvollziehbar und ein wenig weltfremd.
Auch die Spannungsführung in der eigentlichen Reisegeschichte kann sich nicht recht entfalten. Episoden, wie der längere Aufenthalt in einem Wirtshaus oder die Begegnung mit Räubern, kommen ohne den erzählerischen Bogen aus, der Geigers frühere Romane so stark machte. Statt eine stringente Geschichte über Karls Lebenserkenntnisse zu erzählen, lässt Geiger einzelne Figuren auftreten, die der Leserschaft kaum ans Herz wachsen. Die Beziehung zwischen Karl und seinem Sohn Geronimo bleibt oberflächlich und wird nicht weiterentwickelt – zumal grundlegende Informationen zur historischen Figur Karls nur beiläufig vorkommen und für weniger geschichtskundige Leserinnen eher Fragen aufwerfen.
Für Geigers treue Leser*innen ist dieser Roman möglicherweise ein zäher Ritt durch eine wenig aufschlussreiche Meditation über das Sterben. Wer auf poetische und atmosphärische Passagen Wert legt, wird sie hier durchaus finden, aber die Erwartung, dass Reise nach Laredo existenzielle Fragen in epischer Form behandelt, bleibt wohl unerfüllt. So bewegt sich der Roman im Spannungsfeld zwischen ästhetischem Erlebnis und erzählerischer Dürftigkeit, was ein uneingeschränktes Lesevergnügen erschwert.
Insgesamt ist Reise nach Laredo ein ambitioniertes, aber schwer zugängliches Werk, das sich für jene eignet, die Geigers tiefgehenden Stil schätzen, dabei aber auf klassische Spannung oder eine dynamische Handlung verzichten können.