Menschliche Abgründe bis ins Absurde
Je tiefer das Wasser„Wünscht du dir nicht auch, dass alles wieder wie früher wird? Bevor das passiert ist, bevor Mom depressiv wurde.“ „Manchmal denke ich, wir sind in verschiedenen Familien aufgewachsen.“
Edie und Mae ...
„Wünscht du dir nicht auch, dass alles wieder wie früher wird? Bevor das passiert ist, bevor Mom depressiv wurde.“ „Manchmal denke ich, wir sind in verschiedenen Familien aufgewachsen.“
Edie und Mae werden zu ihrem Vater verfrachtet. Dem berühmten Schriftsteller, den sie gar nicht kennen. Sie sind nämlich bei ihrer Mutter aufgewachsen, die schon lange depressiv ist und jetzt versucht hat, sich umzubringen. Für Edie ist der Umzug zu ihrem treulosen Vater eine Katastrophe. Für Mae ist es die langersehnte Befreiung von ihrer Mutter. Beide wird diese kurze Zeit für immer brandmarken.
„Je tiefer das Wasser“ folgt weniger einer ausgereiften Handlung, sondern eher den inneren Gefühlsregungen und Ansichten der Personen. Geschildert werden die sich entwickelnden Beziehungen innerhalb der Familie, ab dem Zeitpunkt wo die Töchter bei ihrem Vater ankommen. Meistens aus Sicht der beiden Töchter. Unterbrochen wird das von zum Beispiel Tagebucheinträgen oder Briefen aus der Vergangenheit, die die Beziehung der Eltern beleuchten, und kurzen Kapiteln aus der Sicht von Nebencharakteren, die ihre Eindrücke zu der Situation schildern.
Diese verschiedenen Perspektiven und Zeitformen, die bunt gemischt werden, haben es mir teilweise schwer gemacht, dem Ganzen zu folgen, man muss schon sehr aufpassen beim Lesen. Allerdings hat es auch eine angenehme Dynamik reingebracht, weil man so nicht in den Gedanken von nur einer Person gefangen war, was gerade bei diesem Buch unglaublich wichtig ist.
Denn keine der Personen schätzt die jeweiligen Situationen gleich ein. Warm werden konnte ich mit keiner, denn sie alle waren eher unsympathisch und sie alle schienen ziemlich gestört zu sein. Vor allem der Kern des ganzen – Mutter, Vater und die beiden Töchter.
Obsessionen, ungesunde Abhängigkeit, Schizophrenie, Realitätsverlust bzw. Wahrnehmungsstörungen, labiles Selbstwertgefühl, Empathielosigkeit, besitzergreifende Tendenzen. In dieser Familie scheint es bei jeder Person ein bisschen von allem zu geben. Sie verzehren sich gegenseitig, körperlich, mental. Die ganze Familie scheint verseucht zu sein und es wird während des Buches immer schlimmer.
Ich hatte ein Familiendrama erwartet, aber das ist noch untertrieben für das, was in der Familie abgeht. Wenn es jemals eine toxische und perverse Familiendynamik gab, dann hier. Jedes einzelne Beziehungsgeflecht hat mich zutiefst verstört.
So schlimm, dass ich es teilweise echt abstoßend fand, was mir das Lesen etwas erschwert hat. Wenn der Vater in seinem Schreibwahn irgendwann seine 14-jährige Tochter mit seiner Ex-Frau verwechselt, in den beiden ein und dieselbe Person sieht und die Tochter in einer Identitätskrise landet, weil sie selber nicht mehr weiß, wer von beiden sie eigentlich ist ... das hat mich absolut schockiert, aber irgendwann wurde es auch einfach nur absurd. Beworben wird das Buch mit den Worten „Über das, was in unserem Inneren tobt, und die Wirklichkeit.“ Ganz ehrlich – ich kann nur ganz stark hoffen, dass es in keiner Familie wirklich so aussieht.
An sich ist es gut geschrieben, eindringlich. Die Autorin schafft es einen regelrechten Sog zu erschaffen, Ekel und Faszination vermischen sich und man ist voller Unglaube in dieser Familiendynamik gefangen. Aber teilweise war es mir dann einfach zu viel. Zu befremdlich, zu skurril, zu unrealistisch, einfach zu verstörend. Ich kann nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, ob mir das Buch gefallen hat.
Aber auf jeden Fall bleibt „Je tiefer das Wasser“ im Gedächtnis. Es ist alles andere als ein Wohlfühlbuch, verstörend und eindrucksvoll.