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Veröffentlicht am 23.09.2020

Kalmann

Kalmann
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Raufarhövn ist ein abgeschiedener Ort in Island. Viel gibt es nicht, seit die Fischfabriken geschlossen haben. Dort lebt Kalmann Óðinnsson und produziert die isländische Spezialität Gammelhai. Er macht ...

Raufarhövn ist ein abgeschiedener Ort in Island. Viel gibt es nicht, seit die Fischfabriken geschlossen haben. Dort lebt Kalmann Óðinnsson und produziert die isländische Spezialität Gammelhai. Er macht den besten Gammelhai der Welt, seit sein Großvater in einem Pflegeheim immer weiter ins Vergessen eintaucht. Er war Kalmanns Stütze und Lehrer, denn er ist schon immer ein wenig anders gewesen. Sein Denken funktioniert nicht wie bei anderen Leuten und manchmal bekommt er eine große Wut und weiß selbst nicht warum

Aber Raufarhövn ist seine Heimat und er selbst sieht sich als selbsternannter Sheriff, einen Sheriffstern und einen Hut und eine alte Pistole hat er. Das sind die einzigen Erinnerungsstücke an seinen Vater, der als Soldat kurz in Island stationiert war.
Doch dann findet er auf der Fuchsjagd eine große Blutlache und von da an geraten die Ereignisse außer Kontrolle und die Gedanken in Kalmanns Kopf spielen verrückt.

Der Island-Roman von Joachim B. Schmidt ist eine Liebeserklärung an Island mit einem Helden, bei dem sich der Vergleich mit Forrest Gump aufdrängt. Kalmann hat eine kindliche Sicht auf die Welt. Lügen oder Ironie sind ihm fremd, wenn ihn etwas überfordert, ignoriert er es einfach. Seine Schlussfolgerungen zu all den Ereignissen haben mir Spaß gemacht, im Gegensatz zur ermittelnden Beamtin, die mit Kalmann an ihre Grenzen stößt. Und was als Kriminalroman begann, wird allmählich zu einem Buch über einen ganz besonderen Menschen.

Der Schreibstil ist besonders, denn der Leser folgt ja den Gedankengängen Kalmanns, die ganz seiner eigenen Logik folgen und ich konnte mich sehr gut darauf einlassen.

Ganz besonders gefiel mir die Landschaftsbeschreibung, Island ist ein wunderbarer Hintergrund, rau und einsam am Rand Europas, mit faszinierender und gewaltiger Natur. Dazu passen die Menschen in diesem Buch, ebenso einzigartig und von ihrer Umgebung geprägt.

Eine warmherzige und wie ich finde, auch ganz besondere Geschichte.

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Veröffentlicht am 21.09.2020

Die tote Braut

Eiskalte Provence
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Ex-Polizist Albin Leclerc und sein Mops Tyson ermitteln in einem brisanten Fall. Der Weihnachtsfrieden von La Roque-sur-Pernes ist gestört.

Eine Wandergruppe wird von einem Regenschauer überrascht und ...

Ex-Polizist Albin Leclerc und sein Mops Tyson ermitteln in einem brisanten Fall. Der Weihnachtsfrieden von La Roque-sur-Pernes ist gestört.

Eine Wandergruppe wird von einem Regenschauer überrascht und sucht Schutz in einer der alten Bories und macht eine grausige Entdeckung. Eine Tote mit Blumenkranz im Haar und im weißen Brautkleid lehnt an der Mauer der Hütte.

Natürlich macht der Fund sofort die Runde und Albin Leclerc wird hellhörig. Als pensionierter Kriminalbeamter ist seine professionelle Neugierde sofort geweckt und auch wenn seine frühere Kollegen nicht immer sehr erfreut über seine Hilfe sind, erkennen sie seine Erfolge durchaus an.

Trotz vorweihnachtlichem Stress, Albins Lebensgefährtin Veronique möchte in großem Familienkreis feiern, beginnt Albin mit den Recherchen. Natürlich zusammen mit seinem Mops Tyson, zu dem er inzwischen eine fast symbiotische Beziehung pflegt. Er hat viel Respekt für Tysons Riecher.

Die Reihe um Albin Leclerc umfasst inzwischen schon einige Bände, kürzlich habe ich den ersten Band gelesen und bin nun das neue Buch ohne Schwierigkeiten eingestiegen. Die Zusammenarbeit zwischen der offiziellen Polizeidienststelle und dem Privatier Leclerc gestaltet sich gut, ein paar Reibereien und Frotzeleien belebt die Geschichte. Überhaupt ist doppelte Perspektive ein Pluspunkt des Bandes. Nicht nur aus der Sicht der klassischen Polizeiarbeit samt akribischer Spurensuche, sondern auch der Blickwinkel der ganz privaten Ermittlungen, die Klatsch und Tratsch einschließen, bringen Leclerc und die Kommissare weiter. Das bietet neben der Spannung auch immer wieder ganz witzige Szenen. Auch die Geschichte von La Roque-sur-Pernes spielt eine Rolle und wird interessant mit dem Kriminalfall verwoben.

Das fand ich sehr gut aufgebaut und der Krimi hat meine Erwartungen erfüllt. Ich mag es, wenn Landschaft und regional-typisches eine Rolle spielen und in den Plot eingebaut werden. Mit dem pensionierten Leclerc hat der Autor auch eine interessante Figur geschaffen, kauzig und ein wenig eigen, aber immer mit einem guten Riecher. Seine Dialoge mit Matteo, dem Besitzer des Café du Midi, sind wirklich klasse. Vor allem weil Matteo, wie viele Südfranzosen sich politisch am rechten Rand verortet, aber den Gegenargumenten Leclercs nie gewachsen ist.

Der Krimi steigert sich bis zum einem furiosen Ende, das mir allerdings ein wenig zu dick aufgetragen war. Da kommt es zu einem richtigen Showdown samt gecrashter Autos- und Explosionen, die ich eher bei einem Actionthriller erwartet hätte.

Aber natürlich siegt das Gute und Weihnachten kann friedvoll gefeiert werden.

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Veröffentlicht am 20.09.2020

Das Haus vom Nikolaus

Alsterschwan
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Eine ausgelassene Halloween Party wird jäh unterbrochen. Ein blutüberströmter Jugendlicher torkelt in den Garten, entsetzt merken die Kids, dass das keine gelungene Maskerade ist. Vor seinem Tod kann der ...

Eine ausgelassene Halloween Party wird jäh unterbrochen. Ein blutüberströmter Jugendlicher torkelt in den Garten, entsetzt merken die Kids, dass das keine gelungene Maskerade ist. Vor seinem Tod kann der Junge noch einige Sätze sprechen, die die ermittelnden Kommissarinnen Stella Brandes und Banu Kurtoglu als einen Hinweis auf weitere vermisste Jugendliche verstehen. Auch Fynn war vor seinem Tod schon einige Zeit als vermisst gemeldet und sein schlechter körperlicher Zustand zeigt, wie hart seine Gefangenschaft war. Die Zeit für die beiden anderen vermissten Jugendlichen wird knapp.

In ihrem dritten Kriminalroman über die beiden sehr sympathischen Ermittlerinnen Stella und Banu verknüpft Regine Seemann wieder zwei Handlungsstränge zu einem unglaublichen spannenden Geflecht. Das ist ein Markenzeichen der Autorin, ihre Krimis haben auch immer einen Bezug zur Vergangenheit, die ein Prolog bereits anklingen lässt. Ansonsten sind die Fälle völlig in sich abgeschlossen, man kann als unabhängig von der Reihenfolge die Bücher einzeln lesen, ohne das Vorwissen nötig wäre.

Die nervenaufreibende Polizeiarbeit in der Gegenwart stellt die beiden so unterschiedlichen Kolleginnen in den Vordergrund. Ihre Persönlichkeiten ergänzen sich vielleicht grade deswegen so gut. Banu ist die große Kümmerin, klammert vielleicht auch mal, was besonders ihre Tochter Merve spürt. Aber ihre Absichten sind immer gut. Stella dagegen ist eher spontan, prescht schon mal vor, bleibt aber trotzdem immer eine Teamplayerin. Das private Leben der Kommissarinnen bleibt präsent, aber auf eine dezente Weise. Das fand ich angenehm realistisch.

Der zweite Handlungsfaden führt in die 70iger Jahre, schwer erziehbare Jugendliche und Außenseiter werden in einem Ferienheim untergebracht. Eine seltsame Atmosphäre liegt über diesem Heim und es scheint niemand darüber sprechen zu wollen.

Wie in einem Puzzle fügen sich Stück für Stück die Geschehnisse zusammen und die Geschichte hat mich nicht mehr losgelassen. Gerade das Thema im historischen Teil des Krimis fand ich aktuell, sind doch ähnliche Ereignisse erst in den letzten Jahren bekannt geworden.

Alsterschwan ist wieder ein ganz besonders spannender Kriminalroman, dabei anspruchsvoll und aktuell, also unbedingt eine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 17.09.2020

Eine Soko mit Handicap

Soko mit Handicap: Der Tote und der Taucher
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Theo, ein junger Psychologiestudent lebt in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung. Der Tod des Mitbewohners Mike erschüttert alle, er war zwar an ALS erkrankt, aber am Tag vorher noch munter und ...

Theo, ein junger Psychologiestudent lebt in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung. Der Tod des Mitbewohners Mike erschüttert alle, er war zwar an ALS erkrankt, aber am Tag vorher noch munter und beim gemeinsamen Karaokeabend bester Laune. Theo ist entsetzt, wie oberflächlich der Arzt einen natürlichen Tod konstatiert, obwohl einige Ungereimtheiten ins Auge fallen.

Zusammen mit seinen Mitbewohner will er mit der „Soko Handicap“ ein wenig tiefer bohren. Glücklicherweise ist Theos Schwester Polizistin und einige seiner Beobachtungen lassen auch bei ihr die Alarmglocken schrillen. Vor allem Autist Keno scheint etwas bemerkt zu haben, er ist vollkommen aufgelöst und spricht nur noch vom Taucher.

. Ein interessanter zweiter Handlungsstrang verweist in die Vergangenheit und man ahnt, es wird noch eine Bedeutung bekommen.

Das Setting für diesen Kriminalroman ist besonders und das ist auch die Absicht des Autors Thomas Franke. Er arbeitet als Sozialpädagoge in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung und er zeigt, dass es völlig egal ist, ob jemand „behindert“ ist oder nicht. Aber er legt den Finger auch auf Missstände und plötzlich bekommen Stichworte wie Barrierefreiheit, Pflegenotstand, Mangel an empathischem Fachpersonal eine ganz andere Bedeutung. Auf einer Fahrt in die Innenstadt habe ich plötzlich den Weg mit den Augen eines Rollstuhlfahrers betrachtet und war erschrocken, denn ich hätte mein Ziel nie allein erreichen können.

Seine Figuren wachsen dem Leser schon nach wenigen Seiten ans Herz und plötzlich vergisst man Rollstuhl oder Trisomie21, man fiebert einfach mit Theo, Lene, Paula, Scotty und Keno. Wie sie ihre Möglichkeiten und besonderen Fähigkeiten einsetzen und ermitteln, ist spannend und immer wieder auch sehr witzig. Der menschliche Ton der Geschichte hat mich sehr beeindruckt. Natürlich möchte der Autor auch eine Botschaft vermitteln und das macht er sehr unaufdringlich und ohne erhobenen Zeigefinger. Für mich war dieser Kriminalroman eine echte Bereicherung des Genres.

Die Geschichte endet offen – ein zweiter Band ist bereits in Arbeit und ich bin sehr gespannt, wie sich das Rätsel um Mikes Tod und des geheimnisvollen „Tauchers“ auflösen wird.

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Veröffentlicht am 15.09.2020

Unterwegs

Volkswagen Blues
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Vielleicht ist seine Schreibblockade der Grund, dass sich der Schriftsteller Jack Waterman mit der Vergangenheit beschäftigt. Vor Jahren hat er das letzte Lebenszeichen seines Bruders Theo erhalten: eine ...

Vielleicht ist seine Schreibblockade der Grund, dass sich der Schriftsteller Jack Waterman mit der Vergangenheit beschäftigt. Vor Jahren hat er das letzte Lebenszeichen seines Bruders Theo erhalten: eine unleserliche Postkarte aus dem kanadischen Ort Gaspé. Plötzlich wird es im bewusst, was für eine große Rolle sein Bruder in seinem Leben spielte und er fühlt sich auch schuldig, nie nach Theo gesucht zu haben.

Mit einem alten VW Bus will er den verwehten Spuren folgen und hätte er nicht unterwegs eine junge Anhalterin mitgenommen, wäre sein Versuch wohl schon zu Anfang gescheitert. Aber die „Große Heuschrecke“, wie er Pitsémine wegen ihrer langen und dürren Beine nennt, bringt ihn mit ihren Ideen auf die Spur. Außerdem ist sie Mechanikerin, was bei einem so alten Bus mit fast 200000 km auf dem Tacho ein unschätzbarer Vorteil ist. Die Große Heuschrecke ist eine fast manische Leserin und vor allem die Geschichte der Landnahme der französischen Einwanderer und Entdecker interessiert sie, ist sie doch als Nachfahrin der indigenen Bewohner direkt davon betroffen.

Zusammen durchqueren sie den amerikanischen Kontinent, reisen wie die frühen Siedler auf dem Oregon Trail gen Westen und finden ab und zu Hinweise auf Theo. Für Jack wird diese Reise auch immer mehr in Reise zu sich selbst, je mehr er sich seiner Begleiterin öffnet. Dabei bleiben die Reisegefährten freundschaftlich distanziert, so siezen sich während der ganzen Fahrt.

Diese Road Novel – ich finde einfach keine passendere deutsche Entsprechung ist ein wunderbarer Reisebericht, leise und intensiv und auch ein wenig melancholisch erzählt. Ich habe bedauert, dass ich dieses Buch nicht bei Erscheinen vor 20 Jahren lesen konnte, ich hätte mich vielleicht für eine solche Fahrt inspirieren lassen. Schade, dass es so lange dauerte, bis dieses Buch endlich in Übersetzung in Deutschland erschien. So folge ich Jack und Pitsémine per Buch quer durch Amerika und lerne dabei sehr viel über die Geschichte der Siedler und Entdecker.

Man sollte sich Zeit nehmen und das Buch langsam lesen um die Geschichte besonders zu genießen, dann ist das Fernweh programmiert. Aber das ist ja auch das Ziel einer Reiseerzählung.

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