Profilbild von Bibliomarie

Bibliomarie

Lesejury Star
offline

Bibliomarie ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Bibliomarie über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 25.10.2019

Ein empfehlenswerter Kriminalroman

Schonungslos offen
0

Als Kriminalkommissarin Alexandra Rau und ihr Assistent Isidor Rogg zu einem Leichenfundort gerufen werden, ahnen sie nicht, dass der Fall sie über Wochen beschäftigen und sie an ihre Grenzen führen wird. ...

Als Kriminalkommissarin Alexandra Rau und ihr Assistent Isidor Rogg zu einem Leichenfundort gerufen werden, ahnen sie nicht, dass der Fall sie über Wochen beschäftigen und sie an ihre Grenzen führen wird. Denn der Mord an dem jungen Sinto bleibt nicht die einzige Tat. Es scheint ein Serienmörder sein Unwesen zu treiben.

Der unheimlich spannende Kriminalroman „Grenzenlos offen“ wird stilistisch von zwei Erzählebenen geprägt. Da ist einmal die sehr realistisch beschriebene Polizei- und Ermittlungsarbeit, die aber nie langatmig wird. Ganz im Gegenteil, ich habe jede kleine Erkenntnis und Spur der beiden Ermittler mit Spannung verfolgt.

Der zweite Erzählstrang gibt dem Mörder eine Stimme. Wir lernen einen Mann kennen, der sich an seinen Taten ergötzt und sich gleichzeitig als Opfer eines gewalttätigen Vaters und lieblosen Mutter versteht. Er selbst nennt diese Ergüsse „Sitzung“, sie sollen ihm eine Art Selbstanalyse ermöglichen, offenbaren aber nur einen larmoyanten, sich selbst überschätzenden Charakter. Diese Kapitel waren für mich manchmal nur schwer auszuhalten.

Sehr subtil lässt Irene Matt die Bedrohung immer stärker hervortreten, denn inzwischen ist auch Alexandra in das Visier des Mörders geraten und da der Leser hier einen Wissensvorsprung hat, steigert sich die Spannung noch einmal. Ich konnte das Buch wirklich nicht aus der Hand legen, obwohl die kleine Schrift und der enge Satzspiegel mich beim Lesen etwas anstrengten. Das ist aber auch der einzige Kritikpunkt, den ich finden kann.

Sprachlich hat mich das Buch auch überzeugt, die Personenzeichnung ist gelungen und lässt vor allem die beiden Hauptprotagonisten sehr lebendig und echt wirken. So bringt Isidors Liebe zur Sprache und zu Etymologie die Ermittler sogar einmal einen Schritt weiter. Nebenbei darf dadurch auch immer wieder mal Humor aufblitzen, sehr geschickt eingesetzt um dem Leser nach einer kleinen Entspannung wieder mit einem fesselnden Twist zu überraschen.

Ein toller Krimi/Thriller von einer Autorin, die ich bisher noch nicht kannte und der ich viele Leser wünsche. Diese Buch ließ bei mir keine Wünsche offen.

Eine schöne Buchgestaltung mit Lesebändchen ist das Tüpfelchen auf dem „I“.

Veröffentlicht am 25.10.2019

Pfarrhaus-Krimi

Tragödie auf einem Landfriedhof
0

In einem offenen Bücherschrank machte ich vor einiger Zeit eine Entdeckung: Die Krimiautorin Maria Lang, auch die schwedische Agatha Christie genannt. Frau Lang war eine äußerst produktive Autorin, ihre ...

In einem offenen Bücherschrank machte ich vor einiger Zeit eine Entdeckung: Die Krimiautorin Maria Lang, auch die schwedische Agatha Christie genannt. Frau Lang war eine äußerst produktive Autorin, ihre Bücher erschienen ab 1949. Die „Tragödie auf einem Landfriedhof“ wurde 1954 publiziert.

Das Buch ist ein stimmungsvoller Weihnachts- und Winterkrimi. Im kleinen Weiler Västlinge haben sich im Pfarrhof Gäste zum gemeinsamen Fest versammelt. Außer dem verwitweten Pastor und seiner 11jährigen Tochter Lotte, verbringen der ältere Bruder des Pastors und dessen Tochter Puck samt Ehemann Einar die Tage gemeinsam. Für das Wohl sorgt die vorbildliche Haushälterin Hjördis Holm.
Dann schneit am Weihnachtsabend die aufgelöste Barbara Sandell herein. Ihr Ehemann ist verschwunden, er wollte nur noch die Abrechnung in seinem Laden machen und nun fehlt jede Spur von ihm. Gemeinsam begibt man sich auf die Suche und Puck findet seine Leiche versteckt unter der Ladentheke. Da es keine Fremden im Ort gibt, der Schneefall hätte für entsprechende Spuren gesorgt, muss der Mörder aus der kleinen Dorfgemeinschaft stammen und die Pastorsfamilie und später auch der herbeigerufene Kommissar machen sich auf die Suche.

Die Konstellation ist wirklich ganz klassisch. Ein überschaubarer Rahmen von Mitwirkenden, ein durch die Witterungsverhältnisse abgeschiedener Tatort und ein rätselhafter Mord. Nach und nach lernen wir die Bewohner und ihre – manchmal recht belastenden – Geheimnisse kennen. Die Frage nach „Wer ist der Täter“ stellt die Autorin durchaus auch ihren Lesern, ganz wie ihre Zeitgenossin Agatha Christie, jedenfalls ich fühlte mich zum Miträtseln aufgefordert.

Man merkt dem Buch, bis auf einige Kleinigkeiten, kaum sein Alter an. Es gibt weder Bezüge, noch zeitgeschichtliche Ereignisse an denen man sich orientieren könnte. Maria Lang hat ihre Handlung völlig neutral gehalten. Lediglich an einigen Figuren erkennt man das Alter. Da genügt schon eine gelbe Lederjacke um als jugendlicher Rebell durchzugehen. Und die Witwe mit anliegender Kleidung, blonden Locken und Lippenstift (!)wird dann natürlich auch gleich als etwas leichtlebig von den Dorfbewohner abgetan, zumal ihr Ehemann um einiges älter war.

Der Schreibstil ist wirklich etwas betulich, aber stilistisch durchaus niveauvoll. Sehr schön werden die winterliche Landschaft und die Atmosphäre der Weihnachtstage eingefangen. Pfarrhaus-Krimis könnte man ja fast schon als eigenständiges Genre einordnen und dieses Buch passt perfekt.

Die Autorin wurde vor einigen Jahren wieder entdeckt und einige Bücher auch für das schwedische Fernsehen verfilmt, aber das scheint keinen besonderen Boom ausgelöst zu haben, denn nach zwei Veröffentlichen in Deutschland war schon wieder Schluss.

Veröffentlicht am 23.10.2019

Trost und die Teufelsgeige

Der Tod tanzt in Graz
0

In der Steiermark rüstet man sich zum Brauchtumsfest, dem „Aufsteirern“. Doch längst ist aus Brauchtum und Volksmusik ein Event mit volkstümelnden Schlagern, unechten Trachten und viel Alkohol geworden.

Zwei ...

In der Steiermark rüstet man sich zum Brauchtumsfest, dem „Aufsteirern“. Doch längst ist aus Brauchtum und Volksmusik ein Event mit volkstümelnden Schlagern, unechten Trachten und viel Alkohol geworden.

Zwei Tage vor dem Auftakt, wird auf einer „Fanwanderung“ ein bekannter Musiker per gezieltem Fernschuss getötet und als ein zweiter Musiker ermordet wird, ist Presse, Polizei und Publikum alarmiert.

Doch das „Aufsteirern“ muss stattfinden, es soll ja auch Publikumsliebling Moritz Mountblanc, der umjubelte Star der Szene, auftreten.

Annette Lemberg und ihr Kollege Hinterher nehmen die Ermittlungen auf. Die Zwei sind nicht nur im übertragenen Sinn kopflos. Der Leiter der Dienststelle, Armin Trost, ist seit seinem letzten Fall, bei dem seine Familie getötet wurde, verschwunden. Es tauchen zwar immer mal wieder kryptische Nachrichten mit Hinweisen und Ratschlägen von ihm auf und manchmal scheint Lemberg auch einen Schatten von ihm wahrzunehmen, aber niemand weiß, was er treibt. Wenn die Handlung Trost selbst agieren lässt, ist er ebenfalls wie ein Schatten, kaum wahrnehmbar aber immer einen Schritt voraus.

Es war mein erster Krimi um das Team von Achim Trost und ich habe bedauert, ihn so spät kennenzulernen. Ich wäre wahrscheinlicher auch leichter mit diesem schwierigen Charakter klargekommen, hätte ich ein wenig mehr von seiner Vorgeschichte gewusst. Aber das werde ich sicher nachholen.

Das Setting, mit dem durchaus kritischen Blick auf Volkstümelei und zur Gaudi verkommenen Brauchtum hat mir sehr gut gefallen. Auch die Charakterisierung der Figuren finde ich gelungen, wobei alle ihre Ecken und Kanten haben und sich nicht gleich erschließen. Besonders Trost ist eine Figur, die auch polarisieren kann.

Robert Preis hat der Handlung mit diffusen Ahnungen und Aberglauben einen düsteren, ja manchmal sogar makabren Hintergrund gegeben. Der schnelle, kräftige Rhythmus von Quetschn und Teufelsgeige ist auch in der Sprache spürbar. Gerade dieser Erzählstil hat mir sehr gut gefallen: spitzzüngig, manchmal auch ziemlich böse und mit rabenschwarzem Humor.

Angenehm fand ich auch das Glossar und die kleine Einführung in die steirische Volksmusik.

Veröffentlicht am 22.10.2019

Viveka und der Eisenhut

Pastorin Viveka und das tödliche Kaffeekränzchen
0



Viveka ist Pastorin einer kleiner Freikirchliche Gemeinde am Rande Stockholms. Ihre vielköpfige Familie und ihre anspruchsvolle Gemeinde fordern alles an Energie. Besonders nervend findet sie das Kaffeekomitee, ...



Viveka ist Pastorin einer kleiner Freikirchliche Gemeinde am Rande Stockholms. Ihre vielköpfige Familie und ihre anspruchsvolle Gemeinde fordern alles an Energie. Besonders nervend findet sie das Kaffeekomitee, besetzt mit lauter alten Tanten der Gemeinde, der eifrig jede Neuerung abschmettern und sei es nur die Art des gereichten Gebäcks. Ihre kleine innere Revolution besteht aus T-Shirts mit Sprüchen wie „Sterbehilfe legalisieren“, die sie unter ihrer Pastorenkleidung trägt.

Dann stirbt eine der unangenehmsten Damen aus dem Zirkel und es war kein natürlicher Tod, sondern eine Eisenhut – Vergiftung. Seit Viveka das weiß, sieht sie überall Eisenhut wuchern, sogar in ihrem verwilderten kleinen Schrebergärtchen, ihrem Rückzugsort, von dem nicht mal ihre Familie etwas weiß, weil sie manchmal Ruhe und Platz für sich allein braucht.

Der Titel, der Klappentext und nicht zuletzt das eher Humor signalisierende Cover hat mich zu diesem Buch greifen lassen. Aber hier passt der Ausspruch wirklich: Nicht jedes Buch hält, was der Klappentext verspricht.

Zwar mischt sich Viveka nicht aktiv in die Ermittlungen ein, eigentlich finden – bis auf einige Bemerkungen zur Polizistin Pernilla Kron – gar keine Ermittlungen statt, aber sie beginnt sich umzuhören und auf kleine Dinge zu achten. Dass das Kirchenbuch verschwunden ist, ist ebenfalls verdächtig. Die älteren Gemeindemitglieder scheinen alle ein Geheimnis aus der Vergangenheit zu schützen und jeder von ihnen hat sein Päckchen zu tragen. Oft scheint ein Vater-Sohn/Tochter Konflikt dafür verantwortlich zu sein.

Die Geschichte kommt eher verhalten und melancholisch daher. Viveka scheint mir kurz vor dem Burn Out zu stehen. Auch in ihrer Ehe wirkt sie nicht mehr recht glücklich. Aber ihr Beruf ist ihr wichtig und ihr Lebensinhalt und so schafft sie es auch nicht, eine berufliche Distanz zu wahren.

Es scheint, dass die skandinavische Düsternis auch in eigentlich humorvoll gedachten Krimis durchschlägt.

Schade, die Idee der Handlung hätte mehr hergegeben.


Veröffentlicht am 20.10.2019

Einatmen-Ausatmen-Weiterleben

Laufen
0

Laufen – die Trauer und den Schmerz einfach weg laufen. Das ist die Motivation der Protagonistin, einer Orchestermusikerin, wieder mit dem Laufen anzufangen. Der physische Schmerz überdeckt den psychischen. ...

Laufen – die Trauer und den Schmerz einfach weg laufen. Das ist die Motivation der Protagonistin, einer Orchestermusikerin, wieder mit dem Laufen anzufangen. Der physische Schmerz überdeckt den psychischen. Sie konzentriert sich nur auf ihren Körper und den Schmerz, mehr gesteht sie sich nicht zu.
Und wie sie läuft. Ihr Atemrhythmus- zwei Schritte einatmen, 4 Schritte ausatmen prägt den inneren Monolog. Im selben Takt setzt Isabell Bogdan ihre Sätze: ein ein aus aus aus aus. Je länger sie läuft, je mehr ihr Körper aushält, umso mehr kann sie sich den Erinnerungen öffnen. Ihre Gedanken schweifen, schmerzhafte Erinnerungen wechseln sich mit schönen Eindrücken, Wut bricht sich Bahn.
Allmählich erfahren wir den Grund für ihren Schmerz, ihr Lebensgefährte ist tot. Sie ist Witwe und darf sich nicht Witwe nennen, seine Eltern vereinnahmen ihn auch nach dem Tod. Für sie bleibt nichts als ein paar alte Schlafanzüge, an die sich klammert.
Wie lange darf man trauern? Wann muss man wieder funktionieren, wie es Familie und Freunde erwarten? Hätte man nicht schon früher etwas merken müssen, wie es dem Lebensgefährten geht? All diese Fragen stellt sich die Läuferin und ich als Leserin dringe immer tiefer in die Geschichte dieser Beziehung ein, ihrer Höhen und Tiefen und erkenne allmählich die Grund für den Schmerz der jungen Frau, der weit über die Traurigkeit über den Verlust hinausgeht.
Doch mit jedem gelaufenen Kilometer befreit sich die Läuferin auch aus ihrer inneren Isolation, ihre Gedanken schweifen beim Laufen immer mehr in die Gegenwart und in eine Zukunft. Wie ihr Körper, so hat auch ihre Seele irgendwann den Schmerz besiegt.
Was für eine atemlose Geschichte, ich spürte beim Lesen wie ich mich dem Atemrhythmus der Protagonistin anpasste. Das „Ein ein aus aus aus aus“ hat sich auf mich übertragen. Der innere Monolog, die mäandernden Gedanken der Läuferin haben mich gefangen genommen. Ich kannte Isabell Bogdan, aber dieser atemberaubende Text hat mich absolut überrascht.