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Veröffentlicht am 20.09.2019

Lügengespinst

Todeslügen
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15 Jahre saß Sean Hennessy im Gefängnis. Er soll seine Eltern und eine Schwester wie im Blutrausch ermordet haben. Nur die jüngste Schwester hat überlebt. 15 Jahre lang hat Sean auch seine Unschuld beteuert, ...

15 Jahre saß Sean Hennessy im Gefängnis. Er soll seine Eltern und eine Schwester wie im Blutrausch ermordet haben. Nur die jüngste Schwester hat überlebt. 15 Jahre lang hat Sean auch seine Unschuld beteuert, nun nach seiner Entlassung, will er es beweisen. Auch ein Filmprojekt gibt es bereits.
Detektive Frankie Sheehan weiß, dass ihre Schwägerin, eine Anwältin auf der Seite Seans steht. Sie selbst hat grade andere Sorgen. In einer Kirche wurden zwei Menschen tot aufgefunden, der Mann in ein Priestergewand gehüllt, die Frau halbnackt und post mortem mit Messerstichen übersät. Sofort ist in der kleinen Stadt die Erinnerung an die Familie Hennessy wieder wach und auch Frankie ermittelt in die gleiche Richtung. Aber dann gibt es noch einen Toten und es wird klar, dass die Morde etwas mit der Vergangenheit und Sean zu tun haben müssen.
Durch ihre Schwägerin und ihre Mutter, die damals Brid Hennessy kannte, wird sie viel tiefer und privater in den Fall gezogen, als sie möchte und genau das macht auch einen Teil des Reizes dieses Krimis aus. Ermittlungen aus der Vergangenheit und der Gegenwart kreuzen sich und Frankie muss Versäumnisse feststellen. Dumm nur, dass der damalige ermittelnde Polizist jetzt ihr Chef ist.
Es gibt sehr viele private Aspekte in diesem Fall, manchmal gerät darüber die Polizeiarbeit in den Hintergrund. Es ist aber so gewollt, die Ermittlungen führen eben weit in Frankie Sheehans Familie und sie steht mehreren Fronten gegenüber. Ihre Vorgesetzten wollen keinerlei Zweifel an der damaligen Arbeit aufkommen lassen, fürchten teure Entschädigungsklagen und schlechte Presse und ihre Familie möchte die alten Geschehnisse am liebsten verdrängen. Es ist eben eine typische Kleinstadt und mit dem Mief und den Vorurteilen muss sich Sheehan arrangieren.
Der Autorin ist es schnell gelungen, mich an der Schuld von Hennessy zweifeln zu lassen. Viel schneller als ihre Protagonistin Sheehan war ich von einem Justizirrtum, vielleicht sogar von einem gezielten Vertuschungsversuch überzeugt. Wenn da nicht die kleinen Spuren wären, die geschickt in die Handlung eingebaut werden und immer wieder die Ermittlungen in eine neue Richtung lenken.
Der Krimi ist ganz auf die Ermittlerin zugeschnitten und das Aufeinandertreffen von Frankie und Sean ein richtiges Psychoduell. Fesselnd und temporeich, fast schon ein Thriller, dafür sorgen der wendungsreiche Plot und die genaue Charakterisierung der Figuren. Besonders gut ist die Atmosphäre der irischen Kleinstadt getroffen, samt dem Priester als moralische Instanz.
Eine spannender zweiter Fall für Frankie Sheehan.

Veröffentlicht am 02.09.2019

Die Lahmen Gäule

Dead Lions
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Slough House ist die Abstellkammer des englischen Geheimdiensts MI5. Endstation für Agenten mit missglückten Aktionen oder Problemen, die aber aus verschiedenen Gründen vor dem Rausschmiss geschützt sind. ...

Slough House ist die Abstellkammer des englischen Geheimdiensts MI5. Endstation für Agenten mit missglückten Aktionen oder Problemen, die aber aus verschiedenen Gründen vor dem Rausschmiss geschützt sind. Aus diesen Büros gibt es keinen Ausweg mehr. Chef dieser Truppe ist Jackson Lamb, ein schmutziger alter Mann. Das ist ganz wörtlich zu nehmen, denn er scheut die Dusche wie der Teufel das Weihwasser. Doch dann gibt es einen Toten, ein Kollege aus alten Berliner Zeiten des Kalten Kriegs. Bei Lamb schrillen die Alarmglocken, vor allem als zwei seiner Mitarbeiter plötzlich wieder für den Dienst aktiviert werden.


Der Spionagekrimi beginnt mit einer Katze, die durch die Räume des Slough House tigert und endet mit einer Maus, die durch die Büros huscht. Das kann man wirklich als Sinnbild ansehen, denn dazwischen spielt Mick Herron mit seinen Lesern Katz und Maus.
Nichts ist, wie es vielleicht scheint und die ganze Handlung hindurch führt der Autor seine Leser an der Leine und lenkt sie dorthin, wo er sie haben will. Nur um im nächsten Absatz mit einem unerwarteten Twist alles wieder in Frage zu stellen. Das ist wirklich brillant und hält die Spannung unglaublich hoch.


Herron hat spürbar Spaß daran, seine Slow Horses – so der interne Ausdruck für die abgehalfterten Agenten – zu portraitieren. Vom autistischen Computernerd bis zur in Würde gealterten Agentin mit einem überwundenen Alkoholproblem ist alles vertreten. Mit bissigen Witz und typisch englischer Ironie sind die Charaktere gestaltet, alles Einzelgänger mit exzentrischen Attitüden, aber auch mit Sympathie gezeichnet. Selbst der egomanische, unangenehme Jackson Lamb, der seine Umwelt an allen seinen Körperfunktionen teilhaben lässt, hat manchmal seine guten Seiten, auch wenn er sie meistens perfekt unterdrückt. Alle seine Mitarbeiter haben nur einen Wunsch, sich zu rehabilitieren und der Fall des getöteten Ex-Agenten scheint genau der richtige Weg zu sein.


Bei Lamb bin ich mir nicht so sicher, er hat sich gut eingerichtet in seinem Umfeld. Immer noch hat er genügend Hintergrundwissen um den Chefs in Regent‘s Park gefährlich zu werden, aber ein Geheimdienst, der wie ein Servicebetrieb aufgestellt ist und von Pfennigfuchsern verwaltet wird, ist nicht mehr seine Welt.
In den klassischen Spionageromanen spielte der Ost-West-Konflikt immer eine tragende Rolle und auch „Dead Lions“ greift das Thema auf. So werden im Jargon die russischen Schläfer genannt, Agenten die inaktiv sind und in der Tarnung von angepassten, wohlanständigen Bürgern auf ihren Einsatz warten. Aber auch Jackson Lamb wartet auf den richtigen Augenblick! Gibt es eine Rückkehr für die Slow Horses?


Auch der zweite Band von Mick Herron hat alle meine Erwartungen erfüllt. Ein intelligenter Krimi mit hohem Unterhaltungsfaktor, absolut lesenswert.

Veröffentlicht am 01.09.2019

Was für eine Familie

Der größte Spaß, den wir je hatten
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„Der größte Spaß den wir je hatten“ ist eine amüsant und empathisch erzählte Familiengeschichte. Marilyn und David sind seit 40 Jahren glücklich verheiratet, sie haben ihre Verliebtheit bewahren können, ...

„Der größte Spaß den wir je hatten“ ist eine amüsant und empathisch erzählte Familiengeschichte. Marilyn und David sind seit 40 Jahren glücklich verheiratet, sie haben ihre Verliebtheit bewahren können, durch Lebenstürme und den unendlichen Alltag. Vier Töchter haben sie bekommen und jede hat einen anderen Charakter.

Wendy, knapp 40, ist seit 3 Jahren Witwe, ihr einziges Kind war eine Totgeburt und sie begegnet ihrer unendlichen Trauer mit Alkohol und jüngeren Verehrern. Von ihren Schwestern ist sie enttäuscht, vielleicht ist da auch ein wenig Neid dabei. Violet hat sich nach einer Tragödie vor 15 Jahren ein Leben als erfolgreiche Anwältin aufgebaut und findet nun als Vollzeitmutter zweier Kinder ihre Erfüllung. An ihre Vergangenheit will sie nicht mehr erinnert werden, doch dann platzt Jonah in ihr Leben, das Kind, das sie damals zur Adoption freigegeben hat. Liza hat eine Karriere als Universitätsprofessorin vor sich und ist schwanger, unsicher ob sie den Mann oder das Kind will. Das Nesthäkchen Gracie hat ihren Weg noch nicht richtig gefunden, sie gaukelt einen erfolgreichen Studienbeginn vor, hat aber von allen Unis nur Absagen kassiert. Aus ihrer Lüge kommt sie einfach nicht mehr raus.

Diese Familiengeschichte bietet genug Stoff für Dramen, Streitereien und große Versöhnungen, wie das Leben eben so spielt. Das alles wird in vielen Rückblenden erzählt und mit jeder Rückschau werden die Figuren lebendiger. Alle Schwestern haben etwas Liebenswertes an sich, an wenn sie sich dessen selbst manchmal nicht bewusst sind. Alle haben auch das harmonische Eheglück ihrer Eltern vor Augen und leiden daran, dass ihnen selbst das nicht so recht gelingen will. Aber sie merken dabei nicht, dass auch sie nur die Oberfläche sehen.

Claire Lombardo hat einen flüssigen, unterhaltsam-heiteren Ton mit der Geschichte getroffen, sie schreibt witzig und kann auch die Dramen ihrer Protagonisten mit einem Augenzwinkern beschreiben. Durch die vielen Rückblenden werden die Ereignisse auch aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt und so kann sich der Leser ein eigenes Bild der jeweiligen Wahrheit machen. Dabei bleibt es auch nicht aus, dass sich manches wiederholt. Das hat mich mitunter zum Überfliegen verleitet. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der Roman etwas gestraffter mir noch besser gefallen hätte. Zu den vier Töchtern konnte ich wenig Nähe aufbauen, manchmal ging es mir wie ihnen untereinander: sie haben genervt. Aber der unangestrengte Erzählstil der Autorin hat das immer wieder mit einer witzigen Szene abgefedert.

Diese amüsante Familiengeschichte möchte ich mit guten 3 Sternen bewerten.

Veröffentlicht am 31.08.2019

Es geht heiß her in München

Blaues Blut
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Sofie hat sich nun entschieden, die Liebe zu Jo Lederer, ihrem Ex- Ehemann ist wieder aufgeblüht. Zwar war Charly Loessel ein sehr charmanter Kandidat, aber alte Liebe rostet eben nicht. Vor allem da ...

Sofie hat sich nun entschieden, die Liebe zu Jo Lederer, ihrem Ex- Ehemann ist wieder aufgeblüht. Zwar war Charly Loessel ein sehr charmanter Kandidat, aber alte Liebe rostet eben nicht. Vor allem da beide wohl aus ihren Fehlern gelernt haben und Eifersucht und Jähzorn vermeiden. Aber wie immer kann sich Sofie nicht aus Jo's Fällen heraushalten, ganz besonders wenn Charly unter Verdacht gerät, seine Ex-Ehefrau getötet zu haben. Aber nicht nur der Fall bringt Stress für Sofie, auch ihr Berliner Freund, Dr. Erik Sander taucht in München auf. Hat er sie doch damals schnöde sitzengelassen, weil ihm die Tochter des Chefarztes nützlicher für seine Karriere schien. Nun ist ihre Chefin ganz hin und weg von seinem Charme. Sofie sitzt zwischen allen Stühlen, vor allem, da Jo die Indizien gegen Charly Loessel ausreichend für eine Verhaftung findet und nicht auf Sofies Intuition hört. Was bleibt ihr denn dann noch übrig, als Charly zu verstecken und auf eigene Faust zu ermitteln.

Sofie steht wie immer unter Strom, fällt bei Stress in breitesten Münchner Dialekt und hat doch immer ein offenes Ohr und Auge für ihre Nöte ihrer Mitmenschen. Gut das Vroni und Flo ihr immer uneigennützig zur Seite stehen, auch wenn es scheint, dass sie diesmal unrecht hat.

Das ist der dritte Band mit Dr. Sofie Rosenhuth als Heldin, ich habe die ersten zwei gern gelesen und bin jetzt etwas enttäuscht. Es wirkt wie ein Aufguss, es sind wieder die gleichen Personen, die gleichen Konstellationen und immer die gleichen Running Gags um das Möpschen und die eisige Dr. Falk mit ihren Männerproblemen, wie immer kämpft Sofie mit Gewicht und Jo Lederers Eigensinn.

Das ist lustig und temporeich, aber letztlich nur eine neue Variation der beiden vorausgegangen Bücher.

Veröffentlicht am 31.08.2019

Ein Leben im Schatten des Vaters

Die Tochter des Malers
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Eine Romanbiografie - steht in der Beschreibung und tatsächlich erfährt man detailreich vieles aus dem Leben der Familie Chagall, deren Mittelpunkt und Fixstern Marc ist. Ehefrau Bella und Tochter Ida ...


Eine Romanbiografie - steht in der Beschreibung und tatsächlich erfährt man detailreich vieles aus dem Leben der Familie Chagall, deren Mittelpunkt und Fixstern Marc ist. Ehefrau Bella und Tochter Ida stellen ihr Leben ganz in den Dienst des Künstlers und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Marc Chagall reagiert wie ein verwöhntes Kind, wenn nicht alle seine Wünsche sofort erfüllt werden. Gleichzeitig fehlt im die Empathie für seine Mitmenschen, woran ganz besonders seine Tochter Ida, die Hauptperson dieses Romans leidet.

Ida war Modell für viele seine Bilder, wurde von der Mutter zu Hause erzogen und hatte nie gleichaltrige Spielgefährten. Zwar wurde sie noch Weißrussland geboren, aber die Chagalls haben nach den ersten nachrevolutionären Progromen das Land verlassen und nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin, ihren Wohnsitz in Paris genommen, damals auch das Zentrum der Künstler. Marc hat bereits erste Erfolge als Maler und das ermöglicht einen komfortablen Aufenthalt.

In dieser Umgebung wächst Ida behütet auf, erst ein Ferienlager für jüdische Jugendliche bietet ihr einen ersten Aufenthalt außerhalb der Familie. Fast zwangsläufig verliebt sie sich in den fast gleichaltrigen Michel. Ein Jahr der Briefwechsel und kurzen Treffen in Paris folgt bis es bei den nächsten Sommerferien zu einem Wiedersehen kommt. Ida wird schwanger und zum ersten Mal mit der Realität des Lebens konfrontiert, denn ihre Eltern reagieren äußerst kaltherzig und zwingen Ida zu einem Schwangerschaftsabbruch und dann, um die Ehre wiederherzustellen, zur Heirat mit Michel, den sie allerdings aus Standesdünkel ablehnen und nie in die Familie aufnehmen. Besonders Marc Chagall, dem der äußere Schein und Reputation besonders wichtig sind, lässt das junge Paar seine Abneigung spüren.

Inzwischen erreichen die Nachrichten vom Aufstieg der Nazis und von den ersten Gräueltaten der SS auch Paris, viele Juden bemühen sich um eine Ausreise, nach Palästina, den USA oder in andere sichere Staaten, auch Michel und Ida versuchen die Chagalls dazu zu bewegen. Aber Marc weigert sich lange, er hält sich allein durch seinen Namen für unantastbar und blendet völlig aus, dass auch in Frankreich bereits die Übergriffe zunehmen.

Letztendlich gelingt es Ida, die Ausreise noch zu ermöglichen und bringt später unter vielen Mühen, einen Großteil des Werks in den USA in Sicherheit. Marc verlässt sich immer mehr auf seine Tochter, Bella Chagall kränkelt und stirbt kurze Zeit nach der Übersiedlung. Ida ist nun Muse, Haushälterin, Kuratorin, Managerin ihres äußerst anspruchvollen Vaters, das ihre Ehe daran scheitert, ist unausweichlich.

Diese Zeit und die weiteren Jahre an der Seite ihres Vaters schildert die Autorin ausführlich. Aber auch in diesem Roman ist Ida nicht die Hauptperson, symbiotisch ist sie mit ihrem Vater verbunden, sie fühlt sich gefesselt, kann sich aber auch nicht lösen und will sich nicht lösen. Als ihr Vater in Virginia Haggard-McNeal eine Geliebte findet, bestimmt sie weiterhin den Haushalt und beansprucht den Platz an seiner Seite.

Man weiß nicht, ob man Ida bedauern oder ablehnen soll. Bedauern, weil sie ein Leben aus zweiter Hand lebt, aufgezwungen durch Erziehung und den Charakter Marc Chagalls; ablehnen, weil sie keine Anstrengung unternimmt, sich zu lösen, sie die Fesseln des anspruchvollen Vaters durchaus genießt.

Idas Persönlichkeit bleibt in diesem Roman undefiniert, es ist mehr ein Buch über Chagall und seine Bilder geworden. Aber vielleicht ist das gerade das, was die reale Person der Ida Chagall spiegelt.
Gloria Goldreich beschreibt detailliert und mit Gespür für die Zeit die Kunstszene der 30iger, 40iger Jahre. Die Eifersüchteleien der Künstler, die sich misstrauisch beäugen, die Welt der Kunstsalons und Ausstellungen.

Ich hätte allerdings gern noch mehr über die ältere, unabhängige Ida erfahren, die endlich ihre eigene Familie gründete und sich aus dem Schatten des Vaters löste, aber das kommt deutlich zu kurz. Auch für die Autorin existiert Ida nur in Verbindung mit ihrem Vater Marc Chagall.