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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.08.2019

Hausbesetzer wider Willen

Allein kann ja jeder
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Ellen hat es wirklich nicht leicht, ihre Tochter Kim, 13, pubertiert ausgesprochen anstrengend, ihre Mutter Rosa, 71, trägt ihre Hippievergangenheit und ihren Joint wie eine Fahne vor sich her und überlässt ...

Ellen hat es wirklich nicht leicht, ihre Tochter Kim, 13, pubertiert ausgesprochen anstrengend, ihre Mutter Rosa, 71, trägt ihre Hippievergangenheit und ihren Joint wie eine Fahne vor sich her und überlässt lässig alle Sorgen und Pflichten der in ihren Augen spießigen Tochter. Ellens Ex wird wieder Vater und braucht für seine neue Familie Geld, deshalb muss das Haus verkauft werden, schließlich hat Ellen nicht genügend Geld um ihren Ex auszuzahlen und die Wohnungslosigkeit droht. Ohne Haus steht auch die Mutter Rosa in Kürze da, denn zusammen mit ihrem Nachbarn und Gefährten Robert, einem pensionierten Polizeibeamten hat sie ihre Wohnung verkauft und beide wollen zusammen in eine Seniorenresidenz ziehen. Doch Robert liegt tot am Fuß seiner Treppe, der Safe ist offen und das Testament und Wertsachen verschwunden. Die Polizei ermittelt anfangs ziemlich erfolglos, obwohl Ellen dem Kommissar Mittmann durchaus ihre Sympathie und mehr entgegenbringt. Aber damit ist der Kummer noch nicht groß genug. Das Bauverhaben mit den edlen Seniorenresidenzen ist ein gut gemachter Immobilienschwindel, ein inzwischen verschwundener Geschäftsführer hat sich das Geld der Leute unter den Nagel gerissen. Auf dem geplanten Grundstück steht noch eine alte Villa und aus drohender Obdachlosigkeit heraus, besetzen Rosa, ihre Tochter und Enkelin und zwei weitere Geschädigte die Bruchbude. Aber wie passt der gewaltsame Tod von Robert zu diesen Vorkommnissen oder ist er mit seinen Recherchen zur Polizeiarbeit der letzten zwei Jahrzehnte jemandem auf die Füsse getreten? Ellen versucht mühsam in diesem Chaos noch den Überblick zu bewahren, muss sie doch sowohl ihrer Tochter, wie auch ihrer ziemlich durchgeknallten Mutter zur Seite stehen, auch ihre Freundin Andrea – Roberts Tochter – braucht Rat, Trost und Zuspruch. Gut dass sich Kommissar Mittmann wenigstens um Ellen kümmert.
Die Gagdichte im neuen Buch von Julia Profijt ist hoch, das ist schließlich ihr Erfolgsrezept. Die Figuren sind so klischeehaft überzeichnet, dass es schon fast wieder komisch ist. Die Handlung ist überdreht und absurd und löst immer wieder laute Lacher aus. Das Titelbild weist schon auf das Genre hin, das Julia Profijt, Dora Heldt und Kolleginnen geschickt und erfolgreich variieren. Das ist leichte, amüsante Sommerlektüre.

Veröffentlicht am 21.08.2019

Schuld und Sühne

Das große Schweigen
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Ein dunkles Kapitel in der Schweizer Gesellschaft: der Umgang mit schwierigen, auffälligen Kindern. Statt Erziehung oder Pflege werden sie weggesperrt in Jugendstrafanstalten und gebrochen entlassen.

Eines ...

Ein dunkles Kapitel in der Schweizer Gesellschaft: der Umgang mit schwierigen, auffälligen Kindern. Statt Erziehung oder Pflege werden sie weggesperrt in Jugendstrafanstalten und gebrochen entlassen.

Eines Tages steht eine alte Frau im Büro des erfolgreichen Rechtsanwalts Ferdinand Bouillé, sie will die Anschrift des Seniorpartners, gibt sich als alte Angestellte zu erkennen. Die Situation eskaliert, wie von Sinnen sticht sie auf den Anwalt ein und stürzt sich aus dem Fenster. Ein sinnloses Attentat, verübt von einer geistig kranken Frau, das eigentlich dem Vater des Anwalts gelten sollte, so scheint es auf den ersten Blick. Doch dann erhält auch Ferdinands Tochter Drohanrufe, im Umfeld des Anwalts und seiner Familie geschehen grauenhafte Morde. Die Polizei ist immer den entscheidenden Schritt zu spät, so dass auch Bouillés Tochter auf eigene Faust ermittelt und einer aberwitzigen Verschwörung auf die Spur kommt. Wie so oft liegt die Schuld in der Vergangenheit.

Ich möchte nicht zu viel vom Inhalt verraten, damit den Lesern die Spannung erhalten bleibt. Das ist ein richtig harter Thriller, mit vielen Szenen, die nichts für zartbesaitete Leser sind. Immer spannend und mit viel psychologischem Geschick in Szene gesetzt, erweist sich das Anfangskapitel als Schlüssel zur Auflösung des Falls.

Ein bisschen viel war mir die Beschreibung der verkorksten Familien- beziehungen der ermittelnden Polizisten, deshalb die 4 Sterne.

Veröffentlicht am 21.08.2019

Tanz auf dem Vulkan

Die schwarze Fee
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Berlin in den Zwanzigern. Oft als die goldene Zeit verklärt. Es gab aber nicht nur die Tanzpaläste, die sexuelle Freizügigkeit und die wilden Partys. Eine große russische Exilgemeinde hat sich in der Stadt ...

Berlin in den Zwanzigern. Oft als die goldene Zeit verklärt. Es gab aber nicht nur die Tanzpaläste, die sexuelle Freizügigkeit und die wilden Partys. Eine große russische Exilgemeinde hat sich in der Stadt zusammengefunden, Literaten und Künstler, Wissenschaftler, Adlige und Revolutionäre jeder Couleur. Es gibt den immer stärker spürbaren Antisemitismus und die ersten Anzeichen des kommenden Nationalsozialismus werden deutlich.

Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Fließt in den teuren Hotels der Champagner und glitzern die Juwelen, leben die Menschen in den Arbeiterbezirken in unglaublichem Elend. Krankheiten und Hunger sind an der Tagesordnung, das Heer der Arbeitslosen wächst.

Ariel Spiro, der noch nicht lange in Berlin lebt, ist weiterhin der Außenseiter. Da hilft ihm der Erfolg als Kommissar bei seinem letzten Fall nicht viel. Im Gegenteil, das hat auch Neid und Eifersucht geweckt. Zwei Tote werden gefunden, keiner kennt sie und keiner vermisst sie. Gestorben auf einem Ausflugsdampfer und in einem Bus, inmitten von Menschen, die nichts gesehen haben.

Dann trifft Ariel wieder auf Nike. Sie haben sich einmal etwas bedeutet, aber nun will Nike Anton vermisst melden. Einen jungen Sozialdemokraten, den sie bei ihrer freiwilligen Arbeit bei der AWO kennengelernt hat. Liebt sie ihn oder ist es nur der sexuelle Reiz? Oder ist es nur Ausflug in der Arbeiterwelt, den Nike in der Kleidung ihres Dienstmädchens inkognito unternimmt, aus hehren Beweggründen, aber immer auch mit der garantierten Rückkehr in den gediegenen Luxus ihrer Bankiersfamilie.

Kerstin Ehmer hat schon mit ihrem ersten Krimi ein erstaunliches Gespür für die Stimmung der Zeit gezeigt. Den historischen Hintergrund fand ich auch in ihrem neuen Buch unglaublich faszinierend dargestellt. Das ist wie eine Geschichtslektion aus erster Hand. Es fließt viel aus der unruhigen Zeit der Weimarer Republik als Handlungshintergrund in das Buch ein. Das macht für mich den Reiz dieses Kriminalromans aus. Ich finde, die Autorin hat den Ton dieser Zeit perfekt getroffen.

Ihre Figuren sind vielschichtig gezeichnet, auch in den abstoßenden Charakteren finden sich noch menschliche Züge. Stark sind auch ihre Frauenfiguren, wie Nike, die selbstbewusste junge Frau, die in ihrem Medizinstudium aufgeht – auch nicht selbstverständlich in der Zeit – und Helene, die starke Frau aus dem Arbeitermilieu, die ihre ganze Kraft einsetzt um ihre Familie zusammenzuhalten.

Ein spannender Kriminalroman mit einem überzeugendend erzählten historischen Hintergrund. Ein Ermittler, Ariel Spiro, vom dem man unbedingt mehr lesen möchte. Das ist mein Fazit für dieses Buch, das ich wirklich empfehlen kann.

Veröffentlicht am 20.08.2019

Aus der Dunkelheit

Die Welt in allen Farben
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Man stelle sich vor, ein Mann wird blind geboren und man lehrt ihn, durch Betasten zwischen einem Würfel und einer Kugel zu unterscheiden. Wenn man ihm nun als Erwachsenem das Augenlicht geben könnte, ...

Man stelle sich vor, ein Mann wird blind geboren und man lehrt ihn, durch Betasten zwischen einem Würfel und einer Kugel zu unterscheiden. Wenn man ihm nun als Erwachsenem das Augenlicht geben könnte, wäre er dann durch bloße Anschauung, noch vor dem Betasten, in der Lage, die Kugel vom Würfel zu unterscheiden? (W. Molyneux)


Nova ist seit ihrer Geburt blind. Dann gibt es da plötzlich eine Operationsmethode, die ihr das Sehen ermöglicht. Lange zögert Nova, sie fühlt sich sicher in ihrer dunklen Welt und weiß nicht, was danach kommen wird.


Kate ist eine recht erfolgreiche Architektin, aber es gibt einen dunklen Punkt in ihrem Leben. Nach zwei Jahren ehe ahnt sie, dass Tony sie nicht liebt, sondern beherrscht. Sie wird immer kleiner bis zu dem Tag, als Tony sie stößt und sie schwer stürzt. Ein Hämatom breitet sich unbemerkt immer weiter in ihrem Kopf aus, bis sie ins Koma fällt.


In der Klinik treffen sich Kate und Nova und für beide Frauen beginnt Schritt für Schritt und langsam tastend ein Weg in ein farbiges Leben.
Dieser Roman verursachte mir Gänsehaut . Ich versuchte mir vorstellen, wie es ist zu sehen, wenn man vorher nicht wusste, was „sehen“ ist. Wenn Farben und Formen fremd und unverständlich sind, wenn man Gesichter sieht und sie nicht deuten kann. Das alles ist für Sehende völlig unverständlich und trotzdem hat es der Autor geschafft, mir eine Ahnung davon zu geben. Er erzählt Novas erste Monate als Sehende unglaublich einfühlsam und sensibel.
Auch die Geschichte von Kate hat mich berührt. Wie sich allmählich in ihr Auflehnung gegen ihr kontrollsüchtigen und gewalttätigen Mann regt, wie sie mit Hilfe von Novas Freundschaft sich auf ihre Stärke besinnt, war großartig.


Der Autor hat die Geschichte seiner beiden Protagonisten beeindruckend erzählt dass sich Kate und Nova dann ineinander verlieben, war für mich eine logische Fortführung. Allerdings fand ich die Liebesgeschichte mit ihren Dialogen und Szenen bei weitem nicht so stark, wie die Entwicklung der beiden Frauen.


Ich finde das Schriftbild des Buches ebenfalls der Erwähnung wert. Es wird mit Schriftgrößen und Formen gespielt. So gibt sich Nova in den ersten Wochen „Sehregeln“, die abgesetzt vom Text sind. Jede dieser Regel fällt sofort ins Auge und regen zum Nachdenken an. Dann gefiel mir ganz besonders ein Stern aus Text, der symbolisiert, wie Nova zum ersten Mal nach einem Stern im Nachthimmel sucht.


Ein beeindruckender und berührender Roman, dem ich viele Leserinnen wünsche.

Veröffentlicht am 19.08.2019

Hallig Leben

Frische Brise auf dem Sommerdeich
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Frische Brise auf dem Sommerdeich. Dieser Titel ist ein Versprechen und das Buch hat es für mich eingelöst. Ich fühlte mich mitgenommen auf die Hallig Hooge und ließ mich von Wind, Wellen und Watt verzaubern.
Katja ...

Frische Brise auf dem Sommerdeich. Dieser Titel ist ein Versprechen und das Buch hat es für mich eingelöst. Ich fühlte mich mitgenommen auf die Hallig Hooge und ließ mich von Wind, Wellen und Watt verzaubern.
Katja Just lebt nun seit fast zwei Jahrzehnten auf der Hallig und hat diese Welt zu ihrem Lebensmittelpunkt gemacht. Sie erzählt von diesem ganz besonderen Leben, abhängig von Gezeiten und Wetter und immer eine ganz besondere Herausforderung. Die meisten Leser werden eine Hallig - wenn überhaupt - nur von kurzen Ausflügen oder Urlaubstagen kennen. Das ist dann sicher eine erholsame Erfahrung, die sogar die Sehnsucht weckt so zu leben. Aber es ist eben nicht nur alles Sonnenschein. Das Leben in einer kleinen, fast abgeschlossenen Gemeinschaft ist nicht immer einfach. Was tun, wenn man eilig einen Arzt oder Tierarzt braucht, wenn ein Sturm oder sogar Sturmflut droht. Das Leben inmitten des Wattenmeers ist etwas Besonderes und man muss schon in sich selbst ruhen, um damit klar zu kommen.
In kurzen Episoden und Anekdoten lässt Katja Just die Leser an ihrem Leben teilhaben. Sie berichtet von alten Traditionen, gewachsenen Strukturen und besonderen Aufgaben. Mit ihrer Hingabe an die neue Heimat hat sie sich auch neuen Herausforderungen gestellt und übernimmt seit einiger Zeit als Bürgermeisterin der kleinen Gemeinschaft Verantwortung.
Die Liebe zur Natur, zu diesem ganz besonderen Flecken Erde, dessen Reiz man manchmal erst auf den zweiten Blick sieht, spricht aus jeder Seite. Ich habe mich sehr wohlgefühlt und mitgenommen gefühlt. Ich werde in Zukunft Halligen aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Als bedrohte Landschaft, für die es sich lohnt, sich einzusetzen.