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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.01.2019

Victor haut ab

Willkommen in der Provence
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Vivianne und Victor – ein Ehepaar seit mehr als 25 Jahren. Man hat sich gut eingerichtet in der Beziehung, auch wenn es so überhaupt nicht mehr prickelt. Berufliche Höhenflüge haben sich beiden zerschlagen, ...

Vivianne und Victor – ein Ehepaar seit mehr als 25 Jahren. Man hat sich gut eingerichtet in der Beziehung, auch wenn es so überhaupt nicht mehr prickelt. Berufliche Höhenflüge haben sich beiden zerschlagen, aber als Leiter einer Bank kann Victor seiner Frau ein komfortables Leben in Aix-en-Provence bieten, einschließlich opulenter Einkaufstouren bei Hermés und anderen Edelboutiquen.
Doch eines Tages, nach einem irritierenden Abschiedskuss, kommt Victor nicht mehr nach Hause. Schlimmer noch, Vivianne muss erfahren, dass das Konto leer ist und sie auf einem Berg Schulden sitzt. Ihre Freundin rät ihr, eine Airbnb-Pension aufzumachen um zumindest die Kreditzinsen bedienen zu können. Aber lange kann sie das Problem vor den anderen Freundinnen nicht geheim halten und siehe da – eine jede hat so ihr Geheimnis.
Das Buch ist unterhaltsam, locker geschrieben und punktet vor allem mit einer wunderschönen, lebendigen Landschaftsbeschreibung. Das ist die Provence, wie ich sie liebe und sie ersteht mir vor Augen, so farbig und bildhaft erzählt die Autorin davon.
Es gibt eine ganze Menge Turbulenzen in Viviannes neuem Leben und die mitunter skurrilen Gäste in ihrer neuen Pension bringen jede Menge Unterhaltung und Spaß in die Geschichte. Eigentlich sollte meine Sympathie ja bei der verlassenen Ehefrau sein, aber das wollte sich so ganz einstellen. Sie bleibt mir eigentlich zu blass und zu unentschieden. Sie braucht für jede Entscheidung erst mal einen Stups von außen. Auch bei den anderen Figuren ging es mir ähnlich. Felix wurde mir so überhaupt nicht lebendig, ich konnte wenig mit ihm anfangen. Die Probleme im Leben der Freundinnen nehmen immer mehr Raum ein und sind zwar amüsant, genau wie die Episoden der Pensiongäste, sie verlagern aber den Schwerpunkt von Vivianne weg.
Gut gefiel mir das offene Ende, genau wie im richtigen Leben brauchen wichtige Entscheidungen ihre Zeit und Vivianne muss sich erst einmal selbst finden. Insgesamt eine unterhaltsame Geschichte mit vielen guten Ideen, aber eben auch noch Luft nach oben.
Die

Veröffentlicht am 25.01.2019

Ein Fall für Britta Sander

Aachener Gangster
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Nach zwei spektakulären Erfolgen ist Britta Sander der Star in der Detektei Schniedewitz. Trotzdem ist sie überrascht, als Tom Hartwig in der Bürotür steht. Hartwig ist ein Schrank von einem Mann, überreich ...

Nach zwei spektakulären Erfolgen ist Britta Sander der Star in der Detektei Schniedewitz. Trotzdem ist sie überrascht, als Tom Hartwig in der Bürotür steht. Hartwig ist ein Schrank von einem Mann, überreich tätowiert und taucht gleich mit 4 Bodyguards im Schlepptau auf. Sein Fall ist delikat, sein väterlicher Freund und Mentor wurde auf grauenhafte Weise ermordet. Da der sich im Gangstermilieu bewegte, will Hartwig den Mörder finden ohne die Polizei einzuschalten.
Entgegen aller Vernunft und Warnungen nimmt Sander den Auftrag an und findet sich bald tief in die Machenschaften diverser Syndikate verwickelt. Hartwig selbst scheint seiner Vergangenheit abgeschwört zu haben und will nur noch legale Geschäfte als Kunst-und Antiquitätenhändler abwickeln. So ganz glaubt Sander das zwar nicht, aber tiefer will sie gar nicht bohren.
Der dritte Fall für Britta Sander beginnt mit einem Prolog, der einige Tage in der Zukunft angesiedelt ist. Das erhöht sofort die Spannung, denn es wird klar, dass die Sache nicht ungefährlich wird. Aber Britta ist abgebrüht und kann genauso gut austeilen, wie einstecken. Damit - und weil sie so völlig unbeeindruckt von Hartwigs Machtdemonstrationen bleibt - erwirbt sie sich bald seinen Respekt und sein Vertrauen.
Der Aachener Krimi punktet aber auch mit Humor. Nicht nur Sanders Gedanken – immer wieder kursiv eingestreut – sind lakonisch und witzig. Auch ihr Hund Sammy, das Kampfknäuel, trägt dazu bei. Das lockert den Krimi auf, genau wie die wohl bewusst gewählte Übertreibung der Figur Hartwigs und seiner Gegenspieler aus dem Gangstermilieu. So fährt Hartwig natürlich Maserati und seine 4 (!) Bodyguards in nagelneuen Range Rovers hinterher. Sein Haus ist eine Festung, für die es wohl nie eine Baugenehmigung gab. Und Hartwigs Kollege aus dem Milieu führt schon mal als Machtdemonstration einen Leoparden an der Leine spazieren.
Dadurch habe ich auch gar nicht allzu viel Realismus erwartet, obwohl ich mich schon fragte, wieso ein Mann wie Hartwig mit schier unerschöpflichen Ressourcen an Geldmittel und Verbindungen eine regionale Detektei beauftragen muss. Aber das hat meinen Lesespaß überhaupt nicht geschmälert, beeinträchtig wurde er von einem überstrapazierten Stilmittel: Tahar, ein Freund Brittas und ein Computergenie, darf nur mit französischem Akzent sprechen und das wird mit Sätzen wie „ist das einö Fragö?“ oder „mir kommön die wildestön Sachön zu Ohrön“ wiedergegeben. Das gefiel mir nicht und nervte zusehends.
Nichts desto trotz, der Aachen Krimi hat mir gut gefallen und ich bin auf die Vorgänger Bande neugierig geworden.

Veröffentlicht am 23.01.2019

Dachsberger Rosengarten

Das einfache Leben
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Jahrzehntelang führte Elisabeth Kohlbrenner in Bonn eine Beziehung im Schatten, als Geliebte eines verheirateten Mannes aus einflussreichen Kreisen. Nach seinem Tod kehrt sie auf den alten Familienhof ...

Jahrzehntelang führte Elisabeth Kohlbrenner in Bonn eine Beziehung im Schatten, als Geliebte eines verheirateten Mannes aus einflussreichen Kreisen. Nach seinem Tod kehrt sie auf den alten Familienhof im Schwarzwald zurück. Kurz darauf kommt auch Adele, die ältere – immer bewunderte Schwester – zu Besuch und bleibt. Nicht ganz freiwillig, auch ihre Beziehung ist gescheitert und ihre finanzielle Situation ist alles andere als rosig.

Doch ein Traum von Elisabeth soll Wirklichkeit werden: auf dem Gelände, dass der geschäftstüchtige Bruder Hans in den Anfängen der Wirtschaftswunderjahre mit seiner Fabrik vergiftet und mit Quecksilber kontaminiert hat, soll ein Rosengarten entstehen. Ein Rosengarten auf 1000 Höhenmetern und den strengen Wintern im Schwarzwald trotzend.

Das einfache Leben ist so einfach nicht, aber die Rückbesinnung auf ihre Wurzeln hilft den Kohlbrenner Schwestern mit ihrer Vergangenheit abzuschließen und eine neue Richtung einzuschlagen. In vielen Rückblenden erzählt die Autorin von der Kindheit, dem Aufbruch in die weite Welt, von Erfolgen und geplatzten Träumen. Diese Rückschau enthüllt den Charakter der Schwestern, deren Portraits sehr fein gezeichnet sind, aber auch seltsam kühl und künstlich auf mich wirken.

Ich habe mich in diesem Buch mit den Zeitsprüngen nicht so recht anfreunden können, obwohl ich das sonst als Stilmittel durchaus schätze. Vielleicht weil das Buch recht abrupt zwei Jahrzehnte überspringt und endet.

Sehr interessant fand ich die Sprache, der heitere, von weiser Gelassenheit getragene Ton passt sehr schön zur Geschichte, hat aber bei mir, ähnlich wie bei den Figuren eine gewisse Distanz erzeugt.

Man spürt die Liebe der Autorin zu ihrer Heimat, auch sie hat den Schwarzwald jung verlassen und kehrt nach Jahren in Bonn zurück, die Sehnsucht zu den Wurzeln hat sie mit ihren Figuren gemeinsam.

Veröffentlicht am 21.01.2019

Ein Sommer am Atlantik

Die Sommer meines Lebens
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Die junge Ella verbringt 1938 ein zauberhaften Sommer auf der Ile de Ré bei einer französischen Freundin ihrer Mutter. Mit Sohn Christophe verbindet sie bald mehr als eine Freundschaft. Es scheint, sie ...

Die junge Ella verbringt 1938 ein zauberhaften Sommer auf der Ile de Ré bei einer französischen Freundin ihrer Mutter. Mit Sohn Christophe verbindet sie bald mehr als eine Freundschaft. Es scheint, sie hat die Liebe ihres Lebens gefunden. Doch schon ihren nächsten Sommerbesuch muss sie abbrechen. Der Krieg ist ausgebrochen und Christophe wird zur Armee eingezogen. Auch Ella meldet sich als Freiwillige zum Frauenhilfscorps der Army. Dann erhält sie eine schreckliche Nachricht aus Frankreich, die ihre Zukunftspläne zunichtemachen.
60 Jahre später bittet Ella ihre Enkelin Kendra ihre Erinnerungen aufzuschreiben. Ella ist am Ende ihres Lebens angekommen und spürt, wie sich ihre Erinnerungen allmählich auflösen. Sie möchte aber ihre Geschichte an ihre Kinder, vor allem an ihre Tochter, weitergeben. Für Kendra werden Ellas Geschichten auch zum Spiegel ihrer eigenen Situation. Ihre Ehe ist in einer Krise, ihr Mann und sie sind überfordert von den Problemen mit dem autistischen Sohn Finn. Ihre Liebe scheint verloren zu gehen, während sie versuchen, den Alltag zu bewältigen.
Der Roman spielt auf zwei Zeitebenen. Die Erinnerungen von Ella führen nach Frankreich, berichten von unbeschwerten Sommerwochen und dem Zauber der ersten großen Liebe, über die bereits die dunklen Wolken der Kriegszeiten drohen. Ihre Erzählungen reichen bis ins Jahr 1970 und berichten von Hoffnung und zerplatzten Träumen, von Verzicht und neuem Glück. Dieser Zeitraum nimmt nicht nur den größten Teil des Romans ein, er ist auch der Teil, der mich am meisten gefesselt hat. Eine starke Frau, die am Ende ihres Lebens zurückblickt und ihr Schicksal Revue passieren lässt – das hat mich wirklich berührt und auch die historischen Details, die den Zweiten Weltkrieg aus der Sicht Englands und Frankreichs erzählen, fand ich sehr interessant.
Die Szenen vom Sommer auf der Atlantikinsel sind zauberhaft erzählt, Wind und Sonne, der Duft der Gräser und Kräuter, das wirkt lebendig und erzeugt farbige Bilder in meiner Vorstellung und nimmt mich mit auf die Insel.
Dagegen wirkt Kendra und ihr Familienproblem fast ein bisschen blass. Obwohl sehr sympathisch geschildert und ihr Nöte greifbar sind, ist eindeutig Ella die prägnanter gezeichnete Figur.
Ein warmherziger Roman, der obwohl manche traurige Szene enthält, einen optimistischen Ausblick auf das Leben hat. Ich habe mich davon wirklich anrühren lassen und bin auf Stunden die in Geschichte eingetaucht.

Veröffentlicht am 21.01.2019

Tage der Abrechnung

Die Farben des Feuers
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Am Tag der Beisetzung des Bankiers Marcel Péricourt, stürzt oder springt der Enkel aus dem Fenster und bleibt schwerverletzt auf dem Katafalk liegen. Madeleine Pericourt verliert sich in ihrer maßlosen ...

Am Tag der Beisetzung des Bankiers Marcel Péricourt, stürzt oder springt der Enkel aus dem Fenster und bleibt schwerverletzt auf dem Katafalk liegen. Madeleine Pericourt verliert sich in ihrer maßlosen Trauer und in ihrer Sorge um den nach dem Sturz gelähmten Sohn Paul. So steht sie zwar formell an der Spitze des Bankhauses, aber der Prokurist der Bank Gustave Joubert lenkt die Geschäfte. Umgeben ist Madeleine vom raffgierigen Onkel Charles und vom Hauslehrer André Delcourt, der auch ihr Liebhaber ist. Erst spät, zu spät begreift Madeleine, dass keiner ihrer Vertrauten ihr Wohlwollen im Auge haben. Joubert will Rache für die Kränkung, dass er mit einem Almosen im Testament des alten Péricourt abgespeist wurde.
Doch als Madeleine alles verloren hat, erwacht in ihr die Kraft ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Die politischen Wirren, die Wirtschaftskrise und die Vorboten des Zweiten Weltkriegs spielen ihr in die Hände und sie beginnt die Schuldscheine für den Verrat einzufordern.
Pierre Lemaitre findet einen leichten, oft sogar ironischen Ton um seine Figuren zu portraitieren. Der Roman entwickelt fast die Dynamik einer Kriminalgeschichte, wenn Madeleine Zug für Zug ihren Rachefeldzug umsetzt. Die farbige Darstellung der Gesellschaftsschichten und deren Umwälzungen im Vorkriegsfrankreich ist prägnant und gelungen. Der Roman entwickelt einen Sog, dem ich mich als Leserin nicht entziehen konnte. Besonders gelungen fand ich die Frauen der Geschichte, nicht nur Madeleine, sondern auch Kindermädchen Léonce und Pflegerin Vladi sind großartig portraitiert und stehen für ihre jeweilige Gesellschaftsschicht. Es ist ein groß angelegter Sitten- und Gesellschaftsroman, in den Lemaitre Madeleines Abrechnung einbettet. Dabei gefiel mir ganz besonders die Raffinesse der einzelnen Handlungsstränge, die auch mit Kritik an der damaligen Gesellschaft nicht spart. Ob nun es die Arroganz des Großbürgertums oder die Eitelkeit der Politiker oder die Geltungssucht der Presse ist. Madeleine hat viel verloren, aber ihre Freiheit hat sie sich zurück erobert.
Ein wunderbarer Roman, dessen brillante Sprache mich nachhaltig beeindruckt hat.