Schonungslos
Solange wir schwimmen„Solange wir schwimmen“ von Julie Otsuka erzählt uns über Alice, leidenschaftliche Schwimmerin, wundervolle Mutter, bezaubernde Frau mit frontotemporale Demenz. Subtyp Morbus Pick.
Pick-Gehirne sind eher ...
„Solange wir schwimmen“ von Julie Otsuka erzählt uns über Alice, leidenschaftliche Schwimmerin, wundervolle Mutter, bezaubernde Frau mit frontotemporale Demenz. Subtyp Morbus Pick.
Pick-Gehirne sind eher selten und doch möchte wohl niemand zu dieser Ausnahme zählen.
Ein Buch, welches ich mit offenem Herzen gelesen und vor allem (mit-)gefühlt habe.
Im Schwimmbad unter der Erde herrscht eine strenge Ordnung.
Hier fühlen sie sich wohl und schwimmen ihre Bahnen.
Alle Sorgen von oben, an Land, kann man hinter sich lassen.
Auch Alice schwimmt hier seit Jahren kontinuierlich ihre Bahnen.
„Da oben, sagt sie, bin ich einfach nur eine kleine alte Dame. Aber hier unten im Schwimmbad bin ich ich selbst.“ (Pos.41)
Im wirklichen Leben „oben“ sind sie Nichtskönner, Vielesser, Dichter, Ehepartner, Nonne uvm. , aber unten, im Schwimmbad, sind sie nur eins von dreien: die Schnellen, die Durchschnittlichen und die Langsamen. Oben, an Land, machen sie oftmals nicht viel her, jedoch im Schwimmbecken werden sie wendig, gelenkig unf geschmeidig.
Eines Tages erscheint ein Riss im Becken, ist er Einbildung, wirklich da, wurde er gesehen? Manche haben Angst, andere ignorieren den Riss und wieder andere verlassen das Schwimmbecken. War Alice die erste, die diesen Riss gesehen hat? Auch Alice‘s Gedächtnis bekommt einen Riss, oder war er schon da?
Die Schwimmer stellen erstmals fest, dass das Leben dort unten auch Nachteile hat.
Als Leser nimmt man den Verfall und die Sanierung des Schwimmbades, den Verlust und die Traurigkeit wahr.
Parallel taucht man, auf eine berührende Weise, in die fortschreitende Demenz von Alice ein.
Der besondere, schlichte und doch kraftvolle Schreibstil der Autorin reißt mich als Leser mit einer Wucht in einen emotionalen Gefühlsstrudel.
Die Herangehensweise an das Thema Demenz, Verlust und Mutter-/Tochter-Beziehung werden hier auf eine sehr besondere Art beschrieben, bildlich dargestellt und detailliert alle Phasen ausgearbeitet. Aus unterschiedlichen Perspektiven hat Julie Otsuka ihren Roman aufgebaut. Die Darstellung der verschiedenen Sichtweisen fesselnd unglaublich, eine Schwere, Traurigkeit und immer wieder ein kleiner Hoffnungsschimmer zieht durch die Seiten.
Die Wahrheit, dass die Krankheit keine höhere Bedeutung hat, keinen höheren Sinn, weder ein Geschenk, noch eine Prüfung ist, sondern nur traurig macht und Ihrem unausweichlichen Ende näher bringt, ist ehrlich, schonungslos und hart zugleich. Das unabänderliche wird aufgezeigt, alles was sie im Leben verschoben haben, werden sie niemals mehr nachholen können.
“Nous sommes desoles. Die Party ist leider vorbei. “ (Pos.993)
“Nichts bleibt, wie es ist.” (Pos. 887)