Spannende Zukunftsvision
Die Banner von HavenDas Buch behandelt eine äußerst realistische und dabei umso bedrückendere Zukunftsvision, die so tatsächlich eintreten könnte. Protagonistin Enid ist einerseits Mitglied in einem Haushalt, das heißt, sie ...
Das Buch behandelt eine äußerst realistische und dabei umso bedrückendere Zukunftsvision, die so tatsächlich eintreten könnte. Protagonistin Enid ist einerseits Mitglied in einem Haushalt, das heißt, sie hat sich mit mehreren zusammen getan, um sich gegenseitig zu versorgen und als Haushalt gemeinsam ein Banner verdienen zu können. Diese Banner sind Ziel vieler Haushalte, erlauben sie doch, dass man ein Kind bekommen kann. In der Gesellschaft der Haushalte ist alles streng reguliert, der Einzelne ist der Gesellschaft und einem Ökonomiegedanken untergeordnet. Kontrolliert wird das System von verschiedenen Gemeindekommittees sowie den Ermittlern.
Enid ist ebenfalls eine Ermittlerin und muss dabei als Mitglied des Haushaltssystems einen gewissen Spagat leisten. Da die Ermittler eine Art Polizei darstellen und unregelmäßige Vorkommnisse kontrollieren, sind sie nicht besonders beliebt.
An Enids Seite ist der Ermittler Thomas, der sie anleitet und eine Art Vaterfigur darstellt. Gemeinsan müssen sie in einem rätselhaften Todesfall ermitteln.
Die Ermittlungen bilden dabei einen Haupterzählstrang. Ergänzt wird er mit Rückblenden aus Enids Leben, die der Geschichte die nötige Tiefe und eine gewisse Schwere verleihen. Es wird angedeutet, wie es zum „Ende der alten Tage“ kam und wie die neuen Gesellschaftsformen entstanden sind.
Diese Abschnitte sind mir besonders nahe gegangen, Verbunden mit einer bittersüßen Liebesgeschichte, enthalten sie eine unterschwellige Kritik der heutigen egozentrischen Konsumgesellschaft. Sie wirft Fragen auf, etwa wie knappe Ressourcen verteilt werden, was für das Fortbestehen der Menschheit nötig ist und wieviel der Einzelne im Vergleich zur Allgemeinheit zählt.
Der Beginn des Buches und der Einblick in das Leben der Haushalte erinnerte mich an die ersten Kapitel und die Distrikte aus „Tribute von Panem“. Nicht im abgekupfterten Sinne, vielmehr erzeugte ‚Die Banner von Haven‘ dieselbe melancholische Stimmung bei mir – ich denke, ihr wisst, was ich meine.
Den Gesellschaftsentwurf der Haushalte fand ich extrem spannend und könnte mir auch vorstellen, dass sich Menschen in solch einem Szenario in kleinen Gruppen organisieren – wie bei The Walking Dead etwa. Es ist der krasse Gegenentwurf zur heutigen Gesellschaft, in der jeder scheinbar nur seine eigenen Pläne verfolgt, wo Regierungen und Konzerne die Ressourcen der Erde wider besseres Wissen für unerschöpflich halten und nicht ökonomisch haushalten, sodass die zukünftigen Generationen die Folgen tragen müssen. Durch das Gegensetzen dieses Gesellschaftsentwurfs wird die Schwäche der heutigen Gesellschaft deutlich – die Menschheit nimmt keine Rücksicht aufeinander, arbeitet nur für sich statt miteinander und jeder ist sich selbst der nächste. In Vaughns Haushalten müssen alle zusammen arbeiten, um die größte Belohnung erhalten zu dürfen – die Erlaubnis, ein Kind in die Welt zu setzen. Die Zukunft der Welt in Form von Kindern wird zur größten Belohnung für ein regelkonformes und gesellschaftsdienliches Leben.
Dieser Entwurf ist überspitzt und erhält im Buch selbst durch einen Gegenentwurf Kritik – Enid und Dak treffen auf nichtorganisierte, scheinbar ‚unzivilisiert‘ lebende Menschen, die aber frei Kinder bekommen können.
Das Buch verfolgt die Aufklärung des Todesfalles, wobei es für mich spannungsmäßig nicht unbedingt auf Krimi- oder gar Thrillerlevel liegt. Das ist auch nicht Anspruch des Buches. Auch gibt es neben der Aufklärung des Falles kein übergeordnetes Finale, kein Showdown. Das Leben geht weiter in Haven und gerade das fand ich am Buch so besonders.
‚Die Banner von Haven‘ ist eine fantastische Dystopie. Sie ist dabei eher von leisen Tönen und zwischenmenschlichem geprägt, wodurch mir das Buch sehr nahe gegangen ist. Es sticht aus der Riege der Dystopien heraus und ist für mich aufgrund des Stimmungsgehalts und Erzählweise ein richtiges Kleinod im Bücherregal.
Wenn ihr mal wieder etwas anderes, etwas gehaltvolleres als das übliche Schema F lesen wollt, dann greift unbedingt zu diesem Buch!