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Veröffentlicht am 18.03.2021

Unterhaltsame und tiefgründige Auseinandersetzung mit KI...

Klara und die Sonne
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In „Klara und die Sonne“ widmet sich der 1954 geborene Kazuo Ishiguro einem brisanten und interessanten Thema: der künstlichen Intelligenz.

In Ishiguros dystopischer Welt, die im ländlichen Amerika spielt, ...

In „Klara und die Sonne“ widmet sich der 1954 geborene Kazuo Ishiguro einem brisanten und interessanten Thema: der künstlichen Intelligenz.

In Ishiguros dystopischer Welt, die im ländlichen Amerika spielt, gibt es künstliche Freunde.
„KFs“ nennt man sie.
Letztlich sind es programmierte menschenähnliche Roboter.

KFs sollen die Aufgaben und Funktionen echter und lebendiger Freunde nachahmen bzw. ersetzen.
Sie sollen Kindern Gesellschaft leisten, ihnen die Zeit vertreiben und sie ins Erwachsenenleben begleiten.

Klara ist eine solche KF.
Sie befindet sich entweder im Hinterraum des Ladens, in dem sie verkauft wird, oder sie wird im Schaufenster ausgestellt, was ihr besonders zusagt, weil sie dort von der Sonne gewärmt wird. Hier wartet sie darauf, auserwählt zu werden.
Von ihrer Position aus beobachtet sie das Geschehen vor dem Fenster, die Passanten, die Autos und die Obdachlosen.

Klara wird schließlich von der 13-jährigen Josy als Begleiterin ausgewählt.
Josy ist oft krank und viel allein. Ihre Eltern haben sich getrennt und ihre Mutter hat vor lauter Arbeiten nur wenig Zeit.
Da kommt so eine KF, die sich eifrig um ihr Mündel kümmert, gerade recht.
Die beiden Mädchen leben von nun mit Josys Mutter und einer Haushälterin in einem recht abgelegen Haus.

Das Interessante ist, dass wir in diesem Roman in Klaras „Haut stecken“.
Wir betrachten die fremdartige und kühle dystopische Welt des Romans durch ihre Augen, also durch die aufmerksamen Augen einer künstlichen Intelligenz, die sehr lernfähig ist und aufgrund ihres letztlich doch begrenzten Wissens Schlüsse zieht, die manchmal irrwitzig und wunderlich anmuten.

Am Anfang sehen und verfolgen wir die Geschehnisse vor dem Schaufenster und nachdem Klara gekauft wurde, beobachten wir die Beziehungen von Josy z. B. zu ihrer vielbeschäftigten Mutter oder zum Nachbarjungen. Andere Interaktionen kommen nur bei aufwendig organisierten Interaktionsmeetings zustande.

Mit der Zeit wird erkennbar, dass Arbeit die Regel, aber zwischenmenschlicher Umgang nicht selbstverständlich ist.
Schule findet nicht mehr als Präsenzunterricht, sondern online statt und der Stellenwert der Natur ist deutlich gesunken.

Der britische Literaturnobelpreisträger Ishiguro erzählt wie immer meisterhaft, gleichermaßen feinfühlig wie neutral-distanziert sowie völlig unaufgeregt.
Er nimmt sich Zeit. Die Geschichte um Klara darf sich entfalten. Manchen mag das zu langweilig sein - ich finde es wunderbar!

Er setzt sich über Klaras kindliches Denken und ihre wissbegierigen Beobachtungen mit tiefgründigen Themen und brisanten Fragen, die mit künstlicher Intelligenz und Mensch-Sein verbunden sind, auseinander.

Letztlich geht es darum, was das Mensch-Sein ausmacht.
Emotionen, Bewusstsein, Denken, ethisches und moralisches Handeln, Identität, Individualität - das sind Schlagwörter, mit denen sich Kazuo Ishiguro in seinem neuen Werk implizit beschäftigt.
Implizit, d. h. zwischen den Zeilen und unaufdringlich. Man kann den Roman also als bloße Science-Fiction-Unterhaltungsliteratur genießen oder ihn auf einer tieferen Ebene als Reflexionsgrundlage sehen und Gedankenanstöße aufgreifen und weiterspinnen.

„Klara und die Sonne“ ist ein brillanter Roman, der zum Nachdenken anregt und bestens unterhält.
Ich habe ihn in zwei Tagen verschlungen und empfehle ihn sehr gerne weiter.

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Veröffentlicht am 16.03.2021

Ein verhängnisvoller Besuch mit unfassbaren Folgen...

Die Lebenden
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Der 17-jährige Benoît freut sich, als im Mai endlich seine fast 25-jährige Schwester Louise mit ihrem Mann Vincent und ihren beiden Kindern, dem achtjährigen Fabien und dem etwas jüngeren Luc, für ein ...

Der 17-jährige Benoît freut sich, als im Mai endlich seine fast 25-jährige Schwester Louise mit ihrem Mann Vincent und ihren beiden Kindern, dem achtjährigen Fabien und dem etwas jüngeren Luc, für ein paar Tage zu Besuch ins Elternhaus kommen.

Benoît und seine hinreißende und hübsche Schwester, die schon mit 16 Jahren Mutter geworden ist und ihre Söhne liebevoll, geduldig und gutmütig erzieht, haben nach wie vor eine innige emotionale Verbindung, obwohl sie sich nur noch selten sehen.

Mit ihrem Mann Vincent scheint die anspruchslose und nachsichtige, noch sehr unreife Louise nicht das große Los gezogen zu haben. Er ist unzufrieden mit seinem Schicksal, überwiegend schweigsam, herablassend, gereizt und schroff.

Die Mutter von Louise und Benoît, die sich vor ca. 9 Jahren, also kurz vor dem „Schlamassel mit Louises Schwangerschaft“, von ihrem Mann, dem Vater der Geschwister, getrennt hat, hat ihren Unmut über die frühe Schwangerschaft Louises und deren Weigerung, abzutreiben, immer noch nicht begraben, so dass sie auch bei diesem seltenen Besuch der jungen Familie nur gebremst freundlich entgegentritt und wenig zugänglich ist.

Eines Nachmittags machen Benoît und Louise mit den beiden Jungs einen Ausflug zur stillgelegten Kiesgrube.

Während Louise auf einer Wiese ein Sonnenbad nimmt, langweilen sich Benoît, Fabien und Luc.
Die drei „Jungs“ haben schließlich Spaß bei einer Rutschpartie auf den Steinen des Abhangs und als der junge Onkel seinen beiden Neffen vorschlägt, über die Leiter auf eine Verladeplattform zu klettern, sind diese hellauf begeistert.

„... da kam Benoît ... auf die Idee, sie in einer der Seilbahngondeln hinunterfahren zu lassen wie die Tonnen von Kies, die er früher im staubigen Nebel, in dem die Schaufelbagger stocherten und den Hügel aushöhlten, vorüberschweben sah.“ (S. 23)

Er hebt die Jungs also in die kleine Gondel, die direkt über der Platform an einem Seil hängt, das in zwei Metern Abstand vom Boden über die ganze Länge der Kiesgrube und über den Fluss hinweg verläuft und setzt das Gefährt in Bewegung.
Die Talfahrt beginnt und das Unglück nimmt seinen Lauf...

Schon auf den ersten Seiten spürt man das nahende Unheil, man will es verhindern, man würde am liebsten schreien „Nein! Nicht in die Gondel!“...und dann stockt einem der Atem.

Es gelingt Pascale Kramer spielend, die anfangs bedrohliche, später bedrückende und von Aggressivität, Verzweiflung, Ratlosigkeit und Trauer geschwängerte Atmosphäre zu vermitteln.
Ihr Einfall, die Atmosphäre mit der portugiesischen Fadomusik in Verbindung zu bringen bzw. zu vergleichen ist einfach nur brillant!
„Fado“ ist das portugiesische Wort für „Schicksal“ und diese Melodien sind durchdrungen von Melancholie und Sehnsucht.
Nichts für depressive Menschen!

Pascale Kramer ist eine aufmerksame Beobachterin die das Beobachtete psychologisch genau, feinfühlig, und anschaulich formuliert.
Mit ihrer eindringlichen und bildhaften Sprache beschreibt sie ungeschönt die inneren und äußeren Prozesse nach dem Schicksalsschlag.
Viele ihrer Formulierungen gefielen mir so gut, dass ich sie mehrmals gelesen habe.
Hier ein paar Beispiele:

„Benoît konnte allein am Tonfall seiner Mutter, der harsch war vor Angst und Gewissensbissen, ablesen, in welchem Augenblick Luises Aufmerksamkeit nachließ wie ein sich lockerndes Tau.“ (S. 45)

„Es war erstaunlich, wie das Leben in ihr gegen das Unglück kämpfte und wie eindrucksvoll das Unglück dadurch wurde.“ (S. 49)

„Unter der phänomenalen Gesundheit ihres schlanken Körpers, ihrer samtigen Wangen, ging ihre Seele verloren.“ (S. 51)

„... dass er gezwungen war, sich in einem neuen Leben voranzutasten, von dem er weder die Regeln noch den Ausgang kannte und das für ihn gewiss nie mehr würde friedlich sein können.“ (S. 52)

„Vincent und er standen jetzt auf einer Seite, zornig im Unglück und neidisch auf das Glück der Anderen.“ (S. 54)

„Benoît hatte wieder dieses Gefühl, dass sie in sich selbst ertrank und dass ihre Worte Luftblasen waren, die wie durch ein Wunder bis zu Ihnen aufstiegen.“ (S. 55)

... ich könnte noch viele viele weitere solcher literarischer Leckerbissen anführen, aber letztlich möchte ich jedem, der etwas Besonderes lesen möchte, die Lektüre des ca. 170-seitigen Meisterwerks empfehlen.

Die 1961 in Genf geborene Pascale Kramer schreibt über ein unfassbares Drama.
Aus Unbedachtheit, Leichtsinn, Übermut und Sorglosigkeit wird eine Fehlentscheidung getroffen, die das Leben aller Beteiligten grundlegend verändert.
Es geht in ihrem Roman „Die Lebenden“ um Verantwortung, Wahrheit oder Notlüge, Verleugnung, Gewissen, Schuldgefühle, Umgang mit Trauer, Verarbeitung von Schicksalsschlägen und es wird auch die Frage aufgeworfen, ob man nach so einer beispiellosen Katastrophe weiterleben und wieder glücklich sein darf und kann.

Neben meiner Faszination tauchten auch noch andere Gefühle auf: Verwunderung, Fassungslosigkeit und Empörung.
Ich fragte mich irgendwann ständig, warum in dieser Phase der maximalen Überforderung niemand auf den Gedanken kam, professionelle Hilfe ins Boot zu holen. Ausharren, Ablenkung und Betäubungsmittel können einfach nicht die Lösung sein!

Ich habe mir viele Gedanken darüber gemacht, warum nicht einmal die Mutter von Benoît und Louise irgendwann auf die Idee kam, psychiatrische und psychotherapeutische Unterstützung einzuholen.
Der Roman erschien 2000 in der französischen Originalausgabe und ich denke, er spielt auch um diese Zeit herum.
Damals wusste man schon um die Sinnhaftigkeit und Notwendikeit therapeutischer Unterstützung.
Die Bevölkerung war schon darüber aufgeklärt.
War es die dörfliche Umgebung? War es der Anspruch, es selbst zu meistern?
War es die Scham vor dem Eingeständnis, es nicht alleine zu bewältigen?
Letztlich kann ich als Psychoanalytikerin nicht wirklich nachvollziehen, warum sich Frau Kramer dafür entschied, Profis bei dieser menschlichen Tragödie außen vor zu lassen.

Nachdem der Roman zu Beginn eine Wucht war und mich wie ein Donnerschlag in seinen Bann zog, ließ meine Begeisterung gegen Ende etwas nach.
Die Gründe?
Die eben erwähnte Unstimmigkeit und das völlig unvorhergesehene, verblüffende, teilweise offene und unbefriedigende Ende.
Aber der zweite Grund ist kein objektiver Makel, das möchte ich betonen! Ich habe mir schlicht einen anderen Ausgang vorgestellt oder gewünscht.

Aber nichtsdestotrotz: Das ist Mäkeln auf hohem Niveau.

Der Roman ist unbedingt lesenswert und weil Pascale Kramer, die 2017 den Schweizer Grand Prix Literatur erhielt, mich mit ihrer Art zu schreiben überzeugt hat, habe ich mir bereits ihren mehrfach preisgekrönten Roman „Die unerbittliche Brutalität des Erwachens“ zugelegt.

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Veröffentlicht am 16.03.2021

Eine mitreißende Kriminalgeschichte rund um eine Altenpflegerin...

Kein Feuer kann brennen so heiß
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Schon von Kindesbeinen an steht die inzwischen 30-jährige Lorina, die eigentlich eine Junge hätte werden sollen, im Schatten ihrer hübschen und erfolgreichen Schwester Carola.
Während Carola es zur Bankerin ...

Schon von Kindesbeinen an steht die inzwischen 30-jährige Lorina, die eigentlich eine Junge hätte werden sollen, im Schatten ihrer hübschen und erfolgreichen Schwester Carola.
Während Carola es zur Bankerin gebracht hat, ist die selbst in die Pflege eingestiegen, denn sie ist eine tatkräftige und robuste Frau, die anpackt, statt große Worte zu schwingen.
Lorina arbeitet nun als Altenpflegerin in der Villa Alsfelder, wo sie die nette alte und reiche Hausherrin Victoria Alsfelder betreut, die seit einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt.
Lorina hat großes Glück mit der Stelle, denn sie verdient gut und hat darüber hinaus freie Kost und Logis.
Aber weit gefehlt, zu denken, dass der Alltag hier monoton und öde ist.
Flirts und Liebeleien mit dem Physiotherapeuten Boris, ein aufgeschwatzter Pudel, ein verwaistes Baby und der habgierige Großneffe Christian bringen Schwung in die Bude.
Natürlich gibt es auch eine Leiche, aber wer das ist und welche Motive dahinter stecken könnten, verrate ich natürlich nicht.

Nur so viel: Mich hat Frau Noll, die dreifache Mutter und vierfache Großmutter, die erst mit dem Schreiben begonnen hat, als ihre Kinder aus dem Haus waren, wieder voll überzeugt.

Die 1935 in Shanghai geborene Autorin hat mit „Kein Feuer kann brennen so heiß“ eine weitere spannende, unterhaltsame und humorvolle Kriminalgeschichte geschrieben.
Es ist ihr wieder gelungen, mich mit teils skurrilen Figuren und einem mitreißenden Plot, der mitten aus dem Alltag kommt und viel Situationskomik bietet, zu fesseln.

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Veröffentlicht am 15.03.2021

Wieder ein spannender Fall aus Three Pines...

Bei Sonnenaufgang
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Wie habe ich mich darauf gefreut, wieder nach Three Pines im französischsprachigen Teil Kanadas zu reisen und dort Armand Gamache, Chief Inspector der Sûreté du Québec wieder zu treffen.

Three Pines, ...

Wie habe ich mich darauf gefreut, wieder nach Three Pines im französischsprachigen Teil Kanadas zu reisen und dort Armand Gamache, Chief Inspector der Sûreté du Québec wieder zu treffen.

Three Pines, das ist ein kleines, abgelegenes, beschauliches, fiktives Dorf zwei Autostunden östlich von Montreal entfernt.
Es liegt tief versteckt in den Wäldern Richtung US-Grenze nach Vermont.

Obwohl Gamache und sein Stellvertreter Jean-Guy Beauvoir ihren letzten Einsatz noch nicht verdaut haben und sowohl ihre Freundschaft als auch jeder für sich noch sehr angeschlagen ist, werden sie wieder gefordert.

Dieses Mal muss der Mord an der berühmt-berüchtigten Kunstkritikerin Lillian Dyson, aufgeklärt werden.
Ihre Leiche wird eines morgens im Blumenbeet der Künstlerin Clara Morrows gefunden.

Die Frage ist natürlich, wer die Frau, die sich zu Lebzeiten einige Feinde gemacht hat, umgebracht hat.
Die Frage ist natürlich auch, warum sie umgebracht wurde.
Die Frage ist aber auch, welche Rolle Clara spielt und ob der Mord etwas mit der Vernissage von Claras Einzelausstellung im berühmten Musée d’art contemporain de Montréal zu tun hat, die am Vortag stattgefunden hat.
Gibt es einen Zusammenhang mit der glamourösen Party, die nach der Vernissage in Three Pines stattgefunden hat?
Auf dieser Party war nämlich neben sämtlichen Berühmtheiten aus der Kunstszene auch die ermordete Lillian Dyson, eine alte Freundin Claras, die den Ruf hatte, eine extrem scharfe Kritikerin zu sein, die nicht selten das Objekt ihrer Kritik gnadenlos verreißt.

Die 1958 in Toronto geborene Louise Penny hat es zum siebten Mal geschafft, mich mit einer mitreißenden Kriminalgeschichte zu fesseln. Ihre Figuren sind authentisch und ihre Sprache ist anschaulich, kraftvoll und lebendig.

Der vorliegende Roman kann zwar bestimmt unabhängig von den anderen gelesen werden, ich empfehle aber, mindestens die beiden Vorgänger, Band 5 und 6, vorab zu lesen.
Die drei gehören meines Erachtens in gewisser Weise zusammen und ich glaube, das Lesevergnügen wird größer, wenn man in 7 gedanklich auf 5 und 6 zurückgreifen kann.

Ich bin begeistert von der Reihe um Chief Inspector Gamache. Es sind allesamt spannende, kurzweilige, bemerkenswerte und außergewöhnliche Kriminalromane.
Auch „Bei Sonnenaufgang“ ist ein großer Wurf und absolut lesenswert!

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Veröffentlicht am 13.03.2021

Ein stilvolles und hochwertiges Nachschlagewerk!

GIN
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„Gin - Das Buch“ von Peter Jauch ist ein gigantisches Nachschlagewerk bzw. ein umfassendes Lexikon, das über 2 kg wiegt, über 400 Seiten umfasst, über 500 Fotos beinhaltet und über 300 Gin-Marken und 50 ...

„Gin - Das Buch“ von Peter Jauch ist ein gigantisches Nachschlagewerk bzw. ein umfassendes Lexikon, das über 2 kg wiegt, über 400 Seiten umfasst, über 500 Fotos beinhaltet und über 300 Gin-Marken und 50 Tonics vorstellt.

Bereits vor dem Aufschlagen und dann beim ersten Durchblättern war ich von den ersten Eindrücken des physischen und inhaltlichen Schwergewichts beeindruckt.

Das gebundene Werk wurde äußerst hochwertig gestaltet.
Der matt-schwarze Einband mit dem tast- und fühlbaren runden Muster um den Buchtitel herum sieht sehr edel aus und sorgt für angenehme Haptik.
Das Cover besticht durch Minimalismus und Kontrast.
Die Aufschrift von Titel und Autor in leuchtend glänzendem Orange peppt das Ganze auf, das dunkelgrüne Lesebändchen ist sehr praktisch und meines Erachtens ein Muss für auserlesene Bücher. An der Papierqualität wurde erfreulicherweise auch nicht gespart.

Bereichert, aufgelockert und belebt wird das Werk mit Hunderten von gestochen scharfen, ansprechenden, edlen und kunstvoll arrangierten Fotos.

Gleich zu Beginn können wir die Kopie eines Kupferstichs mit der Bezeichnung „Gin Lane“, angefertigt 1750 vom englischen Künstler William Hogarth, bewundern.
Der Künstler hielt in seinem Werk die negativen Auswirkungen des Ginkonsums in einem Elendsviertel fest. Das Original hängt übrigens im Städel Museum in Frankfurt.

Der Schmöker ist in drei große Kapitel aufgeteilt.
Das Kapitel „Erzähltes“ beginnt mit der ausführlichen Definition von Gin, einer wacholderhaltigen Spirituose mit einem Mindestalkoholgehalt von 37,5% vol.
Dann erfahren wir etwas über die verschiedenen Ginarten, wie z. B. London Dry Gin, Plymouth Gin, Navy Strenght Gin..., wobei Herr Jauch zu jeder Art Beispiele anführt.
Dass die Bezeichnung London Dry Gin nichts mit der Stadt London zu tun hat und dass der Navy Strength Gin mindestens 57,1 % vol. hat und sich bestens für klassische Cocktails eignet, ist äußerst interessant.
Die Ausführungen zur Historie und Herstellung, sowie zu den Botanikals gefielen mir besonders gut.
Hier wandern wir durch die Geschichte des Gins, lernen die acht Gin-Gesetzte zur Eindämmung der Droge (!) kennen und erfahren wir Wissenswertes über die Destillation und die Bestandteile neben Wacholder.
Es ist schon erstaunlich, dass in heutigen Rezepturen zwei bis zweiundachzig Botanicals verarbeitet werden!
Orientieren kann man sich an den Leitbotanicals, um nicht den Überblick zu verlieren.

Beeindruckend und schön anzusehen sind hier die appetitlichen Nahaufnahmen und Vergrößerungen von den einzelnen Komponenten.

Dass Eis nicht gleich Eis ist sollte man nicht glauben und spielt für den Otto-Normalverbraucher meines Erachtens auch keine Rolle, wohingegen ich den Ausführungen zum Tonic, einer chininhaltigen Bitter-Limonade, von der es unzählige Varianten gibt, wieder gern gefolgt bin.
1825 gaben englische Offiziere erstmals Sodawasser in ihren Gin, um ihre Anti-Malaria-Medizin darin aufzulösen. Sie haben eine Zitronenschale dazugegeben und der Gin Tonic war geboren.
Jauchs Anmerkung, dass Tonic nicht gleich Tonic ist und nicht jeder Tonic zu jedem Gin passt, werden viele aus ihrer Erfahrung heraus bestätigen können.

In „Erlebtes“ erzählt Peter Jauch von seinen Gin-Reisen und Besuchen in den unterschiedlichen Destillerien in Großbritannien, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Auch hier untermalen aussagekräftige schöne Fotos seine Touren.

Dann stellt er uns verschiede Cocktails vor, indem er sie geschmackvoll in Szene setzt.
Jedes dieser professionellen Fotos ist eine Inspiration und macht Lust darauf, den Shaker aus dem Regal zu holen.
Ein bisschen bedauerlich finde ich, dass keine Rezepte angegeben sind. Aber das Recherchieren ist ein Leichtes, weil der Name des Cocktails unter der Abbildung steht.

Anschließend gibt der Autor interessante Gespräche mit vielen verschiedenen Barkeepern wieder. Überwältigende Fotos von deren Bars machen große Lust darauf, hinzugehen.

Im Abschnitt „Zu Tisch“ stellt Peter Jauch uns einige Restaurants vor und zeigt, welcher Gin zu welchem Essen passt.
Das Wasser läuft einem im Mund zusammen, wenn man sich Monkey Tonic zu einem leckeren Salade Niçoise oder Gin Tonic zum Steak mit Pommes oder zum Dessert vorstellt.

Im Abschnitt „Getrunkenes“ werden uns ausführlich und mit erstklassigen Fotos über 300 Ginsorten und 50 Tonics vorgestellt.
Jeder einzelne Gin wird stilvoll in Szene gesetzt sowie mit interessanten Hintergrundinformationen wie Herkunft und Herstellung vorgestellt. Wir erfahren neben Alkoholgehalt, Botanicals und Geschmack auch welche Leitbotanicals den Gin charakterisieren.
Seine Empfehlungen, zu welchem Drink oder Cocktail sich ein bestimmter Gin besonders eignet, sind dabei sehr hilfreich.
Die Tonics werden im Abschnitt Filler aufgeführt.
Neben Zuckergehalt, Geschmack und Anwendung gibt er auch hier wieder Infos zu Herkunft und Herstellung.
Seinen motivierender Hinweis „Ihr Gaumen ist einzigartig. Entdecken Sie Ihre eigenen Vorlieben, indem Sie unterschiedliche Tonics verkosten - viel Spaß dabei!“ (S. 394-395) werde ich gern beherzigen.

Das Werk „Gin - Das Buch“ von Peter Jauch ist informativ, hochinteressant, detailliert, umfassend und äußerst stilvoll. Es ist zwar teuer, aber jeden Cent wert und sollte meines Erachtens im Regal eines Gin-Liebhabers nicht fehlen.

Ich habe nicht selten gestaunt und mich immer gefreut, wenn ich einen der erwähnten Gins in meiner Bar entdeckt habe.

Das Buch erhielt zurecht Silber beim «Deutschen Kochbuchpreis» und wurde nachvollziehbarerweise beim «Best in the World 2021 Gourmand Award Trinkkultur» nominiert.

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