Liebe oder Obsession, begründete Sorge oder Paranoia?
Eine LiebeDie Übersetzerin Nat hat sich ein kleines reparaturbedürftiges, düsteres und feuchtes Häuschen in Spanien auf dem Land gemietet. „La Escapa“ heißt der Ort, in dem sie sich niederlässt.
In dem kleinen ...
Die Übersetzerin Nat hat sich ein kleines reparaturbedürftiges, düsteres und feuchtes Häuschen in Spanien auf dem Land gemietet. „La Escapa“ heißt der Ort, in dem sie sich niederlässt.
In dem kleinen Dorf gibt es einen Tante Emma Laden, dessen junge redselige Verkäuferin sich sehr für Nat und ihre Gründe, hier in dieser langweiligen Gemeinde zu leben, interessiert. Sie erzählt Nat im Gegenzug auch allerlei über den Ort und seine teils eigentümlichen Bewohner.
Ihren einschüchternden und wenig kooperativen Vermieter lernt Nat recht bald persönlich kennen. Er ist ein „unangenehmer Typ“, der keine Scheu hat, ohne Anzuklopfen ihr Haus zu betreten.(S. 16)
Ihm hat sie ihren neuen Gefährten zu verdanken: Einen scheuen Hund, den sie „Sieso“ nennt.
Es dauert nicht lange, bis ihr der langhaarige, rotbärtige „Hippie“ über den Weg läuft, der eigentlich Píter heißt. Er ist ein aufmerksamer, zuvorkommender Nachbar, der sich allerdings mit Ratschlägen und Kritik nicht zurückhält.
Nat macht sich daran, ihr neues Reich auf Vordermann zu bringen und Sieso zu erziehen. Sowohl Haus, als auch Garten und Hund entpuppen sich nämlich nicht als das, was Nat sich ursprünglich erhofft hat.
Eines Tages bekommt sie Besuch von der fröhlichen und hilfsbereiten Romafamilie sowie von der freundlichen und verwirrten alten Roberta aus dem gelben Haus, die von der Verkäuferin des Tante Emma Ladens als „Hexe“ bezeichnet wurde.
Den „Dicken“ lernt Nat in seiner Bar kennen und den Rest des Dorfes auf der Nachbarschaftsversammlung, die einberufen wird, um Neuerungen und Verbesserungen einzuführen.
Der freundliche und schüchterne „Deutsche“ gibt Nat Rätsel auf, denn er sieht so überhaupt nicht deutsch aus - „wenigstens gemäß dem Klischee“ - (S. 56) und soll ein unabhängiger Einzelgänger sein.
Er beliefert sie mit Gemüse und bietet ihr an, das undichte Dach zu reparieren. Eigentlich wäre das ja die Aufgabe ihres Vermieters, aber dieser verweigert geradewegs die Reparatur. Er habe kein Geld für einen Handwerker.
Der Preis, den „der Deutsche“ dafür verlangt ist, gelinde gesagt, seltsam, heikel und jenseits von allem, was Nat und der Leser erwarten.
An dieser Stelle, einem überraschenden und verblüffenden Wendepunkt, verändert sich das Leseerlebnis.
Die Geschichte nimmt Fahrt auf und gewinnt an Tiefe.
Ich wurde extrem neugierig, wie es weitergeht und worauf alles hinauslaufen wird.
Dass auf diese unerwartete Wende noch eine völlig unvorhergesehene, berührende und erschütternde Entwicklung folgt, macht den Roman zu einem Pageturner der besonderen Art.
Besonders auch deshalb, weil die psychische Befindlichkeit und Veränderung der Protagonistin Nat detailliert, nachvollziehbar und stimmig aufgegriffen und beleuchtet wird.
Was, wenn Geist und Psyche auf Irrwege geraten?
Was wenn eine fixe Idee paranoide Ausmaße hervorruft?
Was wenn Kontrolle und Mißtrauen Konsequenzen haben?
Wohin führt das alles?
Geht das alles gut?
Sara Mesa schreibt unverblümt, nüchtern und klar.
Kein Wort zu viel, keines zu wenig. Kein Drumherumreden.
Sie lässt sich viel Zeit, um uns Nat, ihr neues Zuhause und die Bewohner von La Escapa nahezubringen und obwohl Tempo und Intensität in der zweiten Hälfte des Buches zunehmen, lässt sie sich nicht davon abhalten, die Innenwelt und die psychische Veränderung von Nat genau unter die Lupe zu nehmen.
Die Grundstimmungen der Geschichte sind Melancholie, Mißtrauen und Feindseligkeit. Eine Liebe, wie der Titel ankündigt, sucht man vergeblich. Es geht eher um eine Obsession, die paranoides Erleben zur Folge hat.
Die Autorin seziert sowohl das Innenleben der Protagonistin als auch das dörfliche Umfeld präzise und bildhaft.
Ich empfehle den Roman gerne all denjenigen, die sich für diese Art von Literatur begeistern können:
Literatur, die eine Protagonistin ins Zentrum stellt, die alles andere als sympathisch ist.
Literatur, deren Stimmung nicht gerade von Heiterkeit geprägt ist.
Literatur, die eine bestechend klare Sprache hat.
Literatur, die Innenleben und Außenwelt akribisch und gekonnt seziert und beschreibt.
Literatur, die psychologisch dicht ist.