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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.09.2017

Ein neuer Blick

Der Baron auf den Bäumen
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Ein banaler Familienstreit endet damit, dass der junge Baron Cosimo auf einen Baum steigt – und er beschließt ihn nie wieder zu verlassen. Er hält den Schwur und entwickelt zum Leidwesen seiner Familie ...

Ein banaler Familienstreit endet damit, dass der junge Baron Cosimo auf einen Baum steigt – und er beschließt ihn nie wieder zu verlassen. Er hält den Schwur und entwickelt zum Leidwesen seiner Familie einen völlig neuen Lebensstil. Frei und völlig eigen beobachtet er den Lauf der Welt: Napoleons Aufstieg und Fall, große Räuberhauptmänner und neue Philosophen. Immer wieder versucht man ihn aus dem einen oder anderen Grund zu bewegen, zur Erde zurückzukehren, doch der neue Blick auf die Welt lässt ihn nicht mehr los.
Eine faszinierende, originelle Geschichte, bei der ich nur bedaure, dass sie wieder einmal ohne Kommentarteil oder Nachwort veröffentlicht wurde. Ein paar Interpretationsansätze hätten mir den Zugang zu dieser schönen Geschichte erleichtert. Man spürt, dass Calvino eine Menge mehr sagt als auf den ersten Blick sichtbar ist.
Ein tiefgründiger Klassiker mit einer originellen Geschichte.

Veröffentlicht am 03.09.2017

Gesellschaftlicher Aufstieg

Der weiße Tiger
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Der „Weiße Tiger“ hat es geschafft: als armer Junge in einer typischen, indischen Großfamilie in den Slums geboren, nicht mal mit einem eigenen Namen versehen, schafft den unfassbaren Aufstieg zu einem ...

Der „Weiße Tiger“ hat es geschafft: als armer Junge in einer typischen, indischen Großfamilie in den Slums geboren, nicht mal mit einem eigenen Namen versehen, schafft den unfassbaren Aufstieg zu einem Unternehmer. Doch wie konnte er das? In einem ungeschönten und unsentimentalen Bericht an den chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao erzählt er. Mal schockierend, mal witzig und immer realistisch zeichnet er ein Bild von Indien, das zwischen schmutziger Wahrheit und magischem Flair schwankt.
Ohne Frage großartig geschrieben und auf eine verstörende Art fesselnd. Meinen Geschmack hat es allerdings nicht ganz getroffen. Ich habe mir etwas Humorvolleres vorgestellt. Das Buch zeichnet ein erschütterndes Bild der indischen Gesellschaft: korrupt, von archaischen Traditionen am Boden gehalten und nur die Skrupellosen finden ihren Weg. Desillusionierend und einschüchternd. Trotzdem 4 Sterne, da es phantastisch geschrieben ist und eine tolle Geschichte erzählt!

Veröffentlicht am 03.09.2017

Invasion vom Mars

Der Krieg der Welten
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Alles beginnt mit einem grünen Kometen, der auf die Erde herniederfällt. Was als aufsehenerregendes doch harmloses Ereignis beginnt, als nette Abwechslung und neues Thema für die gepflegte Abendunterhaltung ...

Alles beginnt mit einem grünen Kometen, der auf die Erde herniederfällt. Was als aufsehenerregendes doch harmloses Ereignis beginnt, als nette Abwechslung und neues Thema für die gepflegte Abendunterhaltung der gehobenen Londoner Klasse, entpuppt sich als grausame Invasion Außerirdischer: die Marsianer auf der Suche nach einem neuen Planeten, da ihr eigener untergeht und die Menschheit hat ihnen nichts entgegenzusetzen!
H.G. Wells‘ berühmter Science Fiction-Klassiker ist heute noch genauso fesselnd und authentisch wie vor über hundert Jahren. Jede Zeile sprüht vor Kraft und Vorausdenken. Er schönt nichts, misst der Menschheit keine größere Bedeutung zu und verzichtet sogar darauf den Marsianern ein persönliches Gesicht zu geben. Gerade das macht die Geschichte so glaubwürdig und erschütternd. Szenen voller Grausamkeit und Verzweiflung, doch hält die Zähigkeit des Menschen, der ganze Realismus, den Leser in Atem. Der ausführliche Kommentarteil der neuen dtv-Ausgabe (2017) erschließt dem Leser noch eine weitere Dimension.
Ein fesselnder SF-Roman, der auch heute noch lesenswert ist. Gesellschaftskritik, die bis heute gilt verwoben mit spannender SF und einem originellen Ende.

Veröffentlicht am 03.09.2017

Die dubiose Witwe

Jezebels Tochter
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Als der Kaufmann Wagner stirbt übernimmt seine Witwe sein Geschäft und seine fortschrittlichen Ideen. Während am Londoner Hauptsitz des Geschäftes Frauen bereits arbeiten ist der Handelspartner in Deutschland ...

Als der Kaufmann Wagner stirbt übernimmt seine Witwe sein Geschäft und seine fortschrittlichen Ideen. Während am Londoner Hauptsitz des Geschäftes Frauen bereits arbeiten ist der Handelspartner in Deutschland nicht ohne weiteres von der Idee zu überzeugen. David Glenney, Mrs. Wagners Neffe, reist nach Frankfurt a.M. um ihre Interessen zu vertreten und Erfahrungen zu sammeln. Fritz, der von seinem Vater nach London geschickt wurde, um seine nicht standesgemäße Geliebte zu vergessen, beauftragt David nach dem Mädchen zu forschen. Der Zufall bringt David mit dem Mädchen zusammen, doch auf deren Mutter lastet ein grauenhafter Verdacht. Unaufhaltsam verweben sich die Schicksale zu einem verhängnisvollen Geschick.
Während der Lektüre kommt manchmal der Verdacht auf, dass er seiner Kategorisierung als Kriminalroman nicht gerecht wird. Wenn auch immer wieder Zweifel aufkommen, ob das Offensichtlich tatsächlich der Wahrheit entspricht, glaubt man doch von Anfang an alles durchschaut zu haben. Erst nach und nach wird einem klar wie perfide der Autor arbeitet und wie komplex die Geschichte ist. Die Kriminalgeschichte ist wie ein hübscher kleiner Mantel, der die wahre Geschichte verbirgt. Wilkie Collins zeichnet ein meisterliches Bild des 19. Jahrhunderts. Die Gesellschaft, insbesondere die Rolle der Frau, porträtiert er exzellent. Doch auch der gesamte Umbruch, der sich im 19. Jahrhundert vollzog und herkömmliche Rollen zwischen Ständen und Geschlechtern für immer veränderte ist ein großes Thema. Wissenschaft und Magie, Vorurteile und Wirklichkeit, Wilkie Collins gab sich nicht mit einem Thema zufrieden. Mag die Kriminalhandlung ihrem Genre vielleicht nicht ganzgerecht werden, dieses Buch lohnt sich trotzdem auf jeden Fall!

Veröffentlicht am 03.09.2017

Ein interessantes Sammelsurium

Schacht und Hütte
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Der vorliegende 72. Band von Karl Mays Gesammelten Werken stellt das bunte Frühwerk aus Mays Redaktionszeiten zusammen. Ein kurzes Vorwort gibt einen Überblick über die Sammlung und klärt ein paar Hintergründe. ...

Der vorliegende 72. Band von Karl Mays Gesammelten Werken stellt das bunte Frühwerk aus Mays Redaktionszeiten zusammen. Ein kurzes Vorwort gibt einen Überblick über die Sammlung und klärt ein paar Hintergründe. Jedem Teil des Buches sind weitere kurze Einführungen dieser Art vorangestellt. Sie sind kurz genug, um den Leser nicht zu langweilen und geben trotzdem ein paar Anhaltspunkte für den Interessierten zu weiterer Recherche.
Der Band umfasst eine Kurzgeschichte „Das Gewissen“ mit den typischen May-Elementen, von Tugend und Armut, Reichtum und Bosheit, Schuld und Glauben. Unterhaltsam und doch sind viele seiner späteren Motive bereits vorgezeichnet.
Darauf folgt die Kriminalerzählung „Wanda“. Sie ist umfangreicher und spannend. Fragwürdig bleibt hier, dass sie von Verlagsseite „im Sinne Karl Mays“ geglättet wurde. Mir bis heute unverständlich, warum der Karl-May-Verlag den Lesern diese Bearbeitungen zumutet, statt im Original zu bleiben und mit einem Kommentar zu versehen, in dem Varianten, Hintergründe, Vermutungen und ähnliches dem Interessierten zur Verfügung stehen. In diesem Fall ist es nicht so relevant, bei anderen Werken werden Inhalte und damit der Lesespaß extrem beeinträchtigt.
Mit „Die Fastnachtsnarren“ liegt eine hübsche, unterhaltsame Humoreske vor. Auch wenn sie nicht lang ist, sind die Charaktere lebendig und die ganze Szenerie steht dem Leser sofort vor Augen.
Der umfangreiche zweite Teil des Buches beinhaltet Mays „Gesammelte Aufsätze“ und „Geographische Predigten“. Erstere waren Bestandteil der Zeitschrift „Schacht und Hütte“ die May als ernsthaftes Blatt zur Unterhaltung und Belehrung von Bergarbeitern herausgeben wollte und die von seinem Verleger zu einem durchschnittlichen Unterhaltungsblatt runterreduziert wurde. Die Aufsätze sind aber ganz Mays erstem Ansatz verpflichtet, sehr gut recherchiert, ernsthaft und sachlich. Sie sind nicht in Abenteuergeschichten verpackt wie später seine Erzählungen für die Jugend, sondern als reine Information gedacht, dabei durchaus umfangreich und für den Laien geschrieben ohne anspruchslos zu werden.
Die „Geographischen Predigten“ haben einen eher philosophischen Ton. Das Gedankengut findet man in der einen oder anderen Form auch in seinen Romanen und Erzählungen wieder. Hier ist es gebündelt als ernsthafte Betrachtung und gibt einen guten Einblick in Mays Denken und Fühlen.
Mein Fazit: Eine hochinteressante Zusammenstellung, wobei man sich bewusst sein sollte hier keinen zusammenhängenden Abenteuerroman vorzufinden. Wer May ausschließlich für seine Abenteuer schätzt, wird nach den „Fastnachtsnarren“ keinen weiteren Spaß an diesem Buch haben. Mir gefielen die Predigten und Aufsätze allerdings genauso gut. Ein wunderbarer Einblick in Mays Denken und Fühlen, seine Zeit und die Vorstufen seines Werks. Je mehr ich von ihm und über ihn lese desto mehr finde ich in seinen Werken und entdecke immer wieder neue Seiten an bekannten Abenteuern. Eine klare Leseempfehlung, nicht nur für Fans!