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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.06.2022

Ausbruch aus dem Korsett

Ein unendlich kurzer Sommer
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„Ein unendlich kurzer Sommer“- dieser Titel lässt aufhorchen: unendlich kurz? Ist das nicht ein Widerspruch?
Auf einem heruntergekommenen Campingplatz ohne Besucher treffen drei Menschen zusammen, ...

„Ein unendlich kurzer Sommer“- dieser Titel lässt aufhorchen: unendlich kurz? Ist das nicht ein Widerspruch?
Auf einem heruntergekommenen Campingplatz ohne Besucher treffen drei Menschen zusammen, die alle in einer Lebenskrise stecken.
Gustav, der Campingplatzbesitzer hatte vor über dreißig Jahren ein Liebeserlebnis, dessen Ende ihm immer noch zu schaffen macht. Zudem weiß er, dass er nur noch eine begrenzte Zeit zu leben hat, was er aber niemanden mitteilt. Er ist ein ausgesprochener Eigenbrödler.
Lale, die ihren Bruder verloren hat und aus der sie erdrückenden Beziehung zu ihrem Ehemann fliehen will. Für sie nutzt die Verfasserin als zentrale Metapher des „Korsetts“, das sie einschnürt und doch zusammenhält.
Christophe, der gerade seine Mutter bestattet hat und in ihrem Nachlass einen Brief von ihr an Gustav findet, den sie nie abgeschickt hat und aus dem hervorgeht, dass Gustav der biologische Vater von Christophe ist. Christophe glaubt nicht daran, jemals eine dauerhafte Beziehung eingehen zu können.
Der Roman erzählt nun in unaufgeregter, ruhiger Weise, wie diese drei Personen zueinanderfinden. Zuweilen hat der Roman dadurch Längen und gerät auch in die Nähe, kitschig zu werden. Trotzdem gelingt es der Autorin, die drei Hauptpersonen nachvollziehbar darzustellen und so die Identifikation der Leserschaft zu wecken.
Schwach dagegen ist die Darstellung des Ehemanns von Lale. Völlig unvorstellbar, warum Lale mit ihm verheiratet ist und warum sie überlegt, zu ihm zurückzukehren.
Das Ende des Romans - immer ein schwieriger Punkt - ist vorhersehbar, aber trotzdem akzeptabel.
Insgesamt ein Roman, den ich trotz gewisser Schwächen gerne gelesen habe.
Zurück zum Titel: Den scheinbaren Widerspruch muss jede(r) LeserIn für sich entscheiden.

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Veröffentlicht am 14.04.2022

Thematisch sehr vielfältig

Der Markisenmann
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Der neue Roman von Jan Weiler „Der Markisenmann“ zeigt eine erstaunlich vielfältige Thematik : Es geht um die Annäherung der fünfzehnjährigen Kim an ihren bislang unbekannten leiblichen Vater, es geht ...

Der neue Roman von Jan Weiler „Der Markisenmann“ zeigt eine erstaunlich vielfältige Thematik : Es geht um die Annäherung der fünfzehnjährigen Kim an ihren bislang unbekannten leiblichen Vater, es geht um Freundschaft, Verrat, Schuld, Umgang mit der Schuld und um Vergebung der Schuld. Weiterhin gibt der Roman einen humorvollen Einblick in das Leben in einem Industriehinterhof in Duisburg am Rhein-Herne-Kanal. Die Bewohner werden mit viel Sympathie dargestellt.

Diese thematische Vielfalt macht den Roman sehr lesenswert. Besonders spannend aber ist, dass die Protagonisten keine Ideal-Figuren sind mit vorbildlichem Verhalten. Jede der Hauptfiguren hat sich auf unterschiedliche Weise schuldig gemacht, und ihre jeweilige Art und Weise, mit dieser Schuld umzugehen, findet nicht unbedingt die Zustimmung aller Leser. Auch das Ende wird nicht jeden überzeugen. Für mich ist das kein Manko. Als Leser habe ich die Möglichkeit, mir Alternativen auszudenken. Ob die dann wirklich überzeugender sind, sei dahingestellt.

Gestört hat mich etwas die Erzählkonstruktion des Romans: Kim erzählt die Handlung aus einer zeitlichen Distanz von 17 Jahren. Sie nutzt diese zeitliche Distanz aber nicht dazu, ihre Handlungsweise zu reflektieren. Deutlich wird das schon im Prolog, in dem Kim von ihrer Schuld erzählt, aber eben ganz aus der Sicht der Fünfzehnjährigen. Aber auch im abschließenden zweiten Teil des Romans, der 17 Jahre später spielt, denkt sie nicht über ihre damalige Handlungsweise nach. Das scheint mir sehr unwahrscheinlich.

Trotzdem bereitet die Lektüre viel Vergnügen und bietet zusätzlich die Gelegenheit, über menschliches Fehlverhalten nachzudenken.

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Veröffentlicht am 29.11.2023

Kann man vom Leben schreiben?

Eigentum
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Normalerweise äußere ich mich in einer Rezension nicht über die Umschlaggestaltung eines Buches. Schließlich kaufe ich ein Buch nicht zur Dekoration meines Buchregals. In diesem Fall aber lohnt ...

Normalerweise äußere ich mich in einer Rezension nicht über die Umschlaggestaltung eines Buches. Schließlich kaufe ich ein Buch nicht zur Dekoration meines Buchregals. In diesem Fall aber lohnt sich ein Blick auf den Umschlag und den Buchdeckel. Auf dem Umschlag findet man in Form eines Exlibris den Hinweis: „Eigentum von Wolf Haas“. Klar ist, dass damit nicht gemeint ist, dass das Buch Wolf Haas gehört. Was ist dann gemeint? Inhaltlich geht es in dem Buch um die Mutter des Ich-Erzählers, die, 95jährig und dement im Sterben liegt und schließlich auch stirbt. Der Ich-Erzähler nimmt den Sterbeprozess zum Anlass, vom Leben seiner Mutter zu erzählen. Und er tut dies auf sehr subjektive Weise, so wie er seine Mutter erlebt und in Erinnerung hat. Insofern ist der Inhalt des Buchs „sein Eigentum“. Auf dem Buchrücken steht noch einmal dieser Hinweis auf das Eigentum. Auf dem Buchdeckel ist ein Handy abgedruckt. Und mit einem Handy beginnt und endet die Erzählung.
Bei der Erzählung des Lebens wechseln sich zwei Perspektiven ab: die des Ich-Erzählers, die den größeren Raum einnimmt, und die der Mutter, die wörtlich zitiert wird, auch mit ihrem dialektalen Einschlag. Die Konfrontation dieser beiden Sichtweisen ist interessant.
Leitmotiv der Erzählung ist der im Leben vergebliche Versuch der Mutter, eine eigene Wohnung zu erwerben. Dies gelingt ihr erst nach ihrem Tod: das Grab als ihre Wohnung.
Das Leben der Mutter des Ich-Erzählers ist beispielhaft für viele Menschen, die sich durch das Leben kämpfen mussten, ohne ihre Träume erfüllen zu können. Ungewöhnlich ist die Erzählweise von Haas, der von sentimental bis komisch viele Stimmungsregister ziehen kann.
Der Ich-Erzähler hat den Auftrag bekommen, an einer Uni eine Poetik-Vorlesung zu halten, also Aufschluss zu geben über die Entstehung seiner Werke. Im Verlaufe der Erzählung denkt er immer wieder darüber nach, was er genau in dieser Vorlesung thematisieren sollte, ohne zu einem endgültigen Ergebnis zu kommen. Allein der Titel der Vorlesung steht: In Parallelität zu der oft dem Schriftsteller gestellten Frage „Kann man vom Schreiben lesen?“ betitelt er seine Vorlesung: „Kann man vom Leben schreiben?“ Ja, man kann, so,lautet meine Antwort als Leser. Wolf Haas zeigt es, indem er vom Leben seiner Mutter erzählt.

Veröffentlicht am 13.05.2022

Neuveröffentlichung

Meine kleine Welt
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In dem Buch sind 66 kurze Geschichten zusammengestellt, die zum großen Teil schon früher publiziert worden sind, und zwar als regelmäßige Kolumne in der Tageszeitung „Augsburger Allgemeine“. Es handelt ...

In dem Buch sind 66 kurze Geschichten zusammengestellt, die zum großen Teil schon früher publiziert worden sind, und zwar als regelmäßige Kolumne in der Tageszeitung „Augsburger Allgemeine“. Es handelt sich also, und das nicht abwertend gemeint, um Gelegenheitsarbeiten.

Thema der Geschichten ist der „absurde“ Alltag einer Familie, bestehend aus der Vater Hermann, dem Alter Ego von Ewald Arenz, seiner Frau Juliane und den Kindern Otto (4), Phyllis (13) und Theo (18). Allein schon das Alter der Kinder deutet auf die Konflikte hin. Die zum Teil ungewöhnlichen und oft humorvollen Konfliktlösungen sind bestimmt von dem Bestreben der Eltern, die Kinder zu selbstbewussten, sich selbst bestimmenden Menschen zu erziehen, was allerdings nicht immer gelingt.

Arenz bezeichnet seine Geschichten als “Glossen“. Die Kennzeichnung trifft nur für einen Teil der Erzählungen zu. Einige sind recht gut gelungen, z.B. der Seitenhieb auf bestimmte Richtungen der modernen Kunst oder die Problematik der zoologischen Gärten.

Bei einer Reihe von Geschichten vermag die Pointe nicht recht zu überzeugen. Hier wäre eine Überarbeitung der ja doch schon älteren Erzählungen sinnvoll gewesen.

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Veröffentlicht am 06.10.2023

Durchaus aktuell

Als wir an Wunder glaubten
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Es gibt viele Romane, die die unmittelbare Nachkriegszeit zum Thema haben. Helga Bürster gelingt es in ihrem Roman „Als wir an Wunder glaubten“ einen neuen Aspekt hinzuzufügen. Sie lässt die ...

Es gibt viele Romane, die die unmittelbare Nachkriegszeit zum Thema haben. Helga Bürster gelingt es in ihrem Roman „Als wir an Wunder glaubten“ einen neuen Aspekt hinzuzufügen. Sie lässt die Handlung 1949 in Unnendorf spielen, einem fiktiven Ort in einer Moorgegend in Norddeutschland. Und entsprechend dieser Landschaft spielen Aberglaube und vermeintliche Wunderheilung eine zentrale Rolle. Deutlich wird die Naivität, mit der Menschen sich in der Krisensituation der Nachkriegszeit Opfer suchen, denen sie die Schuld an ihrer Krise zuschieben können. Ebenso deutlich wird die Rücksichtslosigkeit, mit der Menschen diese Naivität zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen.
Thematisiert wird aber auch der Einbruch der Moderne in das eher mittelalterlich anmutende Unnenbach: Das Moor wird trockengelegt, da es vermeintlich ökonomisch ohne Wert ist. Und die einstige Hausiererin gründet ein Versandhaus für Dessous und Sexspielzeuge.
Die Figuren des Romans sind nachvollziehbar gestaltet, wenn auch zum Teil etwas eindimensional: der Böse ist durch und durch böse ohne jegliche Schattierung.
Einige Rezensenten haben den Titel kritisiert mit dem Hinweis, es gebe einen Unterschied zwischen Aberglaube und Wunder. In der Tat nimmt der Titel die Perspektive derjenigen auf, die an Übersinnliches glauben. Mich irritiert der Titel auch, da es ja auch um Hexenglauben und Hexenverfolgung geht und damit kann ich den Begriff „Wunder“ nicht in Verbindung bringen.
Die stärksten Passagen in dem Roman sind für mich die Kapitel, die aus Sicht des Kriegsversehrten Otto/Josef erzählen. Diese Passagen habe ich als wirklich anrührend empfunden.
Die Thematik des Romans ist im Übrigen hochaktuell, haben wir doch erlebt, wie in der jüngsten Krisenzeit, der Corona-Krise, Verschwörungstheorien massenweise im Internet verbreitet wurden.