Profilbild von Buecherhausen

Buecherhausen

Lesejury Star
offline

Buecherhausen ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Buecherhausen über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 21.09.2016

Wenn Kinder ihre Sprache verlieren

Es wird gut, kleine Maus
0

Seitdem meine Tochter in der Kita verstummt ist, habe ich mich verstärkt mit dem Thema Mutismus auseinander gesetzt. Da dieses Thema auch vor dem mutistischen Kind nicht einfach verschwiegen werden darf, ...

Seitdem meine Tochter in der Kita verstummt ist, habe ich mich verstärkt mit dem Thema Mutismus auseinander gesetzt. Da dieses Thema auch vor dem mutistischen Kind nicht einfach verschwiegen werden darf, habe ich auch nach Kinderbüchern mit dem Thema Mutismus gesucht. Dieses schön illustrierte Werk hat meine Schwester durch einen Aushang in der Kita entdeckt und mich darauf aufmerksam gemacht. Es handelt sich um ein sehr schön illustriertes Buch, welches eine bildhafte Sprache hat.

Zunächst einmal ist es aber wichtig, kurz zu erläutern, worum es bei der Erkrankung „Mutismus“ überhaupt geht. Es handelt sich beim Mutismus um eine Kommunikationsstörung. Kinder und auch Erwachsene, die organisch völlig gesund und auch fähig sind, zu sprechen, verstummen in bestimmten Situationen oder in Gegenwart bestimmter Menschen. Man kann zwischen verschiedenen Formen des Mutismus unterscheiden: dem elektiven (oder selektiven) Mutismus, welcher in bestimmten Situationen auftritt, dem totalen Mutismus und dem akinetischen Mutismus, welcher neurologisch bedingt ist.

Das vorliegende Werk Es wird gut kleine Maus behandelt das Thema Mutismus ausgelöst durch eine Verlusterfahrung. Die Problematik wird aus der Sicht eines Kindes beschrieben, welches vor kurzem seine Mutter verloren hat. Das Kind, welches weder Name noch Geschlecht hat, erzählt von seinem Leben ohne Mutter. Es beschreibt, dass der Vater sich auf einmal so anders verhält, dass die eigenen Gedanken durcheinander geraten sind und kein Laut mehr über die Lippen kommt. Erst die kindliche Neugier bringt die Sprache wieder zurück und führt auch Vater und Kind wieder zueinander.

Zunächst einmal kann ich sagen, dass das Buch meiner Tochter gefallen hat. Einige Tage wurde es immer wieder hervor geholt und gelesen. Das Interesse flachte dann aber doch recht schnell ab, was vielleicht an dem geringen Text im Buch lag. Sie ist inzwischen 5 Jahre alt und wir lesen gemeinsam schon eher Kinderromane.
Die Bilder sind wirklich sehr liebevoll und mit Foto-Collagen gestaltet, wirken aber auch etwas düster. Diese Düsternis unterstützt den Hintergrund der Geschichte, nämlich den Tod der Mutter. Zu abstrakt war mir aber die Beschreibung, dass „das Wort mit den drei Buchstaben […] den anderen Wörtern den Weg aus meinem Mund [versperrt]“ (Seite 4). Damit konnte meine Tochter zunächst nichts anfangen. Allerdings ist diese Phänomen, dass etwas den Weg aus dem Mund versperrt, nicht weit her geholt. Eine ähnliche Beschreibung diesbezüglich hatte mir meine Tochter auch geschildert, als ich sie fragte, wieso sie in der Kita nicht sprechen kann.
Aber Kinder, die noch nicht schreiben und lesen können, werden diese Beschreibung des Wortes mit den drei Buchstaben nicht verstehen und somit auch einen wichtigen Teil des Buches vielleicht nicht nachempfinden können.

Warum genau der Vater sich anders als sonst verhält wird leider auch nicht in der Geschichte aufgeklärt. Dass er selbst mit dem Verlust seiner Frau fertig werden muss und deshalb sehr traurig und manchmal auch vergesslich ist. Außerdem wird die Spitzmaus im Text mit einem grauen Kopf beschrieben, in der Foto-Collage ist sie aber blau. Das fiel meiner Tochter auch sofort auf und riss sie leider etwas aus der Geschichte heraus.

"Wir schauen hinauf zu den Sternen und Schweigen." (Seite 34)

Die bunten Bilder, die wie bereits erwähnt auch etwas düsteres an sich haben, werden mit einer reduzierten Sprache verbunden. Es handelt sich also um ein Buch, für welches man sich Zeit nehmen sollte. Mit einem einfachen Vorlesen ist es hier nicht getan. Man muss sich gemeinsam mit dem Kind näher mit der Geschichte auseinandersetzen.
Der Schluss gefiel mir besonders gut. Die Sprache kommt wieder, aber auch Schweigen ist in Ordnung und in gewissen Momenten wichtig und heilend.

Als Elternteil eines mutistischen Kindes muss ich allerdings darauf hinweisen, dass das Buch vielleicht eine zu plötzliche Heilung suggeriert. Dies ist in der Realität leider nicht der Regelfall, denn eigentlich ist es ein langer und schwieriger Weg, oftmals auch mit Rückschritten, den die Eltern mit ihrem Kind gehen müssen, um die Sprache des Kindes wieder zu finden.

"Mir fliegen die Worte aus dem Mund." (Seite 29)

Alles in allem handelt es sich um ein liebevoll gestaltetes Buch für Kinder, die an Mutismus leiden, aber auch für Kinder, die mit dem Thema Mutismus in Kontakt kommen, beispielsweise, weil sie ein betroffenes Kind kennen. Die Geschichte veranschaulicht die Problematik recht gut, hat aber auch ihre Defizite, die durch den vorlesenden Erwachsenen kompensiert werden sollten.

Veröffentlicht am 21.09.2016

Ein wundervolles Buch, welches die Seele berührt.

Bei Kälte ändern die Fische ihre Bahnen
0

Ein unvorhersehbares Naturereignis reißt ganz unterschiedliche Menschen aus ihrem Alltag und bringt sie gleichzeitig zueinander und mit sich ins Reine. Pierre Szalowski ist ein wunderschöner Roman gelungen, ...

Ein unvorhersehbares Naturereignis reißt ganz unterschiedliche Menschen aus ihrem Alltag und bringt sie gleichzeitig zueinander und mit sich ins Reine. Pierre Szalowski ist ein wunderschöner Roman gelungen, der einen nicht los lässt, auch wenn man die letzte Seite bereits erreicht hat.

Pierre Szalowski lebt in Montreal. Sein Arbeitsfeld ist vielseitig, so ist er beispielweise Autor, Journalist, Grafiker, Film- und Fernsehproduzent, Software-Entwicklter und Pressefotograf. Bei Kälte ändern die Fische ihre Bahnen ist sein erster Roman. Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel Le froid modifie la trajectoire des poissons. 2009 erhielt er dafür den Grand Prix de la Relève littéraire Archambault.

Es ist Weihnachten, ein elf-jähriger Junge erfährt, dass seine Eltern sich trennen werden. Schockiert von diesen Neuigkeiten flieht der Junge in sein Zimmer und bittet den Himmel um Hilfe. Sein Wunsch geht in Erfüllung, durch einen heftigen Eisregen wird ihm sein Vater wieder zurück gebracht. Gleichzeitig gerät aber auch das Leben vieler anderer Menschen in Montreal aus den Fugen.

„Ich schämte mich für das, was ich angerichtet hatte. Wenn es geholfen hätte, mein Problem zu lösen, hätte es mir nichts ausgemacht, aber so… völlig zwecklos.“ (S. 119)

Aber gleichzeitig sorgt jener Eisregen dafür, dass Menschen sich begegnen, die jahrelang Seite an Seite gelebt, sich aber nie richtig wahrgenommen haben: Alex, der rebellierende Nachbarsjunge lebt bei seinem alleinerziehenden Vater Alexis. Dem Vater ist Halt und Perspektive im Leben verloren gegangen. Simon und Michel, ein homosexuelles Paar, die sich vor der Außenwelt verstecken und ein Outing nicht wagen. Julie, eine hübsche Frau, die sich das Glück in einer guten Partnerschaft erhofft, dabei aber nur von den Männern auf ihr Äußeres reduziert wird. Boris der Einzelgänger mit Spleen für Fische. Und dann jener verzweifelte Junge, dessen Eltern sich trennen wollen. Alle finden sie auf Umwegen zueinander.

Ganz verschiedene Erzählstränge verbinden sich zu einer schönen und gelungenen Erzählung, die ans Herz geht. Am Ende bleibt die Frage offen, ob der Eisregen dem Jungen zur Hilfe kam, oder ob alles nur ein glücklicher Zufall war. Wer weiß schon genau, was zwischen Himmel und Erde existiert.

Der Sprachstil ist flüssig und voller schöner Bilder, wie ein unter der Eislast geknickter Baum (S. 132), der die verschiedenen Charaktere mit ihren unterschiedlichen Problemen widerspiegelt.

Seit langem stand dieses Buch in meinem Regal ungelesener Bücher und war zu Unrecht in einer der hinteren Ecke verschwunden. Ich bin sehr froh, diesen kleinen Schatz daraus befreit zu haben. So konnte dieses Buch zu einem meiner Lieblinge werden. Es hat einen Platz in der vorderen Reihe verdient, denn die eigentlich unspektakulären Leben der darin vorkommenen Protagonisten sind zu einem schönen und lesenswerten Ganzen verbunden worden. Es macht einfach Freude die Geschichte, die Pierre Szalowski so leicht und einfühlsam erzählt, miterleben zu dürfen.

Veröffentlicht am 21.09.2016

Ein paar Worte die so schwer über die Lippen gehen

Der Junge in der Nussschale
0

Der Junge in der Nussschale behandelt auf kindgerechter Ebene das Thema „Mutismus“. Es zeigt dem Leser, dass man es schaffen kann, seine Ängste zu überwinden und dass es sich lohnt immer wieder einen neuen ...

Der Junge in der Nussschale behandelt auf kindgerechter Ebene das Thema „Mutismus“. Es zeigt dem Leser, dass man es schaffen kann, seine Ängste zu überwinden und dass es sich lohnt immer wieder einen neuen Versuch zu starten, um sein Ziel zu erreichen. Dieses Kinderbuch lebt von seinem umfangreichen Text und den ganz besonderen Illustrationen, die auch von einem Kind hätten stammen können.

Anne Gauß erzählt die Geschichte von Emil, der sein Leben lang in einer Nussschale steckt und dadurch nur schwer mit der Außenwelt in Kontakt treten kann. Doch er findet eine Zauberin, die ihn sanft aber bestimmt auf dem Weg zu einem Leben ohne Nussschale und somit ohne Einschränkungen und ohne Ängste begleitet. Am Ende steht ein starker Junge, der er aus eigenem Antrieb schafft, seine Sprache einzusetzen.

„Er konnte sich doch so schlecht bewegen in seiner Schale. Also blieb er regungslos. Und stumm.“ (Seite 9)

Anne Gauß schafft es in ihrem Vorwort „Ein paar Worte..“ den Eltern mutistischer Kinder Mut zu machen und beschreibt in kurzen aber präzisen Worten das Krankheitsbild und einen möglichen Weg aus der Krankheit heraus. Die Autorin fordert die Eltern auf, sich zu trauen, sich Hilfe zu suchen und gemeinsam mit dem Kind tätig zu werden. Denn ein Leben in Angst ist kein erfülltes Leben.

Die Geschichte des jungen Emil steht dann im Mittelpunkt. Im Vergleich zu meinem zuletzt rezensierten Buch Es wird gut kleine Maus, bekommt der Hauptprotagonist einem Namen und durch die Zeichnungen auch ein Gesicht. Er erhält eine Identität und das Kind kann sich in Emil hinein versetzen. Die Nussschale, in welcher sich der Junge befindet symbolisiert die Eingeschränktheit in Kommunikation und Bewegung und trifft das Problem beim Mutismus so sehr gut. Mutistische Kinder sprechen in gewissen Situationen nicht, sie haben Ängste, die sie nicht immer beschreiben können, die sie aber hindern einfach zu sprechen. Oftmals frieren aufgrund der Unsicherheit dann auch Mimik und Gestik des Kindes ein. Das Kind ist isoliert und verliert den Kontakt zur Außenwelt.
Die betroffenen Kinder wissen selbst nicht, wie sie sich verhalten sollen, was sie tun sollen, um ihre innere Barriere zu überwinden. Und auch der Umwelt fällt es oftmals schwer, darauf zu reagieren.

Anne Gauß lässt eine Zauberin erscheinen. Diese ist eine Person, die Mitgefühlt hat und auf das Kind zugeht. Ihre ruhige und besonnene Art gibt Emil Halt und Sicherheit. Für Emil ist es gut zu erleben, dass er so, wie er im Moment ist, eben mit seiner Nussschale, trotzdem liebenswert ist. Die Zauberin ist vertrauensvoll und nimmt sich Zeit, um Emil auf dem Weg zur Heilung zu begleiten und herauszufordern. Dabei lernt Emil auch den Angsthasi kennen, ein Hase, der einen Knoten in den Ohren hat, weil er so besser mit seiner Angst umgehen kann. Emil lernt, dass er nicht alleine ist und das gibt ihm Kraft, seine Aufgaben zu bewältigen. Die kleinen Erfolgsmomente sind eine wahre Befreiung für Emil und im Lauf der Geschichte ist die Steigerung seiner positiven Gefühle ganz deutlich zu erkennen.

„Das verstand der Junge und fühlte sich sicher.“ (Seite 11)
„Fröhlich rannte er nach Hause.“ (Seite 19)
„Glücklich lief der Junge zurück zur Zauberin.“ (Seite 29)

Im Nachwort macht die Autorin den Eltern nochmals Mut. Ich spreche aus eigener Erfahrung und kann nur betonen, dass nicht nur die Kinder, die von der Krankheit Mutismus betroffen sind, Hilfe brauchen. Auch die Eltern müssen wissen, wie sie in gewissen Situationen reagieren sollten. Manch einer könnte vielleicht der Ansicht sein, dass in der Geschichte Emil zu starkem Druck ausgesetzt ist. Allerdings ist auch zu bedenken, dass ein mutistisches Kind einen gewissen (aber schwachen) Druck braucht, um an seiner Situation etwas ändern zu können.

Dieses Buch ist ein wahrer Schatz für ängstliche, schüchterne und mutistische Kinder, deren Eltern und auch anderen Kindern und Erwachsenen, die mit der Krankheit Mutismus in Kontakt kommen. Meine Tochter hat mit mir das Buch mit großem Interesse gelesen und das Bild mit der Nussschale trifft den Nagel auf den Kopf.

Veröffentlicht am 21.09.2016

Das turbulente Leben einer Patchworkfamilie

Unter einem Dach
0

Ein Mann, drei Frauen, drei Kinder. Sie alle befinden sich in einer neuen Situation, der Patchworkfamilie. Anneke Mohn schildert einfühlsam aber auch humorvoll, wie das Leben aller beteiligten aus den ...

Ein Mann, drei Frauen, drei Kinder. Sie alle befinden sich in einer neuen Situation, der Patchworkfamilie. Anneke Mohn schildert einfühlsam aber auch humorvoll, wie das Leben aller beteiligten aus den Fugen gerät.

Drei Frauen stehen im Mittelpunkt dieser Geschichte. Da ist zunächst einmal Dana, eine erfolgreiche Professorin der Soziologie. Als sie Mattis begegnete, merkt sie schnell, dass er der Richtige für sie ist. Doch Mattis ist verheiratet und hat zwei Kinder im Schulkindalter und ein weiteres aus einer früheren Beziehung. Er verlässt seine Frau Maren und möchte mit Dana zusammen sein, ohne auf seine Kinder zu verzichten. Doch Maren ist nicht bereit, ihren Mann kampflos aufzugeben, schließlich ist ihre Familie ihr Leben. Als sie einen schweren Autounfall hat und auf Hilfe angewiesen ist, nimmt Mattis sie und die Kinder in seinem neu erworbenen Haus auf. Das Chaos ist vorprogrammiert. Die dritte Protagonistin ist Jil. Mattis erste Frau aus Jugendjahren, bietet einen Gegenpol zu Maren. Sie ist eine rastlose Weltenbummlerin. Jil und Mattis haben gemeinsam einen Sohn, der bereits erwachsen ist und eine eigene Familie gründet. Über Umwege verschlägt es auch sie in das Haus ihres Ex-Mannes. „Es würde wunderbar werden. Wenn alle mitmachten.“ (Seite 8) Mattis großer Traum einer harmonierenden Patchworkfamlie geht allerdings nicht in Erfüllung.

Anneke Mohn lebt und arbeitet in Hamburg. Sie war als Lektorin in verschiedenen Verlagen tätig, inzwischen arbeitet sie als Übersetzerin und Autorin. Unter einem Dach ist der neuste Roman der Autorin. Zwei weitere Romane sind im Rowohlt Verlag erschienen: Kirschsommer (2013) und Apfelrosenzeit (2014).

Anneke Mohn gelingt es, glaubhaft die Situation einer Patchworkfamilie zu schildern. Es handelt sich um einen unterhaltsamen Roman, der eine nette Lektüre für Zwischendurch darstellt. Die Geschichte ist nicht sonderlich tiefgängig, aber das ist auch gar nicht nötig. Alle wichtigen Aspekte werden berücksichtigt und so kommt eine runde Geschichte am Ende heraus. Allerdings muss man auch sagen, dass das Zusammentreffen mancher Protagonisten ala „die Welt ist klein“ etwas zu konstruiert ist und eigentlich auch nicht nötig gewesen wäre. Anneke Mohn setzt alle beteiligten Familienmitglieder, die neuen sowie die alten, in ein Haus und bringt die Situation somit auf den extremen Höhepunkt. Denn Mattis Vision von einer großen heilen Patchworkfamilie kann einfach nicht funktionieren.

„Denn wir alle haben ein Problem.“ (Seite 235)

Die Autorin schlägt einen flüssigen und leicht verständlichen Ton an. Mit Humor, aber auch dem nötigen Ernst wird die Situation dieser außergewöhnlichen Patchworkfamilie einfühlsam beschrieben. Witzige Gedanken wie „Dana, die Frau mit den Apfelbrüsten“ (Seite 240), aber auch die eigenen Zweifel der Protagonisten an der aktuellen Situation finden Platz in der Geschichte.

Der Roman ließ sich zügig und mit anhaltendem Interesse lesen. Der Leser wird absolut abgeholt und kann der Erzählung folgen und mit den Protagonisten mitfühlen. Allerdings hat mich der Roman nicht wirklich komplett abgeholt. So kann ich das Buch als schnelle Lektüre zur Unterhaltung durchaus empfehlen, es wird aber vermutlich nicht lange in meinen Gedanken weiter spuken, da das ganz besondere Etwas irgendwie gefehlt hat.

Veröffentlicht am 21.09.2016

Ein fulminanter Psychothriller für Leser mit starken Nerven

Du
0

Ein Roman mit besonderer Erzählperspektive. Zoran Drvenkar wählt die besondere Perspektive der zweiten Person „Du“, sie dient in dem vorliegenden Werk dazu, den Leser ganz dicht an die Protagonisten zu ...

Ein Roman mit besonderer Erzählperspektive. Zoran Drvenkar wählt die besondere Perspektive der zweiten Person „Du“, sie dient in dem vorliegenden Werk dazu, den Leser ganz dicht an die Protagonisten zu führen, die Geschichte also aus Sicht der verschiedenen Charaktere zu erzählen. Die zahlreichen Protagonisten wechseln sich mit ihren Schilderungen ab und schnell stellt sich der Leser die Frage: Wer ist diese allwissende Personen, die in alle Köpfe, sogar in die der Toten, hineinschauen kann? Denn hin und wieder macht es den Anschein, als würde diese allwissende Person die Protagonisten direkt ansprechen. Er kennt ihre Vergangenheit, ihre Gegenwart und auch ihre Zukunft.

Zoran Drvenkar wurde 1967 in Kroatien geboren. Mit drei Jahren kam er nach Deutschland und wuchs in Berlin auf. Er arbeitet als freier Schriftsteller und publiziert neben seinen Romanen auch Kinder- und Jugendbücher. Seine beiden Thriller Du bist zu schnell (2003) und Sorry (2009) sollen verfilmt werden.

Der Einstieg in die Geschichte fällt zunächst aufgrund der zahlreichen Charaktere etwas schwer. Mehr als zehn Protagonisten treten abwechselnd Kapitel für Kapitel auf die Bühne und erzählen ein Fragment der Geschichte aus ihrer Sicht. Der dynamische Fortlauf der Handlung reißt einen aber dennoch mit. Das Tempo erhöht sich vorlaufend, selbst wenn man als Leser denkt, schneller und drastischer kann es nicht werden. Doch! Das geht! Zoran Drvenkar schreckt vor keiner Brutalität zurück, er lässt seine Protagonisten ungehindert morden und ins Verderben laufen.

Zunächst einmal aber zur Handlung. Da gibt es den Reisenden, der immer wieder einmal auftaucht und eine große Anzahl an toten Menschen hinter sich lässt. Da er nicht gefasst werden kann ist er ein regelrechter Mythos, von dem jeder weiß, aber keiner ahnt, dass er ihm bald begegnen wird. Dann sind da fünf Freundinnen, die aufgrund eines Heroinfundes auf der Flucht sind. Sie werden von einem Mann gejagt, der „Der Logist“ genannt wird. Alle Protagonisten scheinen nichts miteinander zu tun zu haben, aber dennoch rauschen sie in voller Fahrt aufeinander zu. Ihr Weg ist gepflastert mit Brutalität und Tod. Teilweise fand ich aber gerade diese Brutalität fragwürdig. Kann ein Vater den Freund seines Kindes töten? Auch die wirklich turbulente Handlung ist zum Teil etwas unglaubwürdig. Fünf junge Mädchen, die vor einem brutalen Drogenliferanten fliehen und dabei greift kein einziges Mal die Polizei wirklich in diese Verfolgung ein, obwohl es zu Todesfällen kommt? Das Cover macht die Düsternis dieser Erzählung sehr deutlich und alles scheint von einem Mann abzuhängen: dem Reisenden. Doch wie passt er in die Geschichte hinein?

Zoran Drvenkar erzählt in gnadenloser Grausamkeit die Geschichte. Kalt und hart lässt er einen Teil seiner Protagonisten erscheinen, während die anderen, die es bisher nicht waren selbst diesen Weg einschlagen. Der Autor hat einen fast poetischen Erzählstil, der in jeder Minute der Geschichte passt. Durch die Du-Perspektive werden die Taten aller Protagonisten irgend wie nachvollziehbar und verständlich. Mal empfindet der Leser Mitleid oder Verständnis, ein anderes Mal wird er aber voller Abscheu die Taten und Gefühle des Protagonisten verfolgen.

Du ist kein Buch für Leser mit schwachen Nerven. Es ist ein Psychothriller mit besonderem Perspektivwechsel. Drvenkar bietet keinen leichten Einstieg in seine Geschichte, aber die zig verschiedenen Handlungsstänge und Charaktere fügen sich Stück für Stück zu einem großen Ganzen zusammen. Wenn man sich darauf einlässt, wird man nicht enttäuscht werden. Auch wenn hier und da die Erzählung zu dramatisch und unglaubwürdig erscheint, so wird man spätestens mit dem fulminanten Schluss der Geschichte entschädigt.