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Veröffentlicht am 22.03.2020

Wie viele Diktaturen kann ein Mensch ertragen?

Goodbye, Bukarest
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Der Luftwaffenpilot Bruno Seeberger, der lange als verschollen geglaubte Onkel der Autorin Astrid Seeberger hat gleich drei Diktaturen überlebt: zuerst Hitlerdeutschland, dann Kriegsgefangenschaft in einem ...

Der Luftwaffenpilot Bruno Seeberger, der lange als verschollen geglaubte Onkel der Autorin Astrid Seeberger hat gleich drei Diktaturen überlebt: zuerst Hitlerdeutschland, dann Kriegsgefangenschaft in einem der vielen Lager Stalins und zuletzt Ceausescus Diktatur in Rumänien. Die Autorin erfährt erst spät, dass Bruno nicht über Stalingrad abgeschossen wurde, sondern in einem Gulag und anschließend in Bukarest gelebt hat. Er hat geheiratet, hat einen Sohn großgezogen, hat den Freitod seiner geliebten Frau Naja nur schwer überwunden.
In einer Diktatur, egal welcher Couleur, kann man nicht still und versteckt vor sich hinleben. Die Diktatur umfasst jeden einzelnen wie ein Krake, saugt ihn aus, bestimmt sein Leben bis ins kleinste Detail. Man überlebt nur durch das Errichten von Schutzräumen, die man mit geliebten Menschen und Schicksalsgenossen teilt. Dieser Schutzraum kann ein Wort sein, wie Kaolin, oder ein Stück Brot das einem unverhofft zugesteckt wird, oder das Melken einer Kuh, oder Musik aus einem Lautsprecher, ein Bild, dass seine Aura auch dann noch ausstrahlt, als die Schergen des Regimes das Bild längst abgeholt haben, oder einfach nur die Zwei- oder Dreisamkeit in Zeiten der größten sozialen Oppression. Diese Schutzräume bieten kurze Momente des Glücks, das von keiner Behörde zerstört werden kann, denn sie sind tief in unserem Innersten verankert. Und sind gleichzeitig auch unser eigener Anker im Leben. Dank dieser Schutzräume konnte Bruno Seeberger überhaupt überleben.
Ihm selbst begegnen wir im Roman „Goodbye Bukarest“ nur in den Rückblicken der Menschen, die ihn gekannt haben. Zuerst der junge Dmitri Fjodorow alias Hannes Grünhoff, ein junger Strafgefangener im Lager in Kasachstan, dann der Sänger Wolfgang Müller, der zwar Bruno nicht gekannt hat, aber seinen langjährigen Partner und Schwager Dinu Adamescu. Zum Schluss kommt Jakob Seeberger, Brunos Sohn zu Wort, der die Geschichte über Brunos Leben abrundet. Dinu Adamescu selbst nimmt seine und Brunos Geschichte auf einer CD auf, er erzählt von der Flucht aus Sowjetrussland, die abenteuerliche Fahrt nach Bukarest, das Leben in einer einst so wundervollen und lebenshungrigen Stadt die unter Ceausescu immer mehr erlischt, an Lebensfreude und Esprit verliert. Ceausescu lässt ganze Straßenzüge und Wohnviertel niederwalzen, weil er einen monströsen Prunkpalast mit Potemkinschen Boulevards bauen will. Die Securitate bespitzelt immer offener und brutaler alle Menschen, ein Entkommen gibt es nicht. Die Prunkbauten verschlingen Unmengen an Geld, Geld das das Land nicht hat und von den Wehrlosen genommen wird. Das ganze Land leidet an Hunger, Kälte, schlechter Versorgung. Ceausescus Imponiergehabe färbt ab, Demokratie ist ein leeres Wort im Land des Titanen der Titanen, des „meist geliebten Sohnes seines Volkes“, des „größten Steuermanns und Denkers“.
Bruno Dinu und Jakob erleben das Ende der Diktatur nicht mehr in Rumänien. Dinu ist schon früher geflohen, Bruno und Jakob nach Najas Tod, zehn Jahre vor dem Ende der Willkürherrschaft. Die drei verfolgen das unrühmliche Ende der Diktatur wie wir alle anderen, im Fernsehen. Es war die erste gefilmte Revolution. Im Buch beschwert sich Bruno, der Prozess der beiden Diktatoren, Elena und Nicolae Ceausescu sei viel zu kurz gewesen, er hat nicht einmal eine Stunde gedauert vom Verlesen der Anklageschrift bis zum Urteil, das auch sogleich vollstreckt wurde. Ich aber sage, es war richtig so. Nachdem die Bilder ausgestrahlt wurden, fiel im ganzen Land kein Schuss mehr, ein blutiger Bürgerkrieg wurde durch unwiderrufliche Bekanntgabe von Ceausescus Tod im Keim erstickt, Ceausescus Schergen tauchten ab, der Tod durch Heckenschützen war gebannt.
Astrid Seeberger ist eine großartige Erzählerin. Ihre Sprache ist schlicht und direkt, um dann wie en passant sehr bildhafte und bezaubernde Vergleiche zu verwenden. So beschreibt Bruno die Dämmerung als eine leuchtende blaue Weite in der sich die Konturen der Erde auflösen. (S. 75). Oder wie Naja erklärt, warum sie am liebsten am Vormittag malt: da findet der Pinsel die Bilder. „Dann braucht man ihn nur malen lassen, und nicht mit eigenen Ideen zu kommen“ (S. 202). Es sind nicht außergewöhnliche Worte, die Seeberger hier verwendet. Die Worte kommen mitten aus dem Wortschatz, doch durch diese Anordnung in Sätzen ergeben sich Bilder von ungeahnter Stärke und Schönheit.

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Veröffentlicht am 11.03.2020

Wann kommt endlich der 3D Drucker der menschliche Ersatzorgane drucken kann?

Feuerland
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Der Thriller beginnt langsam, bedächtig, lässt uns Zeit uns einzulesen, zuerst ein Einbruch in einem Juwelierladen, der eigentlich kein Einbruch ist, eine Polizistin muss eine Psychotherapie beginnen, ...

Der Thriller beginnt langsam, bedächtig, lässt uns Zeit uns einzulesen, zuerst ein Einbruch in einem Juwelierladen, der eigentlich kein Einbruch ist, eine Polizistin muss eine Psychotherapie beginnen, weil sie mit Alkohol am Steuer erwischt wurde, ein Tellerwäscher der eigentlich zu schade und zu gut für den Abwasch ist, dies alles in Stockholm. Und dann plötzlich schwenken wir rüber, über den Atlantik, an die Südspitze Chiles und begegnen dem Abgrundtief Bösen. Die Colonia Rhein, in Feuerland, hat nach dem Wegbruch der Pinochet-Diktatur sich um andere Verdienstmöglichkeiten bemüht, nun, da keine Folterknechte mehr von Pinochet benötigt wurden. Und Colonia Rhein ist fündig geworden: Organtransplantationen. Kranke Menschen, die neue Organe benötigen, gibt es immer, und reiche Menschen, die sich privat und diskret neue Organe einsetzen lassen, gibt es auch. Bloß mit den Organspendern will es nicht so recht klappen. Aber Don Carlos hat die Marktlücke entdeckt: Waisen- und Straßenkinder aus Asien und als die Quelle versiegt, Flüchtlingskinder aus Schweden. Sein Pech, dass er sich die falschen Handlanger in Schweden aussucht.
Was als mehrere lose Erzählstränge begann wird schnell zu einem brisanten Geflecht und einer atemlosen Handlung. Nicolas Paredes, der Tellerwäscher entpuppt sich als ein Profi mit eisernen Prinzipien und Familienmensch, hält zu und hilft seinem Freund nur um fest zu stellen, besagter Freund meint es nicht ganz so ehrlich mit ihm. Don Carlos entdeckt den zweiten Frühling, weiß ihn aber nicht zu halten. Vanessa Frank, die Polizistin ermittelt in zwei Fällen von nicht oder nur spät gemeldeten Kidnappings und nebenbei übernimmt sie die Verantwortung für ein Flüchtlingskind, stellt auch fest, dass jemand in den Reihen der Polizei korrupt ist und ein doppeltes Spiel treibt. Aus diesen Verwicklungen heraus entsteht letztendlich eine ungemein spannende und erfolgsgekrönte Zusammenarbeit zweier Kontrahenten, die es so offiziell nicht geben darf, zwischen Polizei und Verbrecher.
Rasanter knapper Stil, ein Page-Turner par Excellence, fiebern wir dem dramatischen Showdown auf Feuerland entgegen.
Die Hauptgestalten, kommen glaubhaft und realistisch dargestellt rüber. Schön finde ich auch die sehr fein gezeichnete Unterscheidung zwischen bösen richtig abgrundtief bösen Verbrechern und den guten Verbrechern, à la Robin Hood. (Wie Nicolas Paredes wohl in Strumpfhosen aussieht?) Vanessa Frank, die Kriminalkommissarin hat ein offensichtliches kleines Alkoholproblem und ein viel größeres mit der Hierarchie bei der Stockholmer Polizei. Wenn sie der Meinung ist, der Polizeichef ist ein inkompetenter Idiot tja, dann ist es wohl so und der Chef muss sehen wie er damit zu Rande kommt.
Ich hoffe, Pascal Engmann wird uns die Wiederbegegnung mit Vanessa und Nicolas auch in zukünftigen Thrillern ermöglichen, sie geben ein tolles Gespann ab.

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Veröffentlicht am 11.03.2020

Wiedersehen in Doggerland

Doggerland. Tiefer Fall (Ein Doggerland-Krimi 2)
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Was ist so faszinierend an Doggerland? Es gibt ja diese Inseln gar nicht. Aber anders als in Auenland oder Liliput, gab es einmal, in grauer Vorzeit Doggerland wirklich. Die Ortsnamen, die Landschaft, ...

Was ist so faszinierend an Doggerland? Es gibt ja diese Inseln gar nicht. Aber anders als in Auenland oder Liliput, gab es einmal, in grauer Vorzeit Doggerland wirklich. Die Ortsnamen, die Landschaft, die Menschen, alles klingt so vertraut als wäre es im Nachbarort. Dabei entspringt alles Maria Adolfssons Fantasie. Das macht den Roman so interessant. Natürlich auch die Handlung, ein gut gemachter Krimi ist immer spannend und abwechslungsreich, und dies ist ein guter Krimi. Ein weiterer Anziehungspunkt ist das Auftreten der Hauptgestalten, die wir aus Adolfssons ersten Krimi schon kennen: Die Ermittler und ihre mehr oder weniger komplizierten Familienverhältnisse.

Karen Eiken Hornby verbringt Weihnachten mit ihrer Mutter, deren Partner, mit dem obdachlosen Leo Friis, der bei ihr eine Bleibe gefunden hat, mit Sigrid Smeed, der Tochter des Polizeichefs von Doggerland, mit Marike, der dänischen Freundin. Karen ist sich dabei nicht sicher, will sie vielleicht lieber allein sein und ihre Ruhe haben oder doch lieber die Freunde und all den Trubel um sich haben? So kommt ihr die Aufforderung ihres Chefs auf die Nachbarinsel Noorö überzusetzen, weil da ein Mord passiert ist nur gelegen. Und so nimmt die Handlung Fahrt auf. Wie bei einem guten Krimi rutschen abwechselnd unterschiedliche Verdächtige in den Fokus nur um dann wieder entlastet und in unseren Augen rehabilitiert in den Hintergrund zu treten oder selber als Leiche zu enden, denn es geschieht ein zweiter Mord auf Noorö.

Zusätzlich lernen wir neue Familienmitglieder von Karen kennen und auch wie Karens Mann und Sohn ums Leben kamen, damals in England. Dies ist alles notwendiger Teil der Handlung, denn nur so können wir Karen Eiken Hornby besser kennen und verstehen lernen. Wenn sich anfangs die Ermittlungen mühsam und fast zäh dahinziehen, so wächst die Handlung allmählich an, die Spannung wächst und die Verschnaufpausen werden immer geringer und seltener. Parallel zur eigentlichen Krimihandlung entwickelt sich noch ein zweiter genauso spannender Erzählstrang um Karens Freundin Aylin und deren Mann Bo Ramnes.

Und wie es sich für einen spannenden Krimi gehört, wird Karen Eiken Hornby unter Einsatz ihres Lebens beide Mordfälle lösen und Aylins Problem eher unkonventionell letztlich endgültig aus der Welt schaffen.

Maria Adolfsson hat mir schon mit dem ersten Doggerland Roman gefallen, mit diesem zweiten ist sie definitiv in meinen persönlichen Autorenpantheon aufgestiegen.

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Veröffentlicht am 11.03.2020

Marienkäfer flieg, dein Vater ist im Krieg, dei‘ Mutter ist in Pommerland und Pommerland ist abgebrannt…

Priest of Bones
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Wer kennt diesen alten Reim nicht? Er stammt aus dem Dreißigjährigen Krieg und stellt eigentlich die schreckliche Situation dar, in der sich die vielen Kriegswaisen der Zeit befanden. Und genau daran hat ...

Wer kennt diesen alten Reim nicht? Er stammt aus dem Dreißigjährigen Krieg und stellt eigentlich die schreckliche Situation dar, in der sich die vielen Kriegswaisen der Zeit befanden. Und genau daran hat mich die LP erinnert. An den Dreißigjährigen Krieg und die Zeit danach: Krieg, Pest, Cholera, die beiden Kirchen, die beide sich nicht zu scheu waren, zusätzlich zum Krieg Hexenverbrennungen durchzuführen. Wer der Soldateska entkam, konnte getrost auf die Kirche bauen, die erwischte ihn dann bestimmt. Solch ein Priester tritt hier auch auf. Dabei wirkt er manchmal direkt sympathisch.

Was passiert nach einem Friedensschluss? Was passierte damals, 1648 nach dem Westfälischen Frieden? Der wahre Frieden kehrte noch lange nicht ein.
Was passierte 1918, während und nach den Friedensschlüssen von Versailles und Trianon? Räterepubliken, Revolten, Bürgerkrieg oder kriegsähnliche Zustände. Nach 5 Jahren Krieg kannten die überlebenden Heimkehrer nicht viel anderes mehr. Woher auch?

Wenn der Krieg wirklich und endgültig vorbei ist, wie lange dauert es dann, bis auch wirklich und endgültig Frieden einkehrt? Die überlebenden Kriegsheimkehrer haben jahrelang an der Front gekämpft, haben alles andere verlernt, vergessen, verdrängt. Sie kennen nur noch Mord und Totschlag. Und was an der Front gut war, soll nun auf einmal nicht mehr gut sein? Wer wagt es denn zu widersprechen? Einer solchen Horde heimkehrender Soldateska begegnen wir im Roman. Sie macht nun die Straßen unsicher bis sie daheim ist. Nach außen hin wird Stärke und Gemeinschaft gezeigt, im Inneren aber schwelen ständige Rangkämpfe. Sobald einer die Autorität des Anführers in Frage stellt, muss dieser sofort und gnadenlos seine Macht zeigen und den Meuterer töten. Die Ähnlichkeit mit dem Leben in einem Löwenrudel ist nicht von der Hand zu weisen. Die Heimatstadt hat sich auch verändert. Und nicht zum Guten. Tomas Piety muss feststellen, dass seine Stadt nun von anderen beherrscht wird, sein Name nicht mehr beachtet wird. Aber die Piety Brüder machen sich gleich bei Ankunft daran, ihr Territorium zurück zu erobern. Denn vor dem Krieg waren sie „Paten“ ihres Stadtteils, Kneipen, Prostitution, Glücksspiel, Schutzgelder, Drogen, das holen sie sich zurück. Aber sie müssen feststellen, sie kämpfen nicht nur gegen den rivalisierenden Mob aus dem Nachbarviertel, sondern eine viel größere Bedrohung macht sich in der Stadt breit. Tomas muss vorsichtig taktieren, denn die Gefahr eines neuen Krieges ist latent da. Doch er hat auch Hilfe, er kämpft nicht allein. Außer seinen Soldatenfreunden, die ihm treu ergeben sind, bekommt er Unterstützung von unerwarteter Seite. Doch diese Hilfe ist zweischneidig, mit weiteren Gefahren verbunden.
Die Spannung im Buch wird durch noch einen Faktor erhöht: die Magie. Noch tritt sie nicht konkret auf, agiert nur im Verborgenen, doch sie ist da. Manche fürchten sie, andere machen sie sich zu nutze. Interessant ist, dass in dieser Stadt Magie unterschiedlich behandelt wird. Es gibt die akzeptierte Magie und es gibt die böse Zauberei, die abgelehnt, geahndet und verfolgt wird. Wo ist da wohl der Unterschied?
Wie das Ganze abläuft, wird hier nicht verraten, wo bleibt denn sonst die Spannung? Der nüchterne und doch packende Schreibstil, die ruppigen Dialoge, die spannende Handlung treiben den Leser durch die Seiten. Doch Achtung: Dies ist nur der erste Teil, wir dürfen uns auf die Fortsetzungsromane freuen.

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Veröffentlicht am 11.03.2020

Geschichte aus einem anderen Blickpunkt

Der Empfänger
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Ein vielschichtiger Roman der eine recht turbulente Zeit des 20 Jahrhunderts zum Thema hat. Auf drei Zeitebenen spielend und auf drei Kontinenten, beginnt und endet der Roman in Costa Rica 1953. Dies ist ...

Ein vielschichtiger Roman der eine recht turbulente Zeit des 20 Jahrhunderts zum Thema hat. Auf drei Zeitebenen spielend und auf drei Kontinenten, beginnt und endet der Roman in Costa Rica 1953. Dies ist die Rahmenhandlung und die erste Zeitebene.
Die Haupterzählung spielt in den USA, genauer in New York. Nach dem ersten Weltkrieg, der Vater ist gleich zu Beginn des Krieges gefallen, beschließen zwei Brüder aus Deutschland nach Amerika auszuwandern. Doch der jüngere verliert durch einen Unfall ein Auge, er kann nicht mehr nach Amerika, auf Ellis Island würde er sofort ausgemustert werden. So bleibt er in Deutschland, heiratet, hat zwei Kinder. Joseph, nun Joe, der nach Amerika ausgewanderte Bruder, schlägt sich durch, arbeitet zuletzt in einer Druckerei und in seiner freien Zeit ist er als Amateurfunker in Verbindung mit der ganzen Welt. So lernt er Lauren kennen, eine junge Amerikanerin, die auch in New York lebt, so wie er. Doch es kommen schwere Zeiten. Nach der großen Wirtschaftsdepression geht es zwar aufwärts, aber langsam. Und immer mehr dringt das Politikum in das Leben aller Menschen, in Deutschland wie in den USA. Die Deutschen, die ausgewandert sind, spalten sich in zwei große Parteien: einerseits die vor Nazideutschland geflüchteten, Juden, Liberale, Intellektuelle. Andererseits die Deutschen rechter Gesinnung, die auch in Amerika der gleichen Propaganda frönen, wie auch in der alten Heimat. Sie versuchen Stimmung für Hitler zu machen, treten diversen Volksgruppen bei, sind fest überzeugt, Hitler allein könne Amerika retten, spionieren für das Hitlerregime. Joe lebt still, zurückgezogen, fühlt sich von dem groben Hurrapatriotismus seiner Landsleute abgestoßen. Doch durch sein Hobby ist er den Nazi-Agenten aufgefallen und ohne seinen Willen in deren Machenschaften verwickelt. Er muss geheime Botschaften nach Deutschland funken. Joe versucht auszusteigen, er will da nicht mitmachen, aber er wird brutal zusammengeschlagen. Letztendlich wendet er sich an das FBI, aber die helfen ihm auch nicht, sie wollen ihn als Doppelagenten benutzen. Erst als Joe Klein einen Autounfall provoziert, wird er von beiden Seiten in Ruhe gelassen und einige Monate danach endlich verhaftet. Er bleibt interniert bis 1949, als er nach Deutschland abgeschoben wird. Einige Monate lebt er bei seinem Bruder Carl, kann aber nicht heimisch werden weder in der Enge der zerbombten deutschen Städte, noch in der kleinbürgerlichen Atmosphäre in der Carl lebt und in der er auch seine Frau Edith und seine beiden Kinder zu leben zwingt. Die zwei Brüder finden weder den richtigen Umgangston miteinander noch auf seelischer Ebene zueinander. Joe wandert nach Südamerika aus. Als er merkt, dass er wieder von den alten Naziseilschaften umgarnt wird, wie einst in New York, gelingt es ihm endlich einen klaren Trennstrich zu ziehen, Nein zu sagen und sich nicht mehr in dunkle Machenschaften der Altnazis einwickeln zu lassen.
Während Costa Rica und 1953 dem Roman einen Rahmen geben, sind die beiden anderen Zeit- und Handlungsebenen miteinander verwoben, sie wechseln sich ab, ergeben zusammen eine interessante bunte Patchworkdecke. Einerseits Joes Leben in New York, sein Versuch sich von den ausgewanderten Deutschen fern zu halten, die Art wie er von Agenten der Reichsabwehr gezwungen wird zu kooperieren, seine Liebe zu Lauren, die ihm letztendlich zuvorkommt und ihn beim FBI anzeigt, seie Tätigkeit als Doppelagent, seine Zeit im Gefängnis, all dies wird in Rückblenden erzählt während er 1949 bei seinem Bruder lebt, versucht seiner Schwägerin Edith und den Kindern zu helfen, weil Carl, genau wie weiland der Vater zu Gewaltausbrüchen neigt.
Für Carl spricht, dass er sich während der Nazizeit geweigert hat ein arisiertes Haus zu kaufen und es vorgezogen hat ein altes, renovierungsbedürftiges Haus zum „normalen“ Preis zu kaufen und auch sonst sich nicht politisch betätigt hat. Im Gegensatz dazu Joe. Er hat auch versucht apolitisch zu leben, es ist ihm aber nicht gelungen und so musste er geheime Nachrichten nach Deutschland funken. Nur durch seine Verhaftung konnte er sich sowohl der deutschen Abwehr als auch dem FBI entziehen. War er tapfer? War er feige? Spielt keine Rolle. Joe Klein ist ein ganz normaler Mensch, weder ein Held noch ein Hasenfuß. Er will einfach nur so leben, wie es ihm gefällt, ohne anderen zu schaden oder zu verletzen. Er ist aber beileibe kein Herr Biedermann. Der bekanntlich die Brandstifter selbst in sein Haus lies. Joe versucht sich zu wehren, versucht auszusteigen, zu kündigen. Erst viele Jahre später wird ihm dies gelingen, in Costa Rica.
Der Schreibstil ist eher nüchtern, dadurch Joes Lebensgeschichte glaubwürdig machend. So klar und präzise der Stil ist, so überraschen ab und zu Sprachbilder von eigenartiger Schönheit: die Nacht senkt sich über Harlem wie ein Schleier der die Farben stetig löscht (S. 151), Nadelbäume die vor dem Nachtblauen Himmel Fächer bilden, „filigrane, asiatisch wirkende Bäume“ (S. 213), das Meer wie „Wasserteppiche die sich übereinander schoben“ (S. 219). Während der Überfahrt Richtung Buenos Aires bestaunt Joe den „Sauberen Nachthimmel“ (s.230)
Ein gutes, schön und spannend geschriebenes Buch mit einem interessanten Thema und literarisch auf hohem Niveau gehalten.

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