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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 05.12.2022

Ein etwas anderer Western

Die tausend Verbrechen des Ming Tsu
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In diesem Buch ist der Held weder ein Cowboy, der einsam durch die Prärie reitet und die Viehherde vor sich hertreibt, noch ein Sheriff, der die Stadt gegen die bösen Viehbarone verteidigt. Nein, es ist ...

In diesem Buch ist der Held weder ein Cowboy, der einsam durch die Prärie reitet und die Viehherde vor sich hertreibt, noch ein Sheriff, der die Stadt gegen die bösen Viehbarone verteidigt. Nein, es ist ein Chinese. Chinesen wurden im 19. Jahrhundert zu abertausenden als billige Arbeitskräfte in die USA herangekarrt für den Bau der Eisenbahnen. Sie waren rechtlos, wurden verachtet und wenn sie auch nur andeutungsweise murten, wurden sie kurzerhand erschossen. Auf einen Chinaman mehr oder weniger kam es nicht an. Und nun wird solch ein Underdog zum Helden des Buches. Was seine Widersacher nicht ahnen, Ming Tsu ist ein Auftragskiller. Als eine Gruppe weißer Männer ihm seine weiße Frau rauben und ihn halbtot prügeln, wird Ming Tsu zu seinem eigenen Auftraggeber. Gnadenlos jagt er durch mehrere Staaten die Bande und tötet sie kaltblütig. Unterwegs schließt er sich eier fahrenden Zirkustruppe an. Das ist ein sonderbarer Zirkus, seine Mitglieder können merkwürdige Wunder vollbringen. Da passen Ming Tsu und der alte blinde Chinese genannt “Prophet” dazu. Unterwegs erschießt oder ersticht Ming Tsu noch einige Bandenmitglieder, aber auch andere, die zwar nicht zur Bande gehörten, aber ihren Tod nicht minder verdient haben. Ming Tsu hinterlässt quer durch die USA und durch das Buch eine blutige Spur. Vom großen Salt Lake in Utah durch Nevada bis hinunter nach Sacramento in Kalifornien, wo es zum letzten großen Showdown kommt, in bester Hollywood Manier. Eigentlich zelebriert Tom Lin jeden Mord den Ming Tsu verübt wie einen kleineren oder größeren Showdown.
Das nüchterne, trockene Narrativ nimmt uns gefangen, schon bald zählen wir nicht mehr mit, wie viele Menschen in diesem Buch sterben, es ist, als würde das Motto der weißen Machthaber umgedreht werden: “Auf einen Whiteman mehr oder weniger kommt es nicht an”. Und wir empfinden auch so, denn trotz allem ist Ming Tsu ein Sympathieträger. Und seine Morde sind erklärbar und eigentlich gerechtfertigt. In einem Land und in einer Zeit in der zuerst geschossen wird und danach nach dem Namen gefragt wird, tötet Ming Tsu nur aus Notwehr und Rache. Keine Habsucht, kein Raub-Motiv. In einem Land, in dem Waffenbesitz auch heute noch als Grundrecht aller (weißen) Bürger angesehen wird, wirft dieses Buch Fragen auf. Wie die alten weißen Männer wohl Tom Lins aufgenommen haben?

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Veröffentlicht am 20.11.2022

Langatmig und trotzdem spannend

Die rätselhaften Honjin-Morde
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Ein Closed Room Krimi aus Japan. Schön. Titelbild und Schrift sind hinreißend. Die langatmigen Beschreibungen und Erklärungen unterstreichen den Charme dieses für uns fremden Universums. Das Buch wird ...

Ein Closed Room Krimi aus Japan. Schön. Titelbild und Schrift sind hinreißend. Die langatmigen Beschreibungen und Erklärungen unterstreichen den Charme dieses für uns fremden Universums. Das Buch wird nicht langweilig. Es tauchen immer wieder merkwürdige Hinweise auf. Ob sie von Bedeutung sind oder den Leser nur irreführen wollen, eine falsche Fährte legen, das wird sich noch zeigen. Letzten Endes finden sich für all diese Hinweise eine logische Erklärung. Sei es die tote Katze, die mal beerdigt wird, exhumiert und wieder beerdigt, die Saiten und Stege des traditionellen japanischen Zupfinstruments, das Samurai Schwert im Schnee, die verschlossenen Türen und Fensterläden, der zerlumpte Fremde dem einige Finger an einer Hand fehlen, die Tagebücher Kanzos, die Familienmitglieder, die erst am Tag nach der Hochzeit und nach den Morden eingeladen wurden, alles ist so geheimnisvoll und detailliert beschrieben, dass wir das Buch nicht loslassen, immer weiter lesen. Die Lösung ist logisch, aber wie bei guten Krimis merkt man das erst im Nachhinein, ja klar, das ist die einzig mögliche Erklärung für den geheimnisvollen Doppelmord. Der sympathische Privatermittler Kosuke Kindaichi ist so ganz anders, als sich die japanische Gesellschaft einen Detektiv vorstellt. Er wirkt leicht zerstreut, verfolgt aber gewissenhaft alle Spuren und geht allen Hinweisen nach, seien sie noch so merkwürdig. Kindaichi findet heraus, in diesem Fall wurde nichts, nicht das kleinste Detail außer Acht gelassen. So gelingt ihm die Auflösung dieses spektakulären Falls. Die langatmigen Beschreibungen, das Beharren auf scheinbar belanglosen Einzelheiten, die sich in die Länge hinziehen, machen das Buch auf seine ureigenste ARt und Weise doch anziehend und spannend. In einer Zeit der rasanten Krimis und Thriller zeigt uns Seishi Yokomizo die Schönheit eines “Slow-Krimis”. Genießt es!

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Veröffentlicht am 20.11.2022

Ein großartiger Thriller

EAST. Welt ohne Seele
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Jan Jordi Kazanski, CIA Agent erhält nach dem Tod seiner Frau und der damit einhergehenden Verzweiflung eine letzte Chance, sein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Er muss einen undurchsichtigen Fall ...

Jan Jordi Kazanski, CIA Agent erhält nach dem Tod seiner Frau und der damit einhergehenden Verzweiflung eine letzte Chance, sein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Er muss einen undurchsichtigen Fall im Ausland, genauer in Krakau, lösen. Da er auch erfahren will, wer seine Frau und seine Tochter auf dem Gewissen hat, willigt er ein.
In Krakau laufen alle Spuren zusammen. Polnische und russische Mafia, Agenten des CIA und des Interpols, sie alle geben sich hier, in der alten Kaiserstadt, die Klinken in die Hand. Über allem scheint eine geheimnisvolle Witwe zu schweben, die in der Vergangenheit die USA öfter mit geheimem Material versorgt hat. Doch die Witwe bleibt unauffindbar. Sie scheint den beiden Agenten immer eine Schritt voraus zu sein. Wie sich das Ganze dann löst, wie gefahrvoll es ist, vor allem für Jan Jordi Kazanski, bis er das Rätsel löst, und vor allem auch erfährt, wer Schuld am Tod seiner Familie hat, das ist ein langer Weg voller Mäander und Achterbahnfahrten. Die drei Hauptgestalten, Jan Jordi, Xenia Larsen Pizlo und Ewa Theresa Siwonia, kommen authentisch rüber, wirken sympathisch und ehrlich. Jan Jordi ist eine gequälte, zerrissene Seele, der erst spät wieder Wurzeln schlagen kann, Ewa Theresa wurde als junges Mädchen von Polizisten vergewaltigt, Xenia muss sich in einer Welt voller männlicher Kollegen behaupten. Jeder von ihnen hat seine eigenen Alpträume und Krisen zu bewältigen. Auch nach der restlosen Lösung des aktuellen Falls geht die Beziehung zwischen Jan Jordi und Ewa weiter, mit vielen Höhen und noch mehr Tiefen, aber sie suchen immer wieder die Nähe zueinander. “Es war eine Frage des Wagens.Wagen, zu geben - und wagen, zu nehmen.” Denn was ein Philosoph im 18.-19. Jahrhundert über die Liebe gesagt hatte, kann doch im 21. Jahrhundert nicht mehr stimmen, oder? Etwas geben und etwas nehmen. “Und wenn der Philosoph recht hatte?” (S,383)
Mehrere hollywoodreife Showdowns, Theaterschläge, inszenierte oder echte Morde, wechselnde Schauplätze, unglaubliche Actionszenen und Explosionen, böse Dialoge, kurz alles was einen guten Thriller ausmacht, begegnen wir auf den Seiten des Buches. Und am Ende Hegel.

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Veröffentlicht am 20.11.2022

Es wird keiner zurückgelassen.

Die Sehnsucht nach Licht
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Das Motto der Bergleute in der ganzen Welt ist auch für das Schlemmatal gültig. Hier geht der Bergbau auf etwa 1170 zurück, zuerst Eisen und Mangan, dann Silber, Kupfer, Kobalt, Wismut, Uran. Das zieht ...

Das Motto der Bergleute in der ganzen Welt ist auch für das Schlemmatal gültig. Hier geht der Bergbau auf etwa 1170 zurück, zuerst Eisen und Mangan, dann Silber, Kupfer, Kobalt, Wismut, Uran. Das zieht sich durch die Jahrhunderte und durch die politischen Systeme durch, wobei es am schlimmsten es zur Zeit des DDR Regimes gewesen sein. Der Uranabbau war fest in sowjetischer Hand, wer es wagte, zu widersprechen oder aufzubegehren, wurde nach Moskau verschleppt und in den dortigen KGB Gefängnissen erschossen. Uranabbau ist tödlich für den Menschen. Wen nicht die Silikose in der Lunge umbringt, die Strahlung erledigt das locker.
Wir begleiten im Buch die Bergmannsfamilie Steiner, von 1908 bis 2019, mehr als 100 Jahre Geschichte. Es ist nicht nur Familiengeschichte, sondern auch die Geschichte der Gesellschaft. In all dieser Zeit hält die Familie zusammen und ist füreinander da. Durch gute und gefährliche Zeiten, durch magere Zeiten (und die gab es “im Überfluß”), durch Zeiten der unpolitischen Freiheit, in denen ein Wort oder eine Geste den Tod bedeutete. Anhand der Familie Steiner erfahren wir, wie das ganze Tal eigentlich lebte: ihre abendlichen Rituale wenn die Bergleute aus der Grube heimkehrten, mit den Lichtern für jedes Familienmitglied eines im Fenster, so dass die Bergleute wußten, alles gut daheim, keiner krank oder verletzt. Mit den Weihnachtsbräuchen, den Trachten, den Chören und Aufmärschen der Bergleute. Und über allem die wiederkehrenden Worte: “Ein Bergmann ist ehrlich” und “Wir lassen keinen zurück”, ohne denen wohl der tägliche Abstieg in die Grube undenkbar gewesen wäre. Generationen von Männern steigen Tag für Tag in die Grube hinab, nicht wissend, ob und wann sie wieder herauskommen, sehen nur an Sonntagen die Sonne und lieben trotzdem den Beruf.
Schöner, nachklingender Schreibstil den Kati Naumann da verwendet und meisterlich beherrscht. Die Kapitel alternieren zwischen 2019 und von 1908 aufwärts. So erhalten wir einen klaren Einblick in das harte und oft entbehrungsreiche Leben der Bergleute und ihrer Familien. Der Zusammenhalt der Familie wird durch das ganze Buch hindurch unter Beweis gestellt. Auch zum Schluss, als Luisa, Michaela und Irma Steiner und Gretchen, eine Freundin der Familie, nach Moskau reisen, um über den Verbleib von Michail, einem sowjetischen Soldaten und Michaelas Vater, und Rudolf Steiners zu forschen. Es gelingt ihnen, Michails Familie zu finden, nur leider ist Michail schon verstorben. Sie schließen Freundschaft mit seiner Familie in dem ukrainischen Dorf und fahren anschließend nach Moskau. Rudolf Steiner war von der KGB 1951 erschossen . Nun wollen die Frauen erfahren, warum, unter welchen Anschuldigung das geschah und wollen ihn rehabilitieren lassen. Doch das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die Akten wurden noch unter Stalin vernichtet, eine Rehabilitation ist nicht mehr möglich. Doch Luisa Steiner ist findig. Sie überredet einen jungen russischen Studenten, eine fiktive Urkunde auszudrucken, in der Rudolf Steiner rehabilitiert wird. Irma und Gretchen sind glücklich, sie kehren mit dem Gefühl zurück, sie haben für ihren lang verschollenen Bruder, für die Familie etwas getan, ihre Pflicht erfüllt. Und sie haben keinen zurückgelassen.

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Veröffentlicht am 05.11.2022

Welches soll nun die bessere Schwester sein?

Meine bessere Schwester
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Das Buch beginnt mit einer herrlich schrägen Beerdigung. Eine Beerdigung, die eher wie
eine Komödie anmutet: die Verstorbene ist die Schwester der Mutter, die sich seit langen
Jahren einander entfremdet ...

Das Buch beginnt mit einer herrlich schrägen Beerdigung. Eine Beerdigung, die eher wie
eine Komödie anmutet: die Verstorbene ist die Schwester der Mutter, die sich seit langen
Jahren einander entfremdet hatten. die Mutter kritisiert, nörgelt und meckert an allem rum,
ihr Sohn ebenso. Hannah, die eine Schwester, klinkt sich aus, die ganze Arbeit bleibt an
Alice hängen. Personen, die weder die Verstorbene kannten, noch in irgendeiner Weise zur
Familie gehören, tauchen auf, mischen die Party richtig auf. Einmalig der Markus Antonius
Monolog aus Shakespeares Julius Caesar. Motto: Spaß muss sein bei der Leiche!
Doch in den folgenden Kapiteln verschwindet dieses Humorvolle, die Ironie legt sich, und es
tauchen ganz andere, bittere Töne auf. Alice und Hanna sind Zwillingsschwestern, wie sie
unterschiedlicher nicht sein könnten. Alice will nur nicht auffallen, will es allen Recht
machen, wurde in der Schule gemobbt, während Hanna rebellisch und eigensinnig durchs
Leben geht. Die Mutter zieht offensichtlich Alice vor, sie legt sie total mit Beschlag, sie muss
täglich mehrere Male mit Alice telefonieren. Es wird dauern, bis diese Familie, Mutter, die
beiden Zwillingsschwestern und Bruder Michael, die Beziehungen zueinander klären,
normalisieren werden. Es geschieht nicht in einem großen Showdown, wo alles offen gesagt
oder geschrien wird, sondern in vielen kleinen Gesprächen und Gesten, in Reflexionen über
das Gesagte, im Zustimmen und Ergänzen. Und eben auch durch das Nicht Gesagte, weil in
einer Familie versteht man sich manchmal auch ohne Worte.
Der deutsche Titel - Meine bessere Schwester - ließ mich fragen, welches nun die bessere
Schwester ist? Die aufbegehrende Hanna, die offen gegen die Mutter rebelliert oder die
ruhige Alice, an die sich die Mutter mit aller Heftigkeit klammert? Der englische Titel “I’m
Sorry You Feel That Way” passt viel eher zum Buch. Diese Satz sprechen irgendwann im
Laufe des Buches alle Familienmitglieder aus, Und erst als diese Worte so oder in anderer
Form fallen, beginnen sie aufeinander zuzugehen und Verständnis für die anderen
aufzubringen.

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