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Veröffentlicht am 05.11.2022

Unglaubliches Buch

Gespräche auf dem Meeresgrund
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Absolut faszinierend, was sich Root Leeb da ausgedacht hat. Dialoge zwischen ja was?
Toten? Geistern? Irrealen Entitäten? Jede dieser drei Wesen verkörpert eine andere Art von
Existenz. Ein Flüchtling, ...

Absolut faszinierend, was sich Root Leeb da ausgedacht hat. Dialoge zwischen ja was?
Toten? Geistern? Irrealen Entitäten? Jede dieser drei Wesen verkörpert eine andere Art von
Existenz. Ein Flüchtling, ein Mann, der hier Urlaub machen wollte und eine Frau, die sich
offensichtlich vor Männern fürchtet. Da treffen Welten aufeinander. Sie sind zuerst
namenlos, die Gespräche finden statt zwischen “der Eine”, der "Andere'' und die “Dritte”.
Erst später, wenn sie sich besser kennenlernen und Vertrauen zueinander fassen, lernen,
sich zu akzeptieren, werden sie ihre Namen preisgeben, als Zeichen ihrer Aufrichtigkeit. Sie
heißen Alasan Jobe, Arno und Amma. Ihre Gespräche werden immer wieder unterbrochen,
entweder durch den Lärm großer vorbeifahrender Schiffe oder durch vorbei schwimmende
Nereiden oder durch Poseidon, den Meeresgott, der sie zwar wahrnimmt, aber nicht mit
ihnen spricht.
Am Meeresgrund sprechen alle, die dort landen, eine Sprache, “vielleicht weil wir am
Ursprung angelangt sind, und der ist für uns alle wohl derselbe” (S. 20). Und es gibt so
etwas wie ein geheimes allgemeines Verständnis, die Verunglückten aller Meere, ob im
chinesischen Meer oder vor der Küste Libyens oder näher an Europa, sie erfahren
voneinander, können sich verständigen. Bei den drei Menschen im Buch tauchen
Erinnerungen auf, die jeder von ihnen individuell durchgemacht hat, die aber von allen
verstanden und gesehen werden. So erinnert sich der Andere an eine traurige Begebenheit
aus seiner Kindheit, als er von seinem Vater mit der Dunkelkammer bedroht wurde. Die
Dritte erinnert sich voll Grauen, wie sie von Männern gefoltert wurde, wir wissen nicht aus
welchem Grund, vielleicht politisch, vielleicht von anderen Verbrechern. Diese Erinnerungen
kommen “manchmal wie ein Traum, manchmal wie aus der Warte eines anderen. Immer ein
bisschen verzerrt, aber mit dem Wichtigsten im Zentrum. Meist ist es Belastendes” (S. 54)
Ab und zu webt Leeb feine und verhaltene Ironie in den Text ein, so etwa, wenn sich die
Gestalten das Wasser reichen, geht ja auch nicht anders, sie sind ja am Meeresgrund. Oder
wenn die Nereiden sich über Männer lustig machen.
Das Titelbild und die Meeresbilder im Buch sind von Root Leeb persönlich gestaltet worden.
Sie sind wunderschön und sehr stimmungsvoll.

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Veröffentlicht am 05.11.2022

Hartes Leben

Für euch
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Was für ein Gefühl ist das, für ein Kind, wenn es weiß, die Mutter muss sich prostituieren, um Brot auf den Tisch und Kleidung für die Familie zu kaufen? Und der Tochter alle Wünsche zu erfüllen, bis hin ...

Was für ein Gefühl ist das, für ein Kind, wenn es weiß, die Mutter muss sich prostituieren, um Brot auf den Tisch und Kleidung für die Familie zu kaufen? Und der Tochter alle Wünsche zu erfüllen, bis hin zu Sprachferien an der Côte d’Azur. Und wenn die Mutter nicht “anschaffen” geht, werden Tabletten vertickt oder sie begeht Ladendiebstahl und muss sogar zwei Mal ins Gefängnis dafür.
Iris zeigt nach außen hin eine heile Fassade, aber daheim lebt sie in einer “soziokulturellen Parallelwelt” (S. 102), hart am Rande der Legalität. Prostituierte, Hehler, kleine Diebe, Zocker und andere zwielichtige Typen, wie Zuhälter, bevölkern ihre Welt. Und aus all diesem geht sie unbeschadet hervor, ihre Eltern wachen über sie und sorgen dafür, dass sie von all dem Grauen nichts merkt oder gar abbekommt.
Iris verdrängt die Beschäftigung der Mutter, spricht nicht in der Schule über ihre Eltern, sie hält diese zwei Welten, Schule und Daheim strikt getrennt. Auch später, an der Uni, sie studiert Jura, verschweigt sie weiterhin, dass sie aus dem “Milieu” kommt. Sie ist ein Kind, dem es an nichts gemangelt hat, weder materiell noch an elterlicher Liebe. Der Vater, ein türkischer Gastarbeiter, und Sonja, eine echte Kölnerin, vergöttern ihre kleine Iris, ihr soll es an nichts mangeln. Nur wenn der Strom in der Wohnung von den Stadtwerken abgestellt wird, merkt Iris, dass es ein Problem gibt. Oder wenn die Polizei ohne Durchsuchungsbefehl die Wohnung durchsucht und die Einrichtung zerstört. Oder wenn Sonja die kleine Iris mit zu Besuch nimmt zu ihrer Familie, merkt das Mädchen an den abfälligen oder mitleidigen Bemerkungen der Erwachsenen, dass etwas nicht stimmt. Aber Iris schafft es, alle diese schweren Probleme derart zu kompartmentalisieren und alles zu verdrängen, in sich fest verschlossen zu halten. Es gelingt ihr, in allen Situationen die Fassade aufrechtzuerhalten.
Der Schreibstil ist sehr direkt und hart. Voll dem Thema angepasst. Man kann nicht schönreden, was nicht schönzureden ist. Diese schonungslose Art ist nicht abstoßend, im Gegenteil. Der Leser gewinnt volles Verständnis und auch Achtung, wie Iris ihr Leben meistert. Auch wenn sie als Jugendliche nicht immer richtig gehandelt hat. So verschläft sie buchstäblich die letzten Momente ihres Vaters, bevor er stirbt, obwohl sie versprochen hatte, ihn in der Klinik zu besuchen. Auch war ihre Reaktion auf die Nachricht, dass ihre Mutter an AIDS erkrankt ist, nicht gerade stellar. Dafür aber lässt sie alles stehen und liegen in Berlin, wo sie als erwachsene Frau lebt, und eilt zu ihrer Mutter nach Köln um bei ihr zu sein und sie zu pflegen. Auch die Verabschiedungszeremonie, die Iris für ihre Mutter organisiert, mit einer kleinen Party unter einer Rheinbrücke hätte Sonja gut gefallen.
Mit diesem absolut und unglaublich ehrlichen Buch leistet Iris Sayram Abbitte ihren Eltern, dankt ihnen für all die Liebe und setzt ihnen ein Denkmal.

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Veröffentlicht am 25.10.2022

Der alte Mann und das Meer

Die Meerjungfrau von Black Conch
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Monique Roffey hat einen alten Mythos wiederbelebt. Irgendwo, in der Karibik freunden sich ein Fischer und eine Wasserfrau an. Leider wird die Nixe von raffgierigen Gringos gefangen genommen, die sie gegen ...

Monique Roffey hat einen alten Mythos wiederbelebt. Irgendwo, in der Karibik freunden sich ein Fischer und eine Wasserfrau an. Leider wird die Nixe von raffgierigen Gringos gefangen genommen, die sie gegen viel Geld vermarkten wollen. Doch der Fischer befreit die Wasserfrau, nimmt sie zu sich nach Hause und versucht, sie von der Außenwelt abzuschirmen. Die Wasserfrau verwandelt sich zurück in ein schönes junges Mädchen. Doch es kann der Beste nicht im Frieden leben, wenn’s dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Einige wenige Menschen freunden sich mit den beiden an, unterstützen sie, helfen ihnen. Aber es gibt auch immer Neider, Eifersüchtige, jene die Gewinn aus der Wasserfrau herausschlagen wollen. Doch damit nicht genug, der uralte Fluch wird wieder aktiv, das Meer will sie sich zurückholen.
Der Roman - das Märchen - wird in einer wunderschönen Sprache geschrieben, eine Mischung aus englisch und Kreolisch. Der Übersetzerin Gesine Schröder ist es meisterhaft gelungen, ein der deutschen Sprache völlig fremden Slang einzudeutschen, so zu übertragen, dass wir uns nicht wie Außenstehende vorkommen, sondern eher das Gefühl haben,dabei zu sein. David und die anderen Insulaner sprechen “Prosa” während Aycayia eine sehr lyrische Sprachform hat, in freien Versen und wunderschön zu lesen.
Das Buch endet traurig und doch mit einer versöhnlichen Note: “Manche Orte bleiben gleich-gleich, ändern sich nie. Nicht so hier - … an diesem Ort voller Ahnengeister, einem Ort, wo die Götter noch lachen und sagen: ``Nicht so schnell, mein Freund.” (S.232 - 233)
Die Erzählperspektiven ändern immer wider: wir erfahren die Geschichte aus der Sicht eines unparteiischen Beobachters, aus der Sicht Davids, als junger Mann und aus seinem Tagebuch, aus seinen alten Tagen, und Aycayia kommt mit ihrem wunderbaren Stil auch zu Wort.
in den alten Mythen ist die Meerjungfrau dazu verdammt, einen Mann zu lieben, der sie aber verlässt oder ihr nicht traut. Hier liebt David sie, will sie heiraten, doch Aycayia ist nicht frei, sie weiß, sie darf ihn nicht heiraten. Schöne Interpretation des uralten Mythos.

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Veröffentlicht am 25.10.2022

Welches soll nun die bessere Schwester sein?

Meine bessere Schwester
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Das Buch beginnt mit einer herrlich schrägen Beerdigung. Eine Beerdigung, die eher wie eine Komödie anmutet: die Verstorbene ist die Schwester der Mutter, die sich seit langen Jahren einander entfremdet ...

Das Buch beginnt mit einer herrlich schrägen Beerdigung. Eine Beerdigung, die eher wie eine Komödie anmutet: die Verstorbene ist die Schwester der Mutter, die sich seit langen Jahren einander entfremdet hatten. die Mutter kritisiert, nörgelt und meckert an allem rum, ihr Sohn ebenso. Hannah, die eine Schwester, klinkt sich aus, die ganze Arbeit bleibt an Alice hängen. Personen, die weder die Verstorbene kannten, noch in irgendeiner Weise zur Familie gehören, tauchen auf, mischen die Party richtig auf. Einmalig der Markus Antonius Monolog aus Shakespeares Julius Caesar. Motto: Spaß muss sein bei der Leiche!
Doch in den folgenden Kapiteln verschwindet dieses Humorvolle, die Ironie legt sich, und es tauchen ganz andere, bittere Töne auf. Alice und Hanna sind Zwillingsschwestern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Alice will nur nicht auffallen, will es allen Recht machen, wurde in der Schule gemobbt, während Hanna rebellisch und eigensinnig durchs Leben geht. Die Mutter zieht offensichtlich Alice vor, sie legt sie total mit Beschlag, sie muss täglich mehrere Male mit Alice telefonieren. Es wird dauern, bis diese Familie, Mutter, die beiden Zwillingsschwestern und Bruder Michael, die Beziehungen zueinander klären, normalisieren werden. Es geschieht nicht in einem großen Showdown, wo alles offen gesagt oder geschrien wird, sondern in vielen kleinen Gesprächen und Gesten, in Reflexionen über das Gesagte, im Zustimmen und Ergänzen. Und eben auch durch das Nicht Gesagte, weil in einer Familie versteht man sich manchmal auch ohne Worte.
Der deutsche Titel - Meine bessere Schwester - ließ mich fragen, welches nun die bessere Schwester ist? Die aufbegehrende Hanna, die offen gegen die Mutter rebelliert oder die ruhige Alice, an die sich die Mutter mit aller Heftigkeit klammert? Der englische Titel “I’m Sorry You Feel That Way” passt viel eher zum Buch. Diese Satz sprechen irgendwann im Laufe des Buches alle Familienmitglieder aus, Und erst als diese Worte so oder in anderer Form fallen, beginnen sie aufeinander zuzugehen und Verständnis für die anderen aufzubringen.

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Veröffentlicht am 09.10.2022

GU hat wieder ein wunderschönes Buch vorgelegt

Tohrus Japan
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Die Bilder in diesem Kochbuch sind hervorragend. Sowohl die von den Speisen, als auch die mit dem Autor. Die Idee, japanische Einrichtungen aus Deutschland vorzustellen, finde ich ausgezeichnet. Die Stationen ...

Die Bilder in diesem Kochbuch sind hervorragend. Sowohl die von den Speisen, als auch die mit dem Autor. Die Idee, japanische Einrichtungen aus Deutschland vorzustellen, finde ich ausgezeichnet. Die Stationen sind Kaiserslautern, Düsseldorf, Bonn, Berlin und München. Bestimmt eine Reise wert.
Ausführlich beschreibt Tohru Nakamura, wie er von klein auf Koch werden wollte und wie seine Eltern versuchten, ihn für die diplomatische Karriere zu interessieren. Köstlich die Reise mit seinen Eltern nach Kopenhagen, in die japanische Botschaft, wo er jedoch die meiste Zeit in der Botschaftsküche verbrachte. Auch seinen Kampf bis zum ersten eigenen Restaurant und die Auswege, die er und sein Team fanden während des Corona-Lockdowns, sind sehr interessant zu lesen.
Die Rezepte sind in Kapitel nach der Hauptzutat unterteilt. Sesam, Ei, Reis, Algen und Tofu sind uns ja bekannt. Neu für viele von uns sind die Begriffe Katsuobushi, Umeboshi, Miso (Suppe?) oder Shoyu. Alle Kapitel beginnen zuerst mit einem Exkurs über diese Hauptzutat. Im letzten Kapitel, “Basics”, werden diverse Gewürzmischungen und Saucen vorgestellt und deren Zubereitung. Es handelt sich dabei um Zutaten, die man für das Kochen der Rezepte im Buch benötigt. Am Ende des Buches gibt es einen Glossar der Lebensmittel und Gewürze, so dass man zurechtkommt, wenn ein gut sortierter Asia-Laden in der Nähe ist. Schwierig wird es, wenn der Asia-Laden nicht greifbar ist. Aber Amazon & Co. kann da bestimmt weiterhelfen, Aber spontan ein “Takikomi Gohan” zubereiten ist nur möglich, wenn all unsere Vorräte auf die japanische Küche ausgerichtet sind. Aber so wie die Rezepte klingen und aussehen, lohnt sich der Aufwand bestimmt.
Sayonara!

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