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Veröffentlicht am 02.06.2020

Albin und die Schatten der Vergangenheit

Düstere Provence
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Im 5. Fall von Albin Leclerc wird es brenzlig für den Kommissar im Unruhestand. Ihn holen die Schatten seiner Polizeivergan-genheit ein. Vor einem Vierteljahrhundert – also ewig lang her – hat er einen ...

Im 5. Fall von Albin Leclerc wird es brenzlig für den Kommissar im Unruhestand. Ihn holen die Schatten seiner Polizeivergan-genheit ein. Vor einem Vierteljahrhundert – also ewig lang her – hat er einen Ring des organisierten Verbrechens gesprengt und unter anderem einen der Drahtzieher des Unternehmens ins Gefängnis gebracht – Louis Rey.

Nun, während Albin morgens seinen Kaffee im Garten trinkt und vor Langeweile mit seinem Tag nichts mehr anzufangen weiß, wird Louis Rey aus dem Gefängnis entlassen. 25 Jahre, in denen er Zeit hatte, Pläne zu schmieden und auf Rache zu sinnen gegenüber denjenigen, die er für die Schuldigen an seiner langen Gefängnisstrafe und den Untergang seines Imperiums hält. Und in 25 Jahren kommen einem so einige Ideen, was man mit diesen Leuten anstellen könnte… Und so beginnt ein Katz- und Maus-Spiel mit dem Gangster, der trotz der Haftstrafe offenbar nichts von seiner Gefährlichkeit eingebüßt hat.

Die Idee dieses Romans fand ich faszinierend, denn egal wer gerade das Zeitliche segnet – der Leser weiß immer, dass es auf Louis‘ Konto geht. Damit ist dieser Krimi kein klassischer „Whodunnit“-Roman, sondern völlig anders aufgebaut. Die Schwierigkeit für den Autor ist, den Leser bei der Stange zu halten und die Geschichte spannend zu gestalten, obwohl die Leserschaft von vornherein weiß, dass Rey hinter allem steckt. Und hier muss ich meinen Hut ziehen vor Pierre Lagrange alias Sven Koch, der das sehr gut gemeistert hat. Zumindest bei mir hat es funktioniert ;) Ich fand den Plot gut gestrickt, interes-sant, kurzweilig und einfach mal anders, mit einem gut aus-gewogenen Verhältnis zwischen der Rachegeschichte und dem Privatleben Albins.

Natürlich durfte auch Mops Tyson nicht fehlen, wenn Albin mehr oder weniger offiziell ermittelt. Allerdings hat Tyson mittlerweile weniger Interesse an Polizeiarbeit als vielmehr an der dunklen Mopsschönheit Mila, die von Polizistin Castel adoptiert wurde. Ich muss schon sagen, ich warte sehnsüchtig auf den Moment, wo es doch losgeht mit der Mopszucht – auch wenn Albin sich im Moment noch mit Händen und Füßen dage-gen wehrt. Aber wenn Mila und Tyson mal den wachen Augen ihrer Herrchen und Frauchen entwischen, kann ich mir gut vorstellen, dass es nicht bei einem platonischen Am-Hintern-schnuppern bleibt ;)

Wie auch immer – ich bin jedenfalls auch diesmal nicht ent-täuscht worden von dieser Krimireihe, die ich seit dem ersten Band verfolge, sondern ich war aufs Neue begeistert. Dass der Autor hier vom klassischen Ermittlungsroman abgerückt ist, war ein guter Schachzug, der bestens geglückt ist. Nun freue ich mich schon auf das nächste Abenteuer von Albin und Tyson, wenn es im Herbst in die „Eiskalte Provence“ geht!

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Veröffentlicht am 23.05.2020

Spannend, atmosphärisch….einfach gut!

Nordlicht - Die Spur des Mörders -
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Bereits zum zweiten Mal verfolge ich einen Fall des deutsch-dänischen Ermittlerteams Vibeke Boisen & Rasmus Nyborg als Hörbuch und dieser zweite Fall hat mir sogar noch besser ge-fallen als der Auftakt ...

Bereits zum zweiten Mal verfolge ich einen Fall des deutsch-dänischen Ermittlerteams Vibeke Boisen & Rasmus Nyborg als Hörbuch und dieser zweite Fall hat mir sogar noch besser ge-fallen als der Auftakt zur Krimireihe.

Vibeke und Rasmus haben beide einfach Charakter. Vibeke ist die etwas spröde, aber super-ehrgeizige Ermittlerin, deren Persönlichkeit wunderbar eingefangen wird von der Stimme der Sprecherin Vera Teltz. Ich bin ein Fan von Vera, seit sie in der US-amerikanischen Krimiserie „The Mentalist“ die weibliche Hauptrolle, die Kommissarin Teresa Lisbon, synchronisiert hat. Sie hat eine Stimme, die eine Frau sowohl tough erscheinen lassen kann als auch ironisch und im richtigen Moment auch verletzlich. Eine ganz große Sprecherin, die ich immer wieder unheimlich gern höre und die in dieser nordisch-melancholisch angehauchten Krimireihe einfach die perfekte Besetzung ist.

Schwieriger ist es natürlich, wenn sie als Sprecherin einen Mann, in diesem Fall den etwas verqueren Rasmus Nyborg sprechen muss. Aber auch das meistert sie mit Bravour und man nimmt ihr auch den vom Schicksal gebeutelten Nyborg wirklich ab.

Diese gute Erzählweise ist ein Grundstein dafür, dass ich den Krimi wirklich außergewöhnlich gut fand – aber was wäre das alles ohne einen guten Plot? Und auch der kann sich sehen las-sen. Die Aufklärung des Falles um einen alten Mann, der an ei-nem deutsch-dänischen Friedensdenkmal ermordet aufgefunden wird, zieht alle Register. Er beleuchtet historische Zu-sammenhänge, die sich bis zu den letzten Tagen des zweiten Weltkriegs ziehen und die Zustände in früheren Kriegs-Auffanglagern in Dänemark. In diesen landeten auch viele deutsche Frauen und Kinder – ihre Schicksale waren meist schwer und mit Repressalien verbunden.

Die daraus entstandenen schwierigen Familienverhältnisse rund um den Toten machen den Ermittlern das Leben schwer und lassen sie mehr als einmal falschen Fährten aufsitzen. Durch diese Sackgassen bekommt der Krimi immer wieder neue Wendungen, bis sich Vibeke und Rasmus endlich ein Bild davon erarbeitet haben, was in den letzten Wochen und Monaten vor dem Mord wirklich passierte. Dies zu begleiten, war äußerst spannend.

Dazu kommen die privaten Dämonen, mit denen sowohl das ehemalige Pflegekind Vibeke als auch Rasmus als Vater eines bereits verstorbenen Sohnes zu kämpfen haben. Ihre langsame Annäherung und vorsichtige Freundschaft geben dem Kriminal-fall einen bewegenden Rahmen.

Für mich steht fest, dass ich auch beim nächsten Fall unbedingt wieder dabei sein möchte. Ich freue mich jetzt schon auf Neues von der deutsch-dänischen Grenze und kann den dritten Teil der Reihe, der schon für März 2021 angekündigt ist, kaum erwarten! Klare Lese-/Hörempfehlung und 5 Sterne!

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Veröffentlicht am 19.05.2020

Ein absolutes Herzensbuch für mich!

Träume in Meeresgrün
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Ein absolutes Herzensbuch für mich!

Es gibt Bücher, bei denen man sich wünscht, dass sie nie en-den mögen. Solch ein Buch ist – zumindest für mich – „Träume in Meeresgrün“. Ich habe mich nicht nur in ...

Ein absolutes Herzensbuch für mich!

Es gibt Bücher, bei denen man sich wünscht, dass sie nie en-den mögen. Solch ein Buch ist – zumindest für mich – „Träume in Meeresgrün“. Ich habe mich nicht nur in das Städtchen Lunenburg in Nova Scotia/Kanada verliebt, sondern auch in die Charaktere dieses Romans.

Alles beginnt mit einem Familienurlaub. Amelie, die seit Jahren in einem „Gelegenheitsjob“ festhängt, fährt mit Vater, Schwester und Schwager in spe nach Kanada. Sie vermutet, dass ihr Vater nach seinem überstandenen Schlaganfall seine verbliebene Familie um sich haben möchte und fährt zähneknirschend mit in diesen Urlaub, obwohl der für sie wohl eine Tortur werden wird. Denn was keiner der anderen ahnt: sie ist seit Jahren heimlich in ihren Fast-Schwager verliebt.

Eine schwierige Ausgangssituation, zu der sich in Lunenburg ein merkwürdiges Phänomen gesellt: im Coffee Shop begegnet ihr plötzlich ihr Vater. Mit Vollbart. Obwohl er am Tag vorher noch glatt rasiert war. Und zu allem Überfluss wird Amelie beim Joggen von einem Bären angefallen. Okay, einem Bären, der bellt, was mindestens genauso kurios ist wie die Sache mit ihrem Vater.

Es stellen sich zwei Dinge heraus: erstens hat ihr Vater in Lunenburg einen Doppelgänger, dessen Ähnlichkeit mehr als nur Zufall sein muss. Und zweitens gibt es Hunde, die im ersten Moment wie Schwarzbären wirken. Und verdammt attaktive Herrchen haben…

Miriam Covi ist es in ihrem dritten Roman wieder gelungen, mich bis zum unweigerlichen Happy End völlig in ihren Bann zu ziehen und bestens zu unterhalten. Dazu trägt die verzwickte Familiengeschichte bei, die von mehreren schwierigen Geschwisterpaaren erzählt, von Missverständnissen und tragischen Ereignissen, aber auch von Schuld und Schamgefühl. Ich habe bei allen Irrungen und Wirrungen regelrecht mitgelitten und war jedesmal erleichtert, wenn sich etwas aufgeklärt oder aufgelöst hat. Das Schöne ist, dass man Miriams Figuren ihre Sorgen wirklich abnimmt. Natürlich ist immer ein gutes Stück Dramaturgie dabei… aber mal ehrlich – in so einem Roman erwartet man doch auch regelrecht, dass der Weg zum Happy End sehr holprig gepflastert ist. Gut gemacht ist so ein Buch für mich dann, wenn ich trotzdem unbedingt dran bleiben will und atemlos drauf warte, wie sich die Situation (bald! hoffentlich!) aufklären wird.

In diesem Buch habe ich sowohl mit Amelie und Callum gefiebert auf dem Weg zum Happy End als auch mit den Geschwisterpaaren, die jeweils eine neue Beziehungsbasis miteinander aufbauen müssen. Und immer wieder konnte ich mich verlieren in dieser wunderschönen Landschaft, die Miriam so herzlich und mit Liebe beschreibt, dass man ihre Verbundenheit zu Nova Scotia aus jeder Zeile herauslesen kann. Man kann als Autor so viel recherchieren wie man will – echte Liebe liest man zwischen den Zeilen und so ging es mir bei „Träume in Meeresgrün“. Es fühlt sich an wie ein absolutes Herzensprojekt von Miriam Covi und ich bin froh, das als Leser teilen zu dürfen. Ich kann nur jedem empfehlen: lest diesen wunderschönen Kanada-Roman – dann pfeift ihr auf die Reisewarnungen in diesem Jahr – denn ihr wart ja schon dort! Ganz klare und von Herzen kommende 5 Sterne!

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Veröffentlicht am 15.05.2020

Auswanderergeschichte mit ganz besonderem Flair

Die Dünenvilla
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Wir schreiben das Jahr 1884. Der deutsche Arzt Friedrich Böhm verlässt mit seiner Familie Deutschland. Nach dem Tod seiner Frau ist er für seine (fast) erwachsenen Kinder Thomas und die Zwillinge Julia ...

Wir schreiben das Jahr 1884. Der deutsche Arzt Friedrich Böhm verlässt mit seiner Familie Deutschland. Nach dem Tod seiner Frau ist er für seine (fast) erwachsenen Kinder Thomas und die Zwillinge Julia und Sophia allein verantwortlich. In Savannah/USA wollen sie sich niederlassen und eine neue Existenz aufbauen. Doch dazu kommt es nicht.

Das Schiff, mit dem sie unterwegs sind, sinkt in einem Sturm vor der amerikanischen Ostküste und nur knapp entgeht die Familie dem Tod. So verschlägt es Böhm auf die noch sehr ursprüngliche Insel Martha’s Vineyard vor Massachusetts. Da die Landschaft ihn an seine geliebte Ostseeküste erinnert, beschließt er, dort zu bleiben und ein Sanatorium für „hysterische Gemüter“ und Lungenkranke zu eröffnen.
Dies gelingt letztlich nur, weil alle Familienmitglieder tatkräftig mit anpacken – doch der Arzt wird immer wieder damit konfrontiert, dass seine Kinder eigentlich andere Vorstellungen von ihrer Zukunft haben. Besonders Sohn Thomas rebelliert. Er ist ein Freigeist, den es in die Welt hinaus zieht. Zwar hat er auf Geheiß seines Vaters Medizin studiert, aber eigentlich zieht es ihn zu der revolutionären Lehre der Psychologie. Als er dem schillernden Erfinder Ambrose Chisholm begegnet, dem allerdings ein unsittlicher Lebenswandel und Homosexualität nachgesagt werden, ist er fasziniert und gerät aufgrund seiner Freundschaft zu Ambrose mehr als einmal in Bedrängnis.

Der lebensfrohen Julia ist vor allem daran gelegen, aus der langweiligen Provinz zu entkommen und möglichst schnell einen gut situierten Bräutigam zu finden – dafür schließt sie schon mal den einen oder anderen (faulen) Kompromiss, der dann fast in einem Desaster endet.

Und schließlich ist da die stille Sophia, eine talentierte Malerin, die aufgrund einer Kinderlähmungs-Erkrankung ein Bein nachzieht und sich in ihrer eigenen Wahrnehmung auf diese Behinderung reduziert. Der Naturforscher Scott McKinnon schaut aber nach und nach hinter diese Fassade und entdeckt dort eine wissbegierige und starke junge Frau mit außergewöhnlichen Talenten.

Nicole Winters Roman kommt meines Erachtens mit einem eher ungewöhnlichen Flair daher. Sie beschreibt den Alltag im neuen Sanatorium, z. T. auch mit den hysterischen Anfällen der Patientinnen und dadurch herrscht eher keine Wohlfühlstimmung, sondern manchmal eine fast bedrückende Atmosphäre. Auch in den Kapiteln über die langsame Annäherung von Scott und Sophia ist deren Behinderung gedanklich oft ein schwelendes Thema und auch die (erfolglosen) Bemühungen von Scott, Wandertauben zu züchten und sie zur Brut zu bewegen, um die Art zu erhalten, lassen die Stimmung manchmal etwas gedrückt erscheinen. Das alles passt absolut stimmig zur Geschichte – aber ich hatte es mir im Vorfeld etwas anders vorgestellt.

Ein wunderbarer Charakter in diesem Buch, den ich unbedingt erwähnen möchte, ist Miss Luce. Die alte Dame lebt mit ihren vier Hühnern, die sie wie Haustiere hält und „betüddelt“, in der Nähe des Sanatoriums. Miss Luce ist auf eine stubtile Art weise und gewitzt, obwohl sie nach außen hin eher die wunderliche Alte gibt. Sie hat mich in diesem Roman am meisten beeindruckt.

Weniger beeindruckt war ich allerdings vom Ende des Romans. Es kam mir so vor, als sei sich die Autorin nicht sicher gewesen, ob sie das Ende so gestalten soll, dass es die Basis für einen Folgeband sein könnte oder ob die Story auserzählt werden sollte. Für mich fühlte es sich an, als sei es weder das eine noch das andere. Es ist jedoch auch nirgends erwähnt, dass die Geschichte der Dünenvilla weitergehen soll. Dafür wiederum blieben mir zu viele Fragen offen. So hätte ich gern gewusst, ob Scott mit seinen Tauben noch Erfolge erzielen konnte oder ob auch Julia noch die heiß ersehnte große Liebe findet – beides Themen, die man im Epilog hätte mit unterbringen können.

Insgesamt jedoch habe ich einen unterhaltsamen Roman gelesen, der den Blick nicht nur auf eine Familiengeschichte lenkt, sondern auch auf die Anfänge der Psychologie und die Folgen der zunehmenden Industrialisierung für die Natur in den USA. Neben der Romanhandlung vermittelt das Buch eine Vorstellung davon, wie das Leben im ausklingenden 19. Jahrhundert in den USA aussah. Auch wenn ich also einige kleine Kritikpunkte habe, halte ich das Buch doch für sehr lesenswert.

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Veröffentlicht am 10.05.2020

Leben und sterben lassen

Der Funke des Lebens
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Wann beginnt menschliches Leben und ab welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft ist ein Kind ein Kind? Seit Ewigkeiten streiten Wissenschaftler und Moralisten darüber, wann ein Embryo zum Mensch, zum Kind ...

Wann beginnt menschliches Leben und ab welchem Zeitpunkt der Schwangerschaft ist ein Kind ein Kind? Seit Ewigkeiten streiten Wissenschaftler und Moralisten darüber, wann ein Embryo zum Mensch, zum Kind wird. Und genau so lange schon gibt es den Streit darüber, ob und in welchen Situationen schwangeren Frauen die Möglichkeit gegeben werden muss, frei zu entscheiden, ob sie Mutter werden wollen.

Dieses schwierige Thema greift Jodi Picoult in ihrem neuesten Gesellschaftsroman auf und lässt innerhalb des von ihr entworfenen Plots sowohl Abtreibungsärzte und betroffene Frauen als auch Abtreibungsgegner und Aktivisten zu Wort kommen.

Das Buch beginnt mit der kritischen Phase eines Geiseldramas in einer Abtreibungsklinik. Am Morgen war George Goddard in die Klinik gestürmt, hatte Bedienstete und Besucher erschossen bzw. verletzt und die sich im Gebäude befindlichen Personen als Geiseln genommen. Darunter sind sowohl Frauen, die gerade einen Abbruch planen als auch solche, die soeben einen haben durchführen lassen. Darunter ist aber auch eine Frau, die vermutet, Gebärmutterhalskrebs zu haben. Oder ein junges Mädchen, das sich zur Empfängnisverhütung beraten lassen will und zu diesem Termin als seelischen Beistand ihre Tante mitgebracht hat.

Sie alle sind seit Stunden in einem Mikrokosmos gefangen, schwanken zwischen Angst und Hoffnung, immer in dem Bewusstsein, dass sie eventuell den nächsten Tag nicht mehr erleben werden.

Und nun soll Unterhändler Hugh McElroy die Situation endlich deeskalieren. Er ist als ausgebildeter Polizist für Krisengespräche derjenige, der seit Stunden versucht, emotional und psychisch an den Attentäter heranzukommen, seine Motive herauszuarbeiten, seine Denkweise zu verstehen – und das Drama möglichst ohne weitere Tote zu beenden. Und dafür hat er eine ganz besondere Motivation: seine Tochter und seine Schwester befinden sich in der Klinik.

Jodi Picoult schält die emotionalen Schichten der Figuren in diesem Buch langsam ab wie bei einer Zwiebel. Im Laufe des Buches kommen bei allen immer mehr Details ans Licht, die ihre Motive, Sehnsüchte und ihren Antrieb zu bestimmten Handlungen besser begreifbar machen.

Etwas schwer hat sie es mir als Leser aber mit der Struktur des Romans gemacht, denn er erzählt den Tag des Geiseldramas quasi verkehrt herum. Er beginnt mit den Geschehnissen um 17 Uhr und schreitet dann im Stundentakt voran bis zu den Ereignissen von 8 Uhr. Auf den allerletzten Seiten gibt es einen Nachklapp, der um 18 Uhr des gleichen Tages spielt. Diese ungewöhnliche Erzählstruktur fiel mir nicht leicht. Oft habe ich die Handlungen der Personen in Frage gestellt, bis mir einfiel, dass ich als Leser ja besser informiert war als die Personen in der Geschichte und wusste, was später passieren wird. Deshalb erschien mir vieles etwas unlogisch, aber klar – zu dem Zeitpunkt wussten die Figuren ja noch nicht, was ich als Leser wusste. Dies immer wieder zu verknüpfen und mir bewusst zu machen, welches Ereignis wann am Tag passiert war, hat den Lesefluss ziemlich gebremst. Es ist definitiv kein Buch, das man mal so wegliest – weder vom Thema noch vom Aufbau her.

Dennoch ist es – wie bisher alle Bücher von Jodi Picoult, die ich bisher gelesen habe – ein wichtiges Buch, das sehr zwie-spältige Themen anpackt und sie versucht von allen Seiten zu beleuchten. Der Autorin gelingt es dabei, anhand ihrer Figuren viele unterschiedliche Meinungen so zu beschreiben und herzuleiten, dass sie – auch wenn sie vielleicht nicht meiner eigenen Überzeugung als Leser entsprechen –doch zumindest verständlicher werden. Und sie zeigt die Missstände in ihrer Heimat USA auf, wo in jedem Bundesstaat unterschiedliche Gesetze für Abtreibungen existieren, von recht liberalen bis zur Anklage auf Mord für die Schwangere, die ihre Schwangerschaft frühzeitig medikamentös beendet.

Das Buch ist aus meiner Sicht nicht ihr Bestes (was unter anderem an der schwierigen Struktur liegt), aber es legt auch diesmal den Finger wieder auf die Wunden des modernen Amerika und der moralischen Fragen, die damit einhergehen. Lesenswert ist dieser Roman daher auf jeden Fall!

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