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Veröffentlicht am 09.10.2022

Vom Leben, Sein und Vergehen

Zehn Kaffeebohnen
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Jedes Mal, wenn du etwa Schönes erlebt hast, dann nimm eine Kaffeebohne aus der linken Tasche und stecke sie in die rechte. Und am Abend nimmst du die Bohne(n) aus der rechten Tasche und denkst nochmal ...

Jedes Mal, wenn du etwa Schönes erlebt hast, dann nimm eine Kaffeebohne aus der linken Tasche und stecke sie in die rechte. Und am Abend nimmst du die Bohne(n) aus der rechten Tasche und denkst nochmal an das Gute des Tages. So wird deine Trauer langsam vom Leben verdrängt. Das könnte der Beginn einer wirklich kitschige Story sein.

Aber die Geschichte von Elina ist nicht so platt. Die Endvierzigerin ist traurig, soviel ist wahr. Aber sie hat Grund dazu hat: da ist ihre verlorene Liebe und jung ist sie auch nicht mehr. Sie fühlt sich dem Leben entfremdet, ist nicht am richtigen Platz. Da kann frau schon ein paar Tränchen zerdrücken. Aber zum Glück gibt es den „eisernen“ Heinrich, eine weise Mentorenfigur wie sie jede/r gebrauchen könnte: verlässlich, liebevoll, klug. Seine Botschaft ist: du kannst alles, was du wirklich willst. Du musst es nur tun.

Christiane Schünemann schreibt einfach und klar. In ihrem Text ist die eigene Biographie, ist auch das Theater präsent, das Schreiben, ihre Prägung durch ein Aufwachsen im Osten Deutschlands. Sie findet dabei ganz eigene Worte und die berühren zart im Inneren. Die Geschichte spannt einen schönen, stimmigen Bogen. Es geht ums Werden, ums Sein und ums Vergehen. Ganz wie im richtigen Leben.

Da ich etwa im selben Alter bin wie die Autorin, verstehe ich die zahlreichen Anspielungen auf Märchen, Theaterstücke, Musiktitel, Gedichten. Wie es jüngeren Menschen bei der Lektüre ginge, das kann ich nicht sagen. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 01.10.2022

Generationsübergreifendes Trauma

Verbrenn all meine Briefe
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Bereits in „Die Überlebenden“ hat der Autor sich autobiographisch mit dem Thema Traumavererbung beschäftigt. Darin ging es um Geschwister, die sich dem prägenden Einfluss ihrer traumatisierten Eltern nicht ...

Bereits in „Die Überlebenden“ hat der Autor sich autobiographisch mit dem Thema Traumavererbung beschäftigt. Darin ging es um Geschwister, die sich dem prägenden Einfluss ihrer traumatisierten Eltern nicht entziehen können und unbewusst fortführen, was sie erlitten haben. Diesmal holt er noch weiter aus. Die tief sitzende Wut des Protagonisten Alex wird auf die tragische Haß-Liebe der Großeltern zurückgeführt. Der Autor hat aus Briefen, Artikeln und Tagebüchern einen Roman gezaubert, der von hoffnungsloser Liebe und von einer toxischen Ehe erzählt. Die Erinnerungen an Aufenthalte im Hause seiner Großeltern erscheinen ihm nach seinen umfangreichen Recherchen plötzlich in neuem Licht. Kann es sein, dass ein uraltes Kindheitstrauma im Leben des Großvaters Sven Stolpe schuld ist an so viel noch immer bestehendem Leid? Müssen Alex‘ Kinder im heutigen Leben an dieser vererbten Wut leiden? Steht deswegen sogar seine eigene Ehe in Gefahr? Sich all dies bewusst zu machen kann Heilung bringen. Oder nicht?
Die Frage steht ganz am Ende, wird aber nicht beantwortet.
Wieder ist Alex Schulman ein bewegender und dichter Roman gelungen.
Ich kann nicht sagen, dass es eine Freude war, ihn zu lesen, denn dazu hat es mich zu betroffen und traurig gemacht. Aber die Wahrhaftigkeit und die Ehrlichkeit, der Wunsch nach Erlösung haben mich tief berührt. Das ist echte Literatur. Die autobiographische Geschichte wird zur Universellen.
Die Sprache ist verdichtet. Ich bin dem Autor dankbar, dass er keine 600 Seiten daraus gemacht hat, sondern die Essenz auf 300 komprimierten Seiten eingedampft hat.

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Veröffentlicht am 27.09.2022

Wow, was für ein Buch!

Heute keine Kekse
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Malik ist cool, witzig, lebenshungrig und er hat eine dunkle Seite. Nach einem Autounfall mit knapp zwanzig Jahren ist er eine „Topfpflanze“ im apallischen Syndrom.. Claudette, die ihn seit der Schule ...

Malik ist cool, witzig, lebenshungrig und er hat eine dunkle Seite. Nach einem Autounfall mit knapp zwanzig Jahren ist er eine „Topfpflanze“ im apallischen Syndrom.. Claudette, die ihn seit der Schule kennt, mit im Unfallwagen saß und vor nicht allzulanger Zeit mit Malik zusammen war, erzählt die Geschichte ihrer Freundschaft in Rückblenden. Und das ist ziemlich schwere Kost. Nichts von „Ziemlich beste Feunde“, kein heiter-liebenswürdiges Programmkino, nixda mit Behinderte sind die besseren Menschen. Malik macht Fortschritte, aber er hat es schwer und macht es anderen nicht leicht. Als Leserin liebe ich seinen schwarzen Humor und bin froh, dass ich ihn nicht pflegen muss, nicht seine Freundin bin. Am meisten beeindruckte mich, dass die Autorin absolut kein Pathos nutzt. Die Würde der Person ist zu erkennen in jeder Zeile. Auch wenn sich Malik in noch so beschissenen Umständen befindet. Die große Frage für Claudette bleibt: Bin ich verantwortlich? Muss ich heilen, retten? Sogar beim Sterben? Wie weit muss ich mich selbst dabei vergessen? Muss ich überhaupt? Bei einem gemeinsamen Urlaub in Portugal wird sehr deutlich, was noch möglich ist. Berührend lakonisch erzählt sie von Enttäuschung, Öde und Kompromissen. Die „gute Tat“ wird nicht belohnt. Aber Claudette reift an dieser Freundschaft. Sie lebt ihr Leben und fühlt sich dabei immer unterschwellig von Maliks Schicksal in die Tiefe gezogen. Sie sucht Abstand. Sehr verständlich.

Mich als Leserin bedrückt es, von Entmündigung, staatlicher “Fürsorge“, Übergriffigkeit, Inkompetenz und allgemeiner Hilflosigkeit, angesichts Maliks Unbändigkeit und Bedürftigkeit zu lesen. Dieser Mensch überfordert so ziemlich jeden. Und doch bleibt er mit den Menschen verbunden, wenn auch teilweise in sehr schrägen Blüten. Bis zum Ende.
Den Roman habe ich in einem rauschhaften Rutsch gelesen. Er entfaltete einen Sog, dem ich folgen musste. Schön war‘s nicht, aber intensiv. Ich mag die Sprache, die Musik, die Ehrlichkeit. Eine sehr düstere Heldenreise.
Ein grandioser Roman.

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Veröffentlicht am 27.09.2022

Licht im Dunkel

Im Dunkel-Retreat
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Die Heilpraktikerin Saskia John beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem „inneren Kind“, leitet Familienaufstellungen und hat schon mehrere Dunkelretreats unternommen. Dieses Buch ist eine Dokumentation ...

Die Heilpraktikerin Saskia John beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem „inneren Kind“, leitet Familienaufstellungen und hat schon mehrere Dunkelretreats unternommen. Dieses Buch ist eine Dokumentation ihres letzten vierwöchigen Fasten-Dunkel-Retreats. Die Autorin blieb 26 Tage in völliger Dunkelheit, erhielt täglich für eine Stunde Besuch ihrer hellsichtigen Betreuerin Gertrud und hatte noch dazu eine 57-köpfige Gruppe, die sich energetisch auf das Experiment einstimmen wollte.

Für mich, die ich schon einige Meditationsretreats gemacht habe und dabei eine Ahnung bekommen habe, was alles möglich ist, las sich der Bericht intensiv und sehr fordernd. Ich war oft direkt berührt und konnte durch die eindringlich- akkurate Beschreibung gut mitfühlen, mitgehen, eintauchen. Saskia Johns innere Reise führt in eine Tiefe und Höhe, die mir nicht wirklich zugänglich ist, aber beim Lesen in Ansätzen erfahrbar wurde. Das war sehr inspirierend. Irgendwann möchte ich das auch einmal machen.

Es leuchtet mir unmittelbar ein, dass Ruhe, Dunkelheit und das Fehlen jeglicher Ablenkung gerade in unseren Zeiten ein kostbares Feld sind, in dem wir uns selbst begegnen und heilen können.

Dem authentischen Buch wünsche ich viele begeisterte Leser*innen.

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Veröffentlicht am 11.09.2022

Nicht ganz überzeugend

Stille blutet
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Eine mysteriöse Androhung des nahenden Todes übers Netz, vor laufender Kamera, vier Tote und ein Verdächtiger, der merkwürdig viele Indizien gegen sich hat. Dazu eine sympathische Ermittlerin, die von ...

Eine mysteriöse Androhung des nahenden Todes übers Netz, vor laufender Kamera, vier Tote und ein Verdächtiger, der merkwürdig viele Indizien gegen sich hat. Dazu eine sympathische Ermittlerin, die von ihren unsympathischen Kollegen gemobbt wird. Die erste Tote war ein Biest, der zweite ebenfalls kein Sympathieträger. Da sind die Rollen klar verteilt. Als Leserin habe ich kein allzu großes Mitleid mit den Toten, lediglich der Verdächtige tut mir ein wenig leid. Aber er ist auch ziemlich dusselig. Wie man aber auch so treuherzig in jede noch so offensichtliche Falle tappen kann.
Und bis zum Ende hat sich mir nicht erschlossen, wozu die Ankündigungen des Todes eigentlich gut sein sollten. Irgendwie schade.
Der Krimi liest sich leicht, hat mich aber nicht wirklich gefesselt. Die Personen haben wenig Tiefe. Wie so oft bei der Autorin ist die Handlung rasant. Aber ich finde, das genügt nicht.

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