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Veröffentlicht am 21.08.2017

Ein kluger und poetischer Roman über die Qualen der Liebe - schonungslos und grandios erzählt

Unvollkommene Verbindlichkeiten
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Im vergangenen Jahr habe ich "Widerrechtliche Inbesitznahme" von Lena Andersson gelesen und war vollkommen überwältigt. Auch nach der Lektüre hat mich dieser kluge philosophische Roman über das Unglück ...

Im vergangenen Jahr habe ich "Widerrechtliche Inbesitznahme" von Lena Andersson gelesen und war vollkommen überwältigt. Auch nach der Lektüre hat mich dieser kluge philosophische Roman über das Unglück der Liebe noch lange beschäftigt und auch sehr nachdenklich und traurig gestimmt, denn es ist mitunter schmerzhaft, wenn eine Autorin einem den Spiegel vorhält und man sich in einer Romanfigur wie Ester Nilsson wiederzuerkennen glaubt, die gegen alle Regeln des gesunden Menschenverstandes verstößt und die man, wäre sie eine gute Freundin, am liebsten schütteln und zur Vernunft bringen würde. Gleichzeitig hat es aber auch etwas Tröstliches, sich in einem Roman wiederzufinden und kann durchaus dabei helfen, sich selbst ein bisschen besser zu verstehen, zumindest dann, wenn man schon einmal in einer ähnlichen Situation war wie Ester Nilsson. Ich konnte es jedenfalls kaum erwarten, zu erfahren, wie es Ester inzwischen ergangen ist und freute mich darauf, ihr in Lena Anderssons neustem Werk "Unvollkommene Verbindlichkeiten" nun wieder zu begegnen. Obwohl häufig auf "Widerrechtliche Inbesitznahme" Bezug genommen wird, muss man den Vorgänger im Vorfeld nicht gelesen haben, um der Handlung folgen zu können, aber man sollte diesen wunderbaren, klugen und poetischen Roman gelesen haben, weil er einfach brillant ist und auch, weil man die Protagonistin dann vielleicht ein bisschen besser verstehen kann.
In "Widerrechtliche Inbesitznahme" hatte sich Ester Nilsson in den narzisstischen Künstler Hugo Rask verliebt, war diesem Mann hoffnungslos verfallen, gab sich zwar stets selbstbewusst und souverän, hatte ihre Autonomie allerdings längst eingebüßt und lebte nur noch für ihn und die Momente, die sie mit ihm verbringen konnte. Hugo genoss ihre Bewunderung, war allerdings nicht in der Lage so viel Intimität und Nähe zuzulassen oder überhaupt über Gefühle zu reden. Trotzdem nutzte er ihre Liebe schamlos aus, versprach ihr zwar nie etwas, verstand es allerdings geschickt, Esters Hoffnung immer wieder neue Nahrung zu geben, indem er ihr gerade so viel Aufmerksamkeit schenkte, wie notwendig war, um ihre bedingungslose Liebe am Leben zu erhalten. Er ließ sie stets im Ungewissen und stieß sie, als sie zunehmend fordernder wurde, erbarmungslos und ohne ein Wort der Erklärung von sich. Obwohl sie an dieser Liebe fast zerbrochen wäre und sich geschworen hatte, nie wieder in eine solche emotionale Abhängigkeit zu geraten, verliebt sie sich nun, fünf Jahre später, erneut – diesmal in Olof Sten, einen verheirateten Mann, der ihr unverblümt klarmacht, dass er sich niemals von seiner Frau trennen wird. Nach ihrer schmerzhaften Erfahrung mit Hugo Rask hätte ich ihr natürlich gewünscht, dass sie nun endlich ihr Glück findet und einem Mann begegnet, der ihre Liebe erwidert. Allerdings ahnte ich schon, dass sie wieder auf einen Mann treffen würde, der sich nicht festlegen will, und sie sich erneut Hoffnungen hingibt, die sich niemals erfüllen werden.
Aber was bringt eine gebildete Frau Ende dreißig dazu, sich schon wieder so zu verrennen? Es ist mitunter kaum zu ertragen, mitanzusehen, wie sie sich von Olof demütigen und verletzen lässt, sich immer wieder erniedrigt und trotzdem nicht loslassen kann. Wieder verliert sie sich selbst vollkommen aus den Augen und richtet ihr ganzes Leben so ein, dass sie Olof immer, wenn es seine begrenzte Zeit zulässt, zur Verfügung stehen kann.
Esters Absolutheitsanspruch an die Liebe ist ungebrochen und verleitet sie eben auch dazu, wieder in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Und wieder ist es diese trügerische und alles verzehrende Hoffnung, die sie erneut in eine emotionale Abhängigkeit zu einem Mann geraten lässt, der sich nicht eindeutig verhält, sie zwar nicht will, aber eben auch nicht gehen lässt.
Man könnte sich also fragen, ob sie aus ihrer Erfahrung mit Hugo Rask nichts gelernt hat. Vermutlich kann man Ester nur verstehen, wenn man schon einmal in einer ähnlichen Situation war. Dass Liebe nicht erwidert wird, ist wahrscheinlich jedem schon einmal passiert. Wenn Liebe ins Leere fällt, ist das zwar schmerzhaft, kann man aber niemandem verübeln, denn Liebe kann nicht erzwungen werden. Niemand hat ein Recht darauf, geliebt zu werden, das weiß auch Ester Nilsson, aber jeder hat ein Recht auf Klarheit, denn nichts ist quälender als Ungewissheit und Hoffnung, die sich niemals erfüllen wird.
Man kann Ester kaum vorwerfen, dass sie sich wieder Hals über Kopf verliebt, zumal wir uns nicht immer aussuchen, wen wir lieben, denn sich zu verlieben ist keine Entscheidung, die man bewusst trifft. Es soll ja sehr reflektierte Kopfmenschen geben, die auch bei der Partnerwahl sehr systematisch und überlegt vorgehen und sich dabei nur von ihrem Verstand leiten lassen, aber in aller Regel ist Liebe eben ein Gefühl, das sich rational nicht erklären lässt und dem mit Vernunft auch kaum beizukommen ist. Deshalb ist es auch nicht erstaunlich, dass der Freundinnenchor, der Ester bereits in "Widerrechtliche Inbesitznahme" unablässig zur Vernunft mahnte, auch jetzt nicht zu ihr durchdringen kann. Doch während der Freundinnenchor damals noch anonym war, haben die Freundinnen nun Namen bekommen, was allerdings nichts daran ändert, dass ihre gutgemeinten Ratschläge ungehört verhallen.
„Nimm die Menschen beim Wort, das ist das Praktischste und Einfachste. Nicht deuten, sondern davon ausgehen, dass sie meinen, was sie sagen“. Nun, hätte sich Ester diesen Rat ihrer Freundin Lotta zu Herzen genommen, wäre ihr viel erspart geblieben, denn man muss Olof immerhin zugutehalten, dass er – im Gegensatz zu Hugo Rask – von Anfang an Klartext spricht und ihr deutlich sagt, dass er seine Ehefrau niemals verlassen wird. Trotzdem lässt er sich auf eine Beziehung mit ihr ein, die er zwar „Freundschaft“ nennt, aber weit über ein freundschaftliches Verhältnis hinausgeht. Da sich Esters unbedingter Absolutheitsanspruch an die Liebe aber niemals mit einer Rolle als Geliebte in Einklang bringen lässt, ist es nur logisch ist, dass sie wieder unglücklich sein wird.
Olofs klare Worte stehen im Widerspruch zu seinem Verhalten, womit er Ester immer wieder Anlass zur Hoffnung gibt. Und Ester ist eben auch eine Meisterin der Selbsttäuschung, will nicht wahrhaben, dass er sich niemals von seiner Frau trennen wird und neigt dazu, sich verzweifelt an jedem kleinen Strohhalm festzuhalten. Sie seziert und analysiert jedes Wort und jede SMS von Olof und kommt dabei immer wieder zu der Überzeugung, dass sich seine Ehe in der Auflösung befindet und er nur noch etwas Zeit braucht, um seine Ehefrau endgültig zu verlassen.
Ester ist zweifellos in mehrfacher Hinsicht eine „Wiederholungstäterin“, aber dennoch kann man nicht behaupten, dass sie aus ihrer Beziehung zu Hugo Rask nichts gelernt hat. Damals gab sie sich zunächst noch souverän und selbstbewusst, wollte Hugo nicht unter Druck setzen und niemals fordernd erscheinen. Bei Olof will sie diesen Fehler nicht noch einmal machen, sondern von Anfang an deutlich sein und sagt ihm deshalb auch sofort, dass sie ihr Leben mit ihm teilen will. Durch ihre bisherigen Erfahrungen hat sie inzwischen offenbar auch einen Teil ihrer Leidensfähigkeit eingebüßt, denn während sie bei Hugo Rask noch dachte, das Leiden an der Liebe sei eine noble Sache und sie müsse nur genug leiden, um sich seine Liebe zu verdienen, kommt sie bei Olof nun doch häufig zu der Überzeugung, dass sie sich ihr Leben nicht von ihm stehlen und sich auch nicht länger demütigen lassen will. Und so fasst sie überraschenderweise tatsächlich wiederholt den Entschluss, sich von ihm abzuwenden. Doch sobald sie im Begriff ist, sich von ihm zu lösen, ergreift er die Initiative und nimmt wieder Kontakt zu ihr auf, denn: „Wie so viele andere konnte er es nicht ertragen, das zu verlieren, was er gar nicht haben wollte“. Obwohl er sich nicht auf sie festlegen möchte, ist er nicht bereit, sie gehen zu lassen. Und obwohl sie wiederholt versucht, sich aus seinen Fängen zu befreien, hat sie nicht die Kraft, ihm zu widerstehen, wenn er wieder vor ihr steht oder sich bei ihr meldet.
Letztendlich befindet sich Ester mit Olof in einer jahrelangen On-Off-Beziehung, durchlebt ein dauerndes Wechselbad der Gefühle und schwankt ständig zwischen Hoffnung und Verzweiflung, Glück und Leid, Intimität und Distanz, völliger Hingabe, aber auch Wut auf den Mann, der ihr das alles zumutet. Der Leser durchlebt und durchleidet all diese Hoch und Tiefs an ihrer Seite mit, ahnt, dass es keine Erlösung geben wird, sondern wünscht sich einfach nur, dass es ihr gelingt, endlich aus ihrer passiven Rolle herauszutreten und sich aus dieser zerstörerischen Liebe zu befreien. Am Ende hat mich Ester aber doch sehr überrascht, denn sie holt zu einem Befreiungsschlag aus, den ich ihr niemals zugetraut hätte.

Zweifellos ist Lena Andersson mit "Unvollkommene Verbindlichkeiten" wieder ein Meisterwerk gelungen, das seinem Vorgänger literarisch in nichts nachsteht. In einer sehr schlichten, lakonischen aber gleichzeitig auch sehr poetischen Sprache erzählt die Autorin eine äußerst desillusionierende Liebesgeschichte. Schonungslos und vollkommen ohne Kitsch, Sentimentalität, Romantik oder Pathos dokumentiert sie die Gefühlwelt einer Frau, die sich zum wiederholten Male in einen Mann verliebt, der ihre Liebe nicht erwidert, aber die ihm entgegengebrachten Gefühle ausnutzt und sich nicht eindeutig verhält. Trotz des mitunter ironischen Untertons und einer gewissen Süffisanz ist dies manchmal nur sehr schwer zu ertragen, aber trotzdem grandios, denn kaum ein Schriftsteller vermag es, die Liebe so gekonnt und intelligent ihres Zaubers zu berauben und romantische Liebeskonzepte so analytisch zu zerpflücken wie Lena Andersson. Das hat mich bereits bei "Widerrechtliche Inbesitznahme" beeindruckt und zeigt sich nun auch wieder in Anderssons neustem Werk.
Wer den Vorgänger gelesen hat, könnte von "Unvollkommene Verbindlichkeiten" allerdings ein wenig enttäuscht sein, denn sieht man von dem verblüffenden Ende ab, hat dieser Roman leider wenig Neues oder Überraschendes zu bieten. Ich würde die Erzählung zwar nicht gerade als Wiederholung, aber in weiten Teilen eben nur als Abwandlung dessen bezeichnen, was der Leser bereits aus "Widerrechtliche Inbesitznahme" kennt. Der überragenden Qualität dieses Romans tut dies jedoch keinen Abbruch. Ein grandioses Meisterwerk!

Veröffentlicht am 21.08.2017

Kein Thriller, sondern vielmehr ein Ehedrama, dem es leider nicht nur an Spannung, sondern auch an psychologisch nachvollziehbaren Figuren fehlte

Was ich getan habe
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Inhalt:
"Mein Name ist David James Forrester. Ich bin Anwalt. Heute Abend um 18 Uhr 10 habe ich meine Frau getötet. Dies ist meine Aussage."

Der erfolgreiche Anwalt David Forrester hat gerade seine Frau ...

Inhalt:


"Mein Name ist David James Forrester. Ich bin Anwalt. Heute Abend um 18 Uhr 10 habe ich meine Frau getötet. Dies ist meine Aussage."

Der erfolgreiche Anwalt David Forrester hat gerade seine Frau Elle getötet. Sie liegt tot in der Waschküche ihres gemeinsamen Hauses. Mit dem Diktiergerät in der Hand irrt David nun verzweifelt durch Melbourne, nimmt seine Aussage auf und überlegt sich eine Verteidigungsstrategie. Dabei lässt er die vergangenen zwei Jahre noch einmal Revue passieren. Er konnte sein Glück kaum fassen, als er Elle damals kennenlernte und nach seiner gescheiterten Ehe mit zweiundvierzig Jahren noch einmal eine neue Liebe fand. Ihre Beziehung war leidenschaftlich, geradezu obsessiv, und David war hingerissen von der Schönheit, Intelligenz und Stärke seiner Frau. Er hatte sie geliebt, also wie konnte es überhaupt soweit kommen?

Meine persönliche Meinung:


Ich weiß nicht, wie viele Bücher inzwischen mit einem Verweis auf Gone Girl von Gillian Flynn beworben werden, um die Verkaufszahlen anzukurbeln – Anna Georges Debüt Was ich getan habe ist jedenfalls wieder einmal eines davon. Es war allerdings nicht dieser Hinweis, sondern eher der Klappentext, der mich auf diesen Thriller neugierig machte, denn obwohl mir Gone Girl ganz gut gefallen hat, fand ich den Roman nicht so herausragend, dass ich nun zwingend nach einer vergleichbaren Lektüre Ausschau halten müsste. Trotzdem schürt ein solcher Vergleich mit einem bekannten Bestseller natürlich eine gewisse Erwartungshaltung, der das Buch dann auch gerecht werden sollte. Sieht man davon ab, dass auch Gone Girl in weiten Teilen eher ein Ehedrama als ein Thriller ist, konnte ich allerdings keinerlei Gemeinsamkeiten feststellen. Immerhin konnte Gone Girl ja mit ein paar Thriller-Elementen, präzise ausgearbeiteten Charakteren und vor allem einem fulminanten Plottwist aufwarten, aber all das hat Anna Georges Debüt nun leider gefehlt. Warum Was ich getan habe überhaupt als Thriller bezeichnet wird, ist mir vollkommen schleierhaft, denn ich konnte nicht einmal im Ansatz irgendwelche Thriller-Elemente feststellen und auch an Spannung mangelt es diesem Buch leider gewaltig.
Es ist natürlich nicht ganz einfach, einen Spannungsbogen aufzubauen, wenn schon im ersten Satz enthüllt wird, wer der Mörder ist. Zahlreiche Thriller und Kriminalromane, in denen der Täter von Anfang an bekannt ist, beweisen allerdings, dass dies trotzdem gelingen kann, denn viel spannender und interessanter als die Identität des Mörders ist häufig eben sein Motiv und die Frage, was ihn überhaupt zum Mörder werden ließ. Gerade das hätte mich auch in diesem Thriller besonders interessiert, zumal betont wird, dass David Forrester seine Frau geliebt hat. Trotzdem hat er sie getötet, sodass die Frage nach dem Warum der eigentliche Kern der Erzählung ist.
Die Geschichte wird abwechselnd aus drei Perspektiven erzählt. Zum einen begleitet man David, der nach dem Mord an seiner Frau durch Melbourne irrt und dabei seine Aussage auf ein Diktiergerät spricht; zum anderen kommt aber auch seine Frau Elle zu Wort, die quasi aus ihrem Körper herausgetreten ist, nun in der Waschküche ihres Hauses auf ihren leblosen Körper und ihre verrenkten Gliedmaßen herabblickt und sich dabei ebenfalls an die Geschehnisse der vergangenen zwei Jahre erinnert. Das ist leider nur sehr schwer nachvollziehbar, aber dennoch liefert Elles Perspektive sehr erschütternde Einblicke in ihre Beziehung zu David und die tatsächliche Beschaffenheit ihrer Ehe. Aber auch Elles beste Freundin Mira kommt zu Wort, denn sie versucht verzweifelt, Elle zu erreichen, macht sich große Sorgen um sie und ahnt, dass David ihr etwas angetan hat, denn Mira hat dem Mann ihrer Freundin noch nie getraut.
Der Aufbau der Erzählung, der geschickte Perspektivwechsel und auch der etwas außergewöhnliche Schreibstil der Autorin haben mir ausgesprochen gut gefallen, aber leider ist es Anna George nicht gelungen, Spannung aufzubauen und ihren Protagonisten Tiefe zu verleihen. Vor allem das Verhalten von Elle war für mich leider absolut nicht nachvollziehbar. Dies lag nicht nur an ihrer etwas unrealistischen Perspektive außerhalb ihres Körpers, sondern vor allem auch daran, dass mir vollkommen schleierhaft war, was sie an David liebte und auf welcher Basis diese Ehe überhaupt geschlossen wurde. Ich konnte nicht ansatzweise etwas erkennen, was ich unter den Begriff Liebe fassen würde. Mir ist durchaus klar, dass sich manche Frauen auch zu Männern hingezogen fühlen können, die sie schlecht behandeln, aber selbst das wurde nicht deutlich genug herausgearbeitet. Auch die sexuelle Komponente dieser Beziehung, die zumindest zu Beginn noch klar im Vordergrund steht und in einer Detailliertheit geschildert wird, die ich eher abstoßend als erotisch fand, verpuffte rasend schnell wieder, sodass auch eine wie auch immer geartete Hörigkeit, Obsession oder besonders erotische Leidenschaft für mich nicht ersichtlich war. Obwohl Elles Schicksal wirklich erschütternd ist, gelang es mir nicht, mit ihr mitzufühlen oder mich in sie einzudenken, weil sie mir einfach fremd blieb.
Aber auch David war leider nicht besonders vielschichtig gezeichnet, was sehr bedauerlich ist, denn eigentlich ist der Täter die interessanteste Figur in einem Thriller. Auch wenn man seine Tat nicht gutheißen kann, möchte man seine Motivation verstehen, will wissen, warum er zum Mörder geworden ist, denn obwohl dies nichts entschuldigt, erhofft man sich doch wenigstens eine Erklärung. Es kommt in Thrillern ja sehr häufig vor, dass sich ein vermeintlicher Traumprinz plötzlich als gefährlicher Psychopath entpuppt oder man den Mörder, den man eigentlich verabscheuen müsste, auf geradezu erschreckende Weise sogar verstehen kann. Solche verstörenden Momente machen letztendlich den Reiz eines psychologisch ausgefeilten Thrillers aus und sorgen für die nötige Spannung. Was ich getan habe wäre durchaus so angelegt und die Geschichte hätte auch das Potenzial für solche Schockmomente, scheitert letztendlich aber an ihren eindimensionalen und flachen Figuren, denn nicht nur Elle, sondern auch David sind einfach nicht komplex und präzise genug ausgearbeitet, um ihre Gefühle, Gedanken und Handlungsmotive nachvollziehen zu können. Nach den ersten Kapiteln stellte ich mir jedenfalls nicht mehr die Frage, warum David seine Frau getötet hat und diese Beziehung so fatal enden musste, sondern nur noch warum sie überhaupt eingegangen wurde. Hierfür liefert die Erzählung allerdings keine Erklärung, weder aus Davids noch aus Elles Perspektive.
Die einzige Protagonistin, deren Sichtweise mir einleuchtete, war die von Mira, Elles bester Freundin, denn sie ist die Einzige, die einen klaren Blick auf die Dinge hat.
Der Plot war so vorhersehbar, dass einfach keine Spannung aufkommen wollte, Überraschungsmomente blieben weitgehend aus und auch auf einen Plottwist wartete ich vergeblich. Sieht man von einer einzigen Wendung am Ende der Geschichte ab, die allerdings wenig überraschend war, aber immerhin eine logische Erklärung für so manche Ungereimtheit lieferte, hatte Was ich getan habe leider überhaupt nichts mit einem Thriller gemeinsam. Darüber könnte man hinwegsehen, wenn dieses Ehedrama wenigstens etwas tiefgründig und einfühlsam erzählt worden wäre, aber den Protagonisten fehlte es leider an der notwendigen psychologischen Tiefe, und so war mir leider nicht ersichtlich, welche Motivation hinter ihren Handlungen und Emotionen steckt. Das ist wirklich bedauerlich, denn die Geschichte hätte durchaus Potenzial und der Schreibstil der Autorin wirkte ansonsten sehr ausgereift und ließ sich ausgesprochen angenehm lesen. Trotzdem war ihr Debüt für mich leider eine ziemliche Enttäuschung.

Veröffentlicht am 03.07.2017

Ein rasanter und beklemmender Thriller voller überraschender Wendungen, der mich sehr spannend unterhalten hat

Murder Park
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Nachdem ich in der Verlagsvorschau "Murder Park" von Jonas Winner entdeckt hatte, konnte ich den Erscheinungstermin kaum noch abwarten, denn der Klappentext tönte sehr vielversprechend. Sobald es um Serienmörder ...

Nachdem ich in der Verlagsvorschau "Murder Park" von Jonas Winner entdeckt hatte, konnte ich den Erscheinungstermin kaum noch abwarten, denn der Klappentext tönte sehr vielversprechend. Sobald es um Serienmörder geht, ist mein Interesse ohnehin geweckt, aber vor allem das Setting ließ auf einen außergewöhnlich beklemmenden Thriller hoffen.
Jonas Winner verwendet in "Murder Park" das klassische Muster der "locked room mysteries" und siedelt die Handlung seines Romans in einem hermetisch abgeschlossenen Raum an – in diesem Fall eben auf einer von der Außenwelt abgeschotteten Insel. Zwölf Personen wurden auf diese abgelegene Insel eingeladen, schon am ersten Tag wird einer von ihnen ermordet, und im weiteren Verlauf der Erzählung dezimiert sich die Gruppe weiter. Die Insel ist aber unbewohnt und nur mit einer Fähre zu erreichen; niemand kann sie unbemerkt betreten oder verlassen, sodass der Verdacht naheliegt, dass der Mörder unter den Anwesenden zu suchen ist und das Misstrauen untereinander mit jedem weiteren Mord kontinuierlich wächst. Das ist ein altbekanntes Schema, das an Agatha Christies "Und dann gabs keines mehr" erinnert, aber noch immer hervorragend funktioniert, zumal Jonas Winner den Schauplatz seines Thrillers ganz besonders gruselig gestaltet hat.
Dem Autor ist es sehr gut gelungen, diese Insel sehr bildgewaltig zu beschreiben und eine äußerst beklemmende Atmosphäre zu erzeugen. Besonders bedrohlich ist das Setting nämlich nicht nur, weil man dem Mörder auf der Insel hilflos ausgeliefert ist und weder fliehen noch auf Hilfe hoffen kann, sondern weil Winner den Handlungsort auch mit einer sehr schaurigen Geschichte versehen hat. Bis vor zwanzig Jahren befand sich ein Freizeitpark auf der Insel. Zodiac Island hätte eigentlich ein Ort sein sollen, an dem man sich amüsiert, Spaß hat und der von Kinderlachen erfüllt ist. Doch nachdem der Serienmörder Jeff Bohner dort drei alleinerziehende Mütter auf bestialische Weise ermordet hatte, musste der Vergnügungspark geschlossen werden.
Nun hat der Unternehmer Robert Levin den verfallenen Park gekauft und möchte sich gerade dessen schaurige Vorgeschichte zunutze machen, um auf der Insel einen neuen Erlebnispark zum Thema Serienkiller zu eröffnen. Er und sein Team haben ein Konzept erarbeitet, das sie nun im Vorfeld der Eröffnung einer auserwählten Gruppe von Presseleuten und Experten präsentieren wollen.
Ich muss ja zugeben, dass auch mir die Faszination am Makabren nicht ganz fremd ist und es durchaus interessant sein mag, sich mit Serienmördern zu beschäftigen und Einblicke in die Abgründe der menschlichen Seele zu bekommen, um zu erfahren, was Menschen überhaupt zu Mördern werden lässt und zu solch grausamen Taten veranlasst, aber von realen Morden zu profitieren, indem man sie zur Jahrmarktattraktion macht, finde ich doch äußerst abstoßend. Bereits das Museum, das auf der Insel eingerichtet wurde und in dem zahlreiche Murderabilia, also Gegenstände, die von berühmten Serienmördern stammen, ausgestellt werden, wirkte auf mich etwas befremdlich. Es soll ja tatsächlich Menschen geben, die solche Murderabilia sammeln, was allerdings der Stilisierung von Serienmördern zu Helden und Pop-Ikonen gleichkommt und meiner Meinung nach doch sehr fragwürdig ist, zumal es den Angehörigen der Verbrechensopfer wie blanker Hohn erscheinen muss. Noch geschmackloser ist allerdings das Grundkonzept des "Murder Park", denn der Erlebnispark soll vor allem als eine Art Partnerbörse fungieren. Mir ist vollkommen schleierhaft, wie man sich in einer solch morbiden Atmosphäre und umgeben von Andenken an berühmte Serienmörder verlieben soll, halte es aber auch nicht für ausgeschlossen, dass es genug Menschen gibt, die an solchen makabren Unterhaltungsspektakeln Gefallen finden würden. Völlig abwegig erschien mir das Geschäftsmodell jedenfalls nicht.
Ich war jedoch sehr beruhigt, dass meine Bedenken auch im Buch thematisiert wurden und innerhalb der Gruppe schon die ersten kritischen Stimmen laut werden, als das Konzept präsentiert wird. Allerdings ahnt zu diesem Zeitpunkt noch niemand, dass sich diese dreitägige Pressereise zu einem wahren Albtraum entwickeln wird.
Die Geschehnisse auf der Insel werden aus der Sicht des Reporters Paul Greenblatt erzählt, der von Mördern und Mordgeschichten geradezu besessen ist und auch eine ganz besondere und persönliche Verbindung zu Zodiac Island hat. Dieser gegenwärtige Handlungsstrang wird immer wieder durch Interviews unterbrochen, die der Psychiater Sheldon Lazarus im Vorfeld der Vorbesichtigung geführt hat, um die richtigen Kandidaten für dieses Wochenende zu finden. Eigentlich hat es mir ausgesprochen gut gefallen, die Teilnehmer dieser Pressereise in Form dieser Gesprächsaufzeichnungen kennenzulernen. Allerdings halte ich es für ziemlich unrealistisch, dass ein Unternehmer tatsächlich einen Psychiater beauftragt, um die Bewerber für eine solche Pressepräsentation zu durchleuchten und von jedem Einzelnen ein psychiatrisches Profil zu zeichnen. Ich kann mir auch kaum vorstellen, dass jemand bereitwillig sein Innerstes nach außen kehrt, nur weil er an einer Firmenpräsentation teilnehmen möchte. Lässt man die Glaubwürdigkeit außer Acht, waren diese Interviews allerdings eine sehr gute Möglichkeit, Einblicke in Persönlichkeit der Teilnehmer zu erhalten, denn diese wurden keinesfalls zufällig ausgewählt, sondern stehen alle in Verbindung mit Zodiac Island und den Morden, die sich dort vor zwanzig Jahren zugetragen hatten.
Paul Greenblatt ist der Erste, den man auf diese Weise kennenlernt. Er ist eben auch der Protagonist, dem man in der Haupthandlung folgt und aus dessen Perspektive erzählt wird. Obwohl mich das traumatische Erlebnis, das er in seiner Kindheit durchleiden musste, sehr berührt hat, fiel es mir manchmal schwer, mich in ihn hineinzuversetzen und seine Handlungen und Gedanken nachzuvollziehen. Er ist mit elf anderen Personen auf dieser Insel, einer nach dem anderen wird auf grausame Weise ermordet und er muss jeden Moment damit rechnen, der Nächste zu sein, aber auf seine Libido scheint sich das erstaunlicherweise nicht negativ auszuwirken. Auch sonst kann ich nicht gerade behaupten, dass ich ihn besonders mochte, aber vor allem hatte ich oft den Eindruck, dass man seinen Wahrnehmungen nicht ganz trauen kann.
Auch alle anderen Charaktere waren mir nicht gerade sympathisch und verhalten sich auch äußerst merkwürdig. Selbst die Interviewausschnitte vermochten es nicht, dass ich zu einer der Romanfiguren eine Verbindung aufbauen konnte. Das soll jedoch keineswegs ein Kritikpunkt sein, denn zum einen muss ich die Protagonisten eines Buches gar nicht mögen, und zum anderen führt dies eben auch dazu, dass ich jeden von ihnen im Verdacht hatte, der Mörder zu sein – selbst Paul Greenblatt. Jonas Winner versteht es äußerst geschickt, den Leser immer wieder auf die falsche Fährte zu locken und einen sehr wendungsreichen Plot zu konstruieren. Sobald ich sicher war, den Mörder nun enttarnt zu haben, wurde diese Person entweder selbst ermordet oder der Verdacht wurde auf einen anderen aus der Gruppe gelenkt. Selbst als es kaum noch Überlebende gibt und der Kreis der Verdächtigen immer kleiner wird, hatte ich keine Ahnung, wer der Mörder sein könnte.
Was mich ein wenig gestört hat, war das Tempo des Romans, denn mir ging es häufig einfach ein bisschen zu schnell. Die Romanfiguren sterben wie die Fliegen, ein Mord jagt den nächsten, wird auf wenigen Zeilen abgehandelt, sodass es kaum noch schockierend war, wenn wieder jemand zu Tode kam.
Das Ende war dann sehr überraschend, allerdings auch ein bisschen enttäuschend.
Trotzdem hat mir dieser Thriller ausgesprochen gut gefallen, denn dem Autor ist es gelungen, das Spannungslevel kontinuierlich zu steigern und bis zum Schluss zu halten. Sein flüssiger Schreibstil und eine angenehme Kapitellänge lassen den Lesefluss nie ins Stocken geraten. Besonders beeindruckend waren aber vor allem das Setting und die außerordentlich bedrohliche Atmosphäre, die mich über kleine Unglaubwürdigkeiten gerne hinwegsehen ließen.

Ein rasanter und beklemmender Thriller voller überraschender Wendungen, der mich sehr gut und spannend unterhalten hat.

Veröffentlicht am 10.06.2017

Selten hat mich ein Roman so tief berührt und gleichzeitig so hochspannend unterhalten

Babydoll
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Ich muss ja zugeben, dass der Titel Babydoll mich ein wenig abgeschreckt hat, aber als ich den Klappentext gelesen hatte, musste ich dieses Buch einfach lesen. Als es dann bei mir angekommen ist, habe ...

Ich muss ja zugeben, dass der Titel Babydoll mich ein wenig abgeschreckt hat, aber als ich den Klappentext gelesen hatte, musste ich dieses Buch einfach lesen. Als es dann bei mir angekommen ist, habe ich es fast in einem Rutsch durchgelesen, denn es war so mitreißend, dass ich es nicht mehr aus der Hand legen konnte.
Die Erzählung setzt da ein, wo andere Entführungsgeschichten enden, nämlich an dem Tag, an dem es Lily gelingt, ihrem Peiniger zu entkommen, weil dieser vergessen hatte, die Tür der Hütte zu verriegeln, in der sie die letzten Jahre eingesperrt war. Schon auf den ersten Seiten hielt ich den Atem an, denn Lilys Flucht ist bereits sehr spannend und auch erschütternd, zumal man erfährt, dass sie während ihrer achtjährigen Gefangenschaft ein Kind von ihrem Entführer bekommen hat und auf jeder Seite ihre Angst spüren kann.
Im nächsten Kapitel wechselt die Perspektive dann zu ihrem Entführer Rick Hanson, der inzwischen zwar bemerkt hat, dass er vergessen hatte, die Tür abzuschließen, aufgrund seiner Nachlässigkeit auch verärgert und ein wenig beunruhigt ist, aber davon ausgeht, dass Lily es ohnehin niemals wagen würde, zu fliehen. Er befindet sich gerade auf dem Weg nach Hause zu seiner Frau Missy, einer sehr einfältigen Person, die nichts vom Doppelleben ihres Mannes weiß. Rick verachtet seine Frau, aber er braucht sie eben, um die Fassade des ehrbaren Lehrers aufrechtzuerhalten. In die Gedankenwelt dieses Mannes einzutauchen, ist schon zu Beginn dieses Psychothrillers überaus verstörend, aber im weiteren Handlungsverlauf haben mir die Passagen, die aus Ricks Perspektive geschildert werden, geradezu die Sprache verschlagen.
Die Geschichte wird aus vier verschiedenen Perspektiven erzählt. Abwechselnd kommen Lily, ihre Zwillingsschwester Abby, ihre Mutter Eve und ihr Entführer Rick Hanson zu Wort. Obwohl der Fokus der Erzählung auf der Zeit nach Lilys Rückkehr und den Folgen der Entführung liegt, wirft der Leser mit jedem Protagonisten auch einen Blick zurück in die Vergangenheit und erfährt, was in den vergangenen acht Jahren passiert ist. Hollie Overton hat alle Charaktere ihres Romans sehr glaubwürdig ausgearbeitet und psychologisch präzise gezeichnet.
Vor allem Lilys Schicksal ging mir sehr nahe, denn die unsäglichen Qualen und Misshandlungen, die sie während ihrer achtjährigen Gefangenschaft erleiden musste, waren sehr schockierend. Ihr Körper ist das offizielle Beweismittel für Ricks perverse Neigungen; doch noch schlimmer als die Narben und Brüche, sind die psychischen Schäden, die er ihr zugefügt hat, indem er sie jahrelang ihrer Freiheit und ihrer Jugend beraubte und alles versucht hat, sie zu brechen. Ich mochte Lily von der ersten Seite an und war sehr beeindruckt von ihrer Stärke, ihrem Mut und der Entschlossenheit, mit der sie für ein neues Leben für sich und ihre kleine Tochter kämpft.
Lilys enge und liebevolle Bindung zu ihrem Kind, das während einer der unzähligen Vergewaltigungen gezeugt wurde, hat mich häufig zu Tränen gerührt. Die kleine Sky liebt ihren Vater, denn sie hat außer ihm nie einen anderen Menschen kennengelernt und weiß nicht, dass er ein Ungeheuer ist, das ihre Mutter geschlagen und gequält hat, da Lily immer dafür sorgte, dass ihr Kind das nicht mitbekommt. Sky kannte bislang nur die Isolation, hat große Mühe, sich nun in ihrer neuen Umgebung zurechtzufinden, die Reizüberflutung und die neuen Eindrücke zu verarbeiten und möchte wieder zurück in die vertraute Hütte im Wald und zu ihrem Vater. Das klingt zunächst etwas irritierend, ist aber aus der Sicht dieses Kindes auf geradezu erschütternde Weise nachvollziehbar.
Lily stellt sehr schnell fest, dass es für sie unmöglich ist, wieder zur Normalität zurückzukehren. Sie denkt viel darüber nach, was sie in den letzten Jahren versäumt hat, war gerade frisch verliebt, als sie im Alter von sechzehn Jahren aus ihrem bisherigen Leben gerissen wurde und würde nun gerne alles nachholen. Allerdings muss sie erkennen, dass die vergangenen acht Jahre nicht nur bei ihr, sondern auch bei ihrer Familie sehr tiefe Wunden hinterlassen haben und sie nie wieder dort anknüpfen kann, wo ihre unbekümmerte Jugend einst endete.
Ihr Vater ist kurz nach ihrer Entführung an einem Herzinfarkt verstorben, weil er den Verlust seines Kindes nicht verkraften konnte. Ihre Mutter Eve ist eine zerbrechliche und schwache Frau geworden, die sich in unverbindliche Affären stürzte, um ihren Sorgen und der Einsamkeit zu entfliehen. Lilys Zwillingschwester Abby hingegen hat sich mit Drogen und Alkohol betäubt, wollte sich umbringen und selbst dafür bestrafen, dass nicht sie, sondern ihre Schwester entführt wurde. Man merkt deutlich, dass die Autorin selbst eine Zwillingsschwester hat, denn die besondere Verbindung, die zwischen Zwillingen besteht, wird sehr eindrucksvoll und nachvollziehbar geschildert. Als Abby erfährt, dass Lily die vergangenen Jahre ganz in ihrer Nähe gefangen gehalten wurde, sie den Entführer sogar kannte und ihm tagtäglich begegnete, gerät sich vollkommen außer Kontrolle. Ich mochte Abby nicht besonders, denn sie war mir häufig ein wenig zu impulsiv, aber dennoch hat mich ihre enge Bindung an ihre Zwillingsschwester sehr berührt.
Besonders verstörend und schockierend waren allerdings die Passagen, die aus der Perspektive von Rick erzählt wurden, denn Hollie Overton hat einen so abgrundtief bösen Charakter geschaffen, wie man ihn selbst im Thrillergenre nur selten findet. Die Autorin hat auch ihren Antagonisten überaus präzise ausgearbeitet und lässt den Leser in die dunkelsten Abgründe menschlicher Grausamkeit blicken. Nach Lilys Flucht wird Rick zwar sehr schnell gefasst, aber er schmiedet im Gefängnis einen teuflischen Plan. Er will Lily nicht ungeschoren davonkommen lassen, sondern sie für ihren Ungehorsam bestrafen. Seine Gedankengänge sind äußerst abstoßend, denn dieser Mann besitzt keinerlei Unrechtsbewusstsein oder Skrupel. Irritierend ist vor allem, dass er behauptet, Lily zu lieben und sogar davon ausgeht, dass sie ihm Dankbarkeit schuldet. Er war sich sicher, ihren Willen gebrochen zu haben und kann es nicht fassen, dass sie es tatsächlich gewagt hat, sich ihm zu widersetzen. Obwohl er im Gefängnis sitzt, ist zu befürchten, dass es ihm gelingt, seine Pläne in die Tat umzusetzen, denn das besonders Gefährliche an diesem Mann ist, dass er überaus intelligent und charismatisch ist und Menschen sehr geschickt manipulieren kann.
Die Spannung dieses Psychothrillers resultiert vor allem aus der ständigen Gefahr, die noch immer von diesem perversen Psychopathen ausgeht. Doch nur der Leser weiß, was Rick vorhat, während Lily und ihre Familie verzweifelt versuchen, wieder etwas Normalität in ihr Leben zu bringen, aber recht arglos sind und sich zumindest sicher fühlen.
Mir hat Babydoll ausgesprochen gut gefallen, auch wenn das Ende ein bisschen zu gewollt und nicht gerade originell war. Selten hat mich ein Roman so tief berührt und gleichzeitig so hochspannend unterhalten. Durch die angenehme Kapitellänge und den flüssigen Schreibstil der Autorin flog ich geradezu durch die Seiten und fieberte das ganze Buch hinweg mit Lily und ihrer Familie mit. Ein grandioses Debüt einer Autorin, von der man hoffentlich bald noch mehr lesen darf!

Veröffentlicht am 29.05.2017

Ein solider, unterhaltsamer Krimi zum Miträtseln, dem es jedoch ein wenig an Spannung und Tiefgang fehlte

Mordkapelle
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Ich hatte mal wieder richtig Lust auf einen spannenden Krimi zum Miträtseln und bin bei meiner Suche nach neuem Lesestoff auf Mordkapelle von Carla Berling gestoßen. Bei deutschen Kriminalromanen bin ich ...

Ich hatte mal wieder richtig Lust auf einen spannenden Krimi zum Miträtseln und bin bei meiner Suche nach neuem Lesestoff auf Mordkapelle von Carla Berling gestoßen. Bei deutschen Kriminalromanen bin ich inzwischen immer ein wenig skeptisch, denn entweder stecken sie so voller Lokalkolorit, dass man auch gleich einen Reiseführer lesen könnte, oder sie sind so gewollt komisch, dass sie eher einer albernen Slapstickkomödie gleichen. Beides geht leider meistens auf Kosten eines intelligenten Plots und vor allem der Spannung. Der Klappentext von Carla Berlings Kriminalroman klang allerdings äußerst vielversprechend, und so war ich sehr gespannt auf Mordkapelle, den vierten Band der Reihe um die Lokalreporterin Ira Wittekind. Die ersten drei Bände dieser Krimireihe wurden allerdings im Selbstverlag veröffentlicht, während Mordkapelle nun der erste Band ist, der kürzlich bei Heyne erschien, aber man muss die vorhergehenden Bände nicht zwingend kennen, um der Handlung folgen zu können. Ich hatte jedenfalls nie den Eindruck, dass mir entscheidende Vorkenntnisse fehlen, um Ira Wittekind bei ihrem vierten Fall zu begleiten, denn man lernt die Protagonistin und das Umfeld, in dem sie lebt und arbeitet, sehr gut kennen, und der Kriminalfall ist in sich abgeschlossen. Erfreulicherweise hielt sich das Lokalkolorit in Grenzen, sodass man Bad Oeynhausen nicht kennen muss, um seine Freude an diesem Krimi zu haben.
Man merkt, dass Carla Berling selbst jahrelang als Lokalreporterin tätig war, und es hat mir sehr gut gefallen, dass sie in ihrem Kriminalroman keinen klassischen Ermittler, sondern eine Journalistin ins Rennen schickt. Besonders sympathisch war mir, dass Ira Wittekind nicht mehr ganz jung, sondern bereits Mitte fünfzig ist, eigentlich ein recht intaktes Privatleben hat und weder unter Depressionen noch unter Psychosen leidet. Ein bisschen neurotisch ist sie freilich, aber weit entfernt von den vielen gebrochenen Ermittlerfiguren, die ansonsten in der Krimilandschaft zu finden sind und mir allmählich etwas auf die Nerven gehen. Die Protagonistin ist sehr glaubwürdig angelegt und hat durchaus die nötigen Ecken und Kanten. Sympathisch war sie mir trotzdem nicht, denn für mein Empfinden war sie einfach eine Spur zu kühl und tough, aber ich muss Charaktere auch nicht zwingend mögen, wenn mich ein Buch ansonsten begeistert und die Geschichte spannend erzählt und raffiniert gestrickt ist.
Das Privatleben der Ermittler interessiert mich allerdings meistens nicht besonders, weshalb ich die Passagen, in denen Ira Wittekinds Beziehung zu ihrem Freund Andy und ihr familiäres Umfeld im Vordergrund stehen, etwas langweilig fand. Besonders genervt war ich von zwei alten Tanten, die gemeinsam mit Ira und ihrem Lebensgefährten auf dem Hof von Andys Familie leben und sich – streng nach dem Motto „Nich‘ lang schnacken, Kopp in’n Nacken“ – bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit einen hinter die Binde gießen. Selbst wenn das am Anfang noch recht komisch war, wurde es mir irgendwann zu viel und einfach eine Spur zu albern. Die Darstellung der beiden alten Damen war leider sehr überzeichnet, sodass sie auf mich eher wie Karikaturen wirkten. Ich bin zwar nicht vollkommen humorbefreit, aber solche gewollt komischen Momente stören mich in Kriminalromanen doch sehr und treffen auch nicht unbedingt mein Komikzentrum. Iras Lebensgefährte Andy, der ein sehr liebenswürdiger, verlässlicher und überaus geduldiger Partner an ihrer Seite ist, und auch ihre beste Freundin Coco mochte ich hingegen sehr gerne.
Ira Wittekinds Privatleben und ihre Bedenken, mit ihrem Freund eine Ehe einzugehen, haben mich ein bisschen gestört und auch sehr gelangweilt, aber der spektakuläre Mordfall, in dem sie ermittelt, nimmt in der Erzählung glücklicherweise einen breiteren Raum ein und konnte mich auch weitaus mehr begeistern. Bereits die Tötungsart und der Tatort sind schon überaus bizarr, aber besonders rätselhaft ist das Motiv, denn Ludwig Hahnwald, das Mordopfer, war äußerst beliebt, hatte für jeden ein freundliches Wort übrig, war großzügig, hilfsbereit, ein kompetenter Apotheker und angesehener Geschäftsmann, der von jedem geachtet und von den Frauen noch immer umschwärmt wurde. Wer sollte also einen Grund haben, den betagten Mann zu töten? Bei ihren Recherchen findet Ira Wittekind jedoch sehr schnell heraus, dass das Mordopfer ein hartherziger Patriarch war. Obwohl das Bild des vermeintlich perfekten und allseits beliebten Apothekers allmählich bröckelt, scheint auf den ersten Blick niemand ein Motiv gehabt zu haben, ihn zu ermorden. Während Ira immer tiefer in die Abgründe einer furchtbaren Familientragödie vordringt, muss sie allerdings feststellen, dass ihr ein Newsblogger mit reißerischen Schlagzeilen stets einen Schritt voraus ist. Außerdem wird sie von einem anonymen Anrufer tyrannisiert und fühlt sich zunehmend bedroht. Offenbar möchte jemand unbedingt verhindern, dass sie der Wahrheit auf die Spur kommt.
Ich fand es nicht gerade glaubwürdig, wie mühelos Ira Wittekind bei ihren Recherchen an die nötigen Informationen kommt. Es war jedenfalls erstaunlich, wie bereitwillig die meisten Befragten aus dem privaten Umfeld des Opfers die Lokalreporterin mit recht delikaten Familieninterna versorgen, die man am nächsten Tag nicht unbedingt in der Zeitung lesen möchte und – abgesehen von der Polizei – auch keinem Außenstehenden anvertrauen würde. Eine besonders ausgeklügelte Taktik, mit der es ihr gelingt, das Vertrauen der Befragten zu gewinnen, konnte ich jedenfalls nicht erkennen. Auch die Ermittlungsarbeit der Polizei war mir ein vollkommenes Rätsel. Ira Wittekind ist bei ihren Recherchen jedenfalls weitaus erfolgreicher, stößt dabei auf ein erschütterndes Familiengeheimnis und zahlreiche Verdächtige.
Es war sehr interessant, an Iras Seite immer tiefer in die düstere Vergangenheit des Mordopfers einzutauchen, die einzelnen Puzzleteile zusammenzusetzen und fleißig mitzurätseln, wer den Mord begangen haben könnte. Auch wenn ich den Kriminalfall und seine Hintergründe sehr spannend fand und die Abgründe, die sich hinter der Fassade des vermeintlich ehrenhaften und allseits beliebten Mordopfers auftaten, äußerst erschreckend waren, war mir die Erzählweise der Autorin häufig ein wenig zu gemächlich. Carla Berlings Sprache ist einfach, lässt sich angenehm und flüssig lesen, aber nervenzerreißende Hochspannung oder das Gefühl, das Buch nicht mehr aus der Hand legen zu wollen, konnte bei mir leider nicht aufkommen. Der Kriminalfall war allerdings gut durchdacht, durchaus glaubwürdig und logisch konstruiert. Das Ende war ebenfalls schlüssig, wenn auch nicht besonders überraschend. Die etwas zähe Ermittlungsarbeit, Ira Wittekinds recht unspektakuläres Privatleben und die klischeehaften Figuren, die für mein Empfinden zu wenig Tiefe hatten, konnten mich allerdings nicht so recht überzeugen.
Für mich war Mordkapelle ein solider und zuweilen recht unterhaltsamer Kriminalroman zum Miträtseln, dem es jedoch leider etwas an Spannung und dem nötigen Tiefgang fehlte. Ein netter Krimi für Zwischendurch, aber nichts, was im Gedächtnis bliebe.