Wie Monde so silbern: Trotz einiger Schwächen ein schöner Auftakt, der neugierig macht
Die Luna-Chroniken 1: Wie Monde so silbernDas klassische Aschenputtel in die Zukunft zu versetzen und die Titelheldin in einen Cyborg zu verwandeln ist originell und vielversprechend. Logisch, dass alle unabdingbaren Zutaten des bekannten Vorbilds ...
Das klassische Aschenputtel in die Zukunft zu versetzen und die Titelheldin in einen Cyborg zu verwandeln ist originell und vielversprechend. Logisch, dass alle unabdingbaren Zutaten des bekannten Vorbilds sich Marissa Meyers Geschichte wiederfinden: Die familiäre Konstellation, die Romanze zwischen Aschenputtel und dem Prinzen, der königliche Ball, der verlorene Schuh. Aber die Autorin macht aus der Grundlage etwas ganz Eigenes: Der Prinz ist ein Regent zwischen den Stühlen der politischen Machenschaften verschiedener Regierungen. Die Trost spendenden Vögel, die bei den Arbeiten helfen, ein kleiner Android, die Kutsche ein altertümliches Auto. Der verlorene Schuh eine Fußprothese. Die Zukunft hat einige Änderungen gebracht. Die Länder der Erde haben sich in zu Staatenbündnissen zusammengeschlossen. Die Technik ist weit voran geschritten. Dennoch haben Umwelt und Natur die bisherige Ausbeute der Menschen Schaden davongetragen, Armut und Kastenbildung sind nach wie vor gesellschaftliche Probleme. Eine Außenkolonie der Erde auf dem Mond hat sich von der Menschheit abgekapselt und bildet eine eigenständige Monarchie. Das ist die Welt von Cinder, eine begabte Mechanikerin, die zusammen mit ihrer Ziehmutter und deren Töchtern in Neu-Peking lebt.
Eine große Stärke des Romans sind die Beziehungen zwischen den Charakteren in Cinders Familie. Das Verhältnis zwischen Stiefmutter und -tochter, zwischen den Stiefgeschwistern oder Cinders Freundschaft mit dem Haushalts-Androiden Iko sind authentisch und sehr detailliert ausgearbeitet. Adri und Peony sind wohl meine Lieblinge unter den Nebenfiguren. Adri als "Stiefmutter" ist zwar märchenkonform unfair und ruppig gegenüber Cinder, aber nicht komplett herzlos und böse. Adris jüngste Tochter Peony ist lebensfroh und aufgeweckt, und hat mit ihrer jugendlich unbeschwerten Art Cinders eher mürrischen Charakters gut ausgeglichen. Die beiden Schwestern waren ein tolles Gespann, jedoch hätte in meinen Augen die tiefe Bindung der beiden noch deutlicher ausgearbeitet werden können. Ebenso wie Cinders Bestürzung, als Peony an der Blauen Pest erkrankt, war irgendwie nicht greifbar. Darum ging es doch eigentlich, oder nicht? Umso schöner hätte die Freundschaft und Liebe zwischen Kai und Cinder sein können, wenn sie sich viel mehr gegenseitigen Halt geboten hätten, schließlich haben beide einen geliebten Menschen, der an der Blauen Pest erkrankt ist. Genau aus diesem Grund ist die Beziehung zwischen Kaito und Cinder in meinen Augen ein wenig verunglückt. Die beiden haben bis auf die Tatsache, dass Cinder etwas für Kai reparieren soll, wenig Berührungspunkte. Warum ich Kaito also von Cinder angezogen fühlt, lässt sich so nur erahnen und was genau sie an ihm - außer seinem Aussehen - ebenfalls.
Cinder ist vor allem eines: tapfer. Seit sie denken kann, hat sie gelernt sich anzupassen, zu verbergen, dass sie ein Cyborg ist, denn die sind in der zukünftigen Welt nicht gerne gesehen und werden allgemein verachtet. Obwohl Cinder die Erzählerin und Titelheldin dieser Geschichte ist, kann ich ihren Charakter nicht so recht (be)greifen. Sie ist sehr zurückhaltend und vorsichtig, kann aber ebenso impulsiv und aufbrausend sein. Hier hat die Autorin in meinen Augen das Potenzial ihrer Idee nicht konsequent ausgeschöpft und mir fehlt ein wichtiger Schlüssel in Cinders Charakter. Warum sind Cyborgs in der Gesellschaft so verachtet? Warum wurden ihnen offensichtlich die Menschenrechte aberkannt, egal ob sie zu 90% ein Cyborg sind oder nur zu 1%? Warum wird der Wert ihres Lebens geringer eingeschätzt als das eines Menschen ohne Technik im Körper?
Auch empfand ich das Timing der Geschichte als nicht ganz rund. Levana, Königin von Luna, tauchte für meinen Geschmack viel zu früh in der Geschichte auf. Die Autorin hätte die gewonnenen Seiten spielerisch leicht darauf verwenden können, die Beziehung zwischen Kai und Cinder zu stärken und die Forschungen von Dr. Erland sowie die Cyborgs mehr zu thematisieren. Für mich war das besonders ärgerlich, da Königin Levana als angedachte Gegenspielerin Cinders viel mehr tut, als durch die Räume des Palastes zu streifen und regelmäßig Wutanfälle zu bekommen. Ich fand es sehr schade, dass Levana so lieblos gestaltet wurde und ihr Charakter über den eines bockigen Kleinkindes nicht hinausging. Als Staatsoberhaupt hätte ihr ein kühles und berechnendes Auftreten besser zu Gesicht gestanden. So macht sie sich mit ihrem Verhalten in meinen Augen nur lächerlich. Trotzdem war das Ende unglaublich spannend und dank Marissa Meyers angenehmen Schreibstil sind die Seiten nur so an mir vorbei geflogen.
Fazit: Wie Monde so silbern ist ein gutes Debüt mit einer einzigartigen Idee, stellt sich aber manchmal selbst ein Bein. Marissa Meyers Geschichte entwickelt trotz des guten Tempos und des unterhaltsamen Plots überraschenderweise keinen allzu starken Sog. Die Autorin nutzt leider nicht das ganze Potenzial ihrer Idee und so bleibt Cinders Welt leider etwas hinter ihren tollen Möglichkeiten zurück. Nichtsdestotrotz war Wie Monde so silbern ein interessantes Abenteuer, das für die kommenden Bände noch sehr viel Luft nach oben lässt.
3,5 von 5 Sternen