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Veröffentlicht am 28.02.2022

Was für ein Buch! Wird wohl mein Jahreshighlight

Der Papierpalast
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Was für ein Buch! Atmosphärisch dicht, sprachlich und stilistisch gelungen und unterhaltsam. Erzählt wird von einem Tag im Sommerhaus einer Familie auf Cape Cod. Wobei es sich um eine sehr einfache ...

Was für ein Buch! Atmosphärisch dicht, sprachlich und stilistisch gelungen und unterhaltsam. Erzählt wird von einem Tag im Sommerhaus einer Familie auf Cape Cod. Wobei es sich um eine sehr einfache Unterkunft handelt, daher der Name Papierpalast. Elle, die Protagonistin, hat dort jeden Sommer ihres Lebens verbracht. Aber diesmal ist etwas anders. Sie hat zum ersten Mal mit ihrem Jugendfreund geschlafen. Sie lieben sich seit ihrer Kindheit. Aber es gibt wohl ein Geheimnis, warum sie kein Paar geworden sind, sondern mit jeweils anderen Partnern verheiratet. Dieses Geheimnis und vieles mehr aus dem Leben von Elle wird in vielen Rückblenden erzählt, während der Tag unaufhaltsam fortschreitet und irgendwann eine Entscheidung ansteht.....

Geschickt konstruiert zwischen Jetzt und Gestern, werden tragische, schöne, verstörende und überraschende Erlebnisse erzählt. Das alles ist wesentlich tiefgründiger und auch dramatischer, als es sich am Anfang anfühlt. Eine leichte, sommerliche Unterhaltung ist das definitiv Buch nicht. Aber eine beeindruckende Erzählung darüber, wie unsere Herkunft uns prägt, wie sich einzelne Erlebnisse auf unser Leben auswirken und welche Rolle Familie spielt oder spielen kann.
Erzählt wird sehr viel von Frauen. Elle als moderne, inzwischen 50jährige Frau aus einem intellektuellen Haushalt, die doch so viele (auch finanzielle) Engpässe und Probleme aus ihrer Kindheit kennt und unbedingt Sicherheit sucht. Ihre Mutter und Großmutter, die noch auf (reiche) Männer angewiesen waren, um ihr Leben zu meistern - und doch so oft damit scheiterten. Was sich wiederum auf ihre Kinder auswirkte (was ihnen aber teilweise ziemlich egal zu sein schien - ich mag es, dass die Autorin die Frauencharaktere etwas gegen die Konventionen entwirft!). Die Handlung wird im Laufe der Erzählung immer komplexer und auch die Charaktere offenbaren sich immer mehr, wobei (fast) keiner nur eindimensional dargestellt wird.

Mich hat dieser Roman sehr gefesselt, ich habe oft über die Rolle der Frauen nachgedacht und mich oft gefragt, was ich in dieser oder jener Situation getan hätte. Darüber hinaus vermittelt das Buch eine einzigartige Stimmung und es wird nie langweilig. Denn irgendwie will man doch wissen, wie sich alles weiterentwickelt.
Von mir daher eine eindeutige Empfehlung für diesen Roman!

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Veröffentlicht am 23.02.2022

Sprachlich ungemein gelungene Erzählungen von den nicht so sonnigen Seiten Floridas

Milch Blut Hitze
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Florida ist der Sunshine State der USA. Viele wohlhabende Amerikaner und Menschen aus aller Welt haben hier ihren (Neben-) Wohnsitz oder verbringen die Winter hier. Tolle Hotels, exklusive Golfclubs und ...

Florida ist der Sunshine State der USA. Viele wohlhabende Amerikaner und Menschen aus aller Welt haben hier ihren (Neben-) Wohnsitz oder verbringen die Winter hier. Tolle Hotels, exklusive Golfclubs und viele Villengegenden prägen nach außen hin den Staat. Aber es leben hier auch viele normale Menschen. Diese sind nicht reich, sondern gehören eher zu den "Working Poor" und müssen sich ihr Leben mit ganz normalen Jobs verdienen. Mehrheitlich wird von Frauen oder Mädchen erzählt, die meisten davon People of Color und damit oft in die niedrigeren Gesellschaftsschichten verbannt. Doch Rassismus ist ein Thema, das im Buch eher sehr subtil daherkommt. Meistens geht es um entscheidende, tragische Momente im Leben. Die erste, titelgebende Geschichte, schlägt hier direkt voll zu. Für die Leser:in ist danach sicherlich eine Pause zum Nachdenken und Verarbeiten notwendig. Ich selbst habe nicht kontinuierlich gelesen und nicht jede der Geschichten ist auf den ersten Blick so dramatisch wie die erste. Allerdings merkte ich immer mehr, wie viel Zeit ich brauchte, um die Erzählungen zu verarbeiten. Sie lesen sich zwar leicht - dringen aber in tiefe Gefühlsschichten ein. Auch dann, wenn die erzählte Lebenswirklichkeit weit weg ist von der eigenen.

Literarisch daher eine unbedingt empfehlenswerte Entdeckung. Sprachgewaltig, tiefgründig und doch so gefährlich leicht zu lesen. Die Wucht der Wirkung kommt später. Gewaltig und eindrucksvoll. Ich habe lange für die Lektüre gebraucht, da ich nicht mehr als 1-3 Geschichten pro Woche lesen konnte. Einige habe ich mir sogar noch aufgespart. Denn ich möchte mir noch ein paar Momente eines vollkommenen sprachlichen Debüts aufbewahren. So etwas wie dieses Buch gibt es nämlich selten.

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Veröffentlicht am 31.01.2022

Gefühlvoll & tiefgründig. Ein tolles Debüt!

In Richtung Stoppelfelder
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Mit dem Roman "In Richtung Stoppelfelder" ist der Autorin Lene Jansen ein sehr beeindruckendes Debüt gelungen. Ich hatte etwas leichtes, unterhaltsames erwartet und meine Erwartungen wurden positiv übertroffen. ...

Mit dem Roman "In Richtung Stoppelfelder" ist der Autorin Lene Jansen ein sehr beeindruckendes Debüt gelungen. Ich hatte etwas leichtes, unterhaltsames erwartet und meine Erwartungen wurden positiv übertroffen. Denn unterhaltsam war es - aber auch überraschend tragisch und tiefgründig. Und dabei immer gut lesbar.

Dazu das Setting: Eine Fahrt im ICE von München nach Münster. Jule ist unterwegs zur Beerdigung ihrer allerbesten Freundin und entsprechend traurig. Da trifft sie im Abteil ausgerechnet auf ihren Ex-Freund Hannes, der sie vor 10 Jahren verlassen hat. Schlimmer kann es kaum sein. Werden die beiden sich endlich aussprechen? Oder sich anschweigen? Oder sich anschreien? Das werde ich jetzt nicht verraten. Nur soviel: Es werden viele Erinnerungen an eine vergangene Liebe aufkommen und es wird viele Überlegungen geben, was wann wie vielleicht schiefgelaufen ist. Und: Es wird immer wieder positive Elemente geben.

Eine rasante Fahrt im ICE, viele stimmungsvolle Erinnerungen und eine oft schonungslose Analyse, wie wenig perfekt das Leben manchmal sein kann. Das Buch regt also auch sehr zum nachdenken an.

Die Autorin kann schreiben und sie kann Timing. Traurige Passagen wechseln mit Aufheiterungen, negative Erinnerungen mit positiven Ausblicken. Sehr gekonnt. Etwas ähnliches habe ich bisher nur bei Jasmin Schreiber in "Marianengraben" erlebt. Und natürlich bei Benedict Wells... aber das ist jetzt doch noch etwas anderes.....

Ich habe das Buch sehr gerne gelesen, trotz der eigentlich sehr traurigen Grundhandlung. Zum Glück habe ich mich von der Beerdigungsgeschichte nicht abhalten lassen. Denn dann hätte ich ein tolles Debüt verpasst.

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Veröffentlicht am 03.01.2022

Scandic Noir vom Feinsten

Was wir verschweigen
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Ein Wochenendhaus im Meer in Finnland im November. Draußen ist es kalt und regnerisch, drinnen säuft sich eine Gruppe von Menschen seit Tagen um den Verstand. Menschen kommen und gehen, keiner hat mehr ...

Ein Wochenendhaus im Meer in Finnland im November. Draußen ist es kalt und regnerisch, drinnen säuft sich eine Gruppe von Menschen seit Tagen um den Verstand. Menschen kommen und gehen, keiner hat mehr den Überblick und die leeren Flaschen stehen überall herum.

Dann entdeckt ein Mann einen anderen Mann. Er geht in die Küche, holt ein Messer - und kurze Zeit später ist jemand auf der Flucht durch Regen und Dunkelheit - mit Blut an den Händen.

Für die Kriminalpolizei ist die Tat schnell erklärt: Alkohol & Gewalt, wieder einmal. Der vermeintlich Tatverdächtige wird schnell gefunden. Aber dann entdeckt der leitende Ermittler Jari Paloviita, dass der vermutliche Täter sein Freund aus Jugendtagen ist und der Tote ihr damals gemeinsamer Feind. Was soll er jetzt tun?

Währenddessen sucht sein Kollege Oksmann weiter nach Beweismitteln, denn irgendwie erscheint ihm einiges seltsam, vor allem das Verhalten von Jari. Und zusätzlich kämpft Oksmann mit seinen eigenen Dämonen. Wie auch die zweite Ermittlerin Linda, die ein großes Alkoholproblem zu haben scheint. Wie übrigens die meisten Personen in diesem Buch. Das Klischee von ständig saufenden Finnen wird hier vortrefflich bedient. Ob es wirklich so ist? Und gibt es wirklich so viel Gewalt gegen Kinder, zwischen Jugendlichen und überhaupt in Finnland? Ist wirklich alles so düster und aussichtslos? Nun, in diesem Buch ist es das. Nur wenige Lichtblicke, alle haben Probleme und funktionierende Elternhäuser scheint es auch nicht zu geben. Jeder trägt an seiner Vergangenheit. Jaris Jugendjahre werden in einer zweiten Handlungsebene erzählt. Und darin findet sich die Auflösung für den Fall. Die Vergangenheit von Oksmann wird wahrscheinlich in den nächsten Bänden Thema sein. Und irgendwann auch einmal Linda.

Obwohl alles so düster war, habe ich das Buch doch gerne gelesen. Diese psychologisch begründeten Handlungsweisen, diese tiefen Einblicke in verletzte Seelen. Die Krimihandlung bleibt dabei aber zwischendurch schon etwas auf der Strecke. Es geht mehr um die Auswirkungen von Gewalt als um die Suche nach dem Täter. Dies als Warnung an alle, die einen klassischen Krimi erwarten. Wer jedoch Scandic Noir mag, sich für psychologische und soziologische Gründe von Gewalt interessiert und eine andere Seite des doch angeblich so optimalen finnischen Staates kennenlernen will, dem sei das Buch empfohlen.

Ich werde jedenfalls den Folgeband auch lesen.

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Veröffentlicht am 13.11.2021

Ein ungemein atmosphärisches Buch

Offene See
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Nordengland 1946, kurz nach dem Krieg. Ein 16jähriger nimmt sich nach dem Schulabschluss den Sommer über Zeit für eine Art Walz. Er will zumindest einige Wochen noch in der Natur verbringen, bevor er Bergmann ...

Nordengland 1946, kurz nach dem Krieg. Ein 16jähriger nimmt sich nach dem Schulabschluss den Sommer über Zeit für eine Art Walz. Er will zumindest einige Wochen noch in der Natur verbringen, bevor er Bergmann werden soll. Das sind alle in seiner Familie und er kann wohl diesem grauen und tristen Schicksal nicht entgehen. Dabei liebt er die Freiheit und die Natur. Nach einiger Zeit mit Hilfsarbeiten gegen Kost & Logis kommt er an eine Meeresbucht und trifft dort in einem fast vollständig von der Natur überwucherten Cottage eine erstaunliche Frau. Eigenständig, offen, unkonventionell. Er führt einige Reparaturen durch und bekommt dafür für ihn neue kulinarische Köstlichkeiten angeboten. Und nicht nur diese Erfahrungen werden neu für ihn sein....

Dieses Buch ist sehr besonders. Die Handlung ist eher ruhig, es gibt viele (Natur-) Beschreibungen, eine (subtile) Kritik an der englischen Gesellschaft und das alles zusammen (mit einem kleinen Geheimnis) führt zu einer einzigartigen Atmosphäre. Ich konnte die Wiese und die Meeresbucht fast spüren und habe hautnah miterlebt, wie der Junge erwachsener und selbstbewusster wird und zu einer Persönlichkeit heranreift.

Ein Coming-of-Age Roman der etwas anderen Art. Sehr empfehlenswert.

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