Profilbild von Corsicana

Corsicana

Lesejury Profi
offline

Corsicana ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Corsicana über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 19.05.2024

Sprachlich brilliant, inhaltlich fehlte mir etwas, vor allem am Schluss

Die Tage des Wals
0

Mit sprachlicher Wucht, sehr reif für einen Debütroman, erzählt die Autorin vom fast schon archaischen Leben auf einer kleinen Insel vor der walisischen Küste im Jahr 1938. Hier wohnt Manod, gerade 18 ...

Mit sprachlicher Wucht, sehr reif für einen Debütroman, erzählt die Autorin vom fast schon archaischen Leben auf einer kleinen Insel vor der walisischen Küste im Jahr 1938. Hier wohnt Manod, gerade 18 geworden mit ihrem Vater und ihrer jüngeren Schwester. Die Mutter ist schon einige Jahre tot, was viele Belastungen für Manod mit sich bringt, seelische und praktische. Sie muss sich um den Haushalt und ihre Schwester kümmern, während der Vater als Hummerfischer für den Unterhalt sorgt. Die Inselbewohner erwarten alle, dass Manod bald heiratet, es gibt auch einen Kandidaten, Llew, der einzige Mensch auf der Insel, der gleichaltrig ist. Aber unsere Protagonistin träumt von einem anderen Leben. Sie ist intelligent und spricht gut Englisch, sie will studieren. Als zwei Ethnologen auf die Insel kommen, Joan und Edward, die das Leben auf der Insel dokumentieren wollen, sieht Manod ihre Chance gekommen..... Doch die beiden Wissenschaftler haben ein sehr romantisches Bild vom naturnahen Leben und so nehmen die Missverständnisse zu.

Das Buch erzählt sehr ruhig, bildhaft und sprachlich überaus gekonnt vom Leben auf einer Insel im Wandel der Jahreszeiten. Es ist ein hartes, entbehrungsreiches Leben und mir hat sehr gut gefallen, dass die Autorin dies so eindrucksvoll beschreibt und endlich einmal das Landleben nicht romantisiert wird. Die beiden Fremden hingegen wollen unbedingt ihr Bild vom romantischen naturnahen Lebensstil sehen, das wird richtig gut kritisch dargestellt. Allerdings trägt das Geschehen nicht über das ganze Buch. Auch ein Wal, der strandet (und wohl als Sinnbild für ??? Unglück? Einfluss von Außen? Die Grausamkeit der Natur?) stehen soll, bringt nicht ausreichend Handlung für einen Roman, der Wal spielte für mich eher eine Nebenrolle, obwohl er im Titel auftaucht.

Man muss schon sehr ruhige Bücher lieben (wie ich), die Eintönigkeit und Einsamkeit lieben (na ja, kommt bei mir eher selten vor) um dieses Buch so richtig zu mögen. Ich persönlich hätte mir mehr Entwicklung, nicht nur auf der geistigen Ebene, sondern auch in der Handlung gewünscht. Eigentlich brauchte es eine Fortsetzung, die die Geschichte von Manod weiter erzählt.

Daher von mir knappe vier Sterne - wegen der Sprache. Die Handlung war eher so drei Sterne.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.04.2024

Mit Tiefgang und viel nordischem Flair

Tangosommer
0

Riitta lebt ein zurückgezogenes Leben in ihrem kleinen Haus am Inari See, hoch im Norden von Finnland. Nur einmal im Jahr geht sie aus. Dann für eine ganze Woche. Beim finnischen Tangofestival. Dort trifft ...

Riitta lebt ein zurückgezogenes Leben in ihrem kleinen Haus am Inari See, hoch im Norden von Finnland. Nur einmal im Jahr geht sie aus. Dann für eine ganze Woche. Beim finnischen Tangofestival. Dort trifft sie sich mit Phil aus Süddeutschland. Eine Woche lang genießen Sie die Mitternachtssonne, den Tango und die Liebe. Dann geht Phil zurück zu seiner Familie und Riitta zurück an den See. Über ihre Vergangenheit sprechen Sie nicht. Die ist lange her, damals war Riitta die Schülerin von Phil und sie verband eine große Leidenschaft....

Doch dann stirbt Phils Frau und er macht sich mit seiner ältesten Tochter und seiner Enkelin auf in den hohen Norden. Während Riitta sich zwar Gedanken macht, am liebsten aber alles so lassen würde, wie es ist.

Mit viel Empathie für ihre Figuren, mit Tiefgang und mit vielen kleinen Geschichten über das Leben im Norden hat die Autorin Hiltrud Baier hier einen unterhaltsamen und berührenden Roman geschrieben. Manches bleibt ein wenig an der Oberfläche, aber die Hauptgeschichte ist schlüssig und alles andere als alltäglich. Auch wenn neugierige Leser:innen wahrscheinlich irgendwann das Familiengeheimnis erraten können... Aber lest selbst!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.04.2024

American Novel at its Best!

Sommerhaus am See
0

Dies ist beileibe kein leichter Sommerroman, auch wenn der Titel dies suggeriert. Es handelt sich vielmehr um einen Familien- und Gesellschaftsroman im Stil der "Great American Novel". Zwar würde ...

Dies ist beileibe kein leichter Sommerroman, auch wenn der Titel dies suggeriert. Es handelt sich vielmehr um einen Familien- und Gesellschaftsroman im Stil der "Great American Novel". Zwar würde ich hier noch nicht von "Great" sprechen, jedoch von ausgesprochen gelungen.
Der Autor erzählt von drei Tagen in einem Sommerhaus am See in den Blue Ridge Mountains in North Carolina. Hier möchte eine Familie das letzte Mal gemeinsam den See genießen, denn die Eltern werden das Haus verkaufen. Was bei den beiden Söhnen eher Unverständnis hervorruft. Dabei haben die beiden Söhne eigentlich viel tiefergehende Probleme: Einer ist schwerer Alkoholiker, ist mehr als unzufrieden mit seinem schlecht bezahlten Job als Schuhverkäufer in einer heruntergekommenen Shopping Mall in Texas und wählt dementsprechend Donald Trump. Dazu steckt seine eigentlich glückliche Ehe derzeit in einer Krise. Der andere Sohn ist ein erfolgloser Dichter und lebt in New York, finanziell versorgt von seinem Partner, einem überaus erfolgreichen Künstler. Dem Autor gelingen hier eher subtil geäußerte Beschreibungen der gesellschaftlichen Situation in der Ära Trump, von den großen Unterschieden zwischen Ostküste und Südstaaten, untermauert vom einerseits überall rundherum zu bemerkenden Verfall und vom andererseits grassierendem "Neureichen-Befall" am See. Den Neureichen bringt der Reichtum allerdings auch kein Glück. Denn direkt am Anfang des Romans ertrinkt deren Kind. Und der älteste Sohn der Familie mit dem Sommerhaus wird bei der (erfolglosen) Rettungsaktion verletzt. Spätestens dann weiß man als Leser:in, dass dies kein heiterer Sommerroman wird. Statt dessen wirkt der Unfall traumatisch und lässt verdrängte Erinnerungen und Verletzungen an die Oberfläche treten. Denn auch die Eltern, auf den ersten Blick angesehene Wissenschaftler, haben so ihre Krisen und Geheimisse. Warum nur sind ihre Söhne solche "Looser", wo sie selbst sich doch durch Bildung hochgearbeitet haben und er als Professor an der renommierten Cornell Universität und sie als Wissenschaftlerin so erfolgreich waren? Jeder der Elternteile hadert anders, allerdings wird (was sehr schön ist!) deutlich, wie bedingungslos Elternliebe ist. Egal, wie reich, erfolgreich, arm, abhängig oder selbständig Kinder sind: Sie können abgöttisch geliebt werden. Dies ist ein Aspekt des Buches, der die Lektüre positiv gestaltete, ansonsten wäre einiges (die Beschreibungen des Alkoholmissbrauchs sind schon heftig) noch schwerer zu ertragen.
Das Buch hat mich sehr an "Sommer in Maine" oder "Abschied von Chautauqua" erinnert und an einige andere Romane im Stil der American Novel. Typisch, für mich als Europäerin allerdings eher befremdlich, waren die längeren Passagen über Religion (wobei der Autor allerdings schon differenziert und auch kritisch war) und über die sprichwörtliche Prüderie der US-Amerikaner. Menschen, die mit 17 ihren späteren Ehepartner kennenlernen und nur mit dieser einen Person intim waren, werden schon fast als Ideal dargestellt. Aha. Wäre in einem europäischen Roman wohl anders. Es gibt allerdings sehr explizite Sexszenen, denn während der eine Bruder derjenige ist, der mit seiner ersten Liebe verheiratet ist, lebt der andere Bruder in einer offenen homosexuellen Beziehung. Wobei ihm das eigentlich nicht gefällt. Wahrscheinlich dann wieder ein Zugeständnis des Autors an die prüde Leserschaft in den USA. Und am Ende gibt es dementsprechend Ausblicke auf mehr Zusammenhalt und eine tendenziell positive Entwicklung. Aber zum Glück nicht kitschig.

Insgesamt habe ich das Buch an einem einzigen Tag ausgelesen. Viel Besseres kann man über ein Buch nicht sagen, oder?

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.03.2024

Gute Unterhaltung, manchmal etwas zu perfekt konstruiert

Die Halbwertszeit von Glück
0

Den Roman durfte ich schon vor Erscheinen lesen und ich freute mich auf eine unterhaltsame, emotionale und durchaus auch etwas tiefsinnigere Geschichte über drei Frauen. Und genauso war es. Ich ...

Den Roman durfte ich schon vor Erscheinen lesen und ich freute mich auf eine unterhaltsame, emotionale und durchaus auch etwas tiefsinnigere Geschichte über drei Frauen. Und genauso war es. Ich musste nach der Lektüre jedoch eine Weile überlegen, wie ich den Roman denn nun wirklich finde.

Es geht in der Geschichte um drei Frauen in unterschiedlichen Jahrzehnten. Im Prolog taucht noch eine vierte Frau auf, die in der Kristallnacht 1938 ihre große Liebe, einen Juden, verliert. Ihre Tochter Johanna wird also ohne ihre leiblichen Vater aufwachsen. Wie wir später erfahren, verlebt Johanna später doch eine glückliche Kindheit, Jugend und Ehe und wird eine erfolgreiche Kernphysikerin (daher der Titel). Bis ein tragischer Unfall passiert und Johanna sich in eine Waldhütte im deutsch-deutschen Grenzgebiet zurückzieht. Als sie dort eine junge Frau auf der Flucht antrifft, muss sie eine Entscheidung treffen.

Johanna ist eine der drei zentralen Figuren, die zweite ist Mylène, die überaus glücklich und erfolgreich in Paris lebt, bald ihren Traummann heiraten wird und erfolgreich ein kleines Unternehmen aufgebaut hat. Doch dann erbt sie eine Wohnung in Amsterdam von einer ihr unbekannten Frau und dies erschüttert die Grundfeste ihres Lebens. Mylene macht sich auf die Suche nach bisher verschwiegenen Familiengeheimnissen. Die dritte Frau ist Holly, die passenderweise in Hollywood ihr Glück als Drehbuchautorin sucht. Sie wird durch einen tragischen Vorfall erschüttert und ist fortan von riesigen Schuldgefühlen geplagt.

Die Autorin entwirft ein Tableau von Lebensentwürfen, vielen schönen und berühmten Handlungsorten und garniert dies mit drei Frauenleben in verschiedenen Jahrzehnten, von den 1980er Jahren (Johanna) bis in die Gegenwart hinein. Dabei wird die Frage erörtert, was eigentlich Glück ist, wie vergänglich es ist (die Halbwertszeit eben...) und ob es immer wiederkommen kann (Ja, zumindest in dieser Geschichte - was ich sehr schön fand!)

Die Zeitsprünge und die ständig wechselnden Protagonisten machen das Lesen unterhaltsam und spannend. Allerdings war für mich persönlich alles ein wenig zu perfekt, zu konstruiert und zu szenisch. Letzteres ist wohl dadurch bedingt, dass es sich mitnichten um einen richtigen Debütroman handelt. sondern die Autorin unter ihrem Klarnamen Drehbücher und Kinderbücher schreibt.

Die Handlung kann ich mir perfekt als Film vorstellen. Deshalb wurden sicherlich auch so interessante Orte wie Hollywood, Amsterdam und Paris gewählt, das erleichtert die internationale Vermarktung. Dazu ein wenig Nazizeit und ein wenig deutsch-deutsche Vergangenheit und das Erfolgsrezept ist da. Aber das ist jetzt Kritik auf hohem Niveau. Mir waren die Charaktere ein wenig zu schemenhaft und ihre Handlungen ein wenig "too much", vor allem fand ich Holly ziemlich überflüssig für die eigentliche Geschichte und die Erklärung für den Zusammenhang nicht sehr überzeugend. Aber das ist meine persönliche Meinung und insgesamt wird der Roman sicherlich sehr viele begeisterte Leserinnen finden.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 13.03.2024

Sprachlich sehr gelungen, atmosphärisch sehr bleiern und diffus

Krummes Holz
0

Krummes Holz, so heißt der inzwischen heruntergewirtschaftete Bauernhof, auf dem Jirka (der eigentlich Georg heißt, wie sein Vater) und seine Schwester Malene aufwuchsen. Es war keine glückliche ...

Krummes Holz, so heißt der inzwischen heruntergewirtschaftete Bauernhof, auf dem Jirka (der eigentlich Georg heißt, wie sein Vater) und seine Schwester Malene aufwuchsen. Es war keine glückliche Kindheit, kein Bullerbü auf dem Land, sondern es gab Verlust, Lieblosigkeit und Gewalt.
Die Mutter starb früh, da war Jirka sechs Jahre alt. Vorher war sie psychisch krank und in der Heilanstalt. Die Großmutter übernahm den Haushalt, sie war aber kein Mutterersatz, sondern kaltherzig und distanziert. Der Vater war sowohl ein schlechter Bauer als auch ein schlechter Vater. Dafür gab es wohl Gründe, die werden auch angedeutet - es bleibt jedoch alles ein wenig im Nebel. Wie vieles in diesem Buch. Jirka kehrt jedenfalls am Anfang des -Romans nach mehreren Jahren im Internat auf den Hof zurück und trifft auf eine demente Großmutter, einen abwesenden Vater und eine verbitterte Schwester. Nur der Sohn des ehemaligen Gutsverwalters, Leander, wirkt gesprächsbereit. Es passiert vordergründig zumindest am Anfang nicht so sehr viel, wie Blei die Atmosphäre. Dies wird sprachlich sehr gut dargestellt, die Autorin ist eine Meisterin darin, die passenden Worte und Beschreibungen zu finden. Allerdings macht es die Lektüre nicht gerade leicht. Mir persönlich war vorher bewusst, dass dies kein Unterhaltungsroman wird. Ich musste trotzdem öfter als gedacht unterbrechen, ruhen lassen, neue Kraft tanken. Obwohl es durchaus ein paar wenige schön-skurrile Szenen und etwas Hoffnungsschimmer gibt, muntert die Geschichte nicht gerade auf.
Allerdings zeigt sie sehr bildhaft, wie sich eine lieblose, schwierige Kindheit auf das spätere Leben und auf die Fähigkeit zu Liebe und Beziehungen auswirken kann.
Obwohl ich den Roman nicht ganz "rund" fand, würde ich 3,5 Sterne vergeben. Und auf jeden Fall ein neues Buch der Autorin lesen. Da gibt es ein riesiges Potential.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere